Hilfe, mein Prof bloggt!

Warum bloggen Professoren? So lautet die Frage zu einer Blogparade hier. Und dann stehe ich da an erstere Stelle – ja, natürlich muss ich darauf antworten – das ist klar! Aber das ist nach kurzem Nachdenken gar nicht so einfach. Wahrscheinlich ließe sich die Frage leichter beantworten, warum Professoren in aller Regel NICHT bloggen. Die Antwort steht vielleicht schon im Aufruf zur Blogparade: „Blogposts werden auf keiner Publikationsliste erwähnt. Blogposts werden bei Anträgen um Drittmittel nicht berücksichtigt.“ Genau! Ob Profs jetzt so viel Wert darauf legen, dass ihre Studierenden den Blog lesen, das glaube ich jetzt mal nicht. Vielleicht hoffen sie sogar, dass sie ihn NICHT lesen. Die eigenen Mitarbeiter lesen den Blog „ihres“ Profs dagegen vermutlich schon. Aber es gibt sicher noch andere Gründe dafür, als Prof nicht zu bloggen: Die Leserschaft in der Blogosphäre ist vielleicht nicht so „gewinnbringend“. Und außerdem hat man als Prof natürlich für solche Sachen keine Zeit bzw. braucht seine Zeit für wichtigere Dinge.

Und ich? Vielleicht blogge ich, weil ich zu viel Zeit und nichts Besseres zu tun habe – oder weil ich die Leserschaft mag (die man freilich aber so genau nicht kennt) – oder weil ich eh keine Drittmittel mehr will (weil man dann nämlich wieder mehr Zeit hat) – oder weil die Publikationsliste lang genug oder wegen fehlender International Journals ohnehin schon lange nichts mehr wert ist – oder: Es ist der Selbstdarstellungstrieb. Diesen Verdacht haben ja vor allem diejenigen, die nicht bloggen und sich fragen, wie man dafür seine Zeit verschwenden kann. Und wenn sie dann Christians letzten Blogposts zur Selbstdarstellung im Gruftie-Gewand auf dem Weg zur Unsterblichkeit (hier) lesen, dürfte der letzte Zweifel über die Richtigkeit dieser Überzeugung zerstreut sein 😉

Aber so ist es freilich nicht ganz … Natürlich fehlt auch mir schon mal die Zeit für Dinge, die ich an sich noch gerne machen würde. Natürlich frage ich mich manchmal selber, ob ich nicht besser einen weiteren Artikel schreiben statt mehrere Stunden im Monat meinem Blog widmen sollte. Natürlich wundere ich mich bisweilen, warum so wenig kommentiert wird und ob sich das „lohnt“. Aber: (1) Es gibt viele Vor- und Falschurteile über Wissenschaftler und Hochschullehrer – und da bietet gerade ein Blog eine schöne Gelegenheit, das eine oder andere ein wenig geradezurücken. (2) In Diskussionen sind Argumente und Meinungen recht flüchtig – in einem Blog lassen sich diese abgewogener und dauerhafter darstellen. (3) Auch Professoren haben persönliche Meinungen, die man in wissenschaftlichen Texten in der Regel nur indirekt zum Ausdruck bringen kann – ein Blog bietet die Chance, wesentlich informeller aufzutreten und die eigene Meinung zu sagen. (4) Neue Menschen kann man nicht nur in der physischen Welt kennenlernen – schon oft bin ich via Blogs auf interessante Personen gestoßen, die wirklich etwas zu sagen hatten.

Mein Tipp an Profs: Lasst die Hände vom Bloggen, wenn ihr euch davon einen bestimmten Nutzen versprecht! Bloggen aus strategischen Gründen (Marke „Peerblog“) ist sicher Zeitverschwendung, und Spaß macht das auch nicht – weder den Schreibenden noch den Lesern. Schön fände ich es trotzdem, wenn es mehr bloggende Wissenschaftler z.B. in den Bildungswissenschaften gäbe, die einem Einblicke in ihre Arbeits- und Gedankenwelt geben. Vielleicht bringt ja die Blogparade noch ein paar Gründe mehr zum Vorschein, warum sie es NICHT tun – die Profs …

