Thematische Nähe in weiter Ferne

Sehr weit weg, im fernen Dunedin in Neuseeland, beschäftigt sich Tony Harland an der University of Otago mit Themen und Fragen, die auch für uns am HUL von höchstem Interesse sind. Nur durch Zufall bin ich auf ihn gestoßen. Eine seiner aktuellen Publikationen dreht sich um das Konstrukt Authentizität in der Lehre, speziell in der forschungsorientierten Lehre (teaching through research).

Unter dem Titel „A framework for authenticity in designing a research-based curriculum“ beschreibt er zusammen mit Navé Wald die Entwicklung eines Rahmenkonzepts für die Gestaltung forschungsorientierter Lehre unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte von Authentizität. Der Text gibt einen guten Überblick über verschiedene Auffassungen und Deutungen von Authentizität im Kontext der Hochschulbildung.

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Hauptsache sichtbar!?

Wenn man die „Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Gesamtstrategie der Universität Hamburg“ und vielleicht auch die Pressestimmen (z.B. hier oder hier) dazu gelesen hat, kann man an vielen Stellen hängen bleiben; an welchen, ist wohl eine Frage der Perspektive und der Rolle, die man selber hat. Nach dem ersten Lesen sind mir vor allem wiederkehrende Formulierungen und mehr oder weniger deutlich hervorgehobene Beurteilungsdimensionen aufgefallen, die mich fragen lässt: Was genau unterscheidet Wissenschaft und Bildung noch von Unternehmen? Natürlich: Universitäten brauchen Ressourcen, mit denen sie haushalten und dabei sehr verschiedene Interessen im Blick behalten, also auch ökonomisch handeln müssen; sie befinden sich außerdem in einem wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld und sind damit Vergleichen ausgesetzt und müssen sich dazu verhalten. Aber lässt sich die Betrachtung von Universitäten bzw. von einzelnen Disziplinen oder einer ganzen Gruppe von Disziplinen darauf reduzieren oder auch nur fokussieren?

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Erklären, was Philosophen tun

Was hat Hochschuldidaktik mit Philosophie zu tun? Vermutlich würden viele darauf antworten: Nichts! Faktisch ist es auch so, dass sowohl im deutsch- als auch im englischsprachigen Bereich Forschung auf Datensammeln beschränkt wird und philosophisches Argumentieren darin eher nichts zu suchen hat. Zu diesem Schluss kommt auch der Neuseeländer Clinton Golding in einem Text von 2013:

Golding, C. (2013). Must we gather data? A place for the philosophical study of higher education. Higher Education Research & Development, 32 (1), 152-155.

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Allerbeste Forschung

Einmal im Monat kommt per E-Mail der DHV-Newsletter. Vor ein paar Tagen habe ich die dritte Ausgabe von 2016 geöffnet; die erste drei Kurzmeldungen trugen die Titel: Eckpunkte der Exzellenzinitiative sollen stehen – Hochschulleitungen für exzellente Förderung über Spitzenforschung hinaus – Neue Förderpläne für innovative Hochschulen, wobei es auch unter dem dritten Titel um Leistung und Exzellenz geht. Letzten Monat (siehe hier) sah es ganz ähnlich aus; da hieß es: Exzellenzinitiative I: Imboden-Kommission legt Bericht und Empfehlungen vor – Exzellenzinitiative II: DHV will Neuausrichtung – Exzellenzinitiative III: HRK gegen Exzellenzregionen.

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Praxis des Vernunftgebrauchs

Forschungsorientierung in der Studieneingangsphase (FideS) ist das Thema unseres Forschungsprojekts im Rahmen des Programms Begleitforschung zum Qualitätspakt Lehre. Eine unserer Fragen im Rahmen dieses Projekts dreht sich um das Verständnis und die Ausprägung der Forschungsorientierung in der Lehre in Abhängigkeit von verschiedenen Disziplinen. Um hier ein Stück weiter zu kommen, haben wir unter dem Titel „Forschendes Lernen und Wissenschaftsdisziplinen“ am Dienstag einen Expertenworkshop mit rund 30 Personen veranstaltet, die in verschiedenen Rollen mit dem Thema beschäftigt sind: als Lehrende, als Koordinatoren oder Mitarbeiter im Qualitätspakt Lehre, als Forschende. Wir sind mit vielen Fragen und Interessen in den Workshop gegangen:

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Fremddisziplinär vereinnahmt

Nicht nur in der ZEIT werden Wissenschaftler/innen, ihre Arbeit und ihr (fehlender) Bezug Gesellschaft derzeit kritisch beleuchtet. Speziell auf die Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft gemünzt findet sich dazu auch ein aktueller Beitrag in der Zeitschrift für Pädagogik.

