Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Mut zur Geduld gegen die unaufhörliche Leistungsschau

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Und noch eine Rede (online hier) – mit der gleichen Stoßrichtung wie die Rede von Peter Strohschneider (siehe hier), gehalten von Peter-André Alt, Präsident der FU Berlin am 30. November 2017 (im Allianz-Forum Berlin). Auch in dieser Rede geht es um die Wissenschaft und ihre gesellschaftliche Verantwortung, um die aktuelle Wissenschaftsfeindlichkeit, um Populismus und Vereinfachung, aber auch um Fehlentwicklungen im Wissenschaftsbetrieb. Ich finde, noch mehr als Strohschneider bringt Alt auf den Punkt, was uns verloren zu gehen droht, wenn er schreibt:

„Wissenschaft bedeutet Reflexion, Urteil, Abwägung, oftmals auch Konstruktion, Modellbildung, offene Diskussion. Ihrem Ziel nach geht die Wissenschaft aufs Ganze der objektiven Erkenntnis. Doch ihrer Form nach konstituiert sie einen Raum der dynamischen Denkbewegung, in dem nichts Festes, Permanentes existiert“ (S. 2 f.). Und weiter: „Wissenschaftliches Denken bedeutet Möglichkeitsdenken – ein Begriff, den ich mir vom österreichischen Schriftsteller Robert Musil ausleihe. In Möglichkeiten denkt, wer die Wirklichkeit als ‚Aufgabe‘ und ‚Erfindung‘ begreift, wie es in Musils Roman ´Der Mann ohne Eigenschaften´ heißt. Aufgabe ist die Wirklichkeit, weil sie uns stetig fordert, ohne genau umrissen zu sein; Erfindung, weil sie viel mehr von unserer Imagination in sich trägt, als wir vermuten mögen. Bei Musil bleibt der Begriff des Möglichkeitsdenkens eng mit der wissenschaftlichen Haltung verbunden. Denn nicht nur der Sinn für exakte Tatsachen, sondern auch die Vorstellungskraft der Phantasie, die Welt in Alternativen zu modellieren, bildet ein Element des forschenden Habitus.“ (S. 3) Eine wesentliche Bedingung des Möglichkeitsdenkens und damit der Wissenschaft sei die Freiheit bzw. Unabhängigkeit von externer Steuerung, denn: „Experimente, offene Hypothesen und Prozesse der Urteilsbildung verlangen Freiräume des Denkens. Wer vorher genau festlegt, worüber nachgedacht und geforscht wird, blockiert Kreativität und Originalität. Wissenschaft bedarf der Zuschreibung von Freiheit, gewissermaßen einer Lizenz zum Unberechenbaren, ohne die sie nie auskommen kann. Wer sie zu bestimmten Themen, Methoden und Lösungsmustern zwingt, schränkt nicht nur ihre Leistungskraft ein. Er blockiert das wissenschaftliche Denken an seinem Nervenpunkt, der Fähigkeit nämlich, die Pluralität unserer Welten zu durchschauen und ihre verschiedenen Versionen in Alternativen zu durchzuspielen“ (S. 3).

Nun ja, das ist in Zeiten der Drittmittelforschung schon schwierig geworden. Von Unabhängigkeit lässt sich schwerlich reden, wenn man unablässig darauf angewiesen ist, sich um Ressourcen zu bewerben etwa im Rahmen ausgeschriebener Programme, und die eigenen Fragen dann eben dahin biegt, wo Programme sie haben wollen, oder wenn Forschungsanträge Details beinhalten müssen, welche die Freiräume des Denkens, die Kreativität und Originalität doch sehr begrenzen – es sei denn, man weiß schon im Voraus, welche Erkenntnisse und Ideen man in zwei bis drei Jahren haben wird.

Alt plädiert (wie Strohschneider) konsequenterweise für die Autonomie und erklärt: „Die Autonomie der Wissenschaft impliziert weder anarchische Strukturen noch Chaos. Sie verlangt lediglich Unabhängigkeit von bürokratischen, politischen oder sozialen Anforderungen – Abstand zum ‚Apparat der Daseinsfürsorge‘, wie Karl Jaspers das nannte. […] Freiheit der Wissenschaft als Freiheit gegenüber externen Konditionierungen […]. Es bedeutet nicht, dass die Wissenschaft sich gesellschaftlicher Verantwortung entziehen oder im Selbstbezug einschließen darf. Ihre Freiheit ist Freiheit von allen thematischen Verordnungen und Dekreten.“ (S. 4).

