Visonen leben, Wissen nutzen

„Visionen leben. Wissen nutzen. Die besten Lehrkräfte für Deutschlands Schulen der Zukunft!“ (Link zur Broschüre). Wer würde widersprechen wollen, dass das hehre Ziele sind. Morgen (am 14. Juni 08) geht diese zweite Workshop-Runde einer D21-Initiative in Frankfurt (die erste war in Lübeck) zu Ende, in dessen Beirat ich sitze (ich habe an anderer Stelle, nämlich hier, bereits darauf verwiesen).

Nun konnte ich mir an zwei Tagen selbst ein Bild, jedenfalls von einer kleinen Gruppe von Referendaren/innen machen, welche die Substanz dieser „Exzellenzinitiative“ bilden: Gemeinsam sollten wir in einem komplett offen konzipierten Workshops Ideen für das persönliche Wissensmanagement mit Web 2.0 generieren – keine leichte Aufgabe, denn: Das Ziel ist eher vage, man soll alle hinderlichen Rahmenbedingungen aus dem Alltag einfach mal ausblenden (leichter gesagt als getan) und letztlich ist noch nicht so ganz klar, was mit den Ideen dann am Ende passiert.

Jedenfalls hatte ich am zweiten Tag mit „meiner“ Gruppe durchaus interessante Diskussionen und für mich war es spannend mitzuerleben, wie die Akteure vor Ort (wenn es um Schule geht) mit verschiedenen Themen und Herausforderungen umgehen. Die Ergebnisse der Workshops werden in einem Blog (hier) zugänglich gemacht. Aber wie gesagt. Leicht ist das nicht und ich wünsche mir sehr, dass die Ergebnisse am Ende nicht sang- und klanglos verpuffen. Heute und morgen wird/wurde die Gruppe von Frau Schweder (ein paar Infos zu Frau Schweder hier) übernommen.

Eine kleine Talkrunde gab es am Freitag dann auch noch: Moderiert von Jeanette Otto von der ZEIT haben Arne Klempert (Wikimedia Deutschland e.V.), Frank Sauerland (Direktor des Amtes für Lehrerbildung in Hessen) und ich über eine sehr bunte Palette von Fragen zu digitalen Medien in Schule und Lehrerbildung diskutiert. Ich sollte ein kurzes Eingangsstatement halten, das ich dann aber nach Absprache mit der Moderatorin wirklich ganz kurz gehalten und dabei die interessante Diskussion in Mandys Blog (hier) als Grundlage herangezogen habe. Da war an sich schon jedes Argument drin, das man bringen kann – und ehrlich gesagt, sind wir bei unserer Diskussion darüber (leider) auch nicht hinausgekommen. Man hat das Gefühl, dass unsere Schulen etwas lähmt, von dem man nur ahnt, was es sein kann und das man vor allem immer da sucht, womit man selbst nichts zu tun hat: Wissenschaftler, Lehrer, Schüler, Schulleiter und Politiker (und natürlich auch Vertreter der Wirtschaft) schieben sich da mitunter gegenseitig den Schwarzen Peter zu.

Ja, und das ist letztlich der Grund, warum ich bereit war, diese „Exzellenzinitiative“ (obschon ich das Wort ja ehrlich gesagt nicht so mag) unterstützen: Weil man es sicher an allen Enden und Ecken versuchen muss, was zu ändern und man eh nicht weiß, was der goldene Hebel ist (falls es den überhaupt gibt). Und für die teilnehmenden Referendare/innen ist es in jedem Fall ein Gewinn, sich mal auf diese Weise ausgetauscht und so manche Möglichkeiten und aktuelle Problemlagen reflektiert zu haben. Schüler/innen: Hoffen wir, dass bei euch was ankommt!

