Premium-Abwarter

Das Grundgesetz sichert die Wissenschaftsfreiheit – formal! „Informell wachsen die Fragezeichen, wie frei sich die Wissensorganisation der Universitäten oder Hochschulen noch entwickeln. Denn der Wettbewerbsdruck ruiniert das Freiheitsstreben“ – so Karl-Rudolf Korte in einem Kurzkommentar auf der Web-Seite von Forschung und Lehre (hier).

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Heiß gelaufen

25 Jahre Forschung & Lehre – ein sicher viel gelesenes Magazin (vom Hochschulverband herausgegeben), in dem sich immer wieder interessante, auch kritische Beiträge finden, freilich mitunter tendenziös und man kommt auch nicht mit jedem Thema und jeder Meinung hinein. Die erste Ausgabe in 2019 ist eine Art Jubiläumsausgabe und entsprechend dicker mit zahlreichen Essays und Interviews.

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Nicht schon wieder

Am 24. August 2018 berichtete der Journalist Jan-Martin Wiarda (hier) von einem aktuellen Vorstoß des neue Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Peter-André Alt, der sich – so der Titel und Aufhänger Wiardas, zum dauerhaften Wettbewerb in der Hochschullehre bekenne und zum Ziel habe, sich mit der HRK als Deutsche Lehrgemeinschaft zu bewerben .

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Im Gleichschritt

Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen“ – so lautet der Titel eines aktuellen Buches von Steffen Mau, erschienen 2017 im Suhrkamp Verlag. Das Buch beschäftigt sich mit der „Vermessung“ von Personen, Organisationen und Institutionen. Auch Wissenschaftler und Universitäten werden in einzelnen Kapiteln mehrfach als Beispiele aufgenommen. Die Konzentration auf Sichtbarkeit – ein Phänomen, das mir auch persönlich seit langem auf- und missfällt (siehe z.B. hier und hier) – und die Fixierung auf die Zahl werden kritisch hinterfragt. Dass wir uns mitten in einer digitalen Transformation befinden, befördert (wen wundert es) die Quantifizierung des Sozialen.

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Ist das nicht ganz erstaunlich?

Was muss man tun, um bekannt zu werden? Einen Wettbewerb veranstalten. Allerdings muss es sich schon lohnen. Mal eben 5.000 Euro (oder gar nur eine ideelle Anerkennung) auszuschreiben, lockt heute keinen mehr hinter dem Ofen hervor. 100.000 Euro sollten es schon mindestens sein – jedenfalls hatte auf diesem Weg der Medidaprix viele Wissenschaftler und Lehrende an Hochschulen zehn Jahre lang (bis 2009: hier die letzte Runde) dazu bewegt, an diesem Wettbewerb teilzunehmen. Klar, dass bei 250.000 Euro (insgesamt) noch mehr Leute aktiviert werden (da immerhin auch mehr gewinnen können) – selbst dann, wenn es eine ganze Reihe von Bedingungen gibt, die man einhalten muss. Aktuell ist dies der Fall beim MOOC Production Fellowship von iversity: Ich wollte mir einen Überblick verschaffen, welche MOOC-Veranstaltungen da eingereicht worden sind. Aber es sind so viele (leider kann ich nirgendwo erkennen, wie viele genau), dass ich es nicht geschafft habe, diese alle anzusehen. Mich versetzen zwei Dinge nun wirklich in Erstaunen:

Das erste Erstaunen ist positiver Art. So viele Professoren, Juniorprofessoren und Privatdozenten (und nur die dürfen einreichen – warum eigentlich?) zeigen, dass und wie sie sich Gedanken um die Lehre machen; man findet eine Fülle an Kursideen und interessanten Themen und hat dabei das Gefühl, dass die alten Klagen über verstaubte Hochschullehre, die sich den digitalen Medien verschließt, der Vergangenheit angehören. Und es ist eine tolle Sache, dass sich da einem Ort Leute mit ihren Lehrvorschlägen versammeln, weil man davon eine Menge lernen kann. Nur schade, dass man 250.000 Euro braucht, damit Lehrende in dieser Form ihre Ideen öffentlich machen und damit einen gegenseitigen Austausch ermöglichen.

Das leitet mich über zum zweiten Erstaunen und das ist eher negativ gefärbt: Es geht mir nicht um die 250.000 Euro. Natürlich wirken (für den Einzelnen gesehen) 25.000 Euro motivierend und die nimmt man im besten Fall mit – würde ich auch, ist ja wirklich eine ganze Menge Geld! Nein, mich erstaunt, dass so viele mitmachen, obschon die Bedingungen des Wettbewerbs (z.B. im Vergleich zum Medidaprix) recht eng gesteckt sind (siehe hierzu die Guidelines): (a) Inhalte müssen in kurzen Lehrsequenzen gegliedert sein – und als Videoinhalte präsentiert werden (mit Ergänzungsmöglichkeiten), (b) im Anschluss an jede kurze Lehrsequenz muss eine Interaktionsmöglichkeit für Studierende kommen – am besten ein Quiz; (c) es sind zwar auch andere Interaktionsformen möglich, aber: sie sollen sich möglichst direkt in iversity abbilden lassen. So viele kreative Köpfe lassen sich in dieser Form vorgeben, wie sie ein Lernangebot zu konzipieren und anzubieten haben? Ist das nicht ganz erstaunlich?

