Zwischenbilanz

Eine Zwischenblanz versucht der 50. Band der GMW-Reihe mit dem Titel: „E-Learning: Eine Zwischenbilanz. Kritischer Rückblick als Basis eines Aufbruchs„. Das ist eine gute Idee, hilft es doch tatsächlich oft für weitere Entwicklungen, wenn man mal zurückblickt und sortiert, was alles gelungen, was misslungen und was offen geblieben ist und welche Gründe es dafür geben könnte. Aufschlussreich sind die Beiträge von Simone Haug und Joachim Wedekind (eine Bilanzierung zu Förderprojekten) einerseits und Peter Baumgartner und Reinhard Bauer (eine Bilanzierung zum Medidaprix) andererseits und in Ergänzung dazu das Expertenstatement von Michael Kindt, weil sie deutlich machen, wie stark die Bemühungen um das Lernen und Lehren mit digitalen Medien (an der Hochschule) von Faktoren außerhalb der Hochschule, allem voran vom bildungspolitischen Klima und dazugehörigen Entscheidungen (bei denen es schlicht ums Geld geht) beeinflusst werden. Speziell die Föderalismusreform hat in Deutschland diesbezüglich gravierende Folgen gehabt. Michael Kindt (S. 98) formuliert es eher vorsichtig, was nach der letzen 2006 ausgelaufenen Förderrunde aktuell der Fall ist: „Weder Bund noch Länder fühlen sich wirklich veranlasst, die mit enormen Aufwand initiierten Entwicklungsstränge auszuwerten, z. B. auf Einflussfaktoren zu untersuchen, die im Sinne der Zielsetzungen förderlich oder hinderlich waren oder evtl. weitere Perspektiven und einen entsprechenden Förderbedarf auszuloten.“ Man könnte es auch drastischer sagen: Niemand hat mehr einen Überblick, jedes Land hat seine eigene Strategie, aber es eint sie der Versuch, die Verantwortung an die einzelnen Hochschulen weiterzureichen, die aus finanzieller Not nur da investieren, wo ein rascher „Return on Investment“ zu erwarten ist. Um den zu finden (und man finden ihn in der Bildung meistens nicht, weil die Effekte zwar nachhaltig, aber äußerst träge sind) und zu nutzen, scheuen manche Hochschulleitungen auch vor Beratungs- und Marketingfirmen nicht mehr zurück.

Mir selbst fällt (negativ) auf (und es wird mit beim Lesen des neuen Bandes wieder klar), dass der Einfluss der E-Learning Community auf die Bildungsforschung insgesamt sehr klein ist (was ich damit meine, kann man genauer hier nachlesen). Das ist ausgesprochen bedauerlich und ob ich mit meinen Überlegungen, woran das liegen könnte, richtig liege, weiß ich letztlich nicht genau. Allerdings wären die Gründe schon wichtig zu kennen, denn dann fiele es leichter gegenzusteuern und den Einfluss zu erweitern. Ich denke nämlich schon, dass im Umkreis des E-Learning zahlreiche interessante Befunde und Erfahrungen ebenso wie theoretische Ideen entstanden sind und entstehen, die für Fragen des Lernens und Lehren an der Hochschule (und darüber hinaus!) von genereller Bedeutung sind (über die Medien hinausgehend).

Was ich bislang nicht so ganz verstehe ist, warum (auch im „Jubiläumsband“) die GMW, deren Kürzel immerhin für „Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft“ steht, auf „E-Learning“, also auf Fragen des Medieneinsatzes in der Hochschullehre eingeengt wird. Zwar hat es über Aspekte wie Hochschulentwicklung durch digitale Medien bereits ausgehend vom E-Learning einzelne Erweiterungen gegeben. Aber auch der Einsatz von Medien in der Forschung ebenso wie in der Wissens- und Wissenschaftskommunikation nach Innen und Außen sollten meiner Ansicht nach dazugehören. Wir haben das im Vorstand bereits andiskutiert und es ist mir ein Anliegen, da dran zu bleiben. Denn vielleicht wäre das ja auch ein Baustein für eine Strategie, den Einfluss der GMW nicht nur auf die Bildungsforschung, sondern z.B. auch auf die Hochschulforschung auszuweiten. Zudem könnte dies eine Erweiterung der Zielgruppen bedeuten, von der die GMW ja nur profitieren würde.

