Und du siehst, dass es außer Kontrolle gerät

Zum dritten Mal fand im Rahmen unseres Studiengangs „Medien und Kommunikation“ gestern eine studentische Tagung statt, nämlich die dritte w.e.b.Square-Tagung zum Thema „Bekannt, befreundet, vernetzt! Wie soziale Netzwerke unser Leben prägen“ (hier das Programm). In drei Sessions haben insgesamt sechs Gruppen ihre Rechercheergebnisse und eigenen Überlegungen zu Identität und Profilierung sowie Probleme wie Isolation und Mobbing in sozialen Netzwerken auf äußerst kreative Weise beleuchtet. Jeder Vortrag integrierte originelle Darstellungsideen, mit denen langweilige Folienpräsentationen geschickt vermieden wurden. Und das ist – wie wir aus allen Tagungen wissen – nicht eben leicht. Die Vorträge wurden per Video aufgenommen, sodass sich Interessierte, die nicht dabei waren, bald selbst ein Bild machen können. Die dazugehörigen Artikel sind bereits online verfügbar (nämlich hier).

Was mir an dem Nachmittag besonders gefallen hat, war die Tatsache, dass hier Vertreter der Netzgeneration selbst darüber reflektiert haben, was soziale Netzwerke im Netz für sie bedeuten, wo sie sich angeregt, bedroht oder einfach nur unterhalten oder falsch verstanden fühlen etc. Angesichts der Tatsache, dass es so viele Mythen oder werbewirksame Slogans ÜBER junge Netz-Nutzer gibt, ist es wohl umso wichtiger, die Betreffenden selbst zu Wort kommen zu lassen – im Falle der w.e.b.Square-Tagung wohl wissend, dass hier natürlich eine selegierte Gruppe auftritt. Im Vergleich zum letzten Jahre (ich habe hier darüber berichtet), habe ich einen qualitativen Sprung festgestellt: Das gilt für die Besucherzahl, das gilt aber allem voran für die Vorträge und die Diskussionen. Diskutiert wurde erstaunlich viel – das Thema stößt also auf reges Interesse. Und das alles ist eine studentische Initiative? Funktioniert es quasi von allein? Nein, das tut es nicht. Ohne höchst engagierte Mitarbeiter/innen (ich nennen stellvertretend mal Sandra Hofhues, die die Leitung innehatte) würde so etwas nicht stattfinden: Auch Studierende müssen motiviert werden, brauchen zunächst Anleitung und Anregungen, das Engagement muss sich für das Studium „lohnen“ etc. Das zu arrangieren kostet Zeit und Ressourcen – umsonst ist das nicht zu haben (Sandras Beitrag dazu hier).

Abschließend sei exemplarisch eine der witzigen Ideen herausgegriffen, mit denen die Studierenden das Tagungsthema angegangen sind: z.B. die Schöpfungsgeschichte bei soziale Netzwerken (Genesis 2.0; siehe auch hier):

  • 1. Tag: Und du siehst, dass es nötig ist (so viele Leute können nicht irren)
  • 2. Tag: Und du siehst, dass es einfach ist.
  • 3. Tag: Und du siehst, dass du nicht allein bist.
  • 4. Tag: Und du siehst, dass du unbeachtet bleibst.
  • 5. Tag: Und du siehst, dass es bunt werden muss
  • 6. Tag: Und du siehst, dass es außer Kontrolle gerät.
  • 7. Tag: Und du siehst, dass es nie ruhen wird.

Betriebswirtschaftslehre bei Tchibo

Inzwischen sind die Vorträge der Campus Innovation 2009 (ich habe hier davon berichtet) online. Da ich einen halben Tag der Veranstaltung leider verpasst habe, bieten die Aufzeichnungen nun eine schöne Möglichkeiten, z.B. Rolf Schulmeisters Vortrag doch noch (hier) zuhören. Sein Beitrag bietet wohl eine ganze Menge an Diskussionsstoff, auf den ich hier nicht in der möglichen Vielfalt eingehen kann.