Ranking – Nachtrag

Ach ja, was mir noch wegen des CHE-Rankings und der Forschungsreputation eingefallen ist: Schon bei der Eingruppierung in die Fächergruppe beim CHE gab es bei unserem Studiengang Probleme: Die Mischung aus Kommunikationswissenschaft einerseits sowie pädagogisch-didaktischen und technischen Aspekten anderereseits, führt dazu, dass wir in der jetzigen Fächergruppe an sich nur teilweise gut aufgehoben sind. Wir versuchen uns halt tatsächlich an einem interdisziplinären Studiengang und folglich sind wir, die wir den Studiengang tragen, auch in recht verschiedenen wissenschaftlichen Communities verhaftet – das macht die Frage nach der Reputation in der Forschung sicher schwierig, denn es kommt jetzt ganz darauf an, wen man wonach gefragt hat. Überhaupt denke ich ja nach wie vor, dass sich nur wenige Wissenschaftler mit einer Instititution, dafür aber mehr mit ihrem Fach und eben der dazugehörigen Community identifizieren.  Gott sei Dank!! Einen Kult um eine „Corporate Identity“ einer Universität (wie in der Wirtschaft) – das wäre wirklich das letzte, was ich jetzt noch gebrauchen könnte – ich finde Personen und Inhalte interessanter ;-).

Programme for the International Assessment of Adult Competencies

Die OECD-Mitglieder haben im März 2008 grünes Licht für ein Projekt zur „Erfassung des Wissens und der Fähigkeiten von Erwachsenen“ gegeben (hier die Meldung. Das Kürzel ist nicht ganz so eingängig wie PISA – es lautet PIAAC: Programme for the International Assessment of Adult Competencies. Schwerpunkt sollen die kognitiven und beruflichen Fähigkeiten (genauer: das Kompetenzniveau in Mathematik, Leseverständnis und beim Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien) sein, die zur erfolgreichen Teilnahme am Arbeitsleben Voraussetzung sind. Es soll daneben untersucht werde, wie diese Kompetenzen Einkommen, Beschäftigung und die Fähigkeit zu lebenslangem Lernen beeinflussen.

Ich finde das gar nicht schlecht, was mich aber stört ist, dass der primäre Fokus mal wieder auf der Frage liegt, ob und inwieweit Wissen und Fähigkeiten der Erwachsenen dergestalt sind, dass es sich (so heißt es auch in der Pressemeldung dazu) positiv auf das „Humankapital“ der Länder im globalen Wettbewerb auswirkt. Wäre es nicht auch wichtig, neben dem verwertbaren Kompetenzniveau nach einem Bildungsniveau zu fragen und es zu untersuchen, das z.B. Demokratiefähigkeit i.w.S. stärkt? Kritikfähigkeit in einer Welt, die von Medien durchsetzt ist? Toleranz und Aufgeklärtheit in Gesellschaften, in denen religiöse Konflikte zunehmen? Ich bin kein „Ökonomiefeind“: Die Wirtschaft ist ein ganz wesentlicher Teil unserer Gesellschaft; Arbeit ist Teil des Lebens von Erwachsenen und sie ist wichtig nicht nur für den Lebensunterhalt, sondern auch für die eigene Identität. Unternehmerisches Denken ist eine spannende Angelegenheit und Unternehmen können viel bewegen, wenn sie verantwortungsvoll wirtschaften. Wir alle müssen täglich ökonomische Prinzipien berücksichtigen – und das ist im Sinne eines verantwortungsvollen Umgangs mit Ressourcen gut so. Warum aber engen wir in den letzten Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten, beinahe alles darauf ein?

Zurück zu PIAAC: „Leseverständnis“ – das ist z.B. hervorragend, dass man das erheben will (Nachtrag: Fragt sich nur wie; siehe hierzu den Kommentar zu diesem Beitrag): Denn nur wer lesen kann, wer versteht, was er/sie liest, wird in unserer Gesellschaft zurecht kommen. Es ist auch eine Voraussetzung für eigene Artikulationsfähigkeit – aber die brauche ich ja bei Leibe nicht nur, um meinen Job gut machen zu können: Das ist die Eintrittskarte für Teilhabe an einer Gesellschaft (und die besteht nicht nur aus Ökonomie, sondern auch aus Kultur und Politik), für sozialverträgliche Problemlösungen und und und. Ich glaube, es wird klar, was ich meine …. Mal sehen also, wie PIAAC letztlich umgesetzt wird: In den kommenden zwei Jahren wird das Instrumentarium entwickelt, 2010 soll es getestet werden, 2011 ist die erste Untrsuchung geplant.