Ich habe noch nicht alle Beiträge des Bandes gelesen, aber nach der Lektüre einiger ausgewählter Texte und einem Überblick über die andere Beiträge, muss ich Joachim zustimmen, dass es sich lohnt, sich ein wenig mehr Zeit für den Band zu nehmen (auch wenn nicht alle Artikel auf demselben Niveau sind). Abschließend möchte ich noch Rolf Schulmeister (S. 321) zustimmen, der auf ein aus meiner Sicht wichtiges Spanungsfeld beim Einsatz aktueller digitaler Medien speziell in Bildungsinstitutionen hinweist: „Es ist zu erwarten, dass sich auf diese Weise ein Widerspruch zwischen der naturwüchsigen Innovation und der ungeordneten Vielfalt an Methoden im Internet einerseits und den Bemühungen um Standardisierung der Schnittstellen, die für die Kooperation notwendig sind, einstellen wird, der die Fähigkeit zur Kooperation einschränken kann.“

Begründet widersprechen

In unseren Studiengang „Medien und Kommunikation“ kommen vor allem Studierende, die Kommunikationswissenschaft studieren wollen. Dass der Studiengang gleichberechtigt mit „Mediendidaktik und -pädagogik“ auch einen bildungswissenschaftlichen Anteil hat, wird eher als lästig empfunden – wie die letzte (interne) Erhebung zeigt, in der fast 70% der Erstsemester kein Interesse an unseren Inhalten hat. Das macht die Lehre in diesem Fach alles andere als einfach, wie man sich denken kann. Das ist EIN Problem. Ein anderes Problem, das ich beobachte, ist, dass alles, was nicht unmittelbar „berufsrelevant“ erscheint, ebenfalls eher wenig Interesse auf sich zieht. Zusammen mit meinen Mitarbeitern bemühen wir uns seit Jahren, genau diese „Berufsrelevanz“ zu erhöhen, auch wenn das in unserem Fach schwierig ist, denn wir haben natürlich keine Ahnung, wo unsere Studierende am Arbeitsmarkt landen. Die Vielfalt der möglichen Felder ist groß, ein Versprechen auf „Berufsfähigkeit“ daher eine glatte Lüge.

Dieses Problem ist nicht spezifisch für unseren Studiengang – es ist grundsätzlich – so grundsätzlich wie die Frage, welchen Zweck die Universität überhaupt hat: Bildung oder Ausbildung? Ausbildung! Das hören wir alle und ich habe – das muss ich eingestehen – am Anfang meiner beruflichen Laufbahn nicht so sehr viel darüber nachgedacht. Die Gedanken aber kommen jetzt – häufiger und intensiver. Manchmal lähmen sie mich, weil ich mir nicht mehr sicher bin, wofür ich eigentlich noch die Verantwortung übernehmen kann: Soll ich die Studierende weiter anlügen und ihnen sagen, wir machen sie berufsfähig? Oder soll ich gegensteuern und darauf pochen, das es darum gar nicht gehe, sondern dass es das Ziel sein müsse, kritisch denken, methodisch handeln und verantwortungsvoll urteilen zu lernen? Letzteres führt dann mit Sicherheit dazu, dass der bildungswissenschaftliche Kernfachbereich noch unbeliebter wird.

Es gibt eine ganze Menge schlauer Leute, die sich in den letzten Jahren viele Gedanken genau dazu gemacht haben. Ich möchte nur einen an der Stelle herausgreifen und ein paar Zitate hervorheben. Unter dem Titel „Ein Studium ist keine Ausbildung“ hat Michael Walter bereits 2005 (online hier abrufbar) ein paar interessante Thesen und Argumente gebracht. Ich zitiere:

  • „Die Konzeption Humboldts, aber auch der mittelalterlichen Universitäten, kannte keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Studenten und Professoren, sondern nur einen Unterschied in der Erkenntniskompetenz. Sie beruhte ihrerseits ebenso auf akkumuliertem, wenn auch unsicherem Wissen wie auf Erfahrung. Aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Wissens, das sie weitergeben, verkürzen Professoren jenen Zeitraum, um diese Erfahrungen bzw. das temporär geltende Wissen selbst zu sammeln“ (Walter, 2005, S. 8).
  • Daraus folgert er auf der nächsten Seite: „Gute Studierende sind jene Studierende, die eines Tages in der Lage sind, ihren Professoren und Professorinnen begründet zu widersprechen und eigene Systeme und Modelle vorzuschlagen. Gute Professoren und Professorinnen sind jene, die ihre Studierenden in die Lage versetzen wollen zu widersprechen“ (Walter, 2005, S. 9). Das trifft es eigentlich ziemlich genau, was ich mir implizit immer so vorstelle, wie ich zumindest in dafür geeigneten Situationen (mit denen, die hierfür eine Bereitschaft signalisieren) versuche, dabei aber vor allem bei großen Gruppen natürlich massiv an Grenzen und auch auf Unverständnis stoße. Wichtig erscheint mir denn aber auch Walters Aufforderung an die Studierenden selbst:
  • „Studierende sollten … von der Universität … keine Berufsausbildung erwarten. Die Kompetenzen, die ein Studium vermittelt (oder vermitteln sollte), sind grundlegender und darum auch nachhaltiger Natur: das Erkennen und Durchdenken von Problemen, die anschliessende Suche nach Lösungen und, damit verknüpft, die Suche nach jenem Wissen, das für die Lösung von Bedeutung ist“ (Walter, 2005, S. 9).

Es gibt eine Reihe weiterer Autoren, die genau darin einen durchaus beachtlichen gesellschaftlichen, mithin auch ökonomischen Nutzen sehen. Oder von der anderen Seite her wie folgt von Peter Winterhoff-Spurk in der Ausgabe von Forschung und Lehre vom Februar dieses Jahres (ebenfalls noch online zugänglich hier) formuliert: „Was jetzt im Bildungsbereich – und besonders an den Universitäten – geschieht, ist die Begrenzung des Menschen auf Fertigkeiten und Begabungen, die seiner beruflichen Qualifikation und darüber hinaus den Interessen der Wirtschaft und des Staates dienen. Den Preis dafür werden die nächsten Studierendengenerationen – und später wir alle – zahlen müssen.“

Ich könnte noch einige andere Diagnosen ähnlicher Art hinzufügen, denen ich laut zustimmen kann. Nur Lösungen, die finde ich nicht. Wir können, wir wollen schließlich nicht zurück in vorherige Jahrhunderte. Universitäten sind einem Wandel unterzogen, ja es ist ja auch eine der Leitideen von Humboldt, dass sich die Universität selbst erneuern muss. Allerdings soll sie das „selbst“ und nicht unter dem Zwang von Ökonomie und Politik. Die Lösung kann also wohl nur bei uns selbst, bei denjenigen liegen, die Teil der Universität sind – bei den Professoren/innen und Studierenden. Aber das „Wie“, das ist freilich auch in meinem Kopf ein einziges großes Fragezeichen …

Woher kommt die Netz-Phobie?

Nicht wenige Journalisten der sogenannten Qualitätspresse scheinen sich sehr bedroht zu fühlen vom gemeinen Web-User, von den Bloggern und sonstigen „Ideologen des Internets“, die sich – so das Feindbild – in einem gigantischen rechtsfreien Raum tummeln und kriminelle Machenschaften in anarchistischer Grundstimmung billigend im Kauf nehmen. Mir ist die letzte ZEIT-Ausgabe fast aus der Hand gefallen, als ich den Artikel „Wider die Ideologen des Internets!“ von Heinrich Welfing gelesen hatte: Gehöre ich als intensiver Nutzer des Internets zu einer wachsenden Gruppe von Personen, die nach dem Motto lebt „Im Namen der Freiheit wird der Austritt aus dem Recht propagiert“? Nur der nebenstehende kürzere Beitrag über die „Geistesaristokratie“ von Gero von Randow, der sich zu einer differenzierteren Argumentation aufgerafft hat, hat dazu geführt, dass die ersten Seiten der ZEIT nicht sofort im Mülleimer der Bahn gelandet sind. Die hier deutlich werdende „unerträgliche Seichtigkeit der deutschen Internet-Debatte“ hat Marcel Weiss in einem längeren Kommentar zu diesem absolut verunglückten Artikel sehr gut auf dem Punkt gebracht. Ich empfehle die Lektüre dieses Beitrags sehr, dem erst mal nicht viel hinzuzufügen ist.

