Wichtiger als Antworten

Zwei Jahre ist es jetzt schon her, als ich kurz vor Weihnachten ein kleine „Weihnachtserlebnis“ mit einem Mädchen im Grundschulalter an der Bahnstation Haunstetter Straße in Augsburg hatte. Ihre Frage „Geht´s hier nach Italien?“ war der Aufhänger für meine kleine Geschichte zu Weihnachten 2008. Das war immerhin eine Frage, die man grundsätzlich beantworten konnte. Komischerweise habe ich in den letzten Tagen viel an eine Kinder-Frage denken müssen, die bereist 15 (!) Jahre zurück liegt – an die Frage eines Zweieinhalbjährigen, auf die ich erst mal keine Antwort wusste: „Wo war die Welt, als ich noch nicht auf der Welt war?“ Diese Frage habe ich nicht vergessen – ich kann sie gar nicht vergessen, und dennoch wundere ich mich, warum sie mir gerade im Moment wieder so häufig durch den Kopf geht. Das Interessante an dieser Frage ist ja, dass sie sich (grammatikalisch) auf die Vergangenheit bezieht und doch (inhaltlich) auf die Zukunft gerichtet ist, nach dem Motto: Ich wüsste gerne, was es vor mir gab, ob es da überhaupt was (ohne mich) gab; aber an sich interessiert mich, was jetzt und in Zukunft ist und welche Rolle ich dabei spielen werde. Aus dem Mund eines Kindes ist es eine Frage, die Zuversicht ausstrahlt: Jetzt bin ICH da und vielleicht verändere ich die Welt. Welche Frage stellt man sich wohl, wenn man vorzeitig und freiwillig wieder aus diesem Leben geht? Fragt man sich: „Wo wird die Welt sein, wenn ich nicht mehr auf der Welt bin?“ Wahrscheinlich nicht – jedenfalls nicht, wenn man schon drei, vier oder fünf Jahrzehnte gelebt hat, wenn man weiß (oder zu wissen glaubt), wie klein die Rolle ist, die man in der Vergangenheit gespielt hat. Aber vielleicht ist es ja genau nicht so. Vielleicht wandelt man es nur ein wenig ab und fragt sich: „Was macht die Welt, wenn ich nicht mehr auf der Welt bin?“. Dann würde sich der Fragende womöglich weiter im Mittelpunkt wähnen – aber ohne Zuversicht und ohne Chance, damit (noch) die Welt zu verändern. Gut, da werden mir jetzt gläubige Christen (gerade zu Weihnachten) widersprechen, aber als Anhänger des Humanismus (den ich leider nie auf Formularen finde, die sich neugierig nach meiner Glaubensrichtung erkundigen) kann ich nur in lebende Menschen meine Hoffnung setzen.

„Wo war die Welt, als ich noch nicht auf der Welt war?“ Ich glaube, ich habe damals keine Antwort geben können. Aber das ist womöglich gar nicht wichtig gewesen. Wichtiger als Antworten erscheint mir ohnehin, dass man Kindern und allen, die noch jung genug sind, daran zu glauben, dass sie die Welt verändern können, darin bestärkt, dass dies möglich ist – egal wie klein die Rolle letztlich ist oder sein wird, die man dafür zur Verfügung hat.

Ich wünsche allen (aller Glaubensrichtungen) ein schönes Weihnachtsfest. Ich melde mich wieder im neuen Jahr 2011.

S-Bahn-Grübeleien

Nächste Woche ist „Trimsterende“. Noch habe ich mich mental nicht so richtig auf die Trimesterstruktur eingestellt. Nahtlos geht es im neuen Jahr ins Wintertrimester und im Anschluss daran sofort ins Frühjahrstrimester. Das bedingt auch für mich neue Vorbereitungsverfahren. Unser Doktorandenkolloquium habe ich da ein wenig angepasst: Da haben wir nun den Herbstzyklus beendet und beginnen wieder im April. Letzte Woche war daher auch unser letzter Writers´ Workshop. Eine allererste Bilanz findet sich hier; im neuen Jahr werden wir die Evaluationsergebnisse auswerten und mehr sagen können.

Am Ende eines Doktorandenkolloquiums geht mir immer einiges durch den Kopf: was gelungen war, was nicht so, was ich hätte besser machen können, was sich als schwierig bei der Betreuung herausgestellt hat und woran das liegt etc. Das Ergebnis der diesjährigen Grübelei (die sich vorrangig in der S-Bahn abspielt ;-)) ist eine recht generelle Überlegung zur Heterogenität von Doktorandengruppen – jedenfalls wie ich sie erlebe. Diese Überlegung habe ich in Form einer „Doktoranden-Matrix“ versucht, deutlich zu machen, was ich an dieser Stelle gerne öffentlich zur Diskussion stelle. Vielleicht gibt es ja weitere Meinungen und Erfahrungen von „Doktorvätern und -müttern“, die helfen könnten, diesen Punkt (es ist nur ein Ausgnagspunkt!) weiterzudenken.

