Wo ist meine Metaperspektive geblieben?

Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift für Hochschulentwicklung (März 2013, 8/2) dreht sich um das Thema Qualitätsmanagement. Unter dem Titel „Vertrauen wir auf Qualität? Zwei Jahrzehnte Qualitätssicherung im europäischen Hochschulraum“ haben Oliver Vettori und Bernhard Kernegger (Wien) ein Heft mit insgesamt 15 Beiträgen herausgegeben. Ich habe bisher nur ein paar der Texte gelesen, unter anderem genauer die von Manuel Pietzonka (Hochschulinterne Instrumente zur Qualitätssicherung aus der Sicht von Hochschulangehörigen und aus der Perspektive der Programmakkreditierung: hier) und Nadine Merkator und Andrea Welger (Neue Formen der Qualitätssicherung – dialogische Evaluation in Lehre und Studium: hier).

Qualitäts- und Evaluationsfragen betreffen jeden Hochschullehrer direkt. Das Themenheft hat mich jetzt noch einmal daran erinnert, dass es in den letzten Monaten ein paar Anlässe gab, bei denen mir bewusst wurde, dass ich zu Lehrqualität und Lehrevaluation offenbar ein etwas gespaltenes Verhältnis habe. Das kann man jetzt wörtlich nehmen, denn:

Einerseits beschäftige ich mich aus didaktischer, aber auch forschungsmethodischer Sicht mit dem Thema. Das ist gewissermaßen eine Metaperspektive. Da geht es darum, ÜBER Evaluation bzw. Lehrqualität nachzudenken, die Möglichkeiten der Qualitätssicherung und -entwicklung über Evaluationen abzuwägen etc. Bin ich in dieser Rolle, sage ich ganz klar: Wir brauchen Evaluationen, es ist wichtig, dass Lehre und deren Qualität beobachtet, eingeschätzt und in der Folge verbessert wird. Studierende müssen hierzu ihr Urteil abgeben, sollen sich äußern und Kritik üben, denn nur so kann sich etwas bewegen. Lehre ist ja keine Privatangelegenheit, also muss man darüber sprechen, auch öffentlich, muss Lehrende mit Ergebnissen konfrontieren usw.; und das muss man dann natürlich auch irgendwie organisieren, läuft also nicht ohne eine gewisse zentrale Steuerung ab.

Andererseits bin ich selbst als Lehrende tätig und daher natürlich immer auch „Betroffene“. Das ist dann keine Metaperspektive mehr, die ich innehabe, sondern ich stecke mitten drin: Ich WERDE evaluiert oder werde aufgefordert zu evaluieren, ERHALTE Evaluationsergebnisse und werde (vielleicht) ermahnt, aufgrund dieser Ergebnisse etwas zu verändern. Nun ist meine aktuelle Situation faktisch so, dass wir in unserem Lehrgebiet unsere Lehre selbst evaluieren, die Ergebnisse an alle kommunizieren und selbst entscheiden, was wir damit machen. Ob das für einen Lehrende so ist oder eben anders (nämlich zentrale Instrumente und Auswertung an zentraler Stelle) hängt einfach davon ab, wo man sich gerade befindet. Aber ich kann mich natürlich sehr gut in diese Situation hineinversetzen, dass ich (bzw. meine Lehre) jenseits meiner eigenen Kontrolle evaluiert werde (bzw. wird). Und was spüre ich da? Widerstand! Und ich frage mich: Wo ist meine Metaperspektive geblieben? Warum widerstrebt mir das?

Ich kann diese Fragen nicht direkt beantworten. Ich denke auch, da muss man ein bisschen ausholen. Wissenschaftler, so meine Beobachtung und Überzeugung, sind sehr autonome Wesen – wahrscheinlich müssen sie das auch sein. Wissenschaftler haben einen sehr großen Vorteil: Sie beschäftigen sich mit dem, was sie interessiert – sehr interessiert! Deswegen kann man auch die sogenannte Freizeit von der Arbeitszeit nicht sinnvoll voneinander trennen. Natürlich gibt es „drum herum“ viele (relativ einmütig heißt es: viel zu viele und mehr werdende) Aufgaben, die inhaltsfremd sind. Offenbar empfinden einige Wissenschaftler auch die Lehre als inhaltsfremd. Und dann arbeitet man sie ab – das sind dann mit vergleichsweise hoher Wahrscheinlichkeit keine guten Lehrveranstaltungen. Die Evaluationsergebnisse sind dann mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit schlecht (oder auch nicht, weil es vielleicht eine implizite Übereinkunft zwischen Lehrenden und Studierenden gibt, den Ball einfach flach zu halten – siehe auch hier).