Anders als Weiss interessiert mich allerdings schon, wie es dazu kommt, dass man bei der Lektüre von Zeitungen wie der ZEIT bei diesen Themen zunehmend das Gefühl hat, dass das Internet zu einem Feind und Gegner (jetzt: Gegner des Rechts) hochstilisiert wird: Wovor genau hat man Angst? Was steckt hinter der Polemik, die inzwischen beleidigende Züge annimmt? Wie kommt es, dass sich hier ansonsten gut recherchierende Journalisten mit Politikern verbünden, denen nicht mehr als Stammtisch-Vorschläge zur Lösung gesellschaftlicher (nicht technischer!) Probleme einfallen? Überhaupt kann ich nicht verstehen, warum man hier in der Politik nicht offensiver ist und ein paar alte an Netz-Phobie leidenden Herren (und Damen) mit Vertretern aus internetaffinen und -erfahrenen Bereichen der Ökonomie, Kultur und Wissenschaft ersetzt, die echte Lösungen für neue Gefahren und Risiken erarbeiten, die eine wohl noch lange nicht abgeschlossene digitale Entwicklung für unsere Gesellschaft ohne Zweifel mit sich bringt. Pseudo-Lösungen wie Internet-Sperren und Kriegserklärungen gegen aktive Netz-User sind wirklich fehl am Platz. Und die mediale Unterstützung solcher Tendenzen ist schon ziemlich enttäuschend.

Geschmack wirkt hierarchisierend

„Warum informell lernen?“, so lautet der Titel des aktuellen Online-Themenheftes von Matthias Rohs und Bernhard Schmidt (Zeitschrift für Bildungsforschung). Angesichts meiner eigenen Überlegungen zum Konzept der Selbstorganisation (z.B. hier – der Beitrag wird jetzt übrigens doch in einem Herausgeberband mit dem Titel „digitale Lernwelten“ aufgenommen) hat mich in einem ersten Schritt vor allem der Beitrag von Grotlüschen und Krämer interessiert, der den eher psychologischen Konzepten zu diesem Themenbereich eine stärker philosophisch orientierte Lesart von Selbstbestimmung entgegensetzen.

Ich habe aber den Eindruck, dass da manche Gegensätze auch konstruiert werden, ohne zu beachten, dass eine philosophische Sicht natürlich einen anderen Standpunkt einnimmt als die Psychologie. Sätze z.B. wie „Interesse ist ein Prozess, kein Zustand. Interessen sind nicht nur graduell zwischen Selbst- und Fremdbestimmung angesiedelt. Sie sind auch gewachsen – und zwar in einem sozialen Prozess in einer bestimmten historischen und ökonomischen Lage“ stehen für mich keineswegs in einem Widerspruch zu psychologischen Interpretationen von Motivation und Interesse. Weiter heißt es: „Wir vermuten …, dass die Wahl von Interessen in gradueller Selbstbestimmung verläuft, die jedoch zu vermeintlicher Selbstbestimmung umetikettiert und verinnerlicht wird: Die Einflüsse von Außen werden übersehen, vergessen oder verkleinert.“ Alles, was also jemals von außen kam, kann niemals Teil meiner Selbstbestimmung werden? Wenn dem so wäre, dann müssten wir es wohl aufgeben, nach Selbstbestimmung zu streben, denn wir leben schließlich nicht als Monade ohne Einflüsse.

Die Autorinnen begründen ihre Auffassung mit dem Habitus-Konzept – ist nicht ganz leicht zu lesen, aber die Sprache gehört hier wohl zum Habitus ;-). So heißt es z.B.: „Über inkorporierte Aversionen gegenüber anderen Lebensstilen werden Klassen und Schichten reproduziert. Der Geschmack wirkt hierarchisierend“ – das klingt irgendwie einleuchtend, aber wenig ermutigend, wenn nachgeschoben wird, dass es zwar die Möglichkeit gäbe (laut Bourdieus Theoriesystem, das man hier zugrunde legt) Klassenschranken zu überschreiten, dies aber meist mit Verlusten zu „bezahlen“ sei. Richtig ist wohl die Feststellung „Welchen Interessegegenständen überhaupt begegnet werden kann, ist maßgeblich von der jeweiligen Schicht beeinflusst“, weshalb ja Schulen und die Chance für jeden so wichtig sind, neben der eigenen Familie auch anderes kennenzulernen. In der Hinsicht waren wir, so meine ich, in Deutschland schon mal weiter (ich selbst bin in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ins Gymnasium gekommen und in dieser damals recht neuen Schule waren sehr viele aus „Schichten“, deren Habitus an sich das Interesse an einer höheren Schulbildung verlustreiche Konsequenzen hätte haben müssen – das gilt auch für mich selbst).