Ich lerne daraus: Man nehme richtig viel Geld, sage ganz genau, wo es lang geht und viele folgen einem … Ja, das ist es vielleicht etwas übertrieben – gebe ich zu. Aber mal ehrlich: Warum ist es denn nicht möglich, dass wir uns an unseren Hochschulen um kreative Lehre, neue Ideen und einen fundierten Austausch bemühen, ohne dass wir dafür Wettbewerbe, Rankings und hohe Preisgelder brauchen und – das ist jetzt aus meiner Sicht das Entscheidende – uns dabei weitgehend vorschreiben lassen, wie wir etwas zu gestalten haben?

Ich habe nichts gegen MOOCs – im Gegenteil: Ich finde es hervorragend, dass da jetzt so viel experimentiert wird. Das ist EIN interessantes Format. Und wie gesagt: Wenn man sich die eingereichten MOOC-Beispiele anschaut, dann ist das beeindruckend, was man da sieht. Ich will hier wirklich niemanden diskreditieren! Vielleicht geht es auch einfach nicht anders. Aber ich finde, man sollte mal über den Mechanismus nachdenken, der da im Hintergrund zu wirken scheint und in didaktischen Engführungen münden kann, vor denen Rolf Schulmeister bereits vor vielen Jahren im Zuge der Einführung von Lernplattformen gewarnt hat.

Schluss mit professionellem Dilettantismus

Geschichten sind eingängig und wenn sie auch noch wahr sind, regen sie besonders zum Nachdenken an. Ich hätte da eine Geschichte:

„Wie andere Produktionsbetriebe auch, war die Schuhindustrie in der Sowjetunion [Anm.: zur Zeit des Prager Frühlings] durch geringe Arbeitsproduktivität und eine gewaltige Ressourcenverschwendung geprägt. Niemand hatte einen Anreiz, sich Mühe zu geben […]. Die nächstliegende Lösung, nämlich die Einführung von Märkten, war aus ideologischen Gründen nicht möglich. So blieben nur künstlich inszenierte Wettbewerbe, um bestimmte positive Effekte einer Marktwirtschaft zu simulieren … Also begannen die Wirtschaftsexperten mit der Suche nach Leistungskriterien, um deren Erfüllung sich die Arbeiter dann einen Wettbewerb liefern sollten. Für die Schuhindustrie kamen die Experten auf die brillante Idee, einen Wettbewerb um möglichst hohen Materialverbrauch zu veranstalten und den besten Arbeitern dann entsprechende ´Leistungsprämien´ zu zahlen. Der Gedanke hinter dieser Tonnenideologie ist durchaus nachvollziehbar. Wer mehr Schuhe produziert, braucht mehr Material, dessen Verbrauch sich wiederum in Gewichtseinheiten messen lässt. Doch das Resultat war anders, als die Experten sich dies vorgestellt hatten. Im Verlauf weniger Jahre wurden die Schuhe immer schwerer. Die zuvor nur wenig motivierten Arbeiter in der Schuhindustrie zeigten sich plötzlich innovativ und entwickelten kontinuierlich neue Modelle, bei denen sie noch mehr Material verwenden konnten“ (Binswanger, 2010, S. 47 f.).

Wem kommen da nicht sofort analoge, aktuelle Beispiele aus dem eigenen Bereich der Forschung und Lehre in den Sinn? Künstlich inszenierte Wettbewerbe haben sich ja geradezu zum Leitparadigma der Hochschulpolitik und Hochschulen entwickelt. Auch dazu weiß Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre, in seinem Buch „Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren“ (2010 im Herder Verlag erscheinen) zu berichten. Werner Hartmann hat mich auf das Buch aufmerksam gemacht und ich habe es mit Gewinn gelesen.

Insbesondere der erste Teil war für mich sehr interessant: Hier zeichnet Binswanger anhand anschaulicher Beispiele die Genese der heute allgegenwärtigen Marktgläubigkeit nach und beschreibt die Illusionen, die mit künstlichen Wettbewerben ohne echten Markt geschürt werden. Zudem begründet er nachvollziehbar, dass man qualitative Leistungen nicht mit Kennzahlen messen kann, und warum man, wenn man es dennoch macht, Unmengen von Bürokratie und perverses Verhalten erzeugt. Im zweiten Teil wendet er seine Überlegungen auf die Bereiche Wissenschaft, Bildung und Gesundheitswesen an. Seine Folgerungen am Ende des Buches sind entsprechend konsequent. So bezeichnet es Binswanger (2010, S. 216) z.B. als kontraproduktiv, „Wissenschaftler, Professoren, Lehrer oder Ärzte unter den Generalverdacht der Leistungsverweigerung zu stellen und in jedem ein potentiell schwarzes Schaf zu vermuten, aus dem man eine gute Leistung mit einem Zuckerbrot herauskitzeln oder mit der Peitsche herausprügeln muss.“ Er plädiert dafür, wieder subjektive Verantwortung zu übernehmen, statt sich auf pseudo-objektive Zahlen zu verlassen: „Ein begründetes subjektives Urteil kann man nur abgeben, wenn man über das zu beurteilende Individuum und dessen inhaltliche Tätigkeit Bescheid weiß. Doch dieser Mehraufwand lohnt sich. Die Verdrängung des Inhalts durch Form ist nämlich eines der Hauptprobleme der Verwendung von ´objektiven Kennzahlen´. Immer mehr ´Leistungen´ und ´Qualitäten´ werden gemessen, evaluiert und beurteilt, ohne dass irgendjemand Ahnung hat, was sich inhaltlich dahinter verbirgt. Und mit diesem professionellen Dilettantismus gilt es aufzuhören“ (Binswanger, 2010, S. 223). Man ist angesichts solcher Zitate in Versuchung, das Buch allen Unileitungen zu empfehlen.