Eine Universität wehrt sich – statt sich zu beugen und aus einer Angstmotivation heraus im vorauseilenden Gehorsam umzusetzen, was aus unerfindlichen Gründen gerade mal wieder postuliert oder angekündigt wird: Die Universität Hamburg – schon vor ca. knapp zwei Jahren in den Schlagzeilen, als die Dekane den Aufstand gegen das Präsidium wagten (erfolgreich!) – nimmt öffentlich (hier) zu den angekündigten Kürzungen von bis zu 10 Prozent Stellung. Die Folge wären, so wird vorgerechnet, ein „Wegfall von 60 Professuren (unter der Annahme, dass eine Professur inkl. Ausstattung im Schnitt etwa 300.000 EUR kostet)“ und die „Schließung von bis zu 30 kleinen und mittelgroßen Fächern.“ Große Worte (z.B. in diversen Reden von Leitungspersonen an Unis und Verbänden) kennt man ja, aber erfreulicherweise wurden gleich ganz konkrete Maßnahmen beschlossen; u.a. wird die Entwicklung eines Internationalisierungskonzepts ebenso ausgesetzt wie die des Strukturentwicklungsplans; auch Veranstaltungsbeteiligungen der Uni werden abgesagt. Da hat man das Gefühl, dass die Universitätsleitung hinter ihren Mitgliedern steht und nicht nur Handlanger der Politik ist. Gut so! Die Begründung für den Widerstand ist knapp und nachvollziehbar: „Das Präsidium tritt für eine Autonomie der Gestaltung ein, nicht für eine Autonomie der Zerstörung.“
Auf die Füße getreten
76 Kommentare in zwei Tagen auf einen ZEIT-Artikel – das ist durchaus beachtlich. Geschafft hat das ein Beitrag über die Studie ZEITLast, deren Ergebnisse nun in einem Buch erscheinen (Rolf Schulmeister, Christiane Metzger (Hrsg.): Die Workload im Bachelor: Zeitbudget und Studierverhalten. Eine empirische Studie. Waxmann 2011). ZEITLast möchte Transparenz in den tatsächlichen Zeitaufwand Studierender bringen und den vielen Vermutungen vor allem zum Zeitstress der Studierenden in den neuen Studiengängen objektive Zahlen entgegenhalten. Anders als viele andere Studien schätzen die Studienteilnehmer/innen ihren Zeitaufwand hier nicht retrospektiv, sondern erfassen laufend, wofür sie wie viel Zeit aufwänden.
Der Beitrag ist – wie das journalistische Texte zu speziellen Themen oft sind – stellenweise etwas unglücklich formuliert, enthält auch Fehler (Rolf Schulmeister wird zum Informatiker gemacht) und ist durch die Art der Darstellung schon etwas darauf angelegt zu polarisieren. Der wohl intendierte Effekt wurde denn auch erreicht – teilweise zeugen die zahlreichen Kommentare von erzürnten Reaktionen. Es wäre sicher ganz interessant, die Beiträge inhaltsanalytisch auszuwerten: Manche rechnen da ihr eigenes Zeitkonto nach, viele verweisen auf die (in der Studie ebenfalls festgestellten) Unterschiede zwischen Disziplinen und Fächern, einige bemängeln die Studienmethode (über die der Beitrag allerdings gar nicht viel sagt), ein paar machen auf den Unterschied zwischen Zeiterleben und faktisch gebrauchter Zeit aufmerksam (ein Punkt, der auch aus meiner Sicht sehr interessant ist) und sehr viele fühlen sich offenbar persönlich angesprochen und in der Folge massiv auf die Füße getreten.
Unabhängig von diesem Beitrag im Speziellen frage ich mich bei Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln über wissenschaftliche Ergebnisse oder Ereignisse (siehe auch die Plagiatsaffäre hier, hier und hier in diesem Blog) oft, ob die Relation zwischen dem damit erzielten Nutzen (breite Aufmerksamkeit für ein Thema) und dem potenziell angerichteten Schaden (verkürzte und/oder verfälschte – weil nicht richtig verstandene – Aussagen) noch ausreichend ausgewogen ist. Ich bin ja der Meinung, dass Wissenschaftler selbst mehr für die Verbreitung gesellschaftlich relevanter Erkenntnisse tun könnten und dies nicht nur den Journalisten überlassen sollten – digitale Medien haben dies immerhin sehr erleichtert. Allerdings – das liegt natürlich auf der Hand – erreicht man damit nach wie vor niemals eine solche Breite wie ein Beitrag etwa in Spiegel oder Zeit online. Aber drüber nachdenken könnte man ja mal.