Aber das ist ja keinesfalls bei allen Lehrenden so! Wissenschaftler lehren immerhin IHR Fachgebiet und auch wenn man immer nur zu einem keinen Teil seines Fachgebiets forscht (wo dann wohl das größte Interesse liegt – vielleicht aber auch nur die besten Geldquellen – man weiß es nicht so genau), ist es darin doch eingebettet. Lehre – so meine These – darf ruhig anstrengend sein, aber sie muss einen mit Befriedigung erfüllen und im Großen und Ganzen Freude bereiten. Und das tut sie in der Regel dann, wenn man in Veranstaltungen erfolgreich mit Studierenden ZUSAMMENarbeitet, will heißen: wenn es einem gelingt, Studierende für die Inhalte des Lehr- und Forschungsgebiets zu begeistern oder dafür zumindest erstes Interesse zu wecken und Fragen zu provozieren, wenn man in einen Dialog kommt, wenn Neues entsteht, wenn man dabei auch von den Studierenden lernen kann, wenn man aber auch sieht, wie Studierende besser werden, wie sie etwas annehmen und Eigenes daraus machen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Lehrende nicht auch genau dahin wollen. Und warum sollten dann nicht auch Instrumente willkommen sein, die einem helfen, dahin zu kommen?

Lehre macht aber dann keinen Spaß, wenn die Studierenden (oder die Mehrheit von ihnen) lustlos sind, offen Desinteresse bekunden und nach dem bequemsten Weg suchen, Credit Points zu bekommen. Natürlich: Lust und Unlust in der Lehre sind ein Wechselspiel: Es ist praktisch völlig irrelevant, was da Ursache und was Folge ist. Praktisch relevant ist die Frage, was BEIDE Seiten tun könne, damit Lehre keine Aneinanderreihung von Frusterlebnissen ist, sondern (a) Lernprozesse bei den Studierenden bewirkt, die davon entsprechend profitieren, und (b) den Lehrenden darin unterstützt, das eigene Lehr- und Forschungsgebiet weiter und tiefer zu durchdringen. Was am Ende herauskommt, ist ein Gemeinschaftsprodukt. Klassische Evaluationen aber betrachten gar nicht dieses Gemeinschaftsprodukt, sondern fragen danach, was Studierende im Prozess einer Veranstaltung wahrgenommen haben und wie sie das bewerten. Das ist wichtig, aber nur ein Puzzleteil! Und es für die Lehrqualität wirkungslos, wenn es ein Puzzleteil bleibt.

Eigentlich brauchen wir nicht primär Evaluationen, sondern eine gemeinsame Reflexion der Lehre. Der Text von Merkator und Welger (hier) bringt ein Beispiel für eine „dialogische Evaluation“, die in die Richtung geht, die ich meine. Was mir hier allerdings noch fehlt, ist die Reflexion der Studierenden über IHREN Lernprozess (wie man es in Portfolios anzuregen versucht, was aber auch nicht immer gut gelingt). Die Verbesserung der Lehre hat ja ein Ziel – nämlich, dass Studierende besser lernen, um es mal ganz einfach zu formulieren. Eine hohe Lehrqualität ist so gesehen „nur“ ein Mittel zum Zweck, oder man sollte besser sagen: eine in der Regel notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, um den Zweck zu erreichen. Dazukommen muss das Engagement der Studierenden – deren Neugier und Motivation, deren Selbstdisziplin und Mitarbeit, deren kognitive Aktivität und kognitiven Konflikte, deren Interaktion mit dem Lehrenden und anderen Studierenden etc. Und dann kommt es auf das Wechselspiel dessen an, was der Lehrende anbietet, und was die Studierenden damit machen, wie der Lehrende wiederum darauf reagiert etc. Wenn es um die Qualität der Lehre geht, muss man DIESES Wechselspiel im Blick haben, formativ oder auch summativ zu fassen versuchen und es dann gemeinsam bewerten, um daraus Folgerungen zu ziehen. Und das kann man nicht top-down mit einem Online-Fragebogen. Mit letzterem kann man sicher einige wichtige Einschätzungen über einen Studiergang und dessen Elemente erfassen, aber da reden wir dann von anderen Aspekten der Qualität an einer Hochschule.