Doktoranden-Matrix

Nachtrag (20.12.2010): Natürlich freue ich mich auch über die Meinungen und Erfahrungen von Doktoranden, die sich beim Kommentieren in der Regel leichter tun als Professoren (von einigen Ausnahmen einmal abgesehen) 😉

Dokumentierte Spinnerei

Was hat die Hochschulrektorenkonferenz mit dem Web 2.0 zu tun? Nichts, werden die meisten sagen. Sie hat die „neuen“ (schon langsam in die Jahre kommenden) Entwicklungen des Internets und diverser Anwendungen zur Kenntnis genommen, werden andere entgegnen, nämlich die, die (wie z.B. Mandy) bereits auf die „HRK-Handreichung Herausforderung Web 2.0“ gestoßen sind (hier online). Die Handreichung ist (ich nehme mal an dank einiger Experten, die da auch namentlich genannt werden und hinzugezogen wurden) als ein kompakter Überblick aus meiner Sicht ganz gut geeignet, wenn sich jemand erstmals über Nutzungsszenarien von Web 2.0-Anwendungen in der Hochschule informieren will. Das wird verständlich und mit ausgewählten Beispielen auch relativ anschaulich gemacht.

Ähnlich wie Mandy finde ich es grundsätzlich gut und begrüßenswert, dass das Thema überhaupt aufgegriffen wird. Allerdings besteht ein wenig die Gefahr, dass es eine dokumentierte Sammlung von ein paar Spinnern bleibt, die offenbar zu viel Zeit haben, dass sie sich mit solchen Spielereien beschäftigen. Das nämlich ist durchaus eine Facette in der (teil-)öffentlichen Wahrnehmung von Personen/Lehrenden, die versuchen, die immer wieder neu sich verbreitenden Software-Anwendungen verschiedenster Art auszuprobieren und in Wissenschaft und Lehre nutzbar zu machen. Sinnvoller wäre es mir erschienen, im Kontext von Qualität in Lehre, Forschung und übrigens auch Verwaltung(!) die Frage zu stellen, ob und wenn ja, wie Web 2.0-Anwendungen hierbei eine Rolle spielen können. Ansonsten besteht nämlich wieder mal die Gefahr, dass man ausgehend von einer neuen Technologie verkrampft danach sucht, wo man die denn jetzt einsetzen könnte, statt ausgehend von einem Problem oder einer Herausforderung nach geeigneten Lösungen und dazu brauchbaren Werkzeugen Ausschau zu halten. Es geht ja letztlich, so meine ich, NICHT darum, wie man das Web 2.0 in die Hochschulen bringt (so wie jede größere Firma erst in Second Life und dann in Facebook vertreten sein wollte). Eher geht es darum, wie wir künftig die immensen Anforderungen bewältigen, die auf uns zukommen:

Wie motivieren wir die Studierenden für ein selbstverantwortliches Studieren trotz faktisch gestiegener Vorgaben im Bachelor? Wie vermitteln wie den Nutzen wissenschaftlichen Denkens und Handelns für die Persönlichkeit, den Beruf und die Gesellschaft trotz anhaltender Ökonomisierung allen Tuns? Wie kann es uns gelingen, Forschung und Lehre zusammenzubringen trotz der immer noch vorherrschenden Dominanz der Forschung für Wissenschaftlerkarrieren? Und, und, und … Das Web 2.0 löst diese Probleme nicht für uns. Ich bezweifle auch zunehmend flächendeckende Chancen der Web 2.0-Nutzung in der Lehre, weil die Voraussetzungen oft fehlen. Dennoch empfinde ich die heute verfügbaren Web 2.0-Anwendungen als eine herausragende Bereicherung – unter anderem dafür, dass völlig neue Informations-, Kommunikations- und Lernkulturen entstehen können. Da verändert sich der Umgang mit Information, die Artikulation und Verbreitung von Meinungen, der Dialog und die Sicht auf „Experten“, da können sich Machtverhältnisse verschieben und neue Einflusskräfte entwickeln etc. Und da frage ich mich jetzt schon: Wie viel kulturellen Wandel verträgt eine Institution wie die HRK?