Was mir aber besonders im Kopf hängen geblieben ist, ist der Hinweis auf die „Akademisierung der Berufsausbildung“. Das ist quasi das Pendant zu meinen Überlegungen, dass und warum das Universitätsstudium zunehmend als Berufsqualifizierung verkauft wird (siehe z.B. hier). Es ist eine Frage der Perspektive und inzwischen glaube ich, dass beides zutrifft: die Berufsausbildung wird auf vielen Gebieten akademischer und das Universitätsstudium berufspraktischer. Ja, warum nicht?, könnte man da sagen. Sind dann nicht alle zufriedener? Ist es nicht das, was wir alle wollten? Raus sowohl aus dem Elfenbeinturm als auch aus der Werkhalle und rein in die Wissensarbeit? Gemeinsame Sache zwischen Wirtschaft und Wissenschaft? Ist das nicht die Zukunft? Theoretisch kann man wohl durchaus einige Vorteile in solchen Vermengungstendenzen sehen. Ganz praktisch aber ergeben sich sehr viele Probleme, denn den Lehrenden fehlen Anschauung und Kompetenzen, um solche Versprechen wirklich einzulösen.

Vorrangig jedoch bleibt für mich die grundsätzliche Frage, wo man – wenn nicht an einer Universität – noch lernen kann und darf, klar zu denken, kritisch zu hinterfragen, systematisch zu handeln, mit anderen zusammen Dingen auf den Grund zu gehen, die im operativen Geschäft der Berufswelt nicht mehr thematisiert werden, zu lernen, über den eigenen Gartenzaun zu schauen, sich selbst und die eigenen Potenziale kennenzulernen etc. Freilich, all dies ist mit einer Auffassung von „Unis als Dienstleister“, wie Rolf Schulmeister formuliert, nicht gut vereinbar – oder doch? Wäre es nicht eine Dienstleistung an unsere Gesellschaft und unser demokratisches System? Vielleicht schrecken ja Rolfs Beispiele von der „Betriebswirtschaftslehre bei Tchibo im Sonderangebot“ doch einige ab, an das Heil dieser neuen Verbünde zwischen Wissenschaft/Universität und Wirtschaft/Konzernen zu glauben. Vielleicht aber ist der Zug hier schon abgefahren und nur mehr mit geballtem Widerstand aufzuhalten.

Was lange währt …

wird irgendwann (mitunter) doch noch was. Weihnachtsstress und (vor allem) andere Aufgaben sowohl bei Christian als auch bei mir haben leider dazu geführt, dass die Ergebnisse unserer kleinen Umfrage in der Community „(Bildungs-)Wissenschaftler 2.0“ etwas länger haben auf sich warten lassen als geplant. Aber jetzt können wir einen kleinen Bericht mit den Ergebnissen bieten, der natürlich auf der Community platziert und hier zu finden ist. An der Stelle noch einmal ganz herzlichen Dank an alle, die mitgemacht haben!

Trödeln darf man nicht

Seit Weihnachten ist der Call zur GMW 2010 in Zürich nun online. Das Motto lautet „Digitale Medien für Forschung und Lehre“ und ist in drei Themenschwerpunkte gegliedert, die sich der methodisch-didaktischen, technologischen und curricularen Ebene annehmen. Schade eigentlich, dass ich mein vorhandenes „Pulver“ zum forschenden Lernen (mit digitalen Medien) nun bereits im Jahr 2009 sozusagen verschossen habe (siehe zusammenfassend z.B. hier). Na ja, macht nichts. An Ideen speziell für den methodisch-didaktischen Schwerpunkt ist an sich kein Mangel, eher an der Zeit. Trödeln darf man nämlich mit der Einreichung nicht. Deadline ist bereits der 1. März 2010, und wie wir alle wissen, nehmen es die Schweizer da (zu Recht!) genau.

2009 habe ich mein neues „Vorlesungskonzept“ auf der GMW vorgestellt (siehe hier) – mit dem Versprechen, über die Erfahrungen zu berichten. Das werde ich wohl beim diesjährigen GMW-Motto thematisch eher nicht unterbringen können. Trotzdem werde ich natürlich auf anderem Wege von den Ergebnissen unserer (noch laufenden) wissenschaftlichen Begleitung des Lehrprojekts berichten. Für März z.B. ist an der TU Dresden anlässlich des 3. Symposiums E-Learning ein Vortrag über die Ergebnisse geplant.

