Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Den Anforderungen an eine Professur nicht gewachsen

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Forschendes Lernen im Studium“ – das Buch mit diesem Obertitel, herausgegeben von Ludwig Huber, Julia Hellmer und Friederike Schneider, ist bereits fünf Jahre alt (erschienen 2009 im UniversitätsVerlagWebler Bielefeld). Ich hatte mich damals sehr gefreut, einen Beitrag beisteuern zu dürfen, nämlich den Text „Wie praktisch ist die Universität? Vom situierten zum Forschenden Lernen mit digitalen Medien“. Nun habe ich das Buch wieder mal in der Hand gehabt und nochmal den Beitrag von Stefan Kühl gelesen. Der Titel lautet: „Forschendes Lernen und Wissenschaftsbetrieb. Zur Erfahrung mit einem soziologischen Lehrforschungsprojekt“ (S. 99-113). Ich möchte auf diesen noch einmal aufmerksam machen, weil er aus meiner Sicht sehr gut auf ein paar grundlegende Probleme aufmerksam macht, die aufwändige didaktische Szenarien in der Hochschullehre mit sich bringen – und dazu zählt auch das forschende Lernen im Sinne der Integration von Forschungsprojekten in die Lehre.

Kühl beschreibt in dem Text sein „hochschuldidaktisches Experiment“, das er „Lehrforschung extrem“ genannt hat. Gemeint ist damit, dass hier tatschlich versucht wurde (Kühl spricht von „Radikalisierungen“), ein typisches Forschungsprojekt mit Forschungsantrag und Finanzierungsbemühungen, mit einer Präsentation der Ergebnisse auf einer Tagung und mit abschließenden Publikationen in Form von Artikeln in der Lehre umzusetzen, was dank einer Stiftung auch annähernd gelungen ist.

Auf den ersten Blick, so Kühl, könne man das Experiment sogar für gelungen halten: Es wurden von allen studentischen Kleingruppen Berichte erstellt, die Ergebnisse wurden vor Fachpublikum vorgetragen, Review-Prozesse zu den Artikeln zeigten, dass gar Publikationswürdiges dabei war. Trotzdem hält Kühl das Projekt für weitgehend gescheitert. Warum?

Zunächst einmal habe die Veranstaltung polarisiert wie keine andere: Sehr arbeitsintensiv, aber auch sehr lehrreich fanden die einen die Veranstaltung, extrem unzufrieden äußerten sich die anderen – auch mit fast schon beleidigenden Kommentaren nach dem Motto „der Lehrende ist den Anforderungen an eine Professur nicht gewachsen“. Des Weiteren kostete das Experiment viele Ressourcen bei den Studierenden, die Kühl aber als nicht sinnvoll investiert einschätzt: „Die Auseinandersetzung mit den ungewohnten Lehr-, Lern- und Beurteilungsformen absorbierten bei einigen Studierenden im Laufe der Lehrforschung deutlich mehr Energie als in den üblichen Seminaren“ – zu Lasten der Auseinandersetzung mit der Sache, wie Kühl (S. 106) deutlich macht. Interessanterweise korrelierten auch die Vorkenntnisse und Vorerfahrungen der Studierenden nicht mit der Qualität der resultierenden Leistungen. Schließlich war auch der Aufwand für den Lehrende immens – bei gleichzeitig geringen eigenen Lerneffekten, so Kühl.

Der Autor selbst erklärt sich das aus seiner Sicht vorliegende Scheitern mit drei grundlegenden Schwierigkeiten oder besser Spannungsmomenten, die entstehen, wenn man forschendes Lernen in Form von möglichst authentischen Forschungsprojekten in heutigen Bachelor- und Masterstudiengängen umsetzen will:

Erstens die Spannung zwischen wissenschaftlichem Peer Review-Wesen und Benotung von Studienleistungen: Kühl macht deutlich, dass es hier vor allem deswegen zu Schwierigkeiten kommt, weil die „Währung“ unklar ist. An sich müsste die kollegiale Kritik die Währung sein, ist es doch auch die im Wissenschaftssystem. Es schiebt sich aber die Notenwährung dazwischen, denn Noten sind nötig (z.B. wegen der Prüfungsordnung) und/oder werden von den Studierenden eingefordert, weil sich die Mühe ja lohnen muss. Allerdings werden Noten, wenn sie denn sachlich begründet vergeben werden und das ganze Spektrum ausschöpfen, als zu streng kritisiert – so die Erfahrung des Autors.