Kompetenzen auf dem Papier

Gestern habe ich im Zug mehrere Artikel zum Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) in der aktuellen Ausgabe von Forschung und Lehre gelesen. In den DQR sollen sämtliche Ausbildungsberufe und Studiengänge eingeordnet werden. Im Hintergrund steht der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR), der eine Empfehlung, aber nicht rechtsverbindlich ist (Erläuterung dazu hier). Der DQR soll die Transparenz im Ausbildungssystem verbessern, langfristig auch die Ergebnisse informellen Lernens einbeziehen und gleichzeitig die Durchlässigkeit einzelner Bildungsinstitutionen erhöhen. Und wie im Zusammenhang mit der Bologna-Reform im Hochschulbereich liest man hier, dass statt einer Input-Orientierung die Output-Orientierung zu gelten hat. Das heißt: Kompetenzen zählen, egal wo wie und in welchem Zeitraum man diese erworben hat. Es gilt das Prinzip der „Gleichwertigkeit“, nicht der „Gleichartigkeit“, sodass die in der beruflichen Bildung erworbenen Kompetenzen und die akademisch erworbenen Kompetenzen auf der glichen Niveaustufe stehen können (sollen).

Ich habe da ja zunehmend meine Zweifel, wie das gehen soll. Diesen Zweifeln liegen mehrere Überlegungen zugrunde.

Punkt 1: Ich kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass und wie „gleichwertige Ergebnisse“ völlig unabhängig von Inhalten und Kontexten zustande kommen. Wie soll ich mir das denn vorstellen, dass jemand in seiner beruflichen Ausbildung etwa zum Einzelhandelskaufmann Wissen erwirbt, die „gleichwertig“ etwa zu genuin wissenschaftlichen Kompetenzen eines Bachelor-Absolventen an der Universität sind? Was genau ist da „gleichwertig“? Gleichwertigkeit im Sinne einer gesellschaftlichen Anerkennung individueller Potenziale und Expertisen – ja, da in ich dabei. Aber ist das nicht etwas anderes als eine vergleichbare Ausgangsbasis für eine weitere wissenschaftliche Qualifizierung (z.B. für einen Master)?

Punkt 2: Es klingt ja verlockend zu hören, dass zählt, was man weiß und kann und nicht das, was einem jemand etwa allein via Anwesenheit auf einem Schein bestätigt hat. Wo aber bleiben dann die Assessment-Verfahren, die genau das feststellen helfen? Wer soll diese anbieten und durchführen? Und wenn das massenhaft geschieht, dann dürfte doch wohl klar sein, dass man auf simple Prüfverfahren zurückgreift, die kaum etwas mit dem zu tun haben werden, was einem vorschwebt, wenn man an „Handlungskompetenz“ denkt. Verschiebt man nicht also das Problem und auf Kosten welcher Personengruppen wird das gehen? Wieso ist das kaum ein Thema in der Diskussion zum DQR?

Punkt 3: Wenn ich lese, wie man laut den Richtlinien des DQR beispielsweise ein Modulhandbuch eines Bachelorstudiengangs den insgesamt acht Niveaustufen sowie den Kategorien „Wissen“, „Fertigkeiten“, „Selbstkompetenz“ und „Sozialkompetenz“ zuordnen soll und welche tollen Tabellen dabei herauskommen, frage ich mich, ob man da nicht durch die Hintertür nur eine neue Input-Orientierung kreiert. Denn was bitte haben die Ziele und Pläne in einem Studiengang wirklich mit dem zu tun, was letztlich herauskommt? Bei so einem Verfahren produziert man letztlich aus Papier neues Papier, man arbeitet mit Kompetenzen auf dem Papier, aber nicht mit tatsächlich erworbenen. Wo also ist eigentlich der große Gewinn im Vergleich zu alten Curricula?

Politiker sowie Vertreter der Hochschulrektorenkonferenz und des Wissenschaftsrats äußern sich dennoch begeistert über den DQR – meist mit Verweis auf die ökonomischen (!) Vorteile (auch dazu eine Gegenüberstellung verschiedener Meinungen in Forschung und Lehre). Allein der Präsident des Deutschen Hochschulverbands mag in die Euphorie nicht einstimmen und kommt zu dem sinnigen Schluss: „Dem Aufwand steht kein gleichwertiger Nutzen gegenüber“.

Männer unter sich

Andrea Back hat mich auf einen sehr interessanten Text bzw. auf ein Memorandum vom September 2010 aufmerksam gemacht, in dem sich führende Wirtschaftsinformatiker aus Deutschland für eine „gestaltungsorientierte Wirtschaftsinformatik“ stark machen. An anderer Stelle in diesem Blog (hier) habe ich bereits auf einige aus meiner Sicht bestehende Parallelen in der methodischen und wissenschaftstheoretischen Diskussion zwischen der Wirtschaftsinformatik einerseits und den Bildungswissenschaften, speziell der Mediendidaktik andererseits hingewiesen. Das Memorandum ist erfreulicherweise online (nämlich hier) zugänglich.

