Didaktik als überflüssiger Ballast?

Immer wieder stelle ich bzw. stellen wir (also auch meine Mitarbeiter und Doktoranden) fest, dass es große Abneigungen gegenüber „didaktischen Maßnahmen“ gibt. Das beginnt schon an der Hochschule, an der man immerhin meinen könnte, dass die dort verankerte Lehre offen für einen didaktischen Blick ist. Dass man didaktische Erkenntnisse sehr gut auch außerhalb klassischer Bildungsinstitutionen nutzen kann – nämlich in all den vielfältigen Situationen, in denen Menschen einander etwas beibringen, zeigen, weitergeben etc. wollen –, ist noch einmal schwerer zur „vermitteln“. Umgekehrt schaut man gerne auf andere Disziplinen wie z.B. Informations-, Medien- und Kommunikationswissenschaft, von denen man offenbar leichter Rat in Sachen „Wie kann ich das erklären oder zugänglich machen?“ annehmen kann und will. Jedenfalls muss ich darüber sehr oft nachdenken – logischerweise immer dann, wenn wieder mal so eine Erfahrung im Raum steht, bei der Didaktik als ziemlich überflüssig empfunden wird (übrigens auch bei vielen Erziehungswissenschaftlern). Herausgekommen ist jetzt endlich mal als „Auftakt“ eine Forschungsnotiz – wobei die fast schon ein bisschen zu lang geraten ist, um noch als „Notiz“ durchgehen zu können. In dieser gehe ich der Frage nach, ob der Begriff „Vermittlungswissenschaft“ nicht ein fruchtbarer Anker wäre, um (unter anderem) didaktische Erkenntnisse zum einen „attraktiver“ zu machen und zum anderen für die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen zu öffnen, die sich auch mit Vermittlungsfragen im weitesten Sinne beschäftigen.

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Ich hoffe jetzt, dass für interessierte Leser die Forschungsnotiz noch kompakt genug ist, um sie zu lesen. Jedenfalls würde mich über Rückmeldungen freuen.

14 Gedanken zu „Didaktik als überflüssiger Ballast?“

  1. Ein spannendes Thema ! Derartige Fragen bildeten für mich einen zentralen Grund, damals meinen Blog in Angriff zu nehmen: http://www.mediendidaktik.org/about/ . Ich glaube auch dass das Verschwinden der Didaktiken an den Hochschulen ein erhebliches Loch gerissen hat, das in Zukunft wieder gekittet werden muss. Allgemeindidaktische Fragen werden heute fast nur noch in den Fachdidaktiken behandelt. Da, wo es darum geht Wissen und Erfahrungen weiterzugeben, ist es aber heute mehr denn je erforderlich, Formen zu finden in denen diese Weitergabe effizient organisiert wird. Und das betrifft natürlich nicht nur Schule und Hochschule, sondern alle Interaktionen und Entwicklungen in unserer Gesellschaft. Interessanterweise werden wir in unserem Arbeitsbereich (Fachdidaktik Physik) zunehmend aus den Forschungsbereichen angefragt, derartige Vermittlungsaufgaben zu übernehmen. Die Naturwissenschaften sehen sich offensichtlich gefordert, ihre Forschungsvorhaben einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen. Eine Vermittlungswissenschaft wäre auch aus dieser Perspektive eine sinnvolle Antwort auf derartige Anfragen.

  2. Mir hat die Forschungsnotiz dabei geholfen, mir zu vergegenwärtigen, wie stark der Begriff der Didaktik auf den Kontext der Schule geprägt ist. Vor dem Hintergrund verstehe ich, warum es sinnvoll sein könnte, den Begriff „Vermittlungswissenschaft“ zu verwenden.
    Die „Online-Didaktik“ ist wiederum ein Begriff, den ich noch nie gelesen habe. Das ist für mich ein wertvoller Gedankenanstoß. Einige meiner früheren Arbeiten haben sich mit Wissensvermittlung im Internet beschäftigt. Dieser Aspekt wird für mich sicher wieder bedeutsam werden. Sobald es soweit ist, werde ich wissen, wo ich mich wieder einlesen kann.
    Der zitierte Beitrag zu „Chancen und Grenzen von Forschungsprojekten“ aus Forschung & Lehre ist übrigens ebenfalls sehr interessant.