Der gesamte Text ist in jedem Fall interessant ! zu lesen. Zustimmen kann man sicher auch dem Fazit „Die Möglichkeiten, sich für etwas zu interessieren, sind gerade nicht für alle gleich, sondern strukturell ungleich verteilt – das wird nur tunlichst vergessen.“ Mit einer ganzen Reihe anderer (teilweise implizit mitschwingender) Folgerungen aber kann mich nicht so recht anfreunden. Ich war und bin begeistert von Bieris Konzept des angeeigneten Willens, das ich übrigens gut vereinbar finde mit dem psychologischen Konzept der Selbstbestimmung von Deci und Ryan. (Welche Gedanken sich einige unserer Studierender im Nachgang eines Seminars dazu im letzten Jahr gemacht haben, kann man z.B. hier nachlesen). Fazit: Philosophische Konzepte begleitend zu psychologischen Konzepten gerade in den Bildungswissenschaften heranzuziehen, ist mit Sicherheit ein richtiger und wichtiger Weg.

Angriff auf die Freiheit

Prägnant und aus meiner Sicht auch sehr treffend zieht Josef Joffe, Herausgeber der ZEIT, in einer aktuelle Kolumne mit dem Titel „Tyrannei des Guten“ ein Resümee der gegenwärtigen Reaktionen auf den Amoklauf in Winnenden: Wie bereits gewohnt, also quasi auf Knopfdruck, werden Verbote und Präventionsmaßnahmen ins Volk geworfen, unabhängig von bereits bestehenden Gesetzen, die Wahnsinnstaten niemals werden verhindern können. „In den Gesetzentwürfen gerinnt das magische Denken zu Paragrafen“, so Joffe, was aus meiner Sicht genau richtig formuliert ist: Magisches Denken, der Glaube an formale Vorgaben, Standards und Kontrollsysteme, der ist ja so viel stärker als der Glaube daran, dass Menschen ihren Verstand gebrauchen könnten, wenn sie nur wollten und wenn man ihnen von Kind an die Chance gäbe, Verstand und Vernunft auszubilden und zu nutzen. Waffenverbote und Internetsperren sind nun mal so viel leichter zu implementieren als gute Schulen, soziale Netzwerke und eine auf Solidarität statt immer nur auf Wettbewerb bauende Kultur. Ganz nebenbei – unbemerkt von der Bevölkerung – lassen sich mit den immer umfassenderen Verbots- und Zensurversuchen kleine, aber sich ausbreitende Angriffe auf die Freiheit ausdehnen. Eine kurze, aber lesenswerte Kolumne!

Geld oder Aufmerksamkeit?

Vielen Dank an Joachim, der in seinem Blog (hier) auf einen Beitrag von Hubertus Kohle zum Thema Open Access und der vor einigen Wochen in vielen Zeitungen dargestellten Streitfrage hinweist, ob das Einscannen von Büchern etwa durch Google einem Kulturkrieg gleichkommt. Der Text trifft die Problematik aus meiner Sicht auf den Punkt und bezieht klar Stellung zu den verschiedensten Angriffen auf einen offenen Zugang speziell zu wissenschaftlichen Inhalten. Ich hatte mich schon Anfang April über einige Beiträge etwa in der ZEIT geärgert (z.B. von Susanne Gaschke, die aber überhaupt ganz offensichtlich einige Probleme mit dem Netz hat), und als dann das in diesem Artikel ebenfalls erwähnte Schreiben von der VG-Wort mit der Aufforderung in der Post lag, ich solle mich mit einer Unterschrift dagegen wehren, dass man mir als Autorin meine Rechte nimmt, habe ich es weggeworfen – es hat mich NICHT überzeugt (hier die VG-Wort-Seite zu diesem Thema).