Wenn da aber nicht der Vertrauensverlust wäre, die Krise der Wissenschaft – und hier kommt Alt im Prinzip zum gleichen Schluss wie Strohschneider: „Diese Krise […] ist ein Resultat der Überforderung der Wissenschaft und das Ergebnis einer selbsterzeugten Produktionsdynamik, die gefährliche Konsequenzen zeitigt.“ Heute werde bereits von Doktoranden verlangt, „Papers“ zu produzieren und ständig an Tagungen teilzunehmen: „Publish or Perish – diese Alternative gilt schon, bevor die wissenschaftliche Laufbahn überhaupt dauerhaft eingeschlagen wird. Dass dabei die Qualität ebenso wie die Originalität leiden müssen, liegt auf der Hand. […] Der Druck aber wächst, und niemand ist da, der die Überforderungsdynamik aufhält.“ (S. 5). Eigentlich, so Alt, wären die erfahrenen Hochschullehrer in der Pflicht, an das „Arbeitsprinzip der Ruhe“ zu erinnern und vor „hektischer Betriebsamkeit“ zu warnen. Aber: Sie würden das nicht schaffen, „weil sie selbst im System der unaufhörlichen Leistungsschau feststecken. Zu ihm gehört der Impact-Terror, der Wahn, dass man jedes Paper auf seine Wirkung messen und anhand entsprechender Zitationsnachweise bewerten könne“ (S. 5). Selbst, wenn man das aber nicht so wichtig nimmt, dürfte es schwer sein, solche Ratschläge guten Gewissens zu geben, und selbst wenn man sie gibt, will sie keiner hören. Niemand hält dieses Karussell an – vielleicht muss es erst von alleine kollabieren?

Alts Urteil ist deutlich, finde ich: „Unser System der quantitativen Leistungsmessung ist ein Hybridsystem, das gerade nicht zur Qualitätssicherung beiträgt, sondern zu Tagesurteilen, Nervosität und Management-Hektik. Sicherlich hat die Gesellschaft, die aus ihren Steuern die Wissenschaft finanziert, Anspruch auf vorzeigbare Ergebnisse. Aber Resultate dürfen nicht in kurzatmigen Zyklen vermessen und dadurch auf rein quantitative Faktoren reduziert werden. Was für das forschende Individuum gilt, gilt auch für die Wissenschaft als System. Ihre Innovationskraft beruht nicht auf Umtriebigkeit, Dauerreisen und Hektik, sondern auf Ruhe, Gelegenheiten zum Ausprobieren und Mut zur Geduld. Wissenschaft benötigt Zeit, damit sie seriös sein kann. Zuzugestehen sind ihr Nischen für Verqueres, Schonzonen für Riskantes, aber auch Räume für Irrtümer. Die Voraussetzungen dafür schafft nur eine freiheitlich-demokratische Wertordnung. (S. 6)

So viel Einsicht, so viel offenbar konsensfähige Diagnose, so wenig Folgen, denn alle machen den Wahnsinn weiter. Vielleicht hat ja jemand im Dezember 2017 den Beitrag „Exzellent gescheitert“ in der ZEIT gelesen (gibt es auch online inzwischen hier – kostenlose Registrierung erforderlich). Der Beitrag beschreibt das Exzellenz-Schicksal der Universität Frankfurt. Amtlich bestätigt ist nämlich seit Herbst 2017, dass die international anerkannten Wissenschaftler, die das Vermächtnis der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule wachhalten und weiterentwickeln, keine Spitzenforschung betreiben. Als die DFR die ominöse Liste mit den Exzellenzclustern versendet hatte, die jetzt Antragsskizzen zu einem Vollantrag ausformulieren dürfen, suchte die Uni Frankfurt vergebens nach mindestens zwei ihrer eingereichten Cluster. So viele sind nämlich nötig, um für Runde 2 wieder in den Ring steigen und dort für den Status Exzellenzuniversität kämpfen zu dürfen (was jährliche Einnahmen von zehn bis fünfzehn Millionen bedeutet). Aus Frankfurt schaffte es nur ein Cluster aus der Medizin in die Liste. Die Kritische Theorie – nun ja, war sie vielleicht zu kritisch? Und was fällt der Hochschulleitung dazu ein? Demut und Suche nach dem Fehler bei sich und den Wissenschaftlern: Die Zeit sei zu knapp gewesen, es habe Lücken gegeben … Lese ich die Reden von Strohschneider und Alt und denke ich über meine eigenen bescheidenen Beobachtungen nach, dann sehe ich Lücken oder besser unheimliche große – schwarze – Löcher ganz woanders – nämlich in unserem sich verändernden Verständnis davon, was Wissenschaft ausmacht, wie wir Forschung sehen, was uns Bildung noch Wert ist und welche Idee von Universität wir haben.

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