Bernhard Pörksen hat ein neues Buch geschrieben: „Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung.“ In der letzten Zeit-Ausgabe (auch online hier) findet sich ein Essay, der auf dem Buch basiert. Die Überschrift „Alle müssen Journalisten sein“ ist vielleicht nicht ganz so glücklich gewählt, jedenfalls beißen sich viele Online-Kommentare zum Artikel daran fest. Ob mal wieder, wie Pörksen vorschlägt, ein eigenes Schulfach als „Labor der redaktionellen Gesellschaft“ die Rettung sein kann, um „die revolutionäre Öffnung des kommunikativen Raumes zu verarbeiten, die derzeitige Phase der mentalen Pubertät im Umgang mit den Medien der vernetzten Welt zu überwinden“, mag man ebenfalls bezweifeln. Was er aber konkret fordert, ist, so denke ich, eine wichtige Bildungsaufgabe an Schulen und Hochschulen, nämlich zu „lernen, dass Medien, von der Erfindung der Schrift, der Druckerpresse, des Telefons, des Radios, des Fernsehens oder eben des Netzes an, Wirklichkeitsmaschinen und Werkzeuge der Welterkenntnis sind, die bestimmen, was wir für wahr halten, worüber wir sprechen, wie wir Autorität begreifen.“
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Grenzen der Machbarkeit
„Es wird Zeit, einen kritischen Standpunkt zum Technologie-Determinismus einzunehmen“ – so einer der einleitenden Sätze von Rolf Schulmeister und Jörn Loviscach in einem Text von 2017 mit dem Titel „Mythen der Digitalisierung mit Blick auf Studium und Lernen“ – online abrufbar hier. Der Anlass: „Die Grenze zwischen populären Darstellungen und ernstzunehmenden Studien zur Digitalisierung verschwimmt in der öffentlichen Wahrnehmung.“ (S. 1) – und nicht nur da, würde ich ergänzen. Der Druck auf die Hochschulen wächst, Digitalisierung zum strategischen Thema zu machen. Allerdings nicht etwa deswegen, weil man erkannt hat, wie wichtig ein wissender und mündiger Umgang mit digitalen Technologien ist, sondern weil wir uns angeblich auf einer Aufholjagd befinden, um international nicht abgehängt zu werden (wovon genau?).
Oberflächenkonsens
Jetzt wird es Zeit, dass ich endlich mal über den Herausgeberband von Markus Weil mit dem Titel „Zukunftslabor Lehrentwicklung. Perspektiven auf Hochschuldidaktik und darüber hinaus“ berichte. Schon zum Jahresende lag es auf meinem Schreibtisch. Tobias Schmohl und ich haben einen Beitrag zur Reform bzw. Neuentwicklung des Masterstudiengangs Higher Education beigesteuert. Der eher schmale Band enthält insgesamt elf Texte. Ich möchte exemplarisch ein paar herausgreifen – ohne dass damit eine Wertung verbunden wäre. Auswahlkriterium für diesen Blog-Beitrag sind ganz persönliche „Hängen-Bleiber“, was immer auch mit aktuellen Beobachtungen und Erlebnissen zu tun hat. Ich begrenze mich mal auf vier (sonst wird das hier auch zu lang ;-)).
Aus Überzeugung
Forschendes Lernen gibt es in vielen Spielarten. Eine davon rückt die Kooperation (hier von Sozialwissenschaften) mit externen Partnern ins Zentrum – und zwar keineswegs nur aus der Wirtschaft, sondern auch aus Sport, Kultur, Bildung usw. Das „Projektbüro Angewandte Sozialforschung“ (kurz Projektbüro) unterstützt seit 2010 an der Universität Hamburg angewandte Forschungsprojekte von Studierenden im Rahmen der Lehre. En aktueller Beitrag von Kai-Uwe Schnapp in der Zeitschrift für Politikwissenschaft (hier das Abstract) fasst nun das Vorgehen, die bisherigen Erfahrungen und die nach wie vor bestehenden Schwierigkeiten kompakt zusammen (leider gibt es den Artikel nicht online, aber über Bibliotheken kommt man an eine digitale Fassung).