red-ink und was wir damit zu tun haben

Nun ist er weg – unser Tobias – und wird die kommenden Jahre dazu beitragen, „to rethink education in the knowledge society“ – das nämlich steckt hinter dem Kürzel „red-ink“ (ich gebe zu: das ist einigermaßen originell). Tobias selbst wird uns hoffentlich auf seinem Blog ein wenig auf dem Laufenden halten – immerhin gehört die öffentliche Reflexion ja zur modernen Wissensgesellschaft – oder auch nicht (siehe z.B. kritische Stimmen, allerdings vor allem mit Blick auf den ökonomischen Raubbau am Web 2.0, hier – ein Tipp von Jochen Robes).

Ja, das ist immer so eine Sache – an der Uni: Im Moment haben wir eine ziemliche Fluktuation, was normal ist, denn an der Universität halten sich nun mal die wenigsten Menschen sehr lange, sondern eher vorübergehend auf. Aber bei Tobias ist das schon sehr schade, dass ich ihn zu diesem Schritt, also dazu raten musste, uns zu verlassen und diese Chance in der Schweiz zu ergreifen – alles andere wäre angesichts der Tatsache, dass wir nicht nur eine Forschungs-, sondern auch eine Bildungsinstitution sind, für mich nicht vertretbar gewesen – auch, wenn ich den Schaden habe (klingt jetzt selbstlos, ist es vielleicht auch ;-)). Ach ja, wer will, kann noch schauen, was Tobias letzte Leistung bei uns war: Seine Masterarbeit.

Tagungsrückblick – Schule als Learning Community

Netzwerkbildung und Wissensteilung: Schule als Learning Community: Es war der erste Versuch einer gemeinsamen Tagung: Unser neues Institut zusammen mit der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Dillingen und ich denke, es ist gut gelungen: Wer Lust hat, kann sich im Blog zur Tagung einen Überblick darüber verschaffen, was gelaufen ist, nämlich hier. Mit Herrn Jancke, Peter Baumgartner und Beat Döbeli haben wir sehr gute, motivierend vortragende Referenten gewonnen, die denn auch alle begeistert haben – am meisten wohl Herrn Döbelis Analogie zwischen „mobile oder ubiquitous learning“ einerseits und dem Mobile an der Decke andererseits (die Beiträge können im Blog übrigens auch nachträglich noch kommentiert werden).

Die Intention, den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis in puncto digitale Medien und Schule anzuregen, wurde verstanden und so gut es geht auch umgesetzt! Jedenfalls lassen die Rückmeldungen darauf schließen. Herr Rau, Sandra und Tamara haben bereits in ihren Blogs berichtet.

Mein Fazit: Solche Veranstaltungen sind wichtig! Man muss aber natürlich auch aufpassen, dass man keine falschen oder unrealistischen Erwartungen weckt: Ich hatte nur in einem kleinen Satz bei meiner Einführung darauf hingewiesen, dass man in der (Schul-)Praxis wenig weiß, dass und wie die aktuelle Forschungsförderung Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Feld (wovon Lehrende direkt profitieren können) bisweilen sehr schwer macht; dazu kommt, dass diese Arbeit für Wissenschaftler weder rühmlich noch karrierefördernd ist (siehe hierzu den Band, den ich mit Joachim Kahlert herausgegeben habe). Und selbst diejenigen, die den Kontakt zur Praxis suchen und ihn wie z.B. über eine solche Tagung auch herstellen, haben freilich nicht unendlich viel Zeit und können nicht jedem interessierten Lehrenden IMMER ein offenes Ohr schenken: Lehre und vor allem Verwaltung fressen einen mitunter auf,;dazu kommt die Jagd nach Fördergeldern, ohne die viele von uns keinen einzigen Mitarbeiter hätten. Von daher braucht man beides: die „kleinen Lösungen“, wie wir sie am Freitag und Samstag in Dillingen praktiziert haben, aber letztlich doch AUCH die von mir angesprochenen, aber während der Tagung (sinnvollerweise nicht weiter thematisierten) „großen Lösungen“ (hochschul- und bildungspolitische Änderungen) (ich hänge hier nochmal meine Eingangsworte an: Einführung_Dillingen_Jan08).