Denkzettel

Wie manche vielleicht schon bemerkt haben, stehen in meinem Blog ein paar Neuerungen an. Nach gut sechs Jahren war mal ein neues Design fällig. Außerdem werde ich bis Sommer die Seite um weitere Informationen ergänzen – neben Publikationen auch solche über Forschung und Lehre. Das Ganze ist also noch ein bisschen Baustelle und wird es auch noch eine Weile bleiben. Bei der Gelegenheit fand ich auch, dass ich mal den Namen ändern könnte. Mir ist schon klar, dass das immer eine schwierige Sache ist, weil sich über Jahre hinweg Bezeichnungen (in dem Fall: E-Denkarium) einprägen. Ich versuche es trotzdem – nämlich mit DENKZETTEL. Mir gefällt der Name, weil man ihn vielfältig deuten und einsetzen kann … Ansonsten wird sich nicht viel ändern: Ich werde nach wie vor versuchen, mindestens einmal pro Woche meinen digitalen Zettel mit hoffentlich brauchbaren Gedanken zu dem zu füllen, was mir so auffällt und durch den Kopf geht und öffentlich mitgeteilt werden kann 😉

Zum Bild: Nein, ich verkaufe keine Gartenmöbel, ich mag sie einfach nur – unsere bunten Stühle zuhause …

Wissenslücken – ohne schlechtes Gewissen

Meine Habilitationsschrift – (sehr) LANG ist es her! 😉 – beginnt mit einem Zitat von Mittestraß: “Wer nur Wege geht, die auch andere gehen, übersieht allzu leicht das Unwegsame, das wirklich Neue, den Schwindel des Nichtwissens und den Umstand, daß wir nicht nur in einer Welt der Gegenstände, sondern auch in einer Welt der Aneignung, der Bedürfnisse und schwächer werdenden Orientierungsleistungen leben” (Mittelstraß, 1998, S. 43). Das mit dem „Nichtwissen“ hat mich immer schon fasziniert und gleichzeitig mit Fragezeichen versorgt, was allerdings auch daran liegen dürfte, dass ich die Sprache der Soziologen nicht immer besonders gut verstehe. Recht gut verstanden (soweit man das selber beurteilen kann) habe ich aber in den 1990er Jahren die Texte von Nico Stehr. Für meine Habil habe ich damals sein Buch mit dem Titel „Arbeit, Eigentum und Wissen: Zur Theorie von Wissensgesellschaften“ (1994) gelesen. Heute Morgen dann (als Ausgleich zu ein paar Tagen schrecklicher Bürokratie-Arbeit) bin ich auf einen seiner aktuellen Texte gestoßen: „Wissen und der Mythos vom Nichtwissen“ (online hier).

In diesem Beitrag vertritt Stehr die These, dass die Dualität von Wissen und Nichtwissen wenig erhellend ist. Das Nichtwissen sei zu einem Mythos geworden – auch in den Medien. Aus meiner Sicht fragt Stehr zu Recht, was denn genau die Bezugsgröße dieser Dualität sei: das Individuum oder das Kollektiv? Für Steht arbeitet unsere heutige Gesellschaft notgedrungen „kognitiv arbeitsteilig“ – und das sogar ganz erfolgreich. Eine strikte Gegenüberstellung von Wissen und Nichtwissen passe da genau genommen denkbar schlecht hinein. Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es ihm unter anderem darum, uns ein wenig das schlechte Gewissen zu nehmen, wenn wir immer wieder feststellen, was wir alles nicht wissen (wobei das schon schwierig genug ist, weil man ja an sich nicht wissen kann, was man nicht weiß, da es in dem Moment schon wieder Wissen ist). Gleichzeitig lese ich aus dem Text heraus, dass Expertentum notwendig ist. „Es ist unrealistisch zu glauben, dass der Durchschnittsbürger, einschließlich der gut ausgebildeten, ausreichend ´technisches´ Wissen hat oder haben sollte, um in komplexe Entscheidungsfindungen einzugreifen“ (S. 49).