Ausgangspunkt des Papiers ist die aktuelle Entwicklung in der Wirtschaftsinformatik, die sich „von einer innovativ gestaltenden zu einer beschreibenden Disziplin entwickelt“. Grund sind die im englischsprachigen Bereich vorherrschenden Forschungsstrategien, die im weitesten Sinne experimentell und quantitativ ausgerichtet sind. Da auch in der Wirtschaftsinformatik Internationalität gefragt ist und entsprechend englischsprachige Zeitschriften im Fokus des Interesses von Forschern stehen, passen sich diese den dort gesetzten Normen an. Gerade bei dieser Skizze der Ausgangslage und aktuellen Entwicklung sind die Parallelen zur Bildungswissenschaft sehr deutlich zu erkennen – da könnte man einfach ein paar Worte austauschen und schon würde es auch für unsere Disziplin gelten.

Im weiteren Verlauf wird deutlich gemacht, dass es nicht darum gehe, eine gestaltungsorientierte Wirtschaftsinformatik in den Vordergrund zu stellen, sondern ein Verdrängen derselben zu verhindern und einen Methodenpluralismus anzustreben und zu praktizieren. Als Erkenntnisziele werden sowohl die „Entdeckung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen“ als auch „Handlungsanleitungen (normative, praktisch verwendbare Ziel-Mittel-Aussagen)“ genannt. Auch das lässt sich fast schon eins-zu-eins in die Bildungswissenschaft übertragen. Allerdings vertrete ich persönlich die Meinung, dass auch Entwicklungsarbeiten unter bestimmten Bedingungen einen grundlagenorientierten Erkenntniswert haben können.

Am Ende des Memorandums wird versucht, gewisse Prinzipien man könnte vielleicht auch sagen: erste, grobe Standards, zu formulieren, die jede Form von Forschung in der Wirtschaftsinformatik, auch die gestaltungsorientierte, einhalten muss: Abstraktion, Originalität, Begründung und Nutzen (das habe ich schon mal in Ulrich Franks Texten gelesen, der auch zu den Autoren gehört). Unter anderem heißt es dann noch: „Die Wirtschaftsinformatik beschäftigt sich mit der Gestaltung soziotechnischer Systeme und hat es daher mit einer sehr große Zahl von Faktoren zu tun, die deterministische Lösungen weitgehend ausschließt. Artefakte der Wirtschaftsinformatik sind selten (formal) beweisbar, sondern basieren darauf, dass sie von Experten, die den Stand der Wissenschaft und Praxis kennen, anhand der vorgelegten Begründung oder auf Basis ihrer Implementierung … akzeptiert werden“. Wenn das schon der Wirtschaftsinformatiker sagen kann, wie viele Argumente hätte dann der Bildungswissenschaftler für einen Methodenpluralismus einschließlich gestaltungsorientierter Strategien?

Ich finde, wir bräuchten auch so ein Memorandum, oder?

Nebenbei sei noch bemerkt: Auffällig ist, dass unter den insgesamt zehn Autoren keine einzige Frau ist – gibt es die nicht in der Wirtschaftsinformatik oder haben sie nichts zu sagen? 😉

Über den eigenen Tellerrand blicken

In diesem Herbst/Winter ist unser Doktorandenkolloquium relativ variantenreich: drei Writers´ Workshops (siehe z.B. hier), von denen noch einer (in zwei Wochen) aussteht, ein „normaler“ Termin mit der Vorstellung erster Dissertationsideen von angehenden Doktoranden sowie zwei Workshops mit externen Gästen. Gestern war der zweite dieser Workshops, der unter dem Thema „Tutoring-Coaching-Mentoring an Hochschulen“ stand – natürlich auch mit Bezug zur Nutzung digitaler Medien (siehe auch hier). Den Einstieg machten drei Kurzpräsentationen zur Klärung der Begriffe Tutoring, Coaching und Mentoring, was Hannah, Marianne und Silvia übernommen haben. Im Anschluss daran durften wir unsere Gast Marc Egloffstein begrüßen, der seine Forschungsarbeiten zum mediengestützten Tutoring im Rahmen eines Kurses zum wissenschaftlichen Arbeiten an der Hochschule vorstellte. In Kleingruppen haben wir dann im zweiten Teil des Kolloquiums theoretische, praktische und empirische Aspekte speziell von Tutoring und Coaching im Rahmen der Hochschule diskutiert.