PISA-Kritik-Buch und was das auch mit Bologna zu tun haben könnte

Erst jetzt habe ich – anlässlich eines aktuellen Beitrags in Forschung und Lehre – ein Interview mit Thomas Jahnke zu seinem Buch „PISA & Co. Kritik eines Programms“ gefunden, nämlich hier: Ich kann viele Punkte dieser Kritik nachvollziehen, frage mich aber gleichzeitig, warum man das Assessment-Problem einfach nicht in den Griff bekommt bzw. warum sich da ständig solche Gräben zwischen denjenigen auftun, die jede Form von Assessment wie auch Evaluation strikt ablehnen, und denjenigen, die meinen, damit die Welt retten zu können. Gut, Extrempositionen sind in der Regel besser zu vermitteln, aber geht es nicht doch auch anders? Ich meine, Assessment in Schule UND Hochschule KANN hilfreich sein – für alle Seiten, wenn es einem gelingt, dieses mit Lernen und Lehren sinnvoll zu verbinden. Vielleicht kann man diese Argumentation (siehe dazu einen Arbeitsbericht aus dem letzten Jahr) auch im PISA-Zusammenhang aufgreifen?

Mitunter bin ich hin- und hergerissen: Auf der einen Seite haben viele sowohl PISA- als auch Bologna-Kritiker recht mit zahlreichen Details, die sie anprangern. Und bei Bologna geht mir die Bürokratisierung und vor allem der Umstand extrem auf die Nerven, dass Akkreditierungsagenturen (völlig zu Unrecht, wie ich meine) eine solche Macht erlangt haben. Aber war und ist das wirklich im Sinne von Bologna? Auch Bürokratiemonster sind so mit Sicherheit nicht zwingend gewesen. Denn man muss schon auch sehen: Was soll daran schlimm sein, Ziele transparent zu machen und auf diese Weise Vergleichbarkeit herzustellen? Warum sollte es schaden, sich über Kompetenzen und Standards Gedanken zu machen – wie soll ich denn gute Lehre machen, wenn ich das nicht ohenhin tue? Ist es nicht viel eher eine Frage des Wie? Kommt der (berechtigte) Frust nicht eher daher, dass man die Ziel- und Standardsetzung den Hochschulllehrern nicht mehr zutraut und statt dessen Akkreditierungsagenturen deren Bewertung überlässt? Und vielleicht ist es bei PISA ähnlich?

Um noch einmal auf Jahnke zurückzukommen: In besagtem Beitrag in Forschung & Lehre spricht er eine interessante Verbindung zwischen PISA und Universität an: „So profitiert etwa die empirische Bildungsforschung nahezu unmäßig von dieser … Mutter aller Tests. Man kann in diesem Bereich geradezu von einer Überhitzung der Konjunktur sprechen. Serienweise werden Professuren in dieser Disziplin ausgeschrieben“. Ja, das ist mir auch schon aufgefallen, wobei: Ich habe nichts gegen die empirische Bildungsforschung – im Gegenteil; aber ich habe etwas gegen die einseitige Auslegung, wie diese auszusehen hat, und ich wundere mich, dass die Politik mit diese Monokultur so glücklich ist ! Doch dazu ein andermal mehr.

PISA und eine offene Frage

Allmählich habe ich alle Artikel aus der ZEIT und dem Spiegel zum Thema PISA durch …. und wer sich ein möglichst neutrales Bild von den Ergebnissen und ein wenig Hintergrundwissen erwerben will, kann sich auch die (aus meiner Sicht gut gemachte) Broschüre zu PISA (hier) sowie eine Zusammenfassung der Ergebnisse (hier) anschauen.