Nun drückt Kohle in seinem Beitrag aus, was mir nur diffus als Begründung für die „Nicht-Unterschrift“ im Kopf schwirrte. Kohle stellt völlig zu Recht klar, dass es bei wissenschaftlichen Büchern in der Regel um lächerliche Auflagen geht; hier verdienen die Verlage ohnehin anders das Geld als mit dem Verkauf der Bücher selbst (nämlich durch Zuschüsse und die Kosten, die viele Autoren selbst tragen). Er beschreibt ebenfalls, das klassische Dienstleistungen des Verlags oft gar nicht erbracht werden: nämlich Lektorat und Beratung. Da ist es kein Wunder, dass allein für Vertrieb und Marketing der Zulauf zu Book-on-demand-Verlagen wächst – wenn man eh alles selbst machen muss. Hier könnten Verlag umdenken und ihr Spektrum an Dienstleistungen ändern. Wissenschaftler verdienen selten an ihren Schriften und wenn dann sind das Summen, die mal für einen Ausflug oder ein paar Abendessen reichen. Sollte das wegfallen, wird das keinen umbringen. Die Entlohnung besteht halt dann in potenziell höherer Aufmerksamkeit, die ein offener Zugang mit sich bringt. Kohle berichtet auch, dass erste Erfahrungen die Hoffnung bestätigen, dass ein offener Zugriff auf ein Buch, das es auch gedruckt gibt, nicht dessen Verkauf schmälert – im Gegenteil: Es wird durch den offenen Zugang viel bekannter, sodass mehr Leute Lust haben, das Buch zu kaufen (wenn es gut ist). Ich nutze google-books sehr viel, denn es ist einfach hervorragend, wenn ich vorher feststellen kann, ob es sich lohnt, ein Buch etwa bei der BIB zu holen oder über Fernleihe zu bestellen oder eben zu kaufen. Ich kann mir vorher ein Bild machen, um dann das Buch in der Hand zu halten, das ich wirklich brauche. Gut, wer Romane schreibt und davon leben will, der befindet sich in einer andere Situation. Aber mal ehrlich: Wer liest denn einen Krimi am Rechner – am Abend – im Bett? Ich nicht. Schließlich ist der wissenschaftliche Mehrwert infolge von Open Access, den Kohle erwähnt, wichtig: Wissenschaftliche Erkenntnisse können und sollen sichtbar und kritisierbar sein und das sind sie im Netz eben viel besser und umfassender als in Bücherregalen … die bei mir trotzdem voll sind.

Außenseiter

Michael Kerres hat auf einen netten Beitrag in der SZ aufmerksam gemacht (auch Spiegel online hat es abgedruckt: hier): Warum das Bloggen in Deutschlang nicht so recht Fuß fassen kann, erklärt sich der Amerikaner Felix Salmon (bezeichnet als Wirtschaftsblogger) mit kulturellen Unterschieden in Einstellungen und Lebensstilen – wenn man das mal so umschreiben mag (hier der Beitrag). Ich denke, man muss mit den „Charakterzuschreibungen“ je nach nationaler Herkunft vorsichtig sein – intuitiv stimmt man da gerne zu. Interessant wäre es, das empirisch zu überprüfen – allerdings stellt sich dann auch die Frage, was man davon hat, wenn man weiß, ob das stimmt. Was ist meine Meinung zu den 10 Thesen? (Man kann bei Michael übrigens auch einfach nur abstimmen – ich lasse es aber ungern unkommentiert – eine Blogger-Krankheit?)

(1) Kann gut sein, dass wir in Deutschland hierarchiefixiert sind, aber meine Erfahrung ist die, dass man das auch vergleichsweise rasch auflösen kann. Klingt mir also eher nach Ausrede.

(2) Zertifizierte Sicherheit ist sicher ein Phänomen, das wir aktuell in Deutschland besonders beobachten können. Ob das typisch deutsch oder nicht auch eine Folge der manchmal seltsamen europäischen Bürokratisierung ist, wissen Soziologen vielleicht besser. Auf jeden Fall ist da was dran.

(3) Inwiefern es Unterschiede in der öffentlichen Beachtung von Blogs zwischen Nationen gibt, weiß ich nicht: Immerhin gibt es mehr Amerikaner als Deutsche, sodass allein schon aus diesem Grund mehr Beachtung wohl wahrscheinlicher ist. Vielleicht sind auch die Kommunikationswissenschaftler Schuld, die ihren Studierenden immer die Nachrichtenfaktoren einhämmern und auf diesem Wege den Status quo festigen ;-).

(4) In Zeiten wirtschaftlicher Krisen muss man aufpassen, dass man die Angst um (s)einen Arbeitsplatz nicht vorschnell mit Karriereorientierung gleichsetzt. Wenn wir mal im Feld der schon etablierten Akademiker bleiben, ist das eher eine interessante These, denn die könnten es sich prinzipiell leisten. Ansonsten möchte ich Leuten nicht mangelndes Engagement vorwerfen, die nicht wissen, wie sie nächsten Monat ihr Geld verdienen sollen.

(5) Die Angst, Fehler zu machen, ist sicher ein grundlegendes Hindernis beim Bloggen. Eine Fehlerkultur in Bildungsinstitutionen in dem Sinne, dass man sich auch mal irren darf, dass man aus Fehlern lernt, haben wir in Deutschland in der Tat nicht. Man muss beim Bloggen schon grade stehen können für das, was man schreibt (wenn man also öffentlich über fehlgeschlagene Forschungsanträge klagt, muss man damit rechnen, dass einen eine Berufungskommission darauf anspricht, warum das denn nicht geklappt hätte – da darf man dann nicht vom Stuhl fallen ;-)).