Mich persönlich haben gestern vor allem praktische und empirische Fragen bewegt:

Praktisch habe ich mir schon des Öfteren die Frage gestellt, was man eigentlich alles an studentische Tutoren delegieren kann und was nicht, wer ein Tutor sein kann und welche Unterstützung nötig ist u. ä. Ob es immer so gut ist, gerade Themen wie wissenschaftliches Arbeiten im ersten Studienabschnitt fast ausschließlich in die Hände studentischer Tutoren zu legen, bezweifle ich. Meist werden organisatorische Gründe angeführt (zu viele Studierende), aber auch Statusgründe (Profs kümmern sich allenfalls um die Absolventen in Sachen wissenschaftliches Arbeiten). Ob das wirklich sinnvoll ist? Dazu kommt, dass man wohl, so meine Überlegung, Methodenlehre und wissenschaftliches Arbeiten (im Sinne einer wissenschaftlichen Haltung sowie wissenschaftlichen Denkens und Handelns) besser verknüpfen, aufwerten und anders organisieren müsste. Tutoren sollten da eingebunden werden, aber eben „eingebunden“ und nicht alleinig beauftragt.

Empirisch sind es immer wieder ähnliche Fragen, bei denen ich hängen bleibe. Speziell bei der Forschung zum Lernen und Lernen ist mir gestern nochmal aufgefallen, dass man mehr darüber nachdenken müsste, inwieweit Erhebungen auch Interventionen sind (z.B. Interventionen zur Anregung von Reflexion), ob man das als „Störproblem“ interpretieren oder auch mal anders nutzen könnte. Außerdem haben wir ein bisschen über die Dominanz von Befragungen auf unserem Gebiet diskutiert, wofür es viele gute Gegenargumente gäbe, und wir sind mal wieder bei der Frage gelandet, wie sinnvoll die Übernahme einer eher naturwissenschaftlichen Forschungsauffassung für die Bildungswissenschaften sind.

Fazit: Ich stelle immer wieder fest, dass es eine große Bereicherung ist, Gäste im Kolloquium zu haben, die auch einen aktiven Beitrag leisten, mit uns diskutieren und über diesen Weg dabei helfen, dass man ab und zu über den Tellerrand der eigenen Gruppe blickt. Ich hoffe sehr, dass wir das im nächsten Kolloquiumszyklus (April bis Juni 2011) fortsetzen können.

Wer spricht denn von Wissensmanagement?

Ich weiß: Über das Thema Verwaltung habe ich in diesem Blog schon öfter mal geschrieben. In einer der letzten Sitzungen meinte ein Kollege ganz erzürnt, er werde doch nicht für Verwaltungsarbeit bezahlt und würde jetzt einfach mal alles liegen lassen. Wer hat sich nicht schon diese Frage gestellt und sich in kühnen Tagträumen ausgemalt, einfach mal keine Verwaltungsarbeiten mehr zu übernehmen. Gut, man ist als Professor zur „akademischen Selbstverwaltung“ verpflichtet. Es fragt sich nur, was da alles dazugehört. Sekretariatsstellen werden in München zunehmend eingestampft. Aber welcher Prof braucht heute noch eine persönliche Sekretärin? „Bändchen abtippen“, Termine vereinbaren, den Prof vor unangemeldetem Besuch schützen, Telefonate durchstellen – das ist von vorgestern und wäre wahrscheinlich vielen von uns eh nur lästig. Also okay – wir brauchen keine klassischen Sekretariate mehr. Man hatte da (in München und woanders auch?) die Idee und Hoffnung, das würde durch „Assistenzstellen“ etwa für Forschung oder Lehre ersetzt. Nun aber mehren sich die Stimmen, die meinen, das sei wohl eher ein frommer Wunsch gewesen.

Also macht man alles selber!? Drittmittelanmeldungen, Personaleinstellungen, Finanzberechnungen, Kontrolle kryptischer Kontoauszüge, Materialbestellungen usw. usw. Nun wäre das an sich vielleicht gar nicht das Schlimmste. Was mir aber wirklich den letzten Nerv raubt ist, dass viele dieser Vorgänge pseudoformalisiert, in Wirklichkeit aber überhaupt nicht vernünftig und vor allem nicht systematisch festgeschrieben und natürlich nirgendwo dokumentiert sind. Seit über einem halben Jahr bin ich permanent auf der Suche nach Informationen, die ich mir an den verschiedensten Stellen zusammensuche – bisweilen mit der Erkenntnis, dass die Auskunft von zwei Stellen zum selben Vorgang keineswegs identisch sein muss. „Muggling through“ – das scheint eine wichtige Strategie zu sein, die aber dann nicht mehr funktioniert, wenn sich die Vorgänge häufen, die man unter einen Hut bringen muss. Ich verstehe das einfach nicht, warum Universitätsverwaltungen dieses Problem nicht vernünftig in den Griff bekommen. Wer spricht denn von Wissensmanagement? Es geht um simples Informationsmanagement, um die prägnante, online zugängliche Dokumentation von Abläufen in einer verständlichen Sprache, die auch für Wissenschaftler nachvollziehbar ist.