Was ja überall gelobt wird, ist, dass die Schüler (15 Jahre) in den naturwissenschaftlichen Fragen besser geworden sind. Gelobt wird auch, dass die Aufgaben keine stupiden Fragen sind, die man mit auswendig gelerntem Wissen beantworten kann, sondern dass diese eine gewisse Alltagsnähe aufweisen. Man kann einige der Aufgaben z.B. in der Zeit (von letzter Woche) nachlesen (z.B. zum Thema Klimawandel) und hier gibts auch ein paar Beispiele. Wenn ich das mit dem vergleiche, was mein Sohn derzeit in der achten Klasse (G8) so lernen muss, dann steigt in mir eine – ja ich weiß gewagte – These auf: Vielleicht haben die Schüler dieses alltagsnahe Wissen gar nicht aus der Schule? Was nämlich in den letzten vier Jahren auch gewachsen ist, sind gut gemachte Wissenssendungen, Zeitschriften u.a. Medien, die in sehr unterhaltsamer und verständlicher Weise vor allem naturwissenschaftliches Wissen präsentieren. Was, wenn insbesondere das seine Wirkung zeigt? Wäre zumindest mal interessant, es zu untersuchen. Womit ich die Bemühungen zur Verbesserung von Schule und Unterricht auf keinen Fall in Misskredit bringen will! Aber Fragen stellen, darf man ja …

GMW 2007: Ein paar Eindrücke

Vor allem die Eröffnung der GMW-Tagung konnte mit gut genmachten Keynotes aufwarten:

  • Rolf Schulmeister setzte sich mit den Schwierigkeiten und Widersprüchen des Bologna-Prozesses auseinander, brachte den Bildungsbegriff ins Spiel und machte klar, an welchen Stellen wir gehörig aufpassen müssen, wollen wir den Ausverkauf einer Hochschulbildung (noch) verhindern, die den Namen verdient. Anders als Rolf stehe ich dem Bologna-Prozess an sich nicht so skeptisch gegenüber, eher schon den bisherigen aktionistischen Maßnahmen zu dessen Umsetzung (angefangen von der abstrusen Vorstellung, Akkreditierungsagenturen könnten die Qualität von Studiengängen mit den jetzigen Verfahren wirklich feststellen bis hin zu Hochschullehrern, die die Bologna-Reform mit einer abzuarbeitenden Verwaltungsanweisung verwechseln).
  • Gabriele Beger berichtete in ihrem Vortrag anregend über die Chancen, ja über die Notwendigkeit von Open Access – mit viel Geschick und Leidenschaft für die Sache. Was mir dabei erstmals richtig klar wurde und mich auch überzeugt hat: Während herkömmliche Bücher und Zeitschriften zwar von Einzelnutzern käuflich erworben werden müssen, wenn man sie „besitzen“ will, kann man doch – wenn man auf den Besitz verzichtet und es nicht ganz so eilig hat – über Bibliotheken prinzipiell eine Vielzahl von Büchern und Zeitschriftenartikeln fast kostenlos oder mit geringen Gebühren einsehen, sie leihen und lesen. Das ist mit elektronischem Material, auf das man ausschließlich über Gebühren (oft nicht unerhebliche Kosten) Zugang erhält, nicht mehr möglich. Daraus folgt natürlich nicht, dass die Digitalisierung schlecht ist; schlecht sind nur – im Wissenschafts- und Bildungsbetrieb – die dahinter stehenden Geschäftsmodelle. Ein wichtiges Thema – ein interessanter Vortrag – ganz ohne PowerPoint!
  • Unterhaltsam und ebenso PPP-enthaltsam zeigte sich auch Norbert Bolz: Er spielte damit, dass er nicht zur neuen Netzgeneration gehört; er verknüpfte soziologische Theorien mit medienwissenschaftlichen Erkenntnissen und brachte eine Reihe von Thesen in kurzweiliger Weise vor, obschon mir ein wenig der roten Faden und klare Kernbotschaften fehlten. Als witzig und plausibel, leider aber falsch, bleibt mir vor allem die Aussage in Erinnerung, dass das kleinstmöglich Netzwerk, nämlich ein Paar, wenn es sich denn um ein sich liebendes Paar handelt, bei seiner Kommunikation einen Informationsaustausch hat, der nahezu gegen Null geht („Gebrabbel“). Na ja, vielleicht hat Herr Bolz immer noch nicht die richtige Partnerin gefunden, vielleicht misstraut er auch allen Wissenschaftlerpaaren, vielleicht verwechselt er Liebe mit Verliebtsein, vielleicht war es aber auch nur ein rhetorischer Kniff. Wie auch immer. Ich verstehe jedenfalls nicht, wie man zu dieser Schlussfolgerung kommt, denn: Wenn zwei Menschen eine hohe Interaktionsdichte haben, sich dabei mit gleichen oder ähnlichen Themen beschäftigen, wird sich der „common ground“ enorm vergrößern und ich spare mir den Austausch von Informationen, den ich bei Personen aus meinem „losen Netzwerk“ stets brauche, um überhaupt eine gemeinsame Kommunikationsgrundlage herzustellen. Allein dieses kognitive Argument dürfte reichen, um zumindest Skepsis an der „Gebrabbel-Theorie“ anzumelden.