(6) Dass man nur als Liebhaber von Schnellschüssen, was die Deutschen angeblich nicht sind, zum Blogger werden kann, glaube ich definitiv nicht. Ich überleg mir schon, was ich hier reinschreibe … wenn auch nicht tagelang.

(7) Blogger sind natürliche Außenseiter und auch noch stolz darauf, womit man in Deutschland nicht weit kommt. Das ist eine interessante These, wobei es wohl darauf ankommt, was man mit „weit kommen“ meint und welches Ansehen von wem und wie vielen man anstrebt. Also das ist ein schwieriges Argument, über das ich mir noch Gedanken machen muss.

(8) Dass die Professorenschaft in Deutschland anders ist als in den USA, mag schon sein. Ich vermute aber, dass da neben nationalen Kulturen auch Fachkulturen eine große Rolle spielen. Fakt ist schon, dass man es in Deutschland nicht immer gern sieht, wenn man z.B. in Turnschuhen einen Vortrag hält – was MIR allerdings ziemlich egal ist 😉 Ausziehen musste ich sie jedenfalls noch nicht. So schlimm kann es also auch in Deutschland nicht sein.

(9) Neben Ruhm und Ansehen schielt der Deutsche aufs Geld und das verdient man beim Bloggen in aller Regel nicht. Letzteres ist zwar richtig, aber das Streben nach Geld, das würde ich doch eher als globales Phänomen betrachten.

(10) Die Liste endet mit „Der Blogger kennt keine Ferien“, auf die der Deutsche angeblich pocht. Hmm, weiß ich nicht. Mit hat Heinz Mandl mal vor ziemlich vielen Jahren, als ich gerade meine Dissertation fertig hatte und in Kürze mein Sohn zur Welt kommen sollte, gesagt: „Ein Wissenschaftler hat keine Ferien“. Diese Aussage erscheint mir näher an der Realität.

Hoffen auf Taten

Sowohl Joachim Wedekind als auch Stefan Aufenanger haben bereits auf ein medienpädagogisches Manifest hingewiesen, das von mehreren Institutionen der Medienpädagogik initiiert und ausgearbeitet wurde. Aktuell werden dazu noch Unterschriften eingesammelt – ich habe es auch unterzeichnet. Die Forderungen sind sinnvoll, allerdings schließe ich mich Stefans kritischem Hinweis an, dass es nun darauf ankommt, dieser Aktion sichtbare Taten folgen zu lassen. Ich habe angeregt, die im Manifest vor allem zum Ausdruck kommenden medienerzieherischen Aspekte noch stärker mit mediendidaktischen Aspekten zu verbinden. Der Hinweis wurde von den Initiatoren durchaus positiv aufgenommen. Im Vorstand der GMW wollen wir über dieses Manifest und die Frage noch diskutieren, wo und in welcher Weise es sinnvolle Verbindungen geben könnte. Ich denke, es ist für alle (medien-)pädagogisch tätigen Personen (in Schule, außerschulischer Jugendarbeit, Sozialarbeit etc.) wichtig, dass bereits an der Hochschule digitale Medien eingesetzt, in ihren Möglichkeiten erprobt und faktisch verwendet werden: Was nutzt es denn, über Chancen und Gefahren zu diskutieren, wenn man diese nicht selbst unmittelbar erlebt? Das kann man aber nur, indem man digitale Medien selbst nutzt, Erfahrungen sammelt etc. Und wo sollte man das tun, wenn nicht an der Universität bzw. in der universitären Ausbildung? Von daher fände ich eine Verknüpfung mehr als sinnvoll – allem voran mit Blick auf die Lehrerbildung. Schlaue Aufsätze ÜBER Medien sind für die spätere Berufspraxis in jedem Fall weniger wertvoll als eigene Erfahrungen MIT Medien, die man DANN natürlich auch theoretisch reflektieren oder zum Anlass eigener Studien machen kann.

Mobilität als Selbstzweck?