Promotion mit 40 plus?
Seit April 2011 läuft wieder unser Doktoranden-Frühjahrszyklus (hier versuche ich einigermaßen regelmäßig darüber zu berichten). Gesten hatten wir einen Workshop zu Online-Communities mit zwei interessanten Gästen: Swapna Kumar und Markus Marquard. An mehreren Stellen in der Diskussion sind wir auf die Frage des Alters in Bezug zu Lernen, Erfahrungsaustausch, aber auch Studium gekommen: Lernen Menschen jenseits des jungen Erwachsenenalters (wo man das festmacht, ist jetzt schwierig) anders? Interessierter? Mit mehr Erfahrung im Hintergrund? Wie ist das, wenn man jenseits der 40 promoviert? Lernt man anderes, weil man z.B. andere Fragen stellt? Und wie ist das, wenn man jenseits der 60 erstmals Wikipedia-Artikel schreibt? Das Thema stand gestern nicht im Zentrum , es schein nur ab und zu durch – vor allem deswegen, weil uns Markus Marquard einen Vortrag über das Projekt „Third Age Online“ gehalten hat, und da geht es um Online-Communities für ältere Menschen. Immer wieder aber kamen wir auf das Thema Alter zurück, und ich halte es für ein sehr wichtiges Thema, das uns schon in früheren Arbeiten zum Wissensmanagement immer wieder einmal beschäftigt hat: Insbesondere der Erfahrungsreichtum, der mit den Jahren steigt, ist ein Punkt, der in unserer Gesellschaft nach wie vor zu wenig gesehen und genutzt wird. Stattdessen neigen wir dazu, in nahezu allen Bildungsinstitutionen mit homogenen Gruppen zu lernen (in Graduiertenkollegs gilt das auch für Doktoranden, wo sich wahrscheinlich selten jemand mit 40 plus verirrt). Besonders ausgeprägt ist das auch an der UniBw München: Hier sitzt immer EIN Jahrgang in den Veranstaltungen und man hat kaum Möglichkeiten, die Jahrgänge zu mischen. Ich muss mir mal Gedanken machen, wie man das dennoch durchbrechen kann: Wir lernen definitiv zu wenig voneinander. Und wenn man mal die Gelegenheit dazu hat, merkt man, wie unerfahren wir damit sind, denn: Ich glaube nicht, dass allein das Zusammenbringen von Menschen aus verschiedenen Generationen ausreichend ist, um fruchtbare Austausch- und Lernprozesse in Gang zu setzen. Vielmehr denke ich, dass man das geschickt initiieren, begleiten und nachbereiten muss.
Studierende als Untergattung des Schwamms
„Mach was du willst …. und da habe ich eigentlich erst gelernt zu studieren“ – so beginnt ein Film zum Thema Hochschullehre mit dem Titel LehreN (das Projekt LehreN ist ein Gemeinschaftsprojekt der Alfred Töpfer Stiftung, der Universität Hamburg und der Nordmetall Stiftung). Der Film soll die Ergebnisse aus mehreren Workshops (mit Beteiligten aus einem Netzwerk aus Hochschullehre, -leitung, -management, und -didaktik) kompakt zusammenfassen und vor allem die Entwicklungspotentiale für die Lehre an den Hochschulen deutlich machen. Das Eingangszitat stammt von Ulrich Wickert, der von seinen Studienerfahrungen berichtet, und ob das so glücklich gewählt ist, wenn man auf die Notwendigkeit hochschuldidaktischer Bemühungen hinweisen will, sei dahingestellt (angesichts der vielen „Bologna-Zwänge“ freut man sich erst einmal über solche Aussagen – auch ich – und nickt zustimmend, aber wenn man es zu Ende denkt …). Auch Schüler kommen im Film kurz zu Wort: „In der Schule ist alles kurzlebig. Man bearbeitet ein Thema zwei Wochen lang und dann kommt das nächste. Wenn man einfach nur auswendig lernt, reproduziert und danach wieder vergisst, kommt man damit sehr weit in der Schule.“ Der Schüler, der diesen traurigen Umstand treffend feststellt, hofft auf die Hochschule – dass es dort anders sein möge. Anders aber könne es langfristig nur werden, so Dieter Lenzen im Film, wenn bei Lehrenden und Lernenden die Bereitschaft da ist, Experimente zu machen. Recht hat er (aus meiner Sicht): Nur haben das Akkreditierungsagenturen und Ministerien noch nicht verstanden, denn: Kontrollwahn lässt sich mit Experimenten in der Lehre genau nicht vereinbaren. Nicht vereinbar wäre dies auch mit der Haltung, dass Studierende eine „Untergattung des Schwamms“ sind, die „Wissen in großen Mengen aufsaugen, um es bei Bedarf wieder abzusondern“ – so die Comic-Darstellung im Film. Wollen wir hoffen, dass alle die Ironie in dieser Darstellung auch klar erkennen.