Aufgeklärtes Instructional Design

In seinem Text „Microlearning as a challenge for instructional design“ (abzurufen hier) stellt sich Michael Kerres die Frage, welche Rolle Instructional Design (ID)-Modelle eigentlich beim Microlearning (also in Lernphasen von eher kurzer Dauer, z. B. 5 bis 15 Minuten) spielen, spielen dürfen oder vielleicht spielen sollen.

Nur am Rande bemerkt: Ich habe ja im Laufe der letzten Jahre trotz meiner – würde ich sagen – konstruktivistischen Grundhaltung inzwischen eine etwas bessere Meinung vom Thema ID – und zwar auf der Grundlage meiner eigenen Lehrpraxis. Dabei muss man allerdings auch anmerken, dass man im englisch-sprachigen Raum keineswegs nur behavioristische und kognitivistische Auffassungen und Prinzipien mit ID verbindet. Eher ist es zunächst einmal „nur“ so, dass man die Verantwortung des Lehrenden ernst nimmt und versucht, ihm bei seinen Planungsprozessen zu helfen.

Und dass Planung immer nötig ist, räumt auch Michael Kerres ins einem Text ein. Er formuliert es allerdings so: „Instruction can not be planned, instruction can only be prepared“. Ich weiß nicht so recht, ob das nicht ein konstruierter Unterschied ist. Ist es nicht eher die Haltung, auf die es ankommt, wenn ich etwas plane oder von mir aus vorbereite? Ich würde sagen, als „echter Kognitivist“ (falls es so etwas gibt) hoffe ich letztlich auf Gesetzmäßigkeiten, während ich bei einer eher konstruktivistischen Grundauffassung immer damit rechne werde, dass es auch anders kommen kann als von mir geplant und/oder intendiert. Das wäre der eine Unterschied. Die andere wichtige Unterscheidung (zwischen einer kognitivistischen und einer konstruktivistischen Haltung) sehe ich darin, wie wichtig mir als Lehrender die Lernenden sind: Wie ernst nehme ich sie? Respektiere ich sie? Ich meine sehr wohl, dass Respekt vor den Lernenden auch mit instruktionalen Phasen, mit Vorgaben etc. vereinbar ist. Ich glaube nicht (mehr) an den alleinigen Segen der Selbstorganisation (und daran dass „The learners themselves are gaining competencies to construct their personal environments …“ via microlearning) – jedenfalls nicht wenn ich an das Gros der Studierenden an unseren Hochschulen heute denke. Ich meine, das muss zwar das Ziel sein (da stimme ich Michael Kerres zu), und deswegen sollten wir, soweit es geht, als Lehrenden darauf hin arbeiten. Aber das geht nur allmählich – jedenfalls so lange die Schule hier keine Vorarbeit leistet.

Natürlich gibt es immer wieder Ausnahmen – junge Menschen, die sehr wohl zur Selbstorganisation in der Lage sind und von sehr offenen Lernumgebungen profitieren, deren „user generated content“ brauchbar ist etc.; aber sind das wirklich mehr als vielleicht zwei bis fünf Projekt eines neuen Jahrgangs? Und was machen die anderen? Diejenigen, denen man vielleicht ein paar Semester lang auf die Sprünge helfen muss? Dass „a certain level of education can only be reached by the learner her-/himself“ ist natürlich wahr, aber bis dahin muss man ja erst mal kommen. Einverstanden bin ich mit der Folgerung zur Frage des Bezugs zwischen Web 2.0 und ID, nämlich: „It does not imply a completely new approach but should integrate the various views to instructional design developed in different theoretical traditions“. Die spannende Frage ist nur, wie diese Integration konkret aussehen kann. Aber das wird dann halt wohl die Aufgabe für die nächsten Jahre sein – sonst hätten wir ja alle nichts zu tun.

Fazit: Ich plädiere für ein „aufgeklärtes Instructional Design“, für Heuristiken zur Planung, bei denen man sich als Anwender bewusst ist, dass sie nicht zwingend zu Erfolgen führen, das ihre Wirkung (keine neue Erkenntnis) vom Gegenstand und der Zielgruppe abhängt. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass wir uns keinen Gefallen tun, wenn wir (wieder mal) glauben, im Reich des Web 2.0 käme es nur darauf an, die Lernende in ihre Freiheit zu entlassen – damit macht man sich auch ein bisschen zu einfach.

Fahrrad für den Geist

Zu meinem offensichtlich provokativen Titel „Der Anfang vom Abschied vom „user-generated content“ haben Helge Städtler und Joachim Wedekind bewogen, die dahinter steckenden (eigentlich nur angedeuteten) Überlegungen zu kommentieren – in einer Form, die fast zu schade ist, um sie in Kommentaren zu verstecken, weshalb ich diese Inhalte hier noch einmal aufgreifen will hier nachzulesen).

Für Helge ist „der Rechner … mit die Erfindung, die den größten sozialen Impact in dem vergangen Jahrhundert und den letzten Jahren auf die Gesellschaft und vor allem die sozialen Aspekte hatte, den man sich überhaupt vorstellen konnte“ (Helge verweist auf Steve Jobs Bonmot „Fahrrad für den Geist“). Damit wendet sich Helge vor allem an Joachims Andeutung, es gäbe doch nur einen Unterschied in der Verfügbarkeit der Produktionsmittel und deren mehr oder weniger (un-) professionellen Anwendung.

Ja, das ist die Frage: Welcher Art ist der Einfluss der digitalen Entwicklung mit all seinen Facetten auf Lernen und Leben der Menschen heute? Also: Ich weiß es nicht. Die Fahrradmetapher jedenfalls ist mir durchaus sympathisch – das Fahrrad ermöglicht mir Mobilität – aber eine, die ich selbst kontrollieren kann, die mich nicht aus dem Sattel haut und bei der ich die Umgebung um mich herum noch mitbekomme.

Ich meine aus Helges und Joachims Austausch die Frage herauszuhören, was an „klassischen Bildungsidealen“ wert ist, weiter tradiert zu werden, und was sich aber verändern MUSS. Helges Worte: „Schule wird vermutlich als letzte Festung, die Veränderung mit allem was da ist bekämpfen um den nächsten pädagogischen Phyrrussieg vorzubereiten.“ Helges Unmut über die Schule kann ich verstehen. Wobei ich fast dazu neige, dass die notwendigen Veränderungen keineswegs so viel mit digitalen Medien zu haben. Wenn ich in Schulfragen involviert bin, merke ich schnell, dass ich in Argumentationsnot gerate. Denn natürlich: Auch ohne die digitalen Medien könnte man Schule in vielen Fällen so viel besser machen – mit einfachen Mitteln und – was ganz und gar nicht einfach ist – mit Lehrern, die diesen Beruf im wörtlichen Sinne aus einer Berufung heraus machen, die ihre Schüler mögen, stolz auf sie sein wollen und stolz auf sie sind, wenn sie etwas leisten, kreativ sind und die Welt neu erfinden, wie Helge es formuliert.

Aber: Das IST ein klassisches Bildungsideal, würde ich meinen. Und es geht eigentlich weniger darum, etwas jetzt Bestehendes zu bewahren, sondern einige der alten ideale (Erziehung zu einem selbstbestimmten Leben) endlich mal umzusetzen. Doch dazu brauchen wir alle – in jedem Lebensalter – auch Menschen, zu denen wir aufschauen können, die uns etwas beibringen, die mehr Wissen haben, die mehr Erfahrung haben, denen wir vertrauen, die uns Orientierung geben. DIESE Form von Autorität und Expertise brauchen wir aus meiner Sicht nach wie vor in unseren Schulen und Hochschulen und die kann auch kein „user generated content“ ersetzen.