Ich frage mich immer öfter, was ich eigentlich von der viel beschworenen Mobilität halten soll. Aktueller Anlass sind einige Pressemitteilungen über die kürzlich zu Ende gegangene Bologna-Folgekonferenz in Leuven (Belgien) – mit einem entsprechenden Kommunikee. In der Pressemitteilung des BMBF heißt es: „Die Erhöhung der Mobilität von Studierenden und akademischem Personal bleibt eines der Kernziele des Bologna-Prozesses.“ Warum ist das ein Kernziel? Wenn man sich von Mobilität erwartet, dass Studierende ihren persönlichen Horizont erweitern, Sprachen lernen, Verständnis für andere Kulturen entwickeln, dann kann ich das nachvollziehen. Allerdings kostet das Zeit, die gerade im Studium infolge des allgemeinen Gehetzes keiner mehr hat. Zudem setzt das ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit voraus.

Ich bezweifle, dass Mobilität an sich bzw. quasi automatisch dazu führt, dass sich Studierende persönlich und fachlich weiterentwickeln. Problematisch finde ich den Umkehrschluss: Wer NICHT mobil im Sinne von Auslandsaktivitäten ist, der hat auch eine persönliche Stagnation zu beklagen. Solche Umkehrschlüsse begegnen mir häufig und erzeugen einen gewaltigen und aus meiner Sicht ungerechtfertigten Druck. Es gibt viele Gründe, NICHT ins Ausland zu gehen, stattdessen im eigenen Land ehrenamtlich tätig zu sein, sich sozial zu engagieren etc. und dabei vergleichbare Ziele einer geistigen Mobilität und Beweglichkeit, Horizonterweiterung und persönliche Entwicklung zu erfahren. Menschen sind verschieden, so auch ihre Wege der persönlichen Bildung in diesem erweiterten Sinne. Immer ist im Zug europäischer Bewegungen von Vielfalt die Rede, während im gleichen Atemzug eine seltsam „Einfalt“ propagiert wird. So gesehen ist der Aspekt der Mobilität bei Bologna möglicherweise ein typisches Beispiel für einen beständig wiederkehrenden Mechanismus: Es gibt eine für Fragen der Bildung an sich gute Idee, die potenzielle Verbesserungen in der Bildungslandschaft verspricht. Um diese Idee auch „durchzusetzen“, wird sie formalisiert (indem z.B. „quantifizierbare Ziele“ definiert werden – was erneut ausgebaut werden soll). Im Zuge dieser Formalisierung bzw. Quantifizierung beginnen sich Indikatoren oder Teile eines Ganzen zu verselbständigen und letztlich vor allem im Zuge von Kontrollverfahren skurrile Züge anzunehmen. Nichts gegen Formalisierung und Quantifizierung – aber doch immer im Bewusstsein, dass es Indikatoren für etwas sind, was sich NICHT in der Gänze formalisieren lässt, was man ergänzen sollte durch andere Formen der Überprüfung.

Erwähnenswert ist noch, dass auch die Situation des wissenschaftliches Nachwuchses verbessert werden soll. Leider ist nicht erwähnt, dass die beste Förderung darin bestehen würde, auch Stellen im Anschluss an die wissenschaftliche Qualifizierung etwa in Form neuer Professorenstellen zu schaffen. Das wäre eigentlich die wichtigste Maßnahm, denn: Was nutzt es dem wissenschaftlichen Nachwuchs, während der Qualifizierung bessere Bedingungen zu haben, um am Ende doch auf der Straße zu stehen?

Didaktische Szenarien trotz Entwurfsmuster

Die Diskussion über die Chancen und Grenzen von didaktischen Entwurfsmustern in Peters Blog (z.B. hier) geht ebenso weiter wie das Bemühen, überhaupt zu einer tragfähigen Definition und theoretischen Rahmung zu kommen. Wem das zu hoch ist ;-), der kann sich einstweilen mit einem neuen Vorschlag zur Kategorisierung didaktischer Szenarien begnügen. Das mir schon ein paar Wochen vorliegende kleine Büchlein mit dem Titel „Didaktik und IT-Service-Management für Hochschulen“ von Schulmeister et al. (2009) ist jetzt dankenswerter Weise auch online – hier – verfügbar. Der neue Kategorisierungsversuch greift einige ältere Überlegungen auf und entwickelt diese u.a. für ein Qualitätsmanagement zu mehreren Skalen weiter. Ich finde den Vorschlag sehr interessant, habe mir dazu auch so meine Gedanken gemacht und hoffe, bald etwas ausführlicher dazu Stellung nehmen zu können. Im Moment komme ich nur nicht dazu. In der Zwischenzeit aber will ich es nicht versäumen, darauf zu verweisen.