Rettungsanker zur Evaluation
Eher spontan aus einem praktischen Anlass heraus ist ein neuer (allerdings relativ kurzer) Studientext zum Thema Evaluation entstanden. Im Herbst 2010 hatte ich ein Evaluationsseminar (für Studierende im zweiten Studienjahr) angeboten, das mit drei „Input-Sitzungen“ (und einem Lektüre-Reader im Hintergrund) begann, bevor die Studierenden selbst ein eigenes (kleines) Evaluationsprojekt durchführen sollten. Mein Eindruck (der sich dann in der Seminarevaluation bestätigt hat) war, dass meine mündlichen Ausführungen inklusive Folien (und Reader) nicht zu dem gewünschten mentalen „Grundgerüst“ geführt hatten, das mir aber für die eigenen Evaluationsversuche der Studierenden notwendig erschien. Zur gleichen Zeit saß ich für ein Projekt an der Sichtung aktueller Evaluationsliteratur, sodass ich beides gut zu einem eigenem Text verbinden konnte (eine Vorversion haben die Studierenden dann VOR Ihren Projekten erhalten). Den nun in einer offiziellen Version fertigen Studientext stelle ich – wie die Studientexte zum Wissensmanagement und zum Didaktischen Design – wieder online und damit zur Nutzung in der Lehre gerne zur Verfügung: nämlich hier.
Der Studientext zur Evaluation erwies sich im Rahmen des genannten Seminars als hilfreich. Die Kürze mag auf der einen Seite etwas gefährlich sein (viele Dinge werden logischerweise nur angerissen und/oder nicht in der Differenziertheit dargelegt, in der man sie in der wissenschaftlichen Literatur findet). Auf der anderen Seite zeigte der Text seine Stärke als „Rettungsanker“ im besagten Seminar, sodass ich hoffe, dass er anderen auch noch dienlich sein kann.
Nicht besser werden wollen?
Feedback geben – es gibt viele gute Argumente wie auch Studien, die zeigen, dass die Rückmeldung an studentische Leistungen im Rahmen der Hochschule wichtig ist. Studierende beklagen überdies häufig einen Mangel an Feedback und geben entsprechend an, sich mehr davon zu wünschen. Ich meine, viel Feedback in meiner Lehre zu geben. In einer Veranstaltung, die ich mit dem Konzept „Lernen durch Lehren“ mache, bekommt jedes Lehrteam mindestens zwei Seiten schriftliche Rückmeldung dazu, was gut war, was man verbessern kann und wie man es verbessern kann. Die anderen Lehrteams, auch die, die Ihre Lehreinheit noch vor sich haben, können diese Feedbacks ebenfalls lesen. Auf die abschließenden Hausarbeiten, die 10 bis 12 Seiten umfassen, kommen in der Regel ebenfalls bis zu zwei Seiten Rückmeldung von mir. Das ist extrem aufwändig. Ich habe mal den Zeitaufwand für zwei Kurse über drei Monate lang (insgesamt 30 bis 40 Studierende) zusammengestellt und komme auf ca. 45 bis 50 Stunden allein (!) für die Formulierung schriftlicher Rückmeldungen (und mir geht das wahrscheinlich inzwischen recht schnell von der Hand – ein Novize kann da locker mal das Doppelte brauchen). Gut, das muss ich nicht machen, ich bin also selber schuld. Ich muss also folglich Gründe haben, warum ich es mache. Habe ich: Ich erhoffe und erwarte mir, dass die Studierenden das Feedback aufnehmen, verstehen, für sich nutzen und besser werden – so einfach. Ich möchte, dass die Studierenden besser werden.
