Erst mal vielen Dank an Christian, die hier einen langen Kommentar zur Entwurfsmuster-Diskussion geschrieben hat, die unter anderem auch (hier) bei Peter weitergeführt wird.
Christian räumt ein (Zitat): „Zunächst muss ich zustimmen, dass auf den ersten Blick der Muster-Begriff nicht viel Neues bringt. Wir alle sehen und erkennen Muster rund um die Uhr und überhaupt der gesamte Wissenschaftsbetrieb ist ja darauf ausgerichtet, Muster (z.B. als Gesetze oder Prinzipien) zu entdecken. … Muster im Allgemeinen sind meiner Meinung nach die natürliche Ordnungsform der Dinge in der Welt – auf Mikro wie auf Makroebene.“
Was ihm (und nicht nur ihm, nehme ich an), aber fehlt, sind expliziten Musterbeschreibungen, um ein besseres Verständnis von guter Lehre zu erlangen, um von Erfahrungen anderer zu lernen. Bei diesem Satz habe ich mir gedacht, dass meine Assoziation zu Methoden des Wissensmanagements ja gar nicht falsch war, auch wenn wir hier eine empirisch (leider) eher schlecht untersuchte und bisweilen auch recht unreflektierte Praxis vorfinden. Was Christian fordert ist eine „leicht zugängliche Aufbereitung des handlungsrelevanten Wissens“ – das ist aus meiner Sicht eine absolut berechtigte Forderung an die Bildungswissenschaft. Nur, genau hier liegt ein gravierendes Problem auf vielen Ebenen, was erst mal nicht viel mit dem Muster-Ansatz zu tun hat:
- Da haben wir zunächst einmal das Wissenschaftsverständnis, das keineswegs bei allen Teildisziplinen und Fächern, die sich mit Lernen, Bildung und Erziehung beschäftigen, gleich ist und einen Nutzen für die Praxis durchaus nicht immer beinhaltet.
- Dazu gesellt sich dann (davon abhängig) das methodologische Verständnis und verschiedene Auffassungen, welche Aktivitäten überhaupt als wissenschaftliche Aktivitäten gelten dürfen und welche Methoden zu bevorzugen sind.
- Und schließlich würde ich noch die Publikationspraxis anführen: Eine Aneinanderreihung von englischen Artikel mit Peer-Review, die soldatenmäßig nach dem gleichen „Muster“ 😉 gestrickt sind, helfen der Karriere, aber nicht demjenigen, die an sich gerne mit bildungswissenschaftlichen Erkenntnissen die Praxis verbessern will. Wer sich z.B. berufen fühlt, genau das zu tun, was Christian vorschlägt, nämlich zu „analysieren, welche Redundanzen sich in den beschriebenen Gestaltungs- und Handlungsformen befinden“, die man auch in der wissenschaftlichen Literatur findet, und die sich dabei (hoffentlich) herausschälenden Heuristiken explizit beschreibt, der sollte seine wissenschaftliche Karriere möglichst schon beendet haben und keine Fördergelder mehr benötigen – um es mal ein bisschen überspitzt zu formulieren.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich halte das nicht für einen Wohltätigkeitsakt, sondern ich halte das auch für essenziell auf dem Weg zu mehr Erkenntnis im Bereich Lernen und Lehren! Aber diese Position ist kein Mainstream. Würden wir es uns z.B. zum Prinzip machen – ich sage es jetzt mal neudeutsch -, ganze „Workflows“ (Christian bringt als Beispiel die Konzeption von Multiple Choice-Fragen) zu gestalten, zu beschreiben, in klar beschriebenen Kontexten erproben, umzugestalten und wieder (in weiteren Kontexten) zu erproben etc., dann könnte man das (unter bestimmten Voraussetzungen) auch zu Forschungszwecken sehr gut nutzen.