Eine ganz wesentliche positive Neuerung für die GMW 2010 sind aus meiner Sicht die Formate in Kombination mit einem vollständigen Text für den Tagungsband. Interaktive Formen der Darstellung werden auf diesem Wege nicht in eine scheinbar weniger relevante Ecke gedrängt.

Experiment vorerst abgeschlossen

Über meine „Vorlesung“ im Wintersemester 2009/10 (die an sich keine ist) habe ich hier ja bereits mehrfach berichtet (das Konzept kann man hier nachlesen; meine Gedanken zum Einstieg finden sich hier). Kurz vor Weihnachten nun haben wir den letzten Podcast, der sich auf prüfungsrelevante Inhalte bezieht, hochgeladen und die Arbeit im Wiki abgeschlossen (zwei zusätzliche, kürzere, Podcasts folgen noch). Die Podcasts sind in unserem „Vorlesungsblog“ alle öffentlich zugänglich; dies gilt auch für das dazugehörige Textmaterial, falls es im Netz ist. Eingescannte Textquellen kann ich leider nur den Studierenden im geschlossenen Raum zur Verfügung stellen. Das Wiki ist ebenfalls aus gutem Grund nicht öffentlich, denn es enthält auch meine Kritik an den Fragen und Antworten der Studierenden und bereitet unmittelbar auf die Klausur Ende Januar vor.

Über die Wiki-Arbeit, mit der die Studierenden gewissermaßen ihre eigene Klausur konstruieren, habe ich anderer Stelle (hier) bereits einen Zwischenbericht geliefert: Die Aktivität in den insgesamt acht „Wiki-Runden“ war leicht schwankend, aber alles in allem so, dass stets ausreichend viele (zwischen 20 und 40 Studierende) daran beteiligt waren. Die vier dazugehörigen Tutorien wurden (sogar am 23.12.2009) ebenfalls gut besucht. Unser erster Eindruck ist, dass die Aktivität zum größten Teil von den Studierenden des Studiengangs „Medien und Kommunikation“ (rund 60 Studierende) ausging, während die zahlreichen Nebenfachstudierenden offenbar weniger Zeit und Energie investieren wollten. Aktuell läuft eine Befragung unter den Veranstaltungsteilnehmern, damit wir unsere eigenen Beobachtungen (Abruf der Podcasts, Aktivität im Wiki, Mitarbeit im Tutorium) durch die Einschätzungen der Studierende komplettieren können. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse!

Versunken – aber nicht im Schnee

Ein Blick in meinen Blog zeigt mir, dass da seit Tagen Ruhe herrscht – weihnachtliche Ruhe? Eher nicht. Und im Schnee bin ich auch nicht versunken, obschon es heute Morgen bei uns (südlich von München) durchaus möglich wäre. Versunken bin ich allenfalls zwischen vielen vollgeschriebenen Seiten, die ich zu lesen und zu begutachten habe. Gleich zwei Dissertationen quasi unterm Weihnachtsbaum – des einen Freud, des anderen Leid. Oder doch nicht? Nein, eher nicht, denn natürlich freut man sich auch als Betreuer und Gutachter, wenn nach mehreren Jahren eine Dissertation abgegeben wird, wenn man das Ergebnis eines längeren Betreuungsprozesses, vieler Kolloquien, Gespräche, Feedbacks etc. vor sich hat, wenn man die Fortschritte sieht, die Erreichung eines Ziels, das am Anfang noch so weit weg erscheint. Wenn man dann auch mit dem Ergebnis zufrieden ist, ist das auch für den Betreuer/Gutachter ein schönes Ereignis (trotz der vor einem liegenden Arbeit). Es funktioniert allerdings nicht immer: Auch bei mir gibt es „gescheiterte Arbeiten“, also Dissertationen, die mit großen Erfolgsaussichten starteten und dann eingestellt wurden, oder solche, bei denen von Anfang an Skepsis da war z.B. aufgrund zu vieler Verpflichtungen und „Baustellen“. Auch was die Zeitdauer betrifft, gibt es große Unterschiede: Schnelle und solche, die sich dann doch (aus verschiedensten Gründen) mehr Zeit lassen (müssen oder wollen).

