„Die zählebigste Grundannahme ist die, der zufolge Lehren eine unverzichtbare Voraussetzung für die Initiierung und Begleitung von Lernprozessen sein soll“ – schreibt Rolf Arnold in der FAZ.net (hier) angesichts der nie endenden Klagen über die Lehre an deutschen Universitäten (danke an Sandra für den Link-Hinweis). Bologna, so Arnolds Argumentation, versuche, grundlegende Probleme des Lernens und Lehrens an unseren Unis durch „Mehr vom selben“ zu lösen, indem man z.B. den Präsenzunterricht erhöht und unter anderem auch die physische Präsenz kontrolliert. Dass dies keine sinnvolle Lösung ist, da stimme ich Arnold zu, wie ich kürzlich selbst in einem Interview (Blogbeitrag hier) erklärt habe. Meine volle Zustimmung hat Arnold auch in dem Argument, dass man im Zuge von Bologna dem Irrglaube unterliegt, dass man allein mit der Einrechnung des Selbststudiums in die Punktelogik der neuen Studiengänge sicherstellen könne, dass Studierende ein effektives Selbststudium praktizieren. Das Gegenteil dürfte (eben wegen mehr Präsenz-Anforderungen) der Fall sein.
Allerdings meine ich, dass Lehre sehr wohl etwas dazu beitragen kann, das Studierverhalten und damit das Lernen an sich (auch das Selbststudium) zu verbessern: Muss Lehre denn darauf beschränkt werden, langweile Vorlesungen zu halten, die – so Arnold – mit „aberwitzig geringen Behaltensquoten“ einhergehen und der „Verkündigungstradition der Kirche“ folgen? Nicht ganz klar ist mir außerdem, warum Arnold die Entwicklung von Selbstlernmaterialien von der Lehre abgekoppelt sieht: Vor mich besteht Lehren zum einen darin, geeignete Inhalte auszuwählen und aufzubereiten (Inhaltsdesign) und sich dann Gedanken darüber zu machen, mit welchen Methoden man Lernende darin unterstützen kann, aktiv mit diesen Inhalten umzugehen (Aufgabendesign). Wer Selbstlernmaterialien erstellt, der lehrt – finde ich! Aus dem Grund habe ich meinen Studientext (hier) auch genau so aufgebaut (nach Inhalts- und Aufgabendesign).
Wenn man ein solches Verständnis von Lehren hat, dann entsteht erst gar nicht eine so große Kluft zwischen Lernen und Lehren, wie Arnold sie sieht, und in der Folge empfiehlt, das Lehren besser nicht mehr so in den Vordergrund zu stellen. Bringt es uns weiter, wenn wir das Lehren zum Feind des Lernens erklären? Wollen dahin kommen, dass sich jeder alles selbst beibringen soll? Ist das ein kultureller Fortschritt? Ich würde alle drei Fragen mit nein beantworten und mich für mehr „Mut zur Lehre“ aussprechen. Mut braucht man deshalb, weil man sich mit dem Anspruch, anderen etwas beibringen zu können (und zu wollen), natürlich angreifbar macht, weil man viele Fehler machen kann, weil man mit seiner Inhalts- und Aufgabenwahl danebenliegen kann, weil man es NIEMALS allen recht machen kann …. Aber ist das ein Grund, es sein zu lassen?
Klingt gut. Und wird ja auch so erfahren: GUTE LehrerInnen ermöglichen Lernen, das befriedigt (beide). Dass aber Lehren eine auch eine KUNST ist, die erlernt werden kann und muss, und dass WissenschaftlerInnen in ihrer Fachausbildung davon so gut wie nie etwas mitbekommen, lässt sich empirisch gut belegen. Der eigentliche Gegensatz ist nicht Lehre gegen Lernen, sondern Lernen statt Belehrung. Letztere benutzt nur das Rollen- und Autoritätsgefälle, um den „Trichter“ mit abprüfbaren „Inhalten“ zu füllen. Das kann es nicht sein. Ist aber in Schule und Hochschule (leider) noch immer sehr präsent. Mit Bologna hat die Misere nix zu tun. Die war vorher da und bleibt so lange, bis die WissenschaftlerInnen gelernt haben, Lehrformen zu nutzen, die Lernen erleichtern. Gute Beispiele gibts genug: wie Hampe (Maschinenbau TU Darmstadt) gezeigt hat, hat erst Bologna dort eine neue Form des Lehrens und Lernens finden lassen, die Studis und Dozenten als Gewinner sieht.
Flexibilität ermöglichen, Entfaltungsmöglichkeiten bieten, Spielräume gewährleisten. Mir persönlich sind das wichtige Grundanliegen bei Gestaltung von Bildungsangeboten. Deshalb geht es meines Erachtens auch nicht um on- oder offline, nah- oder fern, präsent oder nicht-präsent. Lernen findet immer in den Köpfen statt. Meine Erfahrung war bisher die, dass viele Dozentinnen und Dozenten ihren Lernenden nicht sehr viel Selbststeuerung zumuten. Wird die Vorlesung dann primär als Selbstinszenierung verstanden, muss man sich nicht wundern, wenn auch die Studierenden an die Allmacht der Lehre glauben. Lehre als angestaubtes Konzept zu hinterfragen, reicht aber nicht aus. Selbststeuerung unterstützt man nicht durch das Verschicken von Studienbriefen. Lernende sollen stärker an Bildung partizipieren und nicht nur Aufgaben lösen. Solange Lehre primär an der Weitergabe und Kontrolle „objektvierter“ Wissensbestände festhält, sehe ich da keinen Fortschritt.