Was wir bräuchten, wären so was wie „Schnittellenmanager“ zwischen den Fakultäten (und da am besten getrennt für Forschung und Lehre) und der Verwaltung, damit wir – die Wissenschaftler – feste Ansprechpartner hätten und nicht rumgereicht werden müssten wie Valentins Buchbinder Wanninger. Die Verwaltungsangestellten können dafür in der Regel nichts, das ist ein strukturelles Problem, das man mal „Top-down“ lösen müsste.

In der Zwischenzeit kann man wohl nur selbst versuchen, solche Dokumentationen zu erstellen, und sollte diese dann altruistisch anderen – vor allem neuen Kollegen/innen – zur Verfügung stellen. Und klar, da fragt man sich dann schon: Wird man dafür tatsächlich bezahlt?

Lieber Herr Professor Lenzen

Lieber Herr Professor Lenzen,

vielen Dank für Ihre Kritik an der projektorientierten Universität (ich beziehe mich auf diese Online-Version vom 04. November 2010). Sie thematisieren damit etliche Dinge, über die sich viele von uns schon lange wundern, gegen die sich einige von uns ebenso lange gewehrt haben, und mit denen wenige von uns zu Herren über Projektimperien aufgestiegen sind. Ich stimme Ihren Analysen zu: Wir leben und arbeiten in den Hochschulen heute kurzatmig und oft am Rande des „Burn-out“. Wir beschäftigen fast alle wissenschaftlichen Mitarbeiter befristet und sind auf deren Bereitschaft zur Mehrarbeit angewiesen etc.

Ich habe aber viele Fragen, was Ihre Lösungsvorschläge betrifft: (a) Wir sollen das Tempo verlangsamen, mit dem immer neue Projekte beantragt werden. Gute Idee, aber wie finanziere ich den Nachwuchs, für den ich mich verantwortlich fühle, den ich fördern und die Chance geben möchte, wenigstens die Dissertation fertigzustellen? (b) Wir sollen gründlich sein beim Analysieren und Veröffentlichen und dabei ruhig Zeit beanspruchen. Auch eine gute Idee, aber werden das die nächsten Berufungskommissionen auch so sehen, denen sich junge Wissenschaftler oder solche stellen, die nochmal wechseln wollen? (c) Sie fordern längere Beschäftigungszeiten und Konstanz einer Gruppe. Da werden Sie nur Zustimmung ernten, aber wer zahlt? (d) Sie fordern Vertrauen in die Leistungsbereitschaft der Wissensproduzenten statt immer neuer Prüfungen und Bewährungsverfahren. Das klingt gut und nach „guten alten Zeiten“, die wohl all die, die zwischen 30 und 45 sind, nur vom Hörensagen kennen. Aber wer hat uns das eigentlich eingebrockt? Bezeichnend nämlich ist, dass die inzwischen schärfsten Kritiker der jetzigen Zustände in der Regel der Wissenschaftlergeneration angehören, die sich für Neuerungen wie das New Public Management oder Internationalisierung (als Selbstzweck) vehement eingesetzt haben, die eine Projektkultur gefordert und gefördert haben, um die Leistungs- und Innovationsbereitschaft unserer verstaubten Universitäten auf Vordermann zu bringen.

Gegen diesen Sinneswandel habe ich im Prinzip nichts. Im Gegenteil: Gott sei Dank werden die Stimmen der Kritiker lauter. Erfahrung macht klüger, und man kann begründet seine Meinung ändern. Aber was jetzt kommen muss, sind Taten! Und da – so meine ich – müssen die vorangehen, die zu Machtpromotoren aufgestiegen sind, die Universitäten leiten, die die Verbindung zur Politik herstellen können. Und von denen wünsche ich mir mutige Sätze und ein starkes Engagement für eine selbstverantwortliche Wissenschaft ebenso wie für die von Ihnen angesprochenen kulturellen und sozialen Innovationen, die wir neben den technischen Innovationen wohl dringender brauchen denn je.

Lieber Herr Professor Lenzen, wenn Sie es schaffen, das, was Sie sagen und schreiben, an Ihrer Universität umzusetzen, wenn Sie ein Modell liefern, wie es geht, und nicht nur eines, wie es sein könnte, dann würde wohl die Mehrheit der Wissenschaftler zu Recht mit Bewunderung und (hoffentlich) Nachahmungsdrang nach Hamburg blicken.