Meine eigenen Lehrevaluationen sowie meine Beobachtung (oft gestützt durch Silvias Beobachtungen, die mich in den letzten Kursen immer begleitet hat, sodass ich weiß, dass es kein Verfolgungswahn ist) zeigen allerdings ziemlich deutlich: Die Rückmeldungen haben wenig bis keine unmittelbaren Wirkungen. Verbesserungsvorschläge werden kaum aufgegriffen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht einmal, wie viele der Studierenden das überhaupt lesen. Wenn sie es lesen, weiß ich nicht, ob sie es verstehen – mein Angebot nachzufragen, wird nämlich selten aufgegriffen. Falls sie es gelesen und verstanden haben, müssten sie es auch umsetzen – und davon sehe ich wenig. Die Rückmeldungen sind weitgehend so gestaltet, wie man „das so machen soll“: Informativ mit Hinweisen auf Stärken und Schwächen sowie konkreten Verbesserungsvorschlägen – oft auch mit Begründungen. Ein „handwerklicher Fehler“ beim Feedback sollte also eher nicht die Ursache sein. Nun ist das kein neues Problem und vielleicht kommt hier die Frage auf, warum ich das gerade jetzt schreibe (nachdem auch in Christians Blog hier kürzlich ein ähnlicher Beitrag für Diskussionsstoff gesorgt hat). Der aktuelle Grund: Zwei Studierende, die meine Kritik an zahlreichen unverständlich formulierten Botschaften in ihrer Arbeit darauf zurückführten, dass ich die Arbeit nicht richtig gelesen hätte …. Auf die Idee, dass es wohl eher umgekehrt sein könnte, dass also besonders gute Noten oft zustande kommen, weil manche Kollegen/innen diese Arbeiten genau nicht intensiv lesen, sind die beiden nicht gekommen. Sie beharrten darauf, „wissenschaftlich geschrieben“ zu haben, so wie es anderswo akzeptiert und nur von mir als unverständlich gewertet werden würde. Immerhin wurde dieses Feedback ja gelesen, wenn auch nicht verstanden, oder aber zwar verstanden, aber nicht akzeptiert.
So rechten Rat weiß ich mir keinen, wie man mit diesem Problem umgeht: Feedback geben ist anstrengend, Feedback annehmen und vor allem auch nutzen, allerdings auch (wir wollten dazu mal ein Forschungsprojekt machen, aber dafür haben wir leider keine Finanzierung bekommen – siehe hier). Fehlt es (manchen, vielen?) Studierenden an Anstrengungsbereitschaft? Die Vermutung habe ich mitunter schon, OHNE da alle unter Generalverdacht zu stellen. Wollen manche Studierende gar nicht besser werden? Auch das kann ein Grund sein, vor allem, wenn das Interesse an einem Thema oder gar am ganzen Fach fehlt. Haben einige Studierende (z.B. die besagten beiden) schlicht kein Vertrauen in die Lehrenden? Möglich ist das auch, jedenfalls in Einzelfällen wie dem geschilderten. So lange man keine Antworten auf diese Fragen hat, wird es wohl schwierig bleiben, das Problem zu lösen …. und die eigene Motivation aufrecht zu erhalten.