Mut zur Geduld gegen die unaufhörliche Leistungsschau
Und noch eine Rede (online hier) – mit der gleichen Stoßrichtung wie die Rede von Peter Strohschneider (siehe hier), gehalten von Peter-André Alt, Präsident der FU Berlin am 30. November 2017 (im Allianz-Forum Berlin). Auch in dieser Rede geht es um die Wissenschaft und ihre gesellschaftliche Verantwortung, um die aktuelle Wissenschaftsfeindlichkeit, um Populismus und Vereinfachung, aber auch um Fehlentwicklungen im Wissenschaftsbetrieb. Ich finde, noch mehr als Strohschneider bringt Alt auf den Punkt, was uns verloren zu gehen droht, wenn er schreibt:
„Mut zur Geduld gegen die unaufhörliche Leistungsschau“ weiterlesen
Mit Selbstbegrenzung und Selbstdistanz gegen die Überproduktionskrise
Über den Newsletter des Deutschen Hochschulverbands bin ich auf einen Vortrag von Peter Strohschneider vom Juli 2017 (online hier abzurufen) aufmerksam geworden. Dieser wurde kürzlich vom Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen zur „Rede des Jahres 2017“ gekürt (siehe hier). Unter dem Titel „Über Wissenschaft in Zeiten des Populismus“ spricht sich der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft in dieser Rede gegen populistische Vereinfachungen und alternative Fakten aus, wirft aber auch einen kritischen Blick auf die aktuelle Wissenschaftspraxis – lesenswert, wie ich finde. Ein paar Passagen möchte ich hervorheben und zitieren, weil ich sie für besonders wichtig und überzeugend halte: „Mit Selbstbegrenzung und Selbstdistanz gegen die Überproduktionskrise“ weiterlesen
An Trivialität kaum zu überbieten
Nach dem Konzept des Student Engagement „lernen Studierende umso mehr […], je mehr sie sich während ihres Studiums mit sinnvollen Lernaktivitäten beschäftigen“. Wie bitte? Ja, besser nochmal lesen, das ist nämlich ernst gemeint und steht so in einem aktuellen Beitrag (2017) der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft von Lars Müller und Edith Braun. Unter dem Titel „Student Engagement. Ein Konzept für ein evidenzbasiertes Qualitätsmanagement an Hochschulen“ (online hier abzurufen) berichten die Autoren, wie sie das US-amerikanische Konzept des Student Engagement an deutsche Verhältnisse anpassen und als Befragungsinstrument an Hochschulen einsetzen.
Der Hans, der sagts jetzt auch
Der Behaviorismus ist zurück – im neuen Gewand der sogenannten Learning Outcomes, die uns seit Beginn des Bologna Prozesses die Modernisierung der verstaubten Hochschulbildung anpreisen. Geschickt verpackt mit dem Ruf nach Kompetenzorientierung und im Einklang mit dem Prinzip des Constructive Alignment haben uns die Learning Outcomes, und mit ihnen die auf neu getrimmten alten Lehrzieltaxonomien, an den Universitäten fest im Griff. Das ist nicht unwidersprochen geblieben:
Verbotene Wörter
Das ist so eine Sache mit der Evidenzbasierung in den Bildungswissenschaften. Gerne ist man da ausgesprochen dualistisch unterwegs: Bist du für oder gegen Evidenzbasierung? Aber das ist freilich Unsinn. Als mit dem Regierungswechsel in den USA die Wissenschaft plötzlich bangen musste, ob ihre Erkenntnisse noch ernst genommen werden und Relevanz haben (auch für praktische, das heißt ebenfalls: politische Entscheidungen), war das auf den ersten Blick ein starkes Argument für eine „evidenzbasierte Bildungspraxis“, denn: Wer mag sich als Wissenschaftler schon in einen Topf geworfen sehen mit denen, die „gegen Fakten sind“, die wider besseres (wissenschaftliches) Wissen lieber einer „gefühlten Wahrheit“ folgen?
Die (Wieder-)Entdeckung des Lehrens
Gert Biesta hat nicht nur, aber vor allem die Schule im Blick, wenn er in seinem neuen Buch „The rediscovery of teaching“ eine bildungstheoretische Argumentation vorlegt, welche die Relevanz des Lehrens herausarbeitet – in einer Zeit, in der sich alles um das Lernen dreht. In der Hochschuldidaktik ist der „Shift from teaching to learning“ ein unhinterfragter Bibelspruch geworden, den man zu jeder Gelegenheit aufsagt und versichert, sich daran immerzu zu halten. Gert Bietsa hält dagegen – und das tut er an einigen Stellen seines Buches durchaus provokativ.