Beantwortet sich damit meine Frage, wie es dazu kommt, dass ich dem Thema „Evaluation der Lehre“ offenbar gespalten gegenüberstehe? Habe ich eine Antwort auf die Frage, warum Hochschullehrer oft mit Widerstand reagieren, wenn es um Lehrevaluation geht? Na ja, nicht direkt, aber ein Ansatzpunkt wäre ja vielleicht, dass man darüber nachdenkt, wie man Lehrende in ihrer Autonomie ernst nehmen kann und nicht prinzipiell von ausgeht, das man sie und ihre Lehre kontrollieren muss, und wie man gleichzeitig den riesigen Vorteil nutzen kann, dass sie als Wissenschaftler ihre Lieblingsthemen zum Beruf gemacht und daher an sich ein genuines Interesse daran haben, dass ihnen die Lehre selber Spaß macht, was wiederum an ein erfolgreiches Lernen bei den Studierenden gekoppelt ist. Ich bitte die Leser dieses Beitrags, meine Ausführungen eher als „lautes Denken“ zu verstehen – nicht als ausgearbeitetes Konzept!

Eine im Begriff angelegte Starrheit

Rigor versus Relevanz – dieses Gegensatzpaar spielt eine große Rolle, unter anderem wenn man sich mit Forschungsansätzen wie Design-Based Research bzw. Entwicklungsforschung beschäftigt (zum Thema siehe z.B. hier). Unter dem Titel „Rigor, wissenschaftliche und praktische Relevanz“ hat Alexander Dilger vor knapp einem Jahr ein Diskussionspapier veröffentlicht (hier), in dem er das Gegensatzpaar „Rigor – Relevanz“ auflöst und stattdessen für die Unterscheidung von drei Dimensionen plädiert (siehe im Text Abbildung auf Seite 7): Rigor, wissenschaftliche Relevanz und praktische Relevanz.

Seine Argumentation: Wissenschaft sollte nicht auf Rigor im Sinne der Einhaltung von Regeln und Standards und schon gar nicht auf die Einhaltung von wiederum nur speziellen Standards (z.B. beim quantitativen Forschen) eingegrenzt werden. Wichtiger sei vielmehr die wissenschaftliche Relevanz, zu der neben Rigor auch Kreativität oder die Bedeutung des betrachteten Problems gehöre (S. 2). Aber: „Rigor erfreut sich … deshalb so großer Beliebtheit in der Wissenschaft, da er besser feststellbar, überprüfbar und für weitere Forschung anschlussfähiger ist als die anderen Bestandteile der wissenschaftlichen Relevanz und damit auch dieser selbst“ (S. 4). Außerdem würde das aktuelle System der Forschungsförderung und wissenschaftlichen Nachwuchsförderung eine Spezialisierung auf die Einhaltung von Rigor (vor allem speziellem Rigor) befördern. Von daher sei eine Dominanz von Rigor eine reale Gefahr – jedenfalls „bis die im Begriff angelegte Starrheit zu groß wird“ (S. 6). Dilger führt anhand einiger Beispiele auf, dass Rigor und wissenschaftliche Relevanz durchaus voneinander unabhängig sein können, aber im Idealfall natürlich miteinander gekoppelt sind, ohne dass aber die wissenschaftliche Relevanz in Rigor aufgehe.