  3. Die Argumente finde ich nicht überzeugend. Aus der vorgeblichen Abneigung gegenüber „didaktischen Maßnahmen“ nach einer alternativen Vokabel zu suchen, macht keinen Sinn. Im Grund geht es bloß um eine Umettikettierung und einer Verbeugung vor denen, die bislang den Sinn von Didaktik noch nicht einzusehen vermochten. Und auch die Vorstellung, dass Didaktik dem schulischen Kontext entstammt, ist kein Argument. Auch Hochschulen sind dem Wortsinn nach Schulen, also Institutionen, in denen gelehrt und gelernt wird. Man sollte schließlich nicht verkennen, dass der Begriff „Didaktik“ ein etablierter Begriff ist (übrigens auch gegenüber Konzepten des instructional Designs, denen eine bildungstheoretische Verankerung fehlt). Die Didaktik selbst hat eine lange erziehungswissenschaftliche Tradition hat. Mit Herbart könnte man sogar sagen, es geht hier um einen „einheimischen Begriff“ der Erziehungswissenschaft. Ihn zu opfern ist ein Akt der Sinnentleerung und kann durch Vermittlung kaum kompensiert werden.

  4. Lieber Herr Lehmann,
    das sehe ich natürlich anders -logisch, sonst hätte ich die Forschungsnotiz nicht geschrieben ;-). Es geht mir nicht um eine „alternative Vokabel“, sondern um eine Möglichkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit und der Erweiterung von Nutzungsmöglichkeiten didaktischer Erkenntnisse, die mit enprechender Begriffsarbeit einen ersten Anker haben könnten. Dass die Didaktik eine lange Tradition UND Potenzial hat, ist ja genau einer der Gründe, warum es aus meiner Sicht bedauerlich ist, dass deren Reichweite sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis vergleichsweise klein ist. Die Didaktik unter einer Vermittlungsperspektive zu betrachten, ist zudem keine „Opferhandlung“, denn Ziel ist nicht deren Abschaffung. „Abschaffen“, wenn man es denn so nennen mag, würde ich nur gerne die hermetische Abriegelung gegenüber Fragen und Kontexten, die nicht genuin der Didaktik entspringen, sowie gegenüber anderen Disziplinen. Ich ssehe keinen Grund, warum sich auch die Didaktik nicht auch weiterentwickeln sollte und könnte, und dies ist nur möglich, wenn man auch mal andere Pesrpektiven zulässt, die aus meiner Sicht keineswegs mit einer Sinnentleerung einhergehen muss. Dass man dagegen einen Blick dafür bewahrt, was bereits geschaffen wurde und sich davor hütet, das Alte nur in neuem Gewand zu erfinden, ist ein legitimer Hinweis, den man in der Tat nicht vernachlässigen sollte. Doch wenn man das bereits zu Beginn eines Vorhabens unterstellt oder vermutet, dann bleibt am Ende nur das Verharren im Bestehenden.
    Gabi

  5. Diese Diskussion erinnert mich ein wenig an den Vortrag „E-Learning ade – tut Scheiden weh?“ von Bachmann, Bertschinger und Miluška (2009; http://is.gd/8sVzBr)im Rahmen der 14. Europäische Jahrestagung der Gesellschaft für Medien in den Wissenschaften. Auch in diesem ging es darum, einen etablierten Begriff durch andere Ausrücke zu ersetzen.