Stehr schlägt vor, Wissensformen nach der „Art der involvierten Partizipation“ (S. 51) zu unterscheiden. Das hört sich für mich interessant hat, wird aber leider nicht näher ausgeführt. Interessant finde ich das deshalb, weil es auch Auswirkungen auf didaktische Aufgaben haben könnte. Vielleicht wäre es fruchtbar, hier weiterzudenken und soziologische Impulse dieser Art für didaktische Fragen zu nutzen? Allerdings kann ich dem Vorschlag nicht zustimmen, Wissen vor allem als soziologisches Konstrukt zu fassen (S. 51). Man muss es aus meiner Sicht in jedem Fall AUCH als ein psychologisches Konstrukt sehen und bearbeiten. Stehrs Definition von Wissen als „Fähigkeit zum sozialen Handeln“ hat aber durchaus das Potenzial, sowohl psychologisch als auch soziologisch verstanden zu werden. Wenn noch hinzukommt, dass sich mit Wissen im so verstandenen Sinne die Handlungsmöglichkeiten erweitern, freuen sich auch die Pädagogen, weil das ja nun Zweck jedweder Form von Bildung ist (also die Erweiterung der Handlungsspielräume). Und siehe da: Man kommt hier ganz ohne den Kompetenzbegriff aus 🙂

Und was ist jetzt mit dem Nichtwissen? Stehr plädiert dafür, sich des Gegensatzes von Wissen und Unwissen (entspricht das dem Nichtwissen?) zu entledigen (S. 54). Besser sei es, davon zu sprechen, dass Personen mal mehr, mal weniger wissend oder unwissend (je nach Kontext) seien. Guter Vorschlag – jedenfalls für mich, denn: Ich verliere bei diesen „Negationsdiskursen“ regelmäßig den Faden und frage mich: Was genau sollen wir mit den „Erkenntnissen“ anfangen?

Ist das nicht ganz erstaunlich?

Was muss man tun, um bekannt zu werden? Einen Wettbewerb veranstalten. Allerdings muss es sich schon lohnen. Mal eben 5.000 Euro (oder gar nur eine ideelle Anerkennung) auszuschreiben, lockt heute keinen mehr hinter dem Ofen hervor. 100.000 Euro sollten es schon mindestens sein – jedenfalls hatte auf diesem Weg der Medidaprix viele Wissenschaftler und Lehrende an Hochschulen zehn Jahre lang (bis 2009: hier die letzte Runde) dazu bewegt, an diesem Wettbewerb teilzunehmen. Klar, dass bei 250.000 Euro (insgesamt) noch mehr Leute aktiviert werden (da immerhin auch mehr gewinnen können) – selbst dann, wenn es eine ganze Reihe von Bedingungen gibt, die man einhalten muss. Aktuell ist dies der Fall beim MOOC Production Fellowship von iversity: Ich wollte mir einen Überblick verschaffen, welche MOOC-Veranstaltungen da eingereicht worden sind. Aber es sind so viele (leider kann ich nirgendwo erkennen, wie viele genau), dass ich es nicht geschafft habe, diese alle anzusehen. Mich versetzen zwei Dinge nun wirklich in Erstaunen:

Das erste Erstaunen ist positiver Art. So viele Professoren, Juniorprofessoren und Privatdozenten (und nur die dürfen einreichen – warum eigentlich?) zeigen, dass und wie sie sich Gedanken um die Lehre machen; man findet eine Fülle an Kursideen und interessanten Themen und hat dabei das Gefühl, dass die alten Klagen über verstaubte Hochschullehre, die sich den digitalen Medien verschließt, der Vergangenheit angehören. Und es ist eine tolle Sache, dass sich da einem Ort Leute mit ihren Lehrvorschlägen versammeln, weil man davon eine Menge lernen kann. Nur schade, dass man 250.000 Euro braucht, damit Lehrende in dieser Form ihre Ideen öffentlich machen und damit einen gegenseitigen Austausch ermöglichen.

Das leitet mich über zum zweiten Erstaunen und das ist eher negativ gefärbt: Es geht mir nicht um die 250.000 Euro. Natürlich wirken (für den Einzelnen gesehen) 25.000 Euro motivierend und die nimmt man im besten Fall mit – würde ich auch, ist ja wirklich eine ganze Menge Geld! Nein, mich erstaunt, dass so viele mitmachen, obschon die Bedingungen des Wettbewerbs (z.B. im Vergleich zum Medidaprix) recht eng gesteckt sind (siehe hierzu die Guidelines): (a) Inhalte müssen in kurzen Lehrsequenzen gegliedert sein – und als Videoinhalte präsentiert werden (mit Ergänzungsmöglichkeiten), (b) im Anschluss an jede kurze Lehrsequenz muss eine Interaktionsmöglichkeit für Studierende kommen – am besten ein Quiz; (c) es sind zwar auch andere Interaktionsformen möglich, aber: sie sollen sich möglichst direkt in iversity abbilden lassen. So viele kreative Köpfe lassen sich in dieser Form vorgeben, wie sie ein Lernangebot zu konzipieren und anzubieten haben? Ist das nicht ganz erstaunlich?