Aus dem Lot geraten
Im Newsletter des Deutschen Hochschulverbands (auf der Webseite noch nicht online, aber bereits per Mail verschickt) und bei bildungsklick kann man es nachlesen – ein paar Verlautbarungen des Präsidenten des DHV, Professor Bernhard Kempen, anlässlich des 61. DHV-Tags in Potsdam. Z.B.: „Forschung an Deutschlands Universitäten ist ohne die Einwerbung von Drittmitteln und erfolgreich begutachteten Anträgen nahezu unmöglich geworden. Das Verhältnis von angemessener Grundausstattung, Programmförderung und thematisch freier Förderung ist auf Grund der chronischen Unterfinanzierung der Hochschulen aus dem Lot geraten“ – ja, allerdings nicht erst seit gestern, aber richtig ist, das man zumindest den Eindruck hat, es wird immer schlimmer. In der Pressemeldung heißt es weiter, Kempen weise darauf hin, dass die Handlungsfreiheit von Wissenschaftlern durch zunehmende Managementaufgaben und wachsende Weisungsabhängigkeit von Dekan, Rektor oder Präsident eingeschränkt und Forschung immer mehr durch Förderprogramme gesteuert werde – auch das ist ein Prozess, der schon seit langem begonnen hat, und der als Belohnungssystem für Anpassung fungiert. Allerdings haben sich viele Wissenschaftler natürlich auch aktiv daran beteiligt, denn auf diese Weise ist es einigen ausgesprochen gut gelungen, den Mainstream nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. So etwas fällt ja nicht vom Himmel. Die Folgen werden jetzt eben besonders drastisch sichtbar. Wortlaut Kempen: „Unkonventionelles Denken, das innovative Wege eröffnet, wird strukturell benachteiligt.“ und: „Erfolg in der Wissenschaft bemisst sich nicht mehr allein am Erkenntnisgewinn, sondern an Zielvereinbarungen mit quantitativen Parametern wie Drittmitteln und Publikationsleistungen.“ Nun, das ist jetzt auch keine neue Erkenntnis. Gerade gestern habe ich ein Gutachten für die Zwischenevaluation im Rahmen einer Juniorprofessur geschrieben und dabei genau festgelegte Kriterien für die Bewertung der Forschungsleistungen vorgelegt bekommen – das ist schon lange Realität und man kann nur versuchen, diese Kriterien, wenn man denn begutachtet, zumindest da auszuhebeln, wo sie einem begründet nicht einleuchten! Und bei jeder Berufung wird darum geschachert, wie viel man an Drittmitteln einwerben MUSS, um das schlechte Grundgehalt ein wenig aufzuwerten; man darf da gar nicht so viel darüber nachdenken, denn das hat alles mit Wissenschaft nichts mehr zu tun – schon lange nicht mehr! Kempens Schlussfolgerung: „“Wissenschaft wird zum Betrieb, und der Betrieb bedroht die wissenschaftliche Freiheit“. Sein Lösungsvorschlag: „Die Einzelförderung für Wissenschaftler muss ausgebaut werden. Hervorragende Wissenschaftler müssen ausreichend Mittel erhalten, um Forschungen ohne inhaltliche Vorgaben vorantreiben zu können“. Und wer bestimmt wie, wer „hervorragend“ ist? Das soll eine Lösung sein? Wie wäre es mit einer prinzipiell besseren Ausstattung und ideellen Aufwertung von Wissenschaft und Bildung, mit einem Umdenken in unserer Gesellschaft in die Richtung, dass es noch mehr Verpflichtungen als ein schnelles und kontinuierliches Wirtschaftswachstum gibt?
Schluss mit professionellem Dilettantismus
Geschichten sind eingängig und wenn sie auch noch wahr sind, regen sie besonders zum Nachdenken an. Ich hätte da eine Geschichte:
„Wie andere Produktionsbetriebe auch, war die Schuhindustrie in der Sowjetunion [Anm.: zur Zeit des Prager Frühlings] durch geringe Arbeitsproduktivität und eine gewaltige Ressourcenverschwendung geprägt. Niemand hatte einen Anreiz, sich Mühe zu geben […]. Die nächstliegende Lösung, nämlich die Einführung von Märkten, war aus ideologischen Gründen nicht möglich. So blieben nur künstlich inszenierte Wettbewerbe, um bestimmte positive Effekte einer Marktwirtschaft zu simulieren … Also begannen die Wirtschaftsexperten mit der Suche nach Leistungskriterien, um deren Erfüllung sich die Arbeiter dann einen Wettbewerb liefern sollten. Für die Schuhindustrie kamen die Experten auf die brillante Idee, einen Wettbewerb um möglichst hohen Materialverbrauch zu veranstalten und den besten Arbeitern dann entsprechende ´Leistungsprämien´ zu zahlen. Der Gedanke hinter dieser Tonnenideologie ist durchaus nachvollziehbar. Wer mehr Schuhe produziert, braucht mehr Material, dessen Verbrauch sich wiederum in Gewichtseinheiten messen lässt. Doch das Resultat war anders, als die Experten sich dies vorgestellt hatten. Im Verlauf weniger Jahre wurden die Schuhe immer schwerer. Die zuvor nur wenig motivierten Arbeiter in der Schuhindustrie zeigten sich plötzlich innovativ und entwickelten kontinuierlich neue Modelle, bei denen sie noch mehr Material verwenden konnten“ (Binswanger, 2010, S. 47 f.).