Zweitens die Spannung zwischen kooperativen Produktionsformen im wissenschaftlichen Kontext und individueller Zurechnung von Leistungen: Forschung vollzieht sich oft in kooperativen Settings, in denen entsprechend auch „Kollektivgüter“ erbracht werden. „Die interessante Erfahrung dieser Lehrforschung war, dass ein Teil der Studierenden die Erstellung dieser von allen zu nutzenden Kollektivgüter …nicht als Teil der Projektarbeit betrachtete, sondern als eine individuell in Notenform zu vergütende Leistung“ (S. 110).

Drittens die Spannung zwischen selbstorganisierter Wissensproduktion und Zwangszuweisung zu Seminaren. Dies war zumindest bei dieser Veranstaltung der Fall, was zur Folge hatte, dass es von Anfang an Studierenden gab, die ihren Unwillen und ihre Unzufriedenheit auch offen zur Schau gestellt hätten.

Kühls Fazit: „Je stärker eine Veranstaltung in Richtung wissenschaftliche Forschung getrieben wird, desto stärker gerät sie mit einer zunehmend verschulten, durch verpflichtende Veranstaltungen und permanente Benotung geprägten Studienstruktur in Konflikt“ (Kühl, 2009, S. 112).

Ich mache hier noch einmal auf diesen schon etwas älteren Beitrag aus zwei Gründen aufmerksam: Zum einen finde ich es sehr wichtig, Erfahrungen dieser Art öffentlich zu machen – auch mit der subjektiven Deutung der Ergebnisse. Es ist hilfreich, nicht nur Erfolge, sondern auch weniger erfolgreiche Ausgänge von didaktischen Experimenten zu teilen! Zum anderen kenne ich selbst sehr gut, was Kühl hier schreibt. Im Prinzip gilt das keineswegs nur für Szenarien forschungsorientierter Lehre, sondern für alle didaktischen Szenarien, die neue und damit oft erwartungswidrige Wege beschreiten und auf Seiten der Lehrenden und Studierenden besonderen Aufwand und Offenheit erfordern. In meinen eigenen „Lehrexperimenten“ (in Augsburg und München) habe ich ganz ähnliche Erfahrungen gemacht und ich kann Kühl daher sehr gut verstehen, wenn er dem eigenen Versuch im Nachhinein skeptisch gegenübersteht.

Die mich interessierende Frage ist: Was folgt daraus? Sollte man forschungsorientierte Lehre im Sinne der Integration von Forschungsprojekten (es gibt noch andere Varianten forschungsorientierter Lehre) einfach bleiben lassen oder allenfalls auf die Bachelorarbeit (oder Masterarbeit) begrenzen? Oder sollte man eine forschungsorientierte Lehre einfach mal gegen alle Widerstände „durchziehen“, um einen Unterschied universitärer Lehre zu anderen Bildungsinstitutionen deutlich zu machen und zu „verteidigen“? Oder sollte man Studierenden verschiedene Pfade anbieten und z.B. zu Beginn des Studiums eine Entscheidung einfordern: „forschungsorientiert oder nicht“? Oder welche anderen Möglichkeiten gäbe es? Ich habe noch keine klare Position, bin hier schwankend, tendiere mal zum einen, mal zum anderen, komme dann auf komplizierter Differenzierungen und ende meist bei der Erkenntnis, dass wir hier eine mehrfaktorielle Herausforderung haben. Um dieser er verantwortungsvoll zu begegnen, wären wohl viel mehr Aufmerksamkeit und Ressourcen erforderlich als wir es bisher gemeinhin dafür aufbringen.

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