Christian bringt eine gute Analogie, um zu erklären, was er sich von einem Entwurfsmuster erwartet. Ich zitiere: „Entwurfsmuster haben eine bestimmte Abstrahierungsform, die einerseits keine Beliebigkeit der Form zulässt (wie etwa bei allgemeinen Prinzipien), sondern konkret sagt, welche Formklasse gemeint ist: Wenn ich von „Fahrzeug“ spreche, dann ist keine Generativität mehr gegeben, denn damit könnte sowohl ein Fahrrad als auch ein Flugzeug gemeint sein. Wenn ich also sage „Lass uns ein Fahrzeug bauen“ kann man nicht sagen, was dabei später herauskommt (ein Fahrrad oder Flugzeug?). Wenn ich dagegen von der Gestaltung eines „Autos“ spreche, ist klar, dass am Ende kein Boot oder Skateboard herauskommen sollte. Das Muster „Auto“ besitzt also jene Generativität ebenso wie die spezielleren Formen „Cabriolet“ oder „Kombi“. Es gibt Millionen verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten und doch wissen wir etwas über die Form. Dagegen ist das Muster „Twingo“ kein Entwurfsmuster mehr, da es eine zu spezifische, nicht mehr genügend variable Form, beschreibt: Man hat keinen Entwurfsspielraum mehr. Der „Twingo“ ist nur noch eine Schablone. Übertragen auf die Pädagogik könnte die Forderung nach Generativität bedeuten: „Test“ wäre zu abstrakt, da es keinen Gestaltungsraum beschreibt. „Multiple Choice“ ist dagegen ein Entwurfsmuster, da es einen Gestaltungsraum beschreibt. Die Führerscheinprüfung dagegen lässt keinen Gestaltungsspielraum mehr; die Fragebögen sind nur noch Exemplare einer festgelegten Schablone.“ Diese Analogie bringt das berechtigte Bedürfnis seitens der Bildungspraxis sehr gut auf den Punkt. Die Frage ist also, wie wir dahin kommen. Für mich ist es nur eine nebensächliche Frage, ob wir das Entwurfsmuster oder anders nennen. Hier teilen sich natürlich auch wissenschaftliche Interessen: Dass uns nämlich z.B. emergente Prozesse aus den Naturwissenschaften (wie Peter meint) viel weiterhelfen, glaube ich nicht. Ich meine, es ist eher eine Frage der forschungsmethodischen Herangehensweise: Wir müssten viele, viele Einzelfälle sammeln und nach konsensfähigen Dimensionen beschreiben, die man beachten muss, wenn man guten Unterricht hinbekommen will.
Ich bringe dazu auch mal eine Analogie: Wir kennen alle die langen Beipackzettel bei Medikamenten mit der endlosen Liste von Nebenwirkungen, die zustande kommt, weil in einer klinischen Studie vielleicht 1000 völlig verschiedene Personen das Medikament genommen haben und alle zusammen eben zahlreiche Nebenwirkungen und natürlich auch ganz verschiedene erwünschte Wirkungen bei sich bemerkt haben. Die Wirkung (und Nebenwirkungen) des Medikaments beziehen sich also auf einen Durchschnittspatienten, der real nicht existiert. Wie das Medikament bei einem konkreten Patienten wirkt, kann der Arzt also nicht sagen. Hätte man dagegen die tausend Probanden einzelne mit ihren besonderen Merkmalen (Alter, Größe, Gewicht, Geschlecht, Vorerkrankungen, und was man eben sonst noch für wichtig hält) erfasst und in einer Datenbank gespeichert, könnte der Arzt für den konkreten Patienten nach „ähnlichen Mustern“ suchen (also das von Christian genannte „Pattern Mining“) und bei einer zwar viel kleineren Bezugsgruppe viel genauere Hinweise auf die zu erwartenden Wirkungen und Nebenwirkungen geben. Das wären für mich völlig plausible Muster, die Wirkungen (und Nebenwirkungen) kommen sicher emergent zustande, wir könnten konkrete Ratschläge geben und würden darüber hinaus noch eine ganze Menge über die Wirkungsweise lernen. Stellt euch vor, wir hätten so etwas für Fragen, wie man guten Unterricht macht! Dann wäre ich ein Fan der Entwurfsmuster.