Ich lerne daraus: Man nehme richtig viel Geld, sage ganz genau, wo es lang geht und viele folgen einem … Ja, das ist es vielleicht etwas übertrieben – gebe ich zu. Aber mal ehrlich: Warum ist es denn nicht möglich, dass wir uns an unseren Hochschulen um kreative Lehre, neue Ideen und einen fundierten Austausch bemühen, ohne dass wir dafür Wettbewerbe, Rankings und hohe Preisgelder brauchen und – das ist jetzt aus meiner Sicht das Entscheidende – uns dabei weitgehend vorschreiben lassen, wie wir etwas zu gestalten haben?

Ich habe nichts gegen MOOCs – im Gegenteil: Ich finde es hervorragend, dass da jetzt so viel experimentiert wird. Das ist EIN interessantes Format. Und wie gesagt: Wenn man sich die eingereichten MOOC-Beispiele anschaut, dann ist das beeindruckend, was man da sieht. Ich will hier wirklich niemanden diskreditieren! Vielleicht geht es auch einfach nicht anders. Aber ich finde, man sollte mal über den Mechanismus nachdenken, der da im Hintergrund zu wirken scheint und in didaktischen Engführungen münden kann, vor denen Rolf Schulmeister bereits vor vielen Jahren im Zuge der Einführung von Lernplattformen gewarnt hat.

Oh – jetzt weiß ich wieder, warum ich Pädagogik studiere

„Bepflanzung und gutes Raumklima inkl. Farben, ein mobiles Mobiliar, ein Touchscreen sowie eine Projektionsmöglichkeit aus allen Punkten des Raumes“ – so die relativ übereinstimmende Wunschliste von Studierenden, die Martin Ebner (mit Team) 2012 zum Thema Lehr-Lernraum in Workshops hat nachdenken lassen. Nun ist an der TU Graz so ein Raum versuchsweise eingerichtet worden (Text und Bilder hier).

Leider ist das an vielen Hochschulen nicht Realität: Wenn ich an Mobiliar in Unis denke, fallen mir (aktuell z.B.) unglaublich schwere Stühle und Tische ein, bei denen man sich zweimal überlegt, ob man auch nur Kleinigkeiten umstellt (die müssen da irgendwo Blei reingegossen haben). Oder man ist mit Hausmeistern und anderen „Raumwächtern“ konfrontiert, die einen bereits als potenziellen Vandalen im Visier haben, wenn man mal die Sitzordnung ändert.

Ab und zu mache ich es dann aber doch: Ein großer Effekt entsteht bereits, wenn man die Tische entfernt (was natürlich voraussetzt, dass die Studierenden nicht zwingend mitschreiben müssen). Das irritiert erfahrungsgemäß erst einmal stark – schon allein deshalb, weil man jetzt nicht weiß, wohin mit dem Kaffeebecher und der Wasserflasche (auch die Brotzeit kann man schlecht auspacken), und es ist schwerer, hinter dem geöffneten Notebook zu verschwinden. Überhaupt: Das ist erst mal ungemütlich – ungewohnt. Dumme Sprüche („oh – jetzt weiß ich wieder, warum ich Pädagogik studiere“) muss man freilich auch hinnehmen. In der Regel lohnt es sich trotzdem: Die Aufmerksamkeit ist anders fokussiert – der Tisch als Barriere zwischen Studierenden und Lehrenden ist weg. Es entsteht mehr Nähe, die natürlich (vor allem wenn sie ungewohnt ist) auch abgelehnt werden kann. In jedem Fall zeigen die meisten Personen in solchen Situationen mehr Präsenz – und die wünscht man sich als Lehrender ja schon (was gibt es Schlimmeres als in völlig abwesende Gesichter zu blicken).

Was ich auch nicht schlecht fände, wären Stehtische. Sitzt man nicht ohnehin genug? Ich selber stehe als Lehrende zwar die meiste Zeit – aber die Studierenden: Sitzen sie nicht ohnehin zu viel? Also wären auch Stehtische an den Wänden ganz gut, z.B. um sich da dann Notizen zu machen, oder auch mal im Netz etwas nachzuschauen etc. Auf Pflanzen könnte ich dagegen verzichten (wer denkt immer dran, die auch zu gießen?), aber mehr Farben: Ja, auf jeden Fall! Überhaupt: Etwas mehr Ästhetik – das Auge lernt ja mit, oder?