Wem kommen da nicht sofort analoge, aktuelle Beispiele aus dem eigenen Bereich der Forschung und Lehre in den Sinn? Künstlich inszenierte Wettbewerbe haben sich ja geradezu zum Leitparadigma der Hochschulpolitik und Hochschulen entwickelt. Auch dazu weiß Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre, in seinem Buch „Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren“ (2010 im Herder Verlag erscheinen) zu berichten. Werner Hartmann hat mich auf das Buch aufmerksam gemacht und ich habe es mit Gewinn gelesen.
Insbesondere der erste Teil war für mich sehr interessant: Hier zeichnet Binswanger anhand anschaulicher Beispiele die Genese der heute allgegenwärtigen Marktgläubigkeit nach und beschreibt die Illusionen, die mit künstlichen Wettbewerben ohne echten Markt geschürt werden. Zudem begründet er nachvollziehbar, dass man qualitative Leistungen nicht mit Kennzahlen messen kann, und warum man, wenn man es dennoch macht, Unmengen von Bürokratie und perverses Verhalten erzeugt. Im zweiten Teil wendet er seine Überlegungen auf die Bereiche Wissenschaft, Bildung und Gesundheitswesen an. Seine Folgerungen am Ende des Buches sind entsprechend konsequent. So bezeichnet es Binswanger (2010, S. 216) z.B. als kontraproduktiv, „Wissenschaftler, Professoren, Lehrer oder Ärzte unter den Generalverdacht der Leistungsverweigerung zu stellen und in jedem ein potentiell schwarzes Schaf zu vermuten, aus dem man eine gute Leistung mit einem Zuckerbrot herauskitzeln oder mit der Peitsche herausprügeln muss.“ Er plädiert dafür, wieder subjektive Verantwortung zu übernehmen, statt sich auf pseudo-objektive Zahlen zu verlassen: „Ein begründetes subjektives Urteil kann man nur abgeben, wenn man über das zu beurteilende Individuum und dessen inhaltliche Tätigkeit Bescheid weiß. Doch dieser Mehraufwand lohnt sich. Die Verdrängung des Inhalts durch Form ist nämlich eines der Hauptprobleme der Verwendung von ´objektiven Kennzahlen´. Immer mehr ´Leistungen´ und ´Qualitäten´ werden gemessen, evaluiert und beurteilt, ohne dass irgendjemand Ahnung hat, was sich inhaltlich dahinter verbirgt. Und mit diesem professionellen Dilettantismus gilt es aufzuhören“ (Binswanger, 2010, S. 223). Man ist angesichts solcher Zitate in Versuchung, das Buch allen Unileitungen zu empfehlen.
Über den Tag hinaus denken
„Oberstes Gebot der Kommunikation in den Wissenschaften ist es, Wissen genau und unmissverständlich zu kommunizieren. Texte stellen dabei eine Art Transportmittel für Wissen dar. Das Wissen muss im Text so ´verpackt´ sein, dass es den Transport heil übersteht und vom Empfänger wieder dem Text entnommen werden kann“ (Kruse, 2010, S. 57). Dass es viel Scherben auf diesem Transport geben kann, ist mir in den letzten Tagen wieder so richtig bewusst geworden, als ich etliche Hausarbeiten von Studierenden gelesen, kommentiert und bewertet habe. Nicht bei allen, aber bei vielen dieser Arbeiten stehe ich ratlos vor einzelnen Sätzen, Abschnitten oder ganzen Kapiteln und frage mich, was wohl der eigentliche „Transportgegenstand“ war und wie es sein kann, dass ich so viele Verständnisprobleme allein auf der sprachlichen Ebene habe. Ich sitze da mitunter vor Sätzen, die ich aufschlüsseln muss wie einen lateinischen Text, erahne dann allenfalls die Botschaft, die da „verpackt“ wurde, und frage mich natürlich: Woher kommt das? Die meisten dieser Studierenden können z.B. bei mündlichen Präsentationen doch einigermaßen schlüssig formulieren, einige auch argumentieren. Die Schriftform scheint dann wie ein Katalysator für eine Entstellung dessen zu wirken, was man mitteilen möchte. Auch bei Doktoranden gibt es das bisweilen: Schachtelsätze, Nominalstil und neutrale sowie Passivkonstruktionen scheinen eine wissenschaftliche Verpackung zu signalisieren. Schlimm ist dann nur, wenn man nach dem mühevollen Auspacken erkennen muss, dass das Innere leer ist. Neben diesen Sprachproblemen, die aus meiner Sicht massiv unterschätzt werden, sind es natürlich die bekannten Hürden, über die Studierende stolpern: keine genaue Eingrenzung des Themas, zu wenig oder zu diffuse Recherche, handwerkliche Fehler beim Zitieren und Schwierigkeiten, eine klare Struktur und Argumentationslinie zu finden. Ich bemühe mich in der Regel, ausführlich Rückmeldung zu geben – immer mit dem Bewusstsein, dass dieses Feedback womöglich gar nicht gelesen, oder aber nicht verstanden, oder aber emotional abgelehnt wird (siehe zu diesem Problem auch die interessante Diskussion in Christians Blog: hier).
Nun ist mir vor kurzem ein dazu wunderbar passendes Buch in die Hände gefallen: Lesen und Schreiben von Otto Kruse, das sich an Studienanfänger richtet. Ich habe es gelesen und kann es JEDEM empfehlen – Studierenden wie auch Doktoranden (!), weil es auf einfache und klare Weise deutlich macht, dass und wie Lesen und Schreiben integraler Bestandteil jeder Wissenschaft sind, geübt werden wollen und zum Denken dazugehören! „Ich muss das jetzt nur noch runterschreiben“ – diesen Satz höre ich manchmal auch von Doktoranden und genau das deutet auf ein fundamentales Missverständnis der Funktion speziell des Schreibens für wissenschaftliches Denken und Handeln hin. Kruse bezeichnet es als „epistemisches Schreiben“ (dazu gibt es auch einen Blogbeitrag von Peter Baumgartner: hier), was ich hier meine: also ein „Schreiben zur Wissensgewinnung“. Otto Kruse gibt den Studierenden gegen Ende seines Buches einen guten Rat, den ich nur unterstreichen kann: „Wenn Sie lernen wollen, kompetent mit Sprache in Wissenschaft und Beruf umzugehen, müssen Sie über den Tag hinaus denken. Literalität ist nicht einfach Erwerb einiger Teilkompetenzen, die sich dann zu perfekter Handlungsfähigkeit verbinden, sondern Literalität ist integraler Bestandteil Ihrer intellektuellen und fachlichen Entwicklung. Lesen und Schreiben trainieren Selbständigkeit im Umgang mit Wissen, sie verhelfen Ihnen zur Entwicklung eigener Expertise und verlangen von Ihnen, eigene Standpunkte zu vertreten wie auch die anderer zu erkennen“ (S. 152).
Aktualisierter Studientext zum Didaktischen Design
Wie vor kurzem angekündigt, kann ich nun auf die überarbeitete Fassung meines Studientextes zum Didaktischen Design hinweisen.
Der Text ist auch auf unserer Uni-Web-Seite hier erreichbar.
Die neue Fassung habe ich nicht nur korrigiert, sondern an vielen Stellen auch inhaltlich überarbeitet: Einige Abschnitte (vor allem in der Einführung) wurden vereinfacht, andere ergänzt und aktualisiert; auch einige Umstellungen habe ich vorgenommen. Zudem habe ich aktuelle Literatur integriert und natürlich auch das neue elektronische Lehrbuch L3T in die Lektüre-Empfehlungen aufgenommen.
Viele Texte werden nach Aktualisierungen immer länger. Ich habe mich bemüht, das möglichst in Grenzen zu halten; zwar habe ich ein paar Punkte ergänzt, dafür aber an anderen Stellen auch etwas gekürzt. Grade die Kompaktheit des Textes war und ist mir als Einführungstext für Studierende wichtig. Ich hoffe, dass die Änderungen zur weiteren Verbesserung beigetragen haben.