Noch vor Weihnachten jedenfalls werden die beiden oben erwähnten Arbeiten begutachtet sein – Zeit für ein kleines Resümee? Anbei mal die Liste der Dissertationen, die ich in meiner Augsburger Zeit bis Ende 2009 betreut und begutachtet habe (nur Erstgutachten):

Forschungswerkstatt ohne mich

Ja, also geärgert habe ich mich nun schon genug, dass die Forschungswerkstatt, die ich zusammen mit Peter Baumgartner geplant hatte, am vergangenen Wochenende (wegen Krankheit) in Wien ohne mich stattfinden musste (hier die Ankündigung). Dabei wäre es doch MEIN Thema gewesen – das heißt, es hat die Frage nach verschiedenen Wegen der Erkenntnis in den Bildungswissenschaften zum Gegenstand gehabt. Und dieses Thema treibt mich ja schon länger nicht nur aufgrund abgelehnter Forschungsanträge um ;-), sondern auch, weil es unser tägliches Tun (neben der Lehre) unmittelbar berührt.

Die Forschungswerkstatt richtet sich vor allem an die Doktoranden im Umkreis an Peter. Doch seine Grundidee ist die, jede Forschungswerkstatt mit einem Partner zu machen (vor einiger Zeit war das Christian Kohls zu „Pattern-Theorien“) und die Zielgruppe dann auch für andere zu öffnen – u. a. für die, die dann eher aus dem Umkreis eben des Workshop-Partners kommen. Das war auch diesmal so:

Mandy, Silvia, Tamara und Tobias (nicht mehr, aber früher Augsburg) bildeten diesen Kreis. Das Thema war schwierig für eine Forschungswerkstatt, das habe ich schon bei der Vorbereitung gemerkt: Sobald man auf eine Metaebene der Diskussion kommt, kann das Interesse der Teilnehmer schnell schwinden, denn leider ist die Einstellung verbreitet, dass dieses Thema (Was ist wissenschaftlich? Was ist empirisch? Wie kommt man zu Erkenntnis und wie nicht? Etc.) zu abstrakt sei und mit dem täglichen Tun nicht viel zu tun habe. Ich denke, das ist ein großer Irrtum: Es ist die Hintergrundfolie, vor der wir arbeiten, unsere Projekte planen, Anträge schreiben und andere bewerten. Auf dieser Hintergrundfolie finden sich zahlreiche Prämissen, die manchmal viel Konsens haben, oft genug aber unreflektiert übernommen und dann als „Wahrheit“ abgespeichert und nicht mehr in Frage gestellt werden. Ein solches Vorgehen mag in Kontexten wir dem Straßenverkehr durchaus funktional sein. In Kontexten wie der Wissenschaft aber ist das ein Risiko, weil Ideologien entstehen, denen Wissenschaft ja genau etwas Tragfähiges entgegensetzen sollte.

Die ersten Reaktionen auf die Forschungswerkstatt (z.B. hier und hier) kommen zu einer positiven Gesamtbilanz: Ertragreich scheint vor allem der gegenseitige Austausch zu sein. Die eben angesprochene Metadiskussion aber war wohl doch nicht so einfach anzukurbeln – keine Ahnung, ob es mir gelungen wäre. Ich hoffe nun, es gibt Gelegenheiten, dieses Thema anderweitig mit Nachwuchswissenschaftlern weiter zu verfolgen. An der Stelle aber noch einmal einen großen Dank an Peter, dass er es alleine durchgezogen hat!

Fußball-Sponsoring der anderen Art

Über Tech Pi und Mali Bu habe ich ja in diesem Blog des Öfteren schon berichtet. Ein bisschen ist es so etwas wie ein „Liebhaber-Projekt“ und wir freuen uns immer, wenn ein neues Modul finanziert werden kann. Im Moment suchen wir Finanzierungsmöglichkeiten für ein Modul passend zur Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Dabei soll es aber nicht primär etwa um einen Bewegungsinhalt gehen (wie der Fußballkontext vielleicht nahelegen könnte) und auch nicht – wie in den bisherigen Modulen vorrangig der Fall – um naturwissenschaftliche, sondern um soziale Themen. Ein Trailer, um Lust auf die Sache zu machen, ist nun online. Mehr Infos gibt es auch hier bei Frank. Wer Idee hat, wo man dafür eine Förderung bekommen könnte, möge sich melden.