Viele Grüße

Gabi Reinmann

Lieber Herr Professor Lenzen,

vielen Dank für Ihre Kritik an der projektorientierten Universität (ich beziehe mich auf diese Online-Version vom 04. November 2010). Sie thematisieren damit viele Dinge, über die sich viele von uns schon lange wundern, gegen die sich einige von uns ebenso lange gewehrt haben, und mit denen wenige von uns zu Herren über Projektimperien aufgestiegene sind. Ich stimme Ihren Analysen zu: Wir leben und arbeiten in den Hochschulen heute kurzatmig und oft am Rande des „Burn-out“. Wir beschäftigen fast alle wissenschaftlichen Mitarbeiter befristet und sind auf deren Bereitschaft zur Mehrarbeit angewiesen etc.

Ich habe aber viele Fragen, was Ihre Lösungsvorschläge betrifft: (a) Wir sollen das Tempo verlangsamen, mit dem immer neue Projekte beantragt werden. Gute Idee, aber wie finanziere ich den Nachwuchs, für den ich mich verantwortlich fühle, den ich fördern und die Chance geben möchte, wenigstens die Dissertation fertigzustellen? (b) Wir sollen gründlich sein beim Analysieren und Veröffentlichen und dabei ruhig Zeit beanspruchen. Auch eine gute Idee, aber werden das die nächsten Berufungskommissionen auch so sehen, denen sich junge Wissenschaftler oder solche stellen, die nochmal wechseln wollen? (c) Sie fordern längere Beschäftigungszeiten und Konstanz einer Gruppe. Da werden Sie nur Zustimmung ernten, aber wer zahlt? (d) Sie fordern Vertrauen in die Leistungsbereitschaft der Wissensproduzenten statt immer neuer Prüfungen und Bewährungsverfahren. Das klingt gut und nach „guten alten Zeiten“, die wohl all die, die zwischen 30 und 45 sind, nur vom Hörensagen kennen. Aber wer hat uns das eigentlich eingebrockt? Bezeichnend nämlich ist, dass die inzwischen schärfsten Kritiker der jetzigen Zustände in der Regel der Wissenschaftlergeneration angehören, die sich für Neuerungen wie das New Public Management oder Internationalisierung (als Selbstzweck) vehement eingesetzt haben, die eine Projektkultur gefordert und gefördert haben, um die Leistungs- und Innovationsbereitschaft unserer verstaubten Universitäten auf Vordermann zu bringen. Dagegen habe ich im Prinzip nichts. Im Gegenteil: Gott sei Dank werden die Stimmen der Kritiker lauter. Erfahrung macht klüger, und man kann begründet seine Meinung ändern. Aber was jetzt kommen muss, sind Taten! Und da – so meine ich – müssen die vorangehen, die zu Machtpromotoren aufgestiegen sind, die Universitäten leiten, die die Verbindung zur Politik herstellen können. Und von denen wünsche ich mir mutige Sätze und ein starkes Engagement für eine selbstverantwortliche Wissenschaft ebenso wie für die von Ihnen angesprochenen kulturellen und sozialen Innovationen, die wir neben den technischen Innovationen wohl dringender brauchen denn je.

Lieber Herr Lenzen, wenn Sie es schaffen, das, was Sie sagen und schreiben, an Ihrer Universität umzusetzen, wenn Sie ein Modell liefern, wie es geht, und nicht nur eines, wie es sein könnte, dann würden alle Wissenschaftler zu Recht nach Hamburg blicken.

Viele Grüße

Gabi Reinmann

Trotzdem

Es gibt Ereignisse, die lassen vieles, was man jeden Tag so macht und denkt, ganz klein und unwichtig erscheinen – Ereignisse, die einen innehalten lassen, einen gewaltsam festhalten und dazu zwingen, auf das zu blicken, was man Alltag nennt: Wie wichtig ist das, noch den letzten unmotivierten Studierenden für etwas zu begeistern? Wie wichtig ist das, einen weiteren Antrag zu schreiben, um an neue Drittmittel zu kommen? Wie wichtig ist das, um Module und Ressourcen zu ringen und dafür stundenlang in Sitzungen zu verbringen? Wie wichtig ist das, sich wegen schlechter Noten von Sohn oder Tochter Sorgen zu machen? Wie wichtig ist das, politische Rahmenbedingungen zu beklagen, die guten Konzepten im Wege stehen? Wie wichtig ist das, über Bildung zu streiten …. etc. Was aber würde passieren, wenn wir uns nur noch um die existenziellen Ereignisse kümmern würden? Würden wir das aushalten? Würde es die Welt besser machen? Stehen nicht die kleinen, selbst scheinbar unwichtigen Dinge des täglichen Lebens mit denen in Verbindung, die uns so aus der Bahn werfen können? Und so denke ich, dass wir es TROTZDEM tun müssen: uns um die kleinen, vielleicht nur scheinbar unwichtigen Dinge Gedanken machen, auch wenn sie erst mal abstrakt erscheinen – uns für die uns anvertrauten Menschen und Aufgaben engagieren, auch wenn sie jetzt und unmittelbar keine Leben retten – uns dort einbringen, wo wir überhaupt etwas bewirken können, auch wenn diese Wirkungen nicht genau absehbar sind.

