„Die Tatsache, dass das Bewertungsspiel der Daten nicht einfach etwas ist, was man hinzunehmen hat, sondern beeinflussen kann, beinhaltet ja geradezu die Handlungsaufforderung, dies auch zu tun. Selbstoptimierung bedeutet schließlich nicht nur Selbstentfaltung, sondern bezieht sich […] vor allem auf Steigerung und Wettbewerb, so dass es für den Einzelnen mehr und mehr darauf ankommt, seiner (messbaren) Leistungen zu verbessern und zugleich sichtbar zu machen“ – ein Zitat (S. 264) aus dem Buch von Steffen Mau „Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen“. Ich habe darauf an anderer Stelle (hier) schon mal aufmerksam gemacht. Nun haben wir dem Buch beim letzten Forschungskolloquium am vergangenen Freitag unsere ganze Aufmerksamkeit geschenkt.
Es war bereits das zweite Mal, dass wir aus dem Forschungskolloquiums ein Lektüre-Kolloquium gemacht haben (Näheres zu den verschiedenen Typen von Kolloquien siehe hier): Steffen Maus Buch bietet viele Anker auch für Diskussionen im Kontext von Bildung und Wissenschaft. Anders als bei der Lektüre von Ludwik Fleck (siehe dazu hier), haben wir uns weniger auf einzelne Passagen und pointierte Aussagen im Buch konzentriert, sondern an Teilthemen diskutiert, welche das unermessliche Datensammeln, die wachsende Algorithmisierung von Prozessen, der beständige Vergleich und daraus resultierende Dauerwettbewerb für die Gesellschaft und damit auch für Wissenschaft und Bildung (und für uns) bedeutet.
Das obige Zitat bringt aus meiner Sicht relativ prägnant auf den Punk, was wir auch im Kolloquium eine zentrale Rolle spielte: die im Schlepptau der Digitalisierung liegende Bewertungsmanie, der damit verbundene Selbstoptimierungsdrang, der andauernde Ruf nach Mess- und Sichtbarkeit sowie der Wettbewerb als durchgängiges Leitmotiv, das kaum mehr hinterfragt wird.
Mit eben diesen Teilthemen und den Folgen für Wissenschaft und Bildung haben wir uns drei Stunden lang beschäftigt. Wir waren bewusst eine kleine Gruppe, weil wir im letzten Teil des Kolloquiums damit experimentieren wollten, unsere Diskussions- und Reflexionsergebnisse auf Video festzuhalten. Also wir wollten das nicht nur, wir haben das dann auch gemacht und so sind (unter anderem) drei fünfminütige Videos am Flipchart entstanden, die wiederum das Ergebnis einer Tandemarbeit zu Spannungsmomenten in Bildung und Wissenschaft waren, die wir im Zuge der von Mau beschriebenen „Quantifizierung des Sozialen“ herausgearbeitet haben. Die Arbeit mit Videos ist auf klassischen Lernplattformen sind fast immer mit verschiedenen Problemen verbunden. Zudem gibt es etwa im Rahmen der Lehre viele Vorbehalte und Bedenken, die mehr oder weniger nachvollziehbar sind, und die Experimentierfreude Einzelner ist nun mal immer sehr verschieden ausgeprägt. Ich gebe zu, dass ich daher den Einsatz von Video in der eigenen Lehre eher vermeide und den Aufwand scheue, der da auf mich zukäme (überzeugen, absichern, Alternativen schaffen etc.) – soweit mein Outing an dieser Stelle ;-).
Aber im Kleinen, wie eben im Rahmen des Kolloquiums, und mit einer neugierigen und auch für spontane Einfälle offenen Gruppe von Wissenschaftlerinnen sowie mit einer dafür auch perfekt geeigneten (ausgeliehenen) Videoplattform, die uns einen geschützten Raum bietet, geht das (auch für mich) ,und ich finde: Die Ergebnisse unterscheiden sich tatsächlich von klassischen Versuchen, mit ein paar Sätzen am Ende das Resultat des Workshops zusammenzufassen. Im Nachgang haben wir jetzt noch die Möglichkeit (teils schon genutzt), die Videos zu kommentieren und weitere Ergänzungen in Textform (als Blogbeiträge) zu machen. Was wir jetzt mit unseren Erfahrungen genau anfangen, ist noch offen, auch, was wir mit den Ergebnissen anstellen könnten.
Und was die Inhalte betrifft: Nun, ich denke, Maus Botschaften werden uns unweigerlich weiter beschäftigen. Viele Chancen und vor allem Risiken, die er beschreibt, sind freilich längst bekannt; einige in unserer Gruppe haben zum Beispiel Parallelen zu diversen anderen Büchern, Filmen, gar Serien herstellen können, die sich kritisch mit den Inhalten beschäftigen, wie sie auch Mau beschreibt. Dennoch hat es einen eigenen Wert, wenn man sich dann auch mal die Zeit nimmt und darüber in einen Dialog geht: Wie ist das mit der eigenen Selbstoptimierung? Was macht der Wettbewerb mit der Forschung? Wie beeinflussen unsere Datenspuren das eigene Lernen und Bildungsprozesse? Wer hat denn da eigentlich wo die „guten“ und die „bösen“ Absichten? Fürchten wir uns mehr vor einem übergriffigen Staat, vor der gierigen Wirtschaft oder gar vor uns selbst und unserer Schwäche? Denn ohne das „Mitmachen der Vielen“ (das man auch positiv konnotieren kann) gäbe es manche Auswüchse gar nicht, die wir eigentlich auch nicht haben wollen … Drei Stunden – was war freilich nur ein kurzen Aufhorchen, vielleicht ein Auftakt für das Wachsam-Bleiben.