Als dritte Dimension führt er nun die praktische Relevanz ein. Hier ist interessant, dass seine Argumentation für die Betriebswirtschaftslehre, die er als angewandte Wissenschaft bezeichnet, auch auf die Bildungswissenschaften als ebenfalls angewandte Wissenschaften recht gut passt: „Für Praxis und Wissenschaft ist es besser, wenn innerhalb der Wissenschaft die wissenschaftliche Relevanz nach Möglichkeit wieder in den Vordergrund gerückt wird. Denn wissenschaftliche Relevanz kann nicht nur zu praktischer Relevanz führen, sondern auch umgekehrt kann die praktische Relevanz als eine Komponente verstanden werden, die neben Rigor, Kreativität u. a. zur wissenschaftlichen Relevanz beiträgt. In einer angewandten Wissenschaft ist ein Problem allein schon deshalb wissenschaftlich relevant, weil es sich in der Praxis stellt. Allerdings ist dieser Beitrag zur wissenschaftlichen Relevanz gering, wenn nicht weitere Eigenschaften hinzukommen, z. B. dass das Problem verallgemeinerbar, an vorhandene Theorien anschlussfähig oder für die Entwicklung neuer Theorien fruchtbar ist“ (S. 6). Ich finde, diese Argumentation hat eine hohe Affinität zu den Argumenten, mit denen man in der Regel versucht deutlich zu machen, warum Design Research bzw. Entwicklungsforschung nicht nur ein neuer Aufguss der alten Aktionsforschung ist.

Im letzten Teil des Textes geht Dilger im Zusammenhang mit der praktischen Relevanz auf den Unterschied zwischen praktischem Interesse an neuem Wissen und an der Rechtfertigung schon bestehender Meinungen ein (S. 8 ff.), wobei er mit Praxis vor allem die Wirtschaft und die Politik im Blick hat. Erhebliche Probleme für die Wissenschaft identifiziert Dilger vor allem da, wo die Praxis vorrangig nach wissenschaftlicher Rechtfertigung ihrer schon gefassten Entscheidungen oder formulierten Einschätzungen interessiert ist. Wichtig erscheint mir hier unter anderem sein Hinweis darauf, dass Wissenschaft von ihrem Charakter her öffentlich angelegt ist und öffentlich zugängliches Wissen ein Kollektivgut ist; „die Ergebnisse werden in der Regel veröffentlicht, um von allen anderen Wissenschaftlern begutachtet, gegebenenfalls kritisiert oder um deren weitere Erkenntnisse ergänzt werden zu können“ (S. 11).

Fazit: Ein lesenswertes Diskussionspapier – auch für Bildungswissenschaftler und vor allem für solche, die außerhalb des aktuellen Forschungsmainstreams versuchen, Fuß zu fassen.

Wann ich die wissenschaftliche Welt nicht mehr verstehe

Im Moment sitze an meinem 19. Dissertationsgutachten (Erstgutachten) seit 2003 (zehn Jahre – mein Gott!). Ich habe keine Ahnung, ob das viel oder wenig ist. Was ich aber sagen kann ist, dass die Gutachtenerstellung immer schon viel Arbeit war und nach wie vor ist. Nun sollte man meinen, dass man mit der Zeit aufgrund wachsender Übung und Erfahrung schneller wird (zehn Jahre gilt ja auch als magische Grenze zur Expertise). Das ist wohl auch der Fall. Ich bemerke aber gleichzeitig, dass meine Gutachten länger werden – nicht so sehr viel, aber doch ein wenig (früher rund acht Seiten, heute um die zwölf Seiten). Nun hatte ich kürzlich ein interessantes Gespräch mit einem Zweitgutachter aus einer anderen Universität. Der Zweitgutachter lobte mein sehr ausführliches und gut nachvollziehbares Gutachten, das er in wirklich allen Punkten unterstreichen könne. Aber er habe da einen wichtigen Hinweis: An seiner Uni bzw. an seiner Fakultät würde man das so nie auslegen können. Es seien ja neben den genannten Stärken doch auch umfangreich Schwächen und sehr genau Defizite dargelegt und da würde man in Frage stellen, ob man die Arbeit überhaupt durchgehen lassen könne.