Es kann sein, dass es in diesem Blog in nächster Zeit etwas ruhiger zugeht. Es kostet etwas Anstrengung, die Dinge trotzdem zu tun, die man – und wahrscheinlich ist das gut so – durch die genannten Ereignisse in Frage stellt, die existenziellen Charakter haben. Es ist mir klar, dass das hier etwas rätselhaft klingt; ich bitte die Leser, mir das nachzusehen. Aber dieser Blog ist ein Blog in meiner Rolle als Hochschullehrerin und Wissenschaftlerin, kein privater Blog. Und dennoch tangiert das Private das Berufliche – und ich möchte dem zumindest in dieser abstrakten Form (bei der es bleiben muss) ein wenig Ausdruck verleihen. Bis demnächst – mit anderen (wichtigen und weniger wichtigen) Themen!

Was lehrt ein Tag der Lehre?

Gestern war ich an der Universität Zürich (die übrigens aus meiner Sicht eine wirklich gute Web-Seite hat!) beim „Tag der Lehre“, der 2009 das erste Mal stattfand. Ziel ist es, auf diesem Wege einen Dialog zwischen Studierenden und Lehrenden anzustoßen. Dazu gibt es verschiedene Aktivitäten auf Fakultäts- und Institutsebene (dezentral organisiert) sowie gesamtuniversitäre Angebote (siehe hier). Ich war zur Abschlussveranstaltung am Tag der Lehre eingeladen und habe einen Vortrag über den Begriff der „Studierendenorientierung“ gehalten. Zum Vortrag gab es eine Plenumsdiskussion, auf die sich die Diskussionsteilnehmer auch ein wenig vorbereiten konnten. Ich wurde nämlich vorab gebeten, eine Art Abstract/Thesenpapier zu liefern, das ich auch hier bereitstelle

Abstract_Thesen_Zuerich_Okt10

Die hinter dem Vortrag stehenden Überlegungen habe ich zusammen mit Tobias Jenert in einem schriftlichen Artikel ausgearbeitet, den wir aber gerade bei einer Zeitschrift eingereicht haben, sodass ich ihn hier im Moment nicht hochladen kann, aber das kommt dann noch – unabhängig davon ob er angenommen wird oder nicht ;-).

Bei der Erarbeitung des Vortrags bzw. Artikels habe ich etliche Überlegungen aufgegriffen, die mir schon seit langem immer wieder durch den Kopf gehen. Aber wie das so ist: Erst infolge von Veranstaltungen oder Publikationen findet bzw. nimmt man sich dann auch die Zeit, das gründlicher zu durchdenken und mit bestehenden Erkenntnissen aus der Literatur zu verbinden. Jedenfalls meine ich, dass es sich gelohnt hat: Es erscheint mir wichtig, sich sowohl in der Theorie als auch in der Praxis sehr genau zu überlegen, was das heißt, wenn man sich zum Prinzip setzt, sich in der Lehre „am Studierenden zu orientieren“. Wenn man es nur nachplappert (ähnlich Begriffen wie Innovation und Nachhaltigkeit), dann sollte man es besser gleich sein lassen. Wenn man eine ganz bestimmte Vorstellung davon hat, dann ist es hilfreich, diese zu explizieren, denn – wie ich im Vortrag versucht habe zu zeigen – es gibt sehr wohl recht unterschiedliche Vorstellungen von Studierendenorientierung. Deutlich wird das vielleicht auf der folgenden Abbildung – auch wenn ich diese an sich ohne nähere Erläuterung nicht so recht mag 😉

Studierendenorientierung

Ich hoffe, dass ich in Zürich einen Beitrag zum Weiterdiskutieren und -denken mit dem Thema „Studierendenorientierung“ liefern konnte. Die Diskussionsrunde (inklusive Plenum) jedenfalls war durchaus rege: Mein Vorschlag, die „Bildungsorientierung“ als mögliche Alternative zur Studierendenorientierung zu betrachten, wurde erstaunlich positiv und produktiv aufgegriffen. Auch im Nachgang der Veranstaltung gab es ein paar interessante Gespräche, die gezeigt haben, dass das Thema die Gemüter bewegen kann und dass eine „Lösung“ freilich nicht in bloßen Begriffen liegen kann.

Und da die Züricher wirklich turbo-schnell sind, gibt es sogar schon einen ausführlichen Bericht über die Veranstaltung, nämlich hier.