Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Wie-stelle-ich-mich-so-dar-dass-ich-mitspielen-darf“-Falle

| 4 Kommentare

„Wo ist die Forschung in der Entwicklungsforschung?“ Das war einer der Fragen, mit denen wir uns heute im Doktorandenkolloquium auseinandergesetzt haben. Ein paar Worte zum Ablauf (zur Information): Bereits Wochen vorher haben sich Doktoranden sukzessive mit drei Texten zum Thema (einem von Dieter Euler, einem von Wolfgang Einsiedler und einem von mir) auseinandergesetzt. Dabei sollte jeder so vorgehen, dass er/sie zunächst das eigene Vorverständnis von Entwicklungsforschung explizieren und dann nach der Lektüre jedes Textes reflektieren sollte, ob und wenn ja, was sich an der eigenen Auffassung dazu geändert hat.

Im ersten Drittel des heutigen Nachmittags standen die Ergebnisse dieser Einzelarbeit im Vordergrund. Dazu haben wir zwei Partnerarbeiten durchgeführt, in der sich die Doktoranden gegenseitig ihre durch die Lektüre bewirkten Verständnisveränderungen dargelegt haben. Anschließend haben wir in einer Plenumsdiskussion die Erfahrungen ausgetauscht. Fokus im zweiten Drittel des Nachmittags war ein Vortrag von Frank, in welchem er die Entwicklung der Technik und Didaktik rund um das von ihm und seinem Team seit vielen Jahren vorangetriebenen „Lernens mit Videoannotation“ (so sage ich das jetzt mal verkürzt) weitgehend chronologisch präsentiert hat. Frank dazu hier bereits seine eigenen Folgerungen zusammengefasst. Im letzten Drittel haben wir in Kleingruppenarbeiten versucht, die entstandenen Vorstellungen von Entwicklungsforschung zu visualisieren.

Ein „Schlüsselerlebnis“ für mich heute war, dass in manchen (vielen?) Köpfen Folgendes tief verwurzelt zu sein scheint (wobei da Stimmen aus dem Kolloquium nur „transportieren“, was in verschiedenen Fach-Communities als wissenschaftlicher Standpunkt weitergegeben wird). Ich versuche mal, das kurz auf den Punkt zu bringen:

„Die Wissenschaft da draußen“ definiert die Spielregeln und wenn man etwas macht, was die Tendenz zu (ein paar) neuen Spielregeln hat, muss man seine Sache so darstellen, dass man den Anschein erweckt, die bestehenden Spielregeln durchaus beachtet zu haben. Mit anderen Worten: Es geht darum, die eigene Forschung auf jeden Fall so darzustellen, dass sie in den bestehenden wissenschaftlichen Rahmen passt.

Die Beobachtung dieser Haltung löst in mir zweierlei aus: Zum einen kann ich sie nachvollziehen. Aus dieser Auffassung kann man den Anspruch an Anschlussfähigkeit herauslesen und die ist selbstverständlich wichtig in der Wissenschaft (oder anders formulier: Freilich kann nicht jeder einfach machen, was er will und was er persönlich ohne schlüssige Begründung für richtig hält). Das Problem ist allerdings, wenn „man nur so tut als ob“ – wenn man sich also auf die „Verpackung“ und darauf konzentriert, „mitspielen zu dürfen“. Zum anderen schreckt mich die Beobachtung etwas auf. Aus dieser Auffassung kann man nämlich auch das fehlende Bestreben zur aktiven Mitgestaltung von Wissenschaft und die Annahme herauslesen, dass man sich „der“ Wissenschaft unterzuordnen habe. Wenn es einem vor allem um die „richtige Darstellung“ geht und nicht darum, für das, was man darstellt, einen geeigneten Platz in der Forschungslandschaft zu finden bzw. dessen Wissenschaftlichkeit zu erarbeiten und zu etablieren, dann geht das aus meiner Sicht am Wesen von Wissenschaft vorbei.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Mich schrecken NICHT meine Doktoranden auf und überhaupt nicht die Diskussionen, die ich heute als sehr wertvoll und auch für mich interessant empfand. Vielmehr macht es mich sehr nachdenklich (obwohl ich es an sich weiß), wie wirkungsmächtig die zu einer bestimmten Zeit “etablierte Wissenschaft“ (durch Medien, wissenschaftliche Literatur, Tagungen etc.) selbst in Gruppen ist, in denen man eine Vielfalt an Forschungsdesigns und Forschungszielen, interdisziplinäre Bezüge und offene Methodendiskussionen fördert. Daraus folgt für mich: Wir dürfen nicht nur über Entwicklungsforschung und reden und schreiben, wir müssen sie praktizieren und daran arbeiten, dass wir konsensfähige eigene Standards bekommen. Sonst kommt man aus dieser „Wie-stelle-ich-mich-so-dar-dass ich-mitspielen-darf“-Falle nämlich nicht raus.

4 Kommentare

  1. „Aus dieser Auffassung kann man nämlich auch das fehlende Bestreben zur aktiven Mitgestaltung von Wissenschaft und die Annahme herauslesen, dass man sich „der“ Wissenschaft unterzuordnen habe.“
    Diese teils bewussten, teils unbewussten Vorstellungen sehe ich als Resultat der impliziten Ziele des Bildungssystems.
    Schule: Lerne, pünktlich das zu erledigen, was dir befohlen wird.
    Studium: Lerne, dich an die Strukturen der übergeordneten Institutionen anzupassen.
    „A sales manager for Xerox told a UC Berkeley jobs workshop last fall: ‚We don’t care what your major is. The important thing is that you get up early, go to classes, and do assigned work.‘ Translation: the ‚form‘ of school education, right from the start, is its real content – unquestioning submission to authority, fragmentation of knowledge into specialized compartments, endless tolerance for boredom. University training is merely the highest level of this process“ (Testa, M. (1981). Processing Future Processors. Processed World, 1(2), 36-39.)

  2. Mir fällt dazu ein:
    Assimilation (der Akteure in einem System) und Akkomodation (des Systems … ja durch wen!?) sollten in einem „gesunden“ Verhältnis stehen. Die (selten explizierte) gesellschaftliche Aufgabe (spätestens) der höchsten Bildungsinstitutionen muss es sein, Strukturen zu de-stabilisieren, sonst findet keine Weiterentwicklung der Institutionen statt.
    s.a. http://de.wikipedia.org/wiki/Deschooling

  3. Bei der Lektüre des Textes frage ich mich, auf welcher Ebene wir anfangen müssten die Fragen zu stellen. Mit Blick auf Toumin und Foucault frage ich nach der Diskursform und von welcher Diskursformation wir uns prägen lassen? Ich werde leider das Gefühl nicht los, dass es immer mehr darum geht einen Nutzen darzustellen … sich dem Trend der Kommerzialisierung vollends auszuliefern.
    Die zitierte Grafik soll vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen Wissens die Frage nach dem dominanten Diskurs aufwerfen. Vielleicht ist dies aber schon wieder zu abstrakt.
    http://insightshd.wordpress.com/2012/04/21/was-ist-wissen-denn-nun/

  4. Pingback: Christian Kummer's Blog

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.