Übrigens: Dass man sogar in einem Fußballstadion lernen kann, hat Frank auf der Online Educa in Berlin erfahren. Wer es nachlesen mag: Hier ein Kurzbericht.

eit gestern ist er online, der neue Trailer zum geplanten Modul „Fußballfieber“ (Trailer hier). Wir stimmen uns damit mit Blick auf Südafrika in das Fußballjahr 2010 ein. Es wird im neuen Modul um „soziale“ (mit der Lektüre von Latour ist dies ein schwieriger Begriff 😉 Themen im Fußballsport gehen, also nur vordergründig um Tore und Dribblings. Wie im letzten Blogbeitrag schon angedeutet (und die mich kennen wissen das), bietet der Sport durch seine Facetten viel Bildungspotenzial, aber er ist aufgrund seiner Komplexität und Medialität auch Ort vieler Probleme. Tech Pi & Mali Bu werden sich mit wenigen Teilen dieses Fragekomplexes (Ausgrenzung, Fair Play etc.) beschäftigen, in der Hoffnung, dass dies Anker für Diskussionen in Schule und Verein bieten kann (vgl. auch das Projekt Join the game). Im Zentrum stehen nicht die Vermittlung von Faktenwissen, sondern bestenfalls Modelle für den kreativen Umgang mit Problemen (wie uns das beim Inforadar – meine ich – ganz gut gelungen ist).

Freizeit und Beruf oder: Warum man Unternehmer, Wissenschaftler oder Künstler werden sollte

Psychologie in Beruf und Praxis (PBP) – so lautet der Name eines Vereins, der 2007 an der LMU München von Studierenden gegründet wurde. Auf der Web-Seite heißt es: „Die Veranstaltungen von PBP sollen zum festen Bestandteil des Psychologiestudiums an der Ludwig-Maximilians-Universität werden. Die Studenten lernen so bereits früh im Studium die vielfältigen Anwendungsbereiche der Psychologie kennen und treten in Dialog mit erfahrenen Psychologen aus der Praxis. So entstehen Netzwerke zwischen Studenten, erfahrenen Praktikern und Dozenten, von denen alle Beteiligten profitieren.“

Heute nun fand der dritte Berufsinformationskongress des Vereins statt. Ich war als Referentin eingeladen. Einen genauen Überblick über die Zahl der Referenten hatte ich nicht, aber entsprechend des Übersichtsplans schätze ich mal, dass es an die 40 waren, die in Paralleltracks über ihren persönlichen Werdegang, ihre tägliche Arbeitstätigkeit, ihre Motivation und Herausforderung berichteten sowie Interessenten Tipps und Hinweise etwa zu Arbeitsmarktlage geben sollten – so jedenfalls lauteten in etwa die Instruktionen.

Wenn ich irgendwelche Formulare ausfülle, stolpere ich oft über die Zeile “Beruf“: Was schreibt man da rein? Hochschullehrer? Wissenschaftler? Und wie wird man das? Das musst ich mich bei der Vorbereitung auf den Vortrag selbst erst mal fragen, zumal da ich im Rückblick erstaunlich wenig geplant hatte. Mein Werdegang ist nicht sonderlich spektakulär, also verwendete ich mehr Zeit darauf zu beschreiben, was man denn eigentlich so macht, wenn man Lehre praktiziert, Forschungsprojekte durchführt, publiziert und sich durch das bürokratische Dickicht der Verwaltung schlägt. Welche Empfehlungen also soll man jemandem geben, der eine wissenschaftliche Karriere anstrebt? Das war wohl am schwersten. Meine vier Kernempfehlungen lauteten in etwa so:

  • Versuchen Sie, immer auch zugleich was anderes werden zu wollen. Nicht nur meine persönliche Beobachtung, sondern auch verschiedene Studien zeigen, dass speziell in Deutschland die Planung einer wissenschaftlichen Karriere schwierig ist und zahlreiche Unwägbarkeiten mit sich bringt. Es kann daher nicht schaden, sich immer auch noch etwas anderes vorstellen zu können, um sich mental nicht von einem einzigen Weg abhängig zu machen.
  • Suchen Sie früh den Kontakt zum wissenschaftlichen Personal während des Studiums. Werden sie studentische Hilfskräfte und engagiere Sie sich in Projekten, in denen Sie mit Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern zusammenarbeiten können. Engagieren Sie sich aber auch in Ihren Lehrveranstaltungen: Stellen Sie Fragen, denken Sie mit und zeigen Sie Ihr inhaltliches Interesse, statt es zu verstecken. Als Lehrender mit etwas Erfahrung erkennt man schnell die möglichen Nachwuchskräfte – aber nur, wenn sie sich sichtbar und hörbar machen.
  • Machen Sie sich gegen Ende des Studiums kundig, wie an der Universität, an der Sie weitermachen wollen, die Bedingungen für Promotionen wie auch für Habilitationen sind. Natürlich ist es die beste Möglichkeit, zu promovieren und zu habilitieren, wenn man an der Universität eine Stelle hat. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten: Stipendien z.B. oder der Versuch, diese Qualifikationen berufsbegleitend zu machen. Ich habe selbst mehrere Doktoranden, die diesen dritten Weg beschreiten, der allerdings mit Sicherheit der härteste ist.
  • Bleiben Sie sich selbst treu. Wie in anderen Berufen, so gibt es auch beim Beruf des Wissenschaftlers bzw. Hochschullehrers je nach Fachgebiet innerhalb der Psychologie und benachbarter Disziplinen mehr oder weniger enge Netzwerke, es gibt einen inhaltlichen und vor allem methodischen Mainstream und es gibt viele implizite Regeln. Auf der einen Seite müssen Sie versuchen, all dies kennenzulernen und auszuprobieren. Sie müssen eigene Erfahrungen machen und sich in so manches Spiel einfach hinein bewegen, um dabei zu sein. Auf der anderen Seite sollte Sie neben diesen für eine Karriere unabdingbaren Anpassungen nicht vergessen, warum Sie Wissenschaftler werden wollen, nämlich – hoffentlich – weil Sie von der Wissenschaft begeistert sind. Das aber, so meine ich, verpflichtet Sie auch dazu, eine eigene Position zu entwickeln und hinter dieser auch dann zu stehen, wenn sie gerade mal nicht in die Landschaft passt – auch wenn das mit Nachteilen verbunden ist.

Neben mir war im Track „Pädagogische Psychologie“ Jens Uwe Martens zu Gast, der bereits sein siebtes Lebensjahrzehnt begonnen hat, das man ihm nun wirklich überhaupt nicht ansieht. Er berichtete vom „Leben in der Selbständigkeit“, nämlich als Berater, Coach und Trainer. An manchen Stellen hatte er durchaus vergleichbare Empfehlungen und persönliche Folgerungen, z.B. was die Verknüpfung von Arbeit und Leben, gewisse Formen von Autonomie und die Flexibilität betrifft, die aber auch mit einem eher wenig planbaren Freizeitbudget gekoppelt ist. Letzteres beunruhigte einen der Zuhörer besonders, der mehrfach nachfragte, wie es denn mit der Chance aussähe, auch mal zwei Monate nichts zu machen. Das ginge nicht, meinte Martens, der diese Probleme dann aber auf eigene Art löst: „Ich wollte unbedingt mal nach Südafrika. Also habe ich das mit dem Besuch eines Kongresses verbunden, den man immerhin von der Steuer absetzen kann. Als ich dort war, war ich begeistert. Also habe ich mit zwei Südafrikanern eine Dependance meiner Firma in Südafrika gegründet – so habe ich die Freizeit mit Arbeit verbunden“. Da hat sich sogar die Miene des freizeitbesorgten Teilnehmers aufgehellt. Mein persönliches Fazit: Wer einigermaßen autonom sein und Spielraum für solche und andere kreative Problemlösungen haben will, werde Wissenschaftler, Unternehmer oder Künstler.