  6. Liebe Frau Reinmann,
    didaktische Erkennnisse „attraktiver“ machen. Heisst das nicht, Didaktik etwas mehr sexy machen, damit man ihr folgt und das über den Umweg des Ankers, der Vermittlung?
    M.E hat die Didaktik u.a. deshalb keinen guten Ruf, weil es inzwischen Mode geworden ist, die Lehre als Belehrung zu diskreditieren.
    Solange aus dem Haus der Erziehungswissenschaft das hohe Lied des Selbtslernens erklingt, hat Didaktik nur wenige Fürsprecher. Vielleicht reicht der Hinweis aus, dass es bei der Didaktik auch – aber nicht nur – um die Frage der Vermittlung geht. Im Rahmen der didaktischen Modelle gibt es m.E eine Vielzahl von Anschlussmöglichkeiten, die man nutzen kann. Weiterentwicklungen wird es sicher immer geben.

  7. Ich muss der Sache zur Seite springen ;-): Meines Erachtens gibt es nun zwei Argumentationstypen, denen man folgen kann: (a) Der konservierende Typus: Die Didaktik, so wie sie uns bisher überliefert ist, hat genügend Potenzial, um die Phänomene der Vermittlung (mit bildungstheoretischen oder kommunikationstheoretischen Unterbau) zu deuten, zu (er)klären. Es gibt also keinen Grund, den Begriff zu ändern. (b) Den progressiven Typus: Da der Begriff der Didaktik (und mit ihm die universitären Vertreter) es nicht geschafft hat, einen breiteren Phänomenbereich jenseits von Schule und Hochschule mit den zentralen Erkenntnissen und „Kunstlehren“ zu beglücken, müssen wir neue Begrifflichkeiten und damit verbunden, neue „Anschlussformen“ finden. Letzteres ist eben nicht „alter Wein in neuen Schläuchen“, sondern eine Art Reframing, also Umdeutung, mit dem Ziel, die Kernoperation der wissenschaftlichen Disziplin „Didaktik“ neu zu bestimmen. Zweck dieser Umdeutung ist nicht Marketing oder ein Mehr an „sexy“, sondern die Steigerung der Deutungs- und Unterscheidungskraft des Begriffs gegenüber dem Phänomen. Ob es am Ende WIRKLICH zu neuen Ein- und Ansichten kommt, bleibt zu zeigen. Vielleicht gibt es ja ein Drittes zwischen der (schon todgeweihten) normativen Allgemeinen Didaktik auf der einen Seite und der „modernen“ psychologisch-(fach-)didaktischen Lehr-Lern- und Unterrichtsforschung auf der anderen Seite.

  8. @Jan: Dein Kommentar war in den Spam-Ordner gerutscht – keine Ahung warum! Zu deiner Aussage: Nein, es geht NICHT darum, Begriffe zu ERSETZEN – das sagt ja schon der Titel der Forschungsnotiz. Es geht um eine andere Perspektive und die Suche nach einer Art gemeinsamen Nenner, der es ermöglicht, die Didaktik wirkungsvoller zu nutzen und weiterzuentwickeln.
    Gabi

  9. Ich hatte die Forschungsnotiz so verstanden, dass es dir darum geht, den Aspekt der Vermittlung stärker zu betonen, um dadurch bislang nicht ausreichend genutzte Potenziale der Didaktik zu artikulieren. Dass es nicht um die Suche nach alternativen Vokabeln bzw. das Ersetzen von Begriffen geht, habe ich verstanden. Die Diskussion mit B.Lehmann erinnerte mich an die Diskussion um den erwähnten Vortrag von 2009.

  10. Der erwähnte Bezug von Didaktik zur Informationswissenschaft lässt sich übrigens auch historisch belegen, siehe meine Aufsätze
    Von der „Weltausstellung im Kleinen“ zum „lebenden Lehrbuch“ : Bildungsbezogene Komponenten früher Ansätze von Weltbibliotheken um 1900.
    http://subs.emis.de/LNI/Proceedings/Proceedings110/gi-proc-110-080.pdf
    und
    Roots of mediating information : aspects of the German information movement.
    http://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=WqRElNfjSBoC&oi=fnd&pg=PA307&ots=N3_OxICyu_&sig=hiRTT0xhOyBB5HFsqQ62UJ4bTXE

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