Das finde ich nun schon sehr interessant. Immerhin werden Dissertationen (anders als Habilitationsschriften) nicht mit „bestanden – nicht bestanden“ bewertet, sondern es gibt Abstufungen: summa cum laude (also in etwa „ausgezeichnet“) – magna cum laude (damit meint man „sehr gut“) – cum laude (damit bringt man zum Ausdruck, dass die Arbeit gut ist) und „rite“ (im Sinne von: „na ja, geht gerade noch so“). Wenn es nun solche Abstufungen gibt und man als Gutachter zu einem Urteil (Auswahl aus vier Optionen) kommen will, braucht man Gründe: Man muss darlegen, was an der Arbeit ausgezeichnet, sehr gut oder eben gut ist, was aber auch weniger gelungen ist. Und was weniger gelungen ist – so wäre auch mein Anspruch als Doktorand – sollte schon konkret benannt sein. Am Ende kommt es dann darauf an, wie man Stärken und Schwächen zueinander in Beziehung setzt, wie man sie gewichtet und was man daraus folgert. Auf diese Weise arbeitet man sich als Gutachter gewissermaßen zu einer Bewertung vor – zu einem begründeten, hoffentlich nachvollziehbaren Urteil. Wenn man nun die Schwächen und Defizite einer Arbeit nur andeutet, eher knapp in das Gutachten einbaut und insbesondere nicht konkretisiert: Bleibt man dann dem Doktoranden wie auch Dritten (nämlich der Fach-Community) nicht eine Begründung für sein Urteil schuldig? Was ist das für eine Fakultätskultur, die fordert, dass man in Gutachten die negativen Punkte einer Arbeit besser nicht so genau benennt?

Natürlich: Wenn man seine Doktoranden gut betreut, sieht man selbstverständlich die Dissertation nicht bei Abgabe das erste Mal. Bei uns ist es so, dass ich (neben unserem Doktorandenprogramm) alle Kapitel einer Arbeit mindestens zweimal lese und in der Regel auch zweimal ein Feedback mit Hinweisen bis auf die Satzebene gebe. Am Ende bekomme ich dann noch einmal eine vollständige Version. Und auch auf die gibt es in der Regel eine längere Rückmeldung und meistens ist es so, dass Doktoranden dann noch einige Wochen, mitunter Monate, brauchen, um eine zweite „abgabereife“ Fassung zu haben. Auf diese werfe ich dann noch einmal einen letzten Blick. Niemals würde ich diese letzte Fassung „abnicken“, wenn ich der Meinung wäre: Da wird das erforderliche Niveau nicht erreicht. Auch eine Arbeit, bei der es allenfalls auf ein „rite“ hinauslaufen würde, würde ich so lange zurückgeben, bis diese „Wackelstufe“ zwischen „bestanden und nicht-bestanden“ verlassen ist.

Spätestens hier – allerdings auch schon zu früheren Phasen – muss man sich als Betreuer allerdings die Frage stellen: Wann werde ich zum Ko-Autor? Wie viel und mit welchem Konkretisierungsgrad kann, soll, darf ich Verbesserungen anregen, vorschlagen oder einfordern? Ein Feedback muss konstruktiv sein, also Hinweise beinhalten, wie man es besser machen kann, sonst kann der Doktorand damit wenig anfangen. Das lässt sich aber nicht abstrakt bewerkstelligen, sondern muss konkret am einzelnen Beispiel erfolgen. Da kann schon mal die Grenze des „Mitschreibens“ zumindest erreicht werden – und die gilt es dann natürlich, genau nicht zu überschreiten!

Fazit: Die am Ende abgegebene Dissertation, wenn sie denn gut betreut ist, sollte bereits einen umfänglichen „Check“ hinter sich haben. Nur in wenigsten Fällen aber wird sie „perfekt“ im Sinne von „ohne kritisierbare Punkte“ sein (und dann ein „summa cum laude“ erhalten). Vielmehr wird sie zwar das erforderliche Niveau erreicht haben, aber – was sich ja auch in der Benotung zeigt – neben den Stärken mehr oder weniger ausgeprägte Schwächen haben – immer noch, auch und trotz einer intensiven Betreuung, weil man ja eben nicht einfach „mitschreiben“ kann. Und der Zweitgutachter wird noch einmal andere Dinge kritisieren oder auch loben. Und genau dazu – so meine ich jedenfalls – sind die Gutachten da: In diesen muss stehen, wie die Gutachter die Arbeit sehen, welchen wissenschaftlichen Wert die Arbeit aus ihrer Sicht hat, wie verschiedene, möglichst transparent zu machende, Kriterien erfüllt sind, und warum man daher zu welcher Bewertung kommt. Eine solche Bewertung ist niemals „objektiv“ in dem Sinne, dass man zu einem Urteil kommt, auf das alle anderen potenziellen Gutachter exakt auch kommen würden. Genau deswegen ist es ja so wichtig, dass man sein Urteil begründet.

Ich habe das bisher eher intuitiv so gemacht. Seit nun in den letzten eineinhalb Jahren die Plagiatsaffären in den Schlagzeilen waren (vor allem der besonders komplexe „Fall Schavan“), habe ich mich in meinem Vorgehen eigentlich bestätigt gesehen: Auch Gutachter tun gut daran, ihre Bewertungen nachvollziehbar zu begründen (dann müsste man 30 Jahre später nicht rätseln, warum eine Arbeit damals so und heute so bewertet wird). Umso mehr hat mich gewundert, von gänzlich anderen Gepflogenheiten zu hören: Gutachten mit umfänglicher Auflistung von Kritikpunkten und deren Gewichtung gar nicht erst zuzulassen. Ich muss sagen: Da verstehe ich die wissenschaftliche Welt nicht mehr.

Baustelle Lehr- und Publikationskultur

Gerd Kortemeyer hat einen lesenswerten Artikel über OER geschrieben (gefunden via Jochen Robes). Die Kernbotschaft des Textes ist, dass OER trotz ihrer medialen Präsenz seit nun schon mehr als zehn Jahren das „traditionelle Geschäft“ der Hochschulen sowie den Lehralltag bislang kaum nennenswert tangiert haben. Als Gründe vermutet Kortemeyer, dass OER nach wie vor zu versteckt im Netz verteilt sind, dass das Problem der Qualitätskontrolle noch nicht zufriedenstellend gelöst ist, dass man beim Prozess „Upload-Download“ stehen bleibt (und Feedback-Prozesse fehlen) und dass das Konzept der Offenheit unterschiedlich gedeutet werden kann und wohl auch muss (jetzt mal sehr frei übersetzt).

Hängen geblieben bin ich unter anderem an folgenden Sätzen: „Ask an OER provider how much impact they have — how many learners they actually reach with their content — and they usually don’t know. Cannot know, really. One download could mean thousands of learners, or zero if the faculty member subsequently decides to not use the content after all.” Warum bin ich gerade hier hängen geblieben? Wahrscheinlich, weil es mich an meine eigenen Erfahrungen mit Inhalten erinnert, die ich im Netz frei zugänglich mache (z.B. hier).

Auf Veranstaltungen höre ich oft, dass insbesondere der frei zugängliche Studientext zum Didaktischen Design durchaus rege genutzt wird – unter anderem in der Lehre. Ab und zu bekommt man (nur zufällig) mit, dass Studierende auch anderer Unis als der eigenen ihn verwenden, um sich einen Überblick zu verschaffen. Aber:

(1) Konkrete Rückmeldung gibt es selten. Rückmeldung gebe ich mir quasi nur selbst, indem ich mit dem Text in meiner Veranstaltung jedes Jahr arbeite, immer wieder Tippfehler finde (auch dieses Jahr wieder – eine neue Fassung kommt nächsten Monat), vor allem aber (wichtiger) ab und zu größere Veränderungen (neben Aktualisierungen) auf der Basis von Erfahrungen mit dem Einsatz des Textes vornehme etc. Aber es wäre natürlich sehr hilfreich, wenn die Feedback-Quellen breiter wären.

(2) Zitiert wird der Studientext so gut wie nie. Das wäre womöglich anders, wäre der Text als Buch bei Waxmann oder Oldenbourg erschienen, würde er nicht „Studientext“ heißen und jedes Jahr aktualisiert werden. Das ist jetzt auf der einen Seite freilich nicht schlimm. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch sehen, dass es für viele nicht gerade ein Anreiz ist, wenn man einerseits versucht, die viel gelobte OER-Bewegung mit einem kleinen Beitrag zu unterstützen, andererseits aber auf dem umkämpften Zitationsmarkt das Nachsehen hat.

Kortemeyer glaubt an eine nächste Generation von Kurs-Management Systemen, die es ermöglichen, die bisherigen Hürden für OER zu nehmen. Ich stimme ihm zu, dass man in der Hochschullehre technische Infrastrukturen braucht, die einem da entgegenkommen. Allerdings dürfte die größere Baustelle die „Lehr- und Publikationskultur“ sein, die wohl noch länger den Bauzaun um sich haben wird.

Nachtrag: Zu diesem Thema passt auch ein aktueller Blogbeitrag (hier) von Peter Baumgartner.

eigentlich war ich