Smith, R. & Keiner, E. (2015). Erziehung und Wissenschaft, Erklären und Verstehen. Zeitschrift für Pädagogik, 61 (5), 665-682.

Die ersten Sätze aus dem Abstract macht die Stoßrichtung des Beitrags bereits deutlich: „Erziehungswissenschaft scheint gegenwärtig weltweit, besonders in englischsprachigen Ländern, zunehmend von der Übernahme, gar der Imitation, naturwissenschaftlicher Methoden bestimmt zu sein. Ein Beispiel hierfür ist die gegenwärtige Begeisterung für randomisierte kontrollierte Studien (randomised controlled trials, RCTs), die oft als der Goldstandard in der medizinischen Forschung gelten. Ein anderes Beispiel ist die bislang unerfüllte Erwartung, dass die Neurowissenschaften uns alles darüber sagen könnten, wie Menschen lernen und wie sie besser, d. h. schneller und effektiver, lernen könnten.“

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Lehre statt Professur!?

Sollen Profs im Bachelor lehren? – so fragt die Deutsche Universitätszeit (duz) hier und druckt die Antworten von zwei Professoren ab, deren Meinung dazu nicht unterschiedlicher sein könnte.

Wolfram Koepf, Professor am Institut für Mathematik an der Universität Kassel, meint „Auf jeden Fall sollen Profs im Bachelor lehren“: Warum? „Der Umgang mit Studienanfängern ist eine wichtige Erfahrung, die ich in meiner Tätigkeit nicht missen möchte und die mich als Dozenten auch immer wieder aufs Neue eicht. Diese Erfahrungen prägen auch die Neuerungen unserer Studiengänge. […] Zum anderen sind Lehre und Forschung die beiden akademischen Säulen, die nach meiner Ansicht für Professorinnen und Professoren denselben Stellenwert haben sollten, auch wenn dieser Grundsatz möglicherweise nicht bei jedem Berufungsverfahren vollständig zur Geltung kommt. Meiner Meinung nach ist Forschung nicht „wertvoller“ als Lehre, unsere Studierenden haben einen Anspruch auf die bestmögliche Ausbildung. […] Wenn die Lehre in den Bachelor-Studiengängen hauptsächlich von Lehrbeauftragten geleistet würde, führte dies unweigerlich bei den Professorinnen und Professoren zu einer Verschiebung ihrer Tätigkeit in Richtung Forschung […] Dies halte ich allerdings für völlig falsch. […] Worin würden sich dann Universitäten noch von außeruniversitären Forschungseinrichtungen unterscheiden? Die Trennung von Lehre und Forschung mag an außeruniversitären Forschungseinrichtungen angebracht sein, an Universitäten hat sie meines Erachtens nichts zu suchen.“

Volker Haucke, Direktor des Leibniz-Instituts für Molekulare Pharmakologie, dagegen ist überzeugt: „Auf keinen Fall sollen Profs im Bachelor lehren“: Warum? Von einer Einheit von Bildung und Forschung könne schon lange keine Rede mehr sein, zumindest die unteren Semester betreffend. Zudem kämen Studienanfänger mit immer mehr Defiziten, die man erst beheben müsse. Von daher seien festangestellte Dozenten, die nur lehren, die Lösung: „Sie könnten die Ausbildung vom ersten bis zum vierten Semester übernehmen. Professoren sollten vom fünften Semester an Forschungspraktika und Bachelor-Arbeiten betreuen. Idealerweise würden die Stellen mit ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeitern besetzt werden, die die Lehre als Berufung erkannt haben. Realistischerweise würde man auch diejenigen einstellen, die das selbstgesteckte Ziel einer Professur nicht erreicht haben, aber Engagement in der Lehre zeigen. […] Unbefristete Stellen im Sinne hervorragender Forschung sind nicht sinnvoll und werden auch in Zukunft nur einer kleinen Gruppe vorbehalten bleiben; doch die vielen guten und engagierten Leute, die nicht alle an die Spitze gelangen können, haben Besseres verdient, als mit Anfang vierzig auf der Straße zu stehen. Professoren könnten verstärkt Master-Studenten betreuen – und das unterrichten, was sie selbst begeistert, in einer echten Einheit von Forschung und Lehre.“