Man muss auch dran glauben

Peter Baumgartner und Claudia Bremer haben es bereits gepostet: Es wird, nachdem die „Zeitschrift für E-Learning“ (ZEL) in der gewohnten Form aus unserer Sicht nicht mehr sinnvoll war, wieder eine deutschsprachige Zeitschrift geben, die sich dem Themengebiet „Lehren, Lernen, Bildung und digitale Technologien“ widmet. Unter dem Akronym iTeL – steht für „Interdisziplinäres Journal für Technologie und Lernen“ – wollen wir künftig noch interdisziplinärer agieren und vor allem eine Open Access-Publikationsmöglichkeit mit neuem Peer Review-Verfahren auf die Beine stellen. „Wir“ sind ein (im Vergleich zur ZEL) erweiterter Kreis von Wissenschaftler/innen, die sich für das neue Vorhaben begeistern.

Ich möchte jetzt nicht wiederholen, was Claudia und vor allem, etwas ausführlicher, Peter schon über die bisherigen Entwicklungen und noch anstehenden Aufgaben gesagt haben. Am besten auf Peters Blog (hier) und dem GMW-Blog (hier) nachlesen.

Meine persönliche Hoffnung auf einen Erfolg von iTeL schöpfe ich vor allem aus dem größeren Kreis der beteiligten Personen, denn: Mehr Mitdenker schaffen einfach mehr, können sich gegenseitig besser Ideen zuspielen und unterstützen, aber auch Spitzen in der Arbeitsbelastung angemessener ausgleichen. Wichtig erscheint mir, von der dahinterstehenden Idee überzeugt zu sein, also davon, (a) dass es sich AUCH lohnt, Deutsch zu publizieren, (b) dass es trotz aller damit verbundener Schwierigkeiten möglich ist, AUCH im Open Access-Format eine hochwertige Zeitschrift zu machen, und (c) dass es NEBEN der Begutachtung zum Zwecke der Selektion noch so etwas wie eine Feedbackkultur in der wissenschaftliche Auseinandersetzung um Theorie, Empirie und Entwicklung und deren Beitrag für Wissenschaft und Praxis geben kann – auch wenn damit der Aufwand steigt. Ja, ein bisschen dran GLAUBEN muss man da schon, sonst wird es nichts – sonst holen einen die vorweggenommenen „Wenns und Abers“ schnell wieder ein, sonst gibt man bei den ersten Hürden (die sicher kommen werden) zu rasch wieder auf.

Ich ergänze also Peters „Unterstützt uns!“ durch ein „Glaubt dran!“ 😉 (auch wenn es LEIDER keine Sicherheiten gibt)

Schwächen kaschieren statt sie beheben

Heute hat in München der Aktionsrat Bildung ein Gutachten vorgestellt, das sich mit dem Akkreditierungswesen in der deutschen Hochschullandschaft befasst. Der Titel des Gutachtens fasst bereits die Kernbotschaft zusammen: „Qualitätssicherung an Hochschulen: von der Akkreditierung zur Auditierung“. Das 50-seitige Gutachten kann hier abgerufen werden und es empfiehlt sich die Lektüre – nicht nur dann, wenn man selbst als Hochschullehrer oder anderweitig Beteiligter an Akkreditierungsverfahren mitwirkt(e). In einer Pressemeldung zur Vorstellung des Gutachtens (hier) wird der Vorsitzende des Aktionsrats Bildung, Dieter Lenzen, wie folgt zitiert: „In den zurückliegenden Jahren vermehrten sich die Klagen aus den Hochschulen über die Akkreditierungsverfahren im Hinblick auf ihren bürokratischen und finanziellen Aufwand. Es bedarf daher eines raschen Reformprozesses mit dem Ziel, staatliche Genehmigungsverfahren und Detailkontrolle durch qualitätsorientierte Beratung von Auditierungsagenturen zu ersetzen. Sie stellen Mindeststandards und mehr Eigenverantwortung der Hochschulen im Qualitätsmanagement sicher.“

Das Gutachten skizziert die historische Entwicklung des deutschen Akkreditierungsverfahrens und macht auf ungünstige Analogiebildungen, aber auch auf die verfassungsrechtlich unklaren Punkte der aktuellen Akkreditierungspraxis aufmerksam. Relativ detailliert werden zudem die Probleme dargelegt, die nicht nur in den Kosten und im bürokratischen Aufwand liegen, sondern auch darin, dass die Unterschiede in Vorstellungen von Qualität nicht ins Bewusstsein gerückt und auf diesem Wege die eigene Logik und die Besonderheiten von Hochschulen vernachlässigt werden. Auf mehreren Seiten (S. 53-56) gehen die Autoren des Gutachtens auch auf die enormen motivationalen Folgeschäden der Akkreditierung unter den Beteiligten ein.

Dass man (und das gehört zum Motivationspart) in den gängigen Akkreditierungsverfahren alle Energie darauf legt, (a) möglichen Einwänden zuvorzukommen, (b) vorgegebene (vor allem formale) Standards zu erfüllen, gegen die man als Wissenschaftler und Hochschullehrer womöglich begründbare Einwände hat, (c) Schwächen eines Studiengangs geschickt verpackt, damit sie nicht auffallen u. ä., kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Das Verfahren zu bestehen, wird wichtiger, als die Lehre faktisch zu verbessern. Das ist gegenüber den Studierenden, gegenüber sich selbst und gegenüber der Wissenschaft, für und in der man tätig ist, schon ein ganz klarer Verrat. Sicher variiert die Ausprägung dieser Probleme, und es mag Verfahren geben, in denen dies nicht so ist (also kein Verrat stattfindet). Es bleibt aber mindestens die Frage, ob die Kosten gerechtfertigt sind, denn wenn Studiengänge ohne Nachbesserungen ein „Qualitätssiegel“ erhalten, dann hat die dahinter stehende Hochschule bzw. Fakultät und Fächergruppe offenbar ihre Aufgabe gut erledigt, aber genau das könnten an sich auch die dort Studierenden und Lehrenden selbst beurteilen.

Von daher finde ich die Vorschläge des Aktionsrats Bildung alles in allem gut. Ob man mit Qualitätsaudits (und den dahinter stehenden geforderten Institutionen) keinen unangemessenen bürokratischen Aufwand erzeugt, kann ich nicht beurteilen; eine Gefahr in diese Richtung kann freilich jedes Verfahren bergen. Überzeugend finde ich jedenfalls den Hinweis, dass es an der Zeit ist, den Fokus auf die Verbesserung der Qualität in der Lehre zu legen und nicht auf die bloße Legitimierung und damit (unweigerlich) verbundene Tendenz, Schwächen zu kaschieren statt sie zu beheben.

Aus dem Reich der Unwissenschaftlichkeit befreien

Gestern war ich zur Eröffnung einer neuen Graduiertenschule an der Fakultät für Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft (EPB) an der Universität Hamburg eingeladen (Web-Auftritt hier). Über die Anfrage bzw. Bitte vor einigen Monaten, mich an dieser Eröffnung mit einem Vortrag zu Design-Based Research zu beteiligen, habe ich mich fast ein wenig gewundert, aber auch gefreut: Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass an diesem Forschungsansatz explizit Interesse bekundet wird, und wenn das dann noch dazu im Kontext der Nachwuchsförderung der Fall, ist das besonders erfreulich. Daher habe ich natürlich zugesagt!

Ich finde es äußerst schwer, zu einem methodischen Thema dieser Art einen „Vortrag“ zu gestalten. An sich bräuchte man da eine Workshop-Reihe inklusive mehrerer Beispiele. Ich hatte zwar im Vortrag eine Reihe von Fragen und Diskussionsphasen vorgesehen (hier die dazugehörigen Folien: DBR_Vortrag_Hamburg_April13) und mit einer viel kleineren Gruppe gerechnet, die sich wahrscheinlich stärker hätte aktivieren lassen. Hätte ich gewusst, dass so viele kommen, hätte ich es wahrscheinlich etwas anders aufgezogen. In jedem Fall aber ist der Beitrag mit offenbar großem Interesse verfolgt worden und auf der anschließenden Poster-Präsentation (Poster zu Promotionsvorhaben) hatte ich die Möglichkeit, mich noch mit mehreren Doktoranden zu unterhalten. Dabei habe ich mitgenommen, dass einige zwar „Entwicklungsanteile“ in ihren Arbeiten vermuten bzw. haben, aber nicht so recht wissen, welchen Stellenwert sie diesen geben dürfen (damit es „wissenschaftlich bleibt“) und wie sie diese auch angemessen darstellen können.

Meinen auch kritischen Bemerkungen während des Vortrags zu immer noch mangelnden Förderinitiativen für entwicklungsorientierte Forschungsvorhaben haben zwei (Nicht-Nachwuchs-)Wissenschaftlern heftig widersprochen – mit Verweis auf BMBF-Programme und die neue DFG-Förderlinie zum Transfer von Ergebnissen aus der Grundlagenforschung. Weil ich ein bisschen zu polemisch geworden bin, habe ich diesen Widerspruch wahrscheinlich selbst provoziert. Ich räume auch gerne ein, dass es natürlich immer irgendwie möglich ist, auch für ausgefallene Projektideen und solche, die Entwicklungsanteile haben, eine Finanzierung zu finden, und dass auch immer wieder Bemühungen sichtbar werden, die „Nutzung von Forschungsergebnissen in der Praxis“ zu unterstützen. Das geht aber letztlich an dem etwas vorbei, worum es mir geht, nämlich: den Prozess der Entwicklung an sich aus dem Reich der „Unwissenschaftlichkeit“ zu befreien und dies auch so zu tun, dass sich Nachwuchswissenschaftler an Entwicklungsarbeiten herantrauen und Unterstützung erfahren. Design Research kann und soll andere Forschungsansätze nicht (!) ersetzen; sie kann und soll – so meine Auffassung – aber ein zusätzlicher Ansatz in der Landschaft der Bildungsforschung sein.

(An der Stelle verweise ich noch einmal auf den Reader zur Entwicklungsforschung – siehe hier. Zudem möchte ich ankündigen, dass ein Beiheft der Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik in Vorbereitung ist, herausgegeben von Dieter Euler und Peter Sloane; in diesem werde ich einen Beitrag speziell zur Entwicklungsphase im Design Research-Prozess leisten).

Folgen einer völlig misslungenen Hochschuldidaktik?

Gestern habe ich in der Online-Ausgabe der FAZ einen Artikel von Magnus Klaue gelesen – der wurde schon vor einem Monat veröffentlicht. Unter dem Titel „Lebenslanges Feedback“ behandelt der Beitrag genau genommen drei Themen in einem (Evaluation – Kompetenzorientierung – Hochschuldidaktik), vermengt diese auch und hat bei mir beim Lesen an einigen Stellen zustimmendes Nicken, an anderen ungläubiges Kopfschütteln und am Ende einen tiefen Seufzer bewirkt. Aber der Reihe nach:

Den Anfang des Textes macht ein kritischer Blick auf die allgegenwärtige Evaluation (zu diesem Thema kann ich auch einen Text von Gunter Dueck empfehlen). Interessanterweise wird die Evaluation hier mit der Prüfung verglichen und dargelegt, dass und warum Evaluationen (anders als Prüfungen) vordergründig auf flache Hierarchien setzen, am Ende aber (wie auch Dueck meint) zu einer „totalen Evaluation“ führen und alle unter Kontrolle stellen. Hier bin ich noch nickend mitgegangen – da ist was dran. Stutzig bin ich allerdings bereits beim Übergang zum zweiten Thema geworden, nämlich zum Thema „Kompetenzorientierung“; an diesem Übergang wird „das Evaluierungswesen als Symptom einer Pädagogisierung des Wissenschaftsbetriebs“ bezeichnet. Wieso? Ich habe trotzdem weitergelesen. Klaue geht im weiteren Verlauf auf den Verlust der Gegenstände im universitären Lehr-Lernbetrieb ein. Diese Passagen kann ich ebenfalls gut nachvollziehen und haben mich an eigene Blogbeiträge (z.B. hier) und an einen SZ-Beitrag von Christoph Türcke erinnert. Aber auch da taucht schnell wieder die Pädagogik als Schuldige auf: Dass leerer Pluralismus in Lehrveranstaltungen den Meinungsstreit und objektloses Lernen des Lernens (für den Erwerb beliebig einsetzbarer Kompetenzen) das exemplarische Lernen ersetzen, haben wir, so Klaues Ansicht, der Pädagogik zu verdanken. Ich vermute, er meint die Didaktik (und nicht die Pädagogik) bzw. genauer: die Hochschuldidaktik. Das jedenfalls wird dann am Ende des Beitrags klar, an dem er die „Totalisierung der Pädagogik“ beklagt: „Für alles, was früher von Studenten und Lehrenden in spontanem Zusammenspiel einfach nur getan wurde, muss es heute eine eigene Didaktik geben, während der Gegenstand, um dessentwillen die pädagogische Bemühung geschieht, als störend oder überflüssig erscheint“. Das war dann die Stelle mit dem tiefen Seufzer und der Frage: Sind das die Folgen einer völlig misslungenen Hochschuldidaktik und/oder einer völlig misslungenen Kommunikation, was Hochschuldidaktik leisten kann und will? Kann man diesen Karren noch irgendwie aus dem Dreck ziehen? Oder ist Klaues Ansicht nur eine Einzelmeinung? Ich fürchte, Letzteres ist nicht der Fall ….

In die schönen Räume hochdienen

Raumvergabe an Universitäten – das ist an fast allen mir bekannten Unis ein echtes Problem: Zum Kern des Problems könnte gehören, dass viele hier ein Eldorado für geheime Absprachen oder verborgene Regeln erahnen oder vermuten. Aber das stimmt natürlich nicht. Klaus Arnold von der Uni Trier stellt (in einem Artikel in der duz) klar: „Die Planung erfolgt nach rationalen Kriterien, und alle Dozenten haben die gleiche Chance auf ihre Wunschräume und Wunschtermine. Los geht es mit der Zeitplanung der einzelnen Studiengänge. Jeder gibt erst einmal an, wann er denn gerne seine Kurse halten will. Aber schon bald tauchen die ersten Probleme auf: ´Nein, Herr Kollege, der Dienstagnachmittag, das tut mir leid, das geht wirklich nicht, das ist schon seit vielen Jahren mein Vorlesungstermin.´ Also kein Dienstagnachmittag, dann vielleicht Mittwochnachmittag. ´Nein, Herr Kollege, der Mittwochnachmittag muss freigehalten werden, da sind doch die Gremien.´ Wie konnte ich das vergessen, an fast jeder Uni ist der Mittwochnachmittag streng geschützt für das kollektive Sitzfleisch-Training. Da finden die Institutskonferenzen statt, es tagen die Fachbereiche, der Bologna-Arbeitskreis, die Projektgruppe Internationalisierungs-Audit, der Prüfungsausschuss und nicht zuletzt die Campus-Verschönerungskommission. Nun gut, dann der Freitagnachmittag, da sind die meisten Studierenden zwar schon ins Wochenende gestartet, aber wenn es nicht anders geht. ´Nein, Herr Kollege, da finden die Blockseminare statt – Sie bekommen jetzt den Montagnachmittag für die Vorlesung und für Ihre anderen Kurse haben wir Ihnen den 7-Uhr-Slot zugeteilt. Sie haben ja kleine Kinder, da müssen Sie doch sowieso früh raus.´“

Wenn man also weit neben seinen Wunschterminen regelmäßig in alten und muffigen Seminarräumen sitzt, während andere in renovierten High-Tech-Zimmern residieren, kann einen der Glaube an eine gerechte, auch noch durch die Technik fair gestaltete Raumvergabe schon mal verlassen. Und dann kommen die Zweifel und Fragen wie sie Klaus Arnold stellt: „Hat das Programm mit seinem Zufallsgenerator wirklich alles in der Hand oder nicht vielleicht doch die Menschen in der Verwaltung, die das Ganze steuern? Na klar – auf das Beziehungsmanagement kommt es an! Ich schicke am besten der Dame aus der Raumvergabe so als kleine Aufmerksamkeit …? Oder muss man das Problem eher technisch angehen und sich irgendwie in das Programm hacken? Auffällig ist es schon, dass die Informatiker all ihre Veranstaltungen im strahlendweißen neuen Hörsaalgebäude haben. Vielleicht gilt auch das Senioritätsprinzip und der junge Dozent muss sich erst über lange Uni-Jahre mit vielen Vorlesungen und Seminaren in die schönen Räume hochdienen? Oder hängt es an den eingeworbenen Drittmitteln? Oder stehe ich auf der roten Liste des Präsidenten, weil ich den Dies Academicus geschwänzt habe?“ Das mag man jetzt für übertrieben halten, aber mal ehrlich: Wer hat sich das (auch jenseits der Raumvergabe) nicht auch schon mal gedacht, dann über seinen eigenen Verfolgungswahn gelacht und am Ende doch das seltsames Gefühl zurückbehalten, irgendeinen geheimen, aber wichtigen Mechanismus nicht erkannt und angewandt zu haben?