Im Moment haben wir am HUL das Glück, in dichter Folge interessante Gäste begrüßen zu dürfen. Nachdem wir letzte Woche intensiv mit Angela Brew diskutieren konnten (siehe hier), war gestern Peter Baumgartner bei uns in Hamburg. Zunächst haben wir uns am Nachmittag intern im Rahmen unseres Forschungskolloquiums ausgetauscht über aktuelle Projekte, Themen und die uns interessierenden Fragen. Wir haben Peter einen kleinen Einblick (a) in erste Überlegungen zur wissenschaftlichen Begleitforschung im Universitätskolleg (am Rande auch zur Begleitforschung in optes) gegeben, ins FideS-Projekt, in den aktuellen Stand zur Zeitschrift Educational-Design-Based Research (EDeR), in Annas Interesse und Arbeit an Community-Based Research und in das Engagement von Tobias in Sachen Wissenschaftsforschung (siehe z.B. hier). Ich habe diese auch für uns wichtige Zusammenschau (sollte man in dieser Form an sich öfter mal machen) genutzt und die aus meiner Sicht wichtigsten Ziele für das HUL zusammengefasst (mit vier kleinen Grafiken – siehe hier: Ziele_Ueberblick_2017). Peters aktuelle Projekte – und das hat er selber so formuliert – bewegen sich deutlich weg von der „Mikrodidaktik“ hin zu Fragen, die in Richtung Implementierung und gesellschaftliche Veränderung gehen.
Das wurde denn auch sehr gut in seinem Vortrag deutlich, der im Rahmen der HUL-Ringvorlesung auch für die interessierte Öffentlichkeit offen war (einen weiteren Blogpost dazu gibt es auch schon bei Tobias hier). Unter dem Titel „Trends im lebensbegleitenden Lernen: Eine Herausforderung für die Universitäten“ (zur Präsentation geht es hier) hat er zum einen über eine Reihe von Initiativen berichtet, die sich mit der Frage der Anerkennung bzw. Validierung von formalen Abschlüssen ebenso wie von non-formal und informell erworbenem Wissen und Können beschäftigen. Zum anderen hat er das exponentielle Wachstum technologischer Innovationen und dessen Folge für die Arbeit in unserer Gesellschaft und für die Bildung beleuchtet. Eindrücklich hat Peter die Entwicklung seiner eigenen Überzeugungen dargelegt: vom festen Glauben an eine Art Aufstieg durch Bildung zum tiefen Zweifel an der Nachhaltigkeit unserer jetzigen Art, Hochschulbildung anzubieten, denn: Was, wenn es nicht mehr für alle oder zumindest die meisten auch Erwerbsarbeit gibt, wenn nur mehr 60, 50 oder 40 Prozent der Bevölkerung Arbeit haben? Wie muss eine Hochschulbildung aussehen, die dann noch sinnvoll ist? Diese offenen Fragen – denn wer wäre so vermessen zu behaupten, er oder sie wüsste hier schon Antworten – waren denn auch der Übergang zur Diskussion, die rege geführt wurde und alle bis zum Schluss blieben ließ. Was wäre – oder muss man sagen: was ist –, wenn wir Hochschulbildung nicht mehr vor allem als eine (wie auch immer geartete) akademische Ausbildung, sondern ganz überwiegend als eine Form der Persönlichkeitsbildung gestalten müssen, weil eine Ausbildung zum Zwecke der Erwerbsarbeit sozusagen ins Leere führt?
Ich bin nach wie vor dafür, diese Frage als Gedankenexperiment im Konjunktiv zu stellen und in solchen Gedankenexperimenten ernsthafte Gesellschafts-, Arbeits- und Bildungsentwürfe – ja gerade auch an Universitäten – zu entwickeln, abzuwägen, zu simulieren, wieder zu dekonstruieren und neu zu kreieren mit dem Bewusstsein, dass wir es (auch) sind, die an dieser unserer Gesellschaft mitgestalten. Ich bin weniger dafür, diese Frage so zu formulieren, dass sie uns Angst einjagt, fatalistisch macht und letztlich ohnmächtig werden lässt angesichts eines unausweichlichen Sachzwangs, den uns globale Unternehmen, vielleicht auch Staaten, gerne nahelegen.
Aber zurück zu Peter: Ich bin sehr froh, dass wir ihn eingeladen haben. Mit seinem Vortrag hat er gestern am frühen Abend eine anregende Diskussion angestoßen und bestimmt viele von uns zum Nachdenken gebracht. Was könnte man sich als Referent denn Besseres wünschen?
Nachtrag: Der Vortrag von Peter ist inzwischen online abrufbar.
Ein Gedanke zu „Was wäre, wenn keiner mehr zu arbeiten braucht?“