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Normal? Nein Danke!?

Heute – so scheint es – muss man beständig innovativ sein. Normalisierung ist vor dem Hintergrund der Allgegenwart von Innovationen so etwas wie Stillstand, Lähmung, in der Folge Rückstand, Erstarrung, und damit eine Gefahr für Organisationen, auch für Hochschulen, deren Entwicklung (Stichwort Hochschulentwicklung) wohl nie so stark eingefordert wurde wie im vergangenen Jahrzehnt. Interessanterweise – so scheint es ebenfalls – brauchen wir heute aber auch überall Standards. Normalisierung ist vor diesem Hintergrund eigentlich eine logische Folge, denn wenn es Standards gibt und man sich an diesen orientiert, führt das zu einem standardisierten Zustand und der ist entsprechend berechenbar, also doch eigentlich auch „normal“. Aber vielleicht liegt die Zukunft ja in einer Standardisierung der Innovation jenseits der Normalisierung? Ginge das? Ich bin mir nicht sicher. Wie auch immer: Neulich bin ich im Kontext Hochschule über den Satz gestolpert, dass Normalisierung eine Gefahr sei. Und darüber musste ich in den letzten Tagen immer wieder nachdenken. Irgendetwas an diesem knappen Satz hat mich gestört, ohne dass ich zunächst hätte sagen können, was genau.

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Wem gehört die Wissenschaft?

Wem gehört die Wissenschaft? Diese Frage habe ich mir gestellt, als ich auf der ersten Seite der aktuellen Ausgabe von Forschung & Lehre unter „Standpunkt“ (hier) einen kurzen Text des Literatur-Professors Hans Ulrich Gumbrecht gelesen habe. Ein Anker für den kurzen Essay von Gumbrecht ist der englische Begriff „Humanities and Arts“. Gumbrecht schreibt, er habe darunter lange einfach „Geisteswissenschaften“ verstanden. Sucht man im Netz nach Übersetzungen, trifft man auf viele Möglichkeiten: „Bildende Künste und Geisteswissenschaften“, „Kunst- und Geisteswissenschaften“, bei „Faculty of Arts and Humanities“ auch die Übersetzung „Philosophische Fakultät“. Gumbrechts eigene Umschreibung von „Humanities“ lautet: „denkende Auseinandersetzung mit Grundproblemen der menschlichen Existenz in verschiedenen thematischen und epistemologischen Dimensionen“. Dazu, so Gumbrecht, gehören auch Gespräche und Kontemplation, also eine „immer neu sich vollziehende Rückkehr der Konzentration zu Fragen, Texten, Figuren und historischen Momenten, die nur selten zu definitiven Antworten führt, aber immer wachsende Komplexität der Erfahrung hervortreibt“. In dieser Tätigkeit aber möchte Gumbrecht lieber gar nicht mehr als „Wissenschaftler“ bezeichnet werden. Es habe Vorzüge, sich vom Begriff der Wissenschaft zu befreien, da dieser in der Regel analog zu den Naturwissenschaften gesetzt und assoziert wird mit: empirischer Verifizierung, akkumuliertem Fortschritt, Drittmittel-Einwerbung, Sonderforschungsbereichen und deren Begehungen.

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Man liest sogar

In Kürze wird der Wissenschaftsrat auf einer Veranstaltung (hier das Programm) über die Ergebnisse einer Initiative berichten, die bereits 2004 beschlossen wurde. Im Hochschulmagazin duz kann man hier nachlesen, dass es dabei um ein neues Forschungsrating geht – entstanden aus der Unzufriedenheit mit bekannten nationalen und internationalen Verfahren. Diese dienen dazu, Ranglisten zu erstellen, an denen Wissenschaftler wie auch Studierende (und Förderinstitutionen) ablesen können sollen, wie gut eine Universität ist.

Das neue Verfahren des Wissenschaftsrats arbeitet vor allem mit Peer Reviews und kombiniert quantitative mit qualitativen Daten. „Statt nur die Zahl von veröffentlichten Aufsätzen in Fachzeitschriften zu zählen, werden ausgewählte Publikationen von den Gutachtern auch gelesen und bewertet“, so heißt es im besagten duz-Artikel.

Im Pilotverfahren wurden vier Fächer untersucht. Ziel war es unter anderem, die Spezifika der Fächer für ein Rating besser herauszuarbeiten. Der Ranking-Kritiker Richard Münch (Uni Bamberg) war einer der Gutachter in der Pilotstudie, und beschreibt im Artikel den Aufwand als sehr hoch: „Jedes einzelne der 16 Mitglieder der Gutachtergruppe hat im Zeitraum von zwei Jahren etwa drei Monate seiner Arbeitszeit in das Begutachtungsverfahren gesteckt“, so wird er zitiert.

16 mal drei Monaten innerhalb von zwei Jahren für einen Pilotbetrieb mit vier Fächern, das macht zusammen genau vier Jahre Arbeitszeit eines Wissenschaftlers oder eben ein Jahr Arbeitszeit von vier Wissenschaftlern für einen Bruchteil dessen, was an sich Gegenstand eines solchen Ratings wäre. Immerhin kommen dann die so beschäftigten Wissenschaftler nicht zum Forschen, sodass vielleicht der Evaluationsgegenstand ein bisschen kleiner wird. Wenn es das ist, was angestrebt wird (nämlich weniger Forschungsoutput, weil dieser vielleicht eh zu redundant, zu wenig neu o. ä. ist), dann hätte ich da noch ein paar andere Ideen, wie man das erreichen kann: z.B. mehr Zeitinvestition in die Lehre, mehr Personal für Betreuungsleistungen etc.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich finde es gut, dass man die bisherigen Ranking-Verfahren kritisch hinterfragt. Es ist auch völlig legitim, nach Alternativen zu suchen. Positiv ist, dass man erkannt hat, wie wichtig die Beachtung verschiedener Fächerkulturen ist. Und ich schließe mich auch gerne der Ansicht an, dass die Fachöffentlichkeit und alle interessierten Bürger ein Recht darauf haben, zu erfahren, was an Hochschulen so passiert – also auch in der Forschung. Aber ginge das nicht auch anders? Mit mehr Transparenz, die jeder Wissenschaftler und jede Universität jenseits der bloßen Marketing-Maßnahmen herstellt? Mit mehr echter gegenseitiger und vor allem kooperativ (versus auf Selektion) angelegter Kritik, die der Sache dient?

Außerdem: Glaubt denn jemand ernsthaft, dass Peer Review-Verfahren weniger anfällig für Fehleinschätzungen sind als manipulierbare Zählmethoden? Und was ist mit dem Aufwand? Wie lässt sich das rechtfertigen? Werden, wie der Artikel in der duz an einer Stelle suggeriert, tatsächlich Bund oder Länder die Ergebnisse heranziehen, um schwächeren Hochschulen unter die Arme zu greifen? Kann ich mir nicht vorstellen!

Übrigens: In einem Workshop der GMW 2012 zum Thema E-Science (Programm) habe ich mit Thomas Köhler und Klaus Wannemacher kurz diskutiert, welche Vorteile es hätte, wenn sich Wissenschaftler zu einer Publikationsbegrenzung verpflichten würden – also z.B. nur zwei Artikel im Jahre zu schreiben. Wir sind unter anderem zu dem Schluss gekommen, dass das eine Maßnahme zur Qualitätssteigerung sein und insbesondere den Diskurs über Publikationsinhalte erhöhen könnte. Und genau diesen Diskurs könnte man sicher mindestens parallel zu Reviews mit Selektionscharakter nutzen, um sich Einsicht in die Qualität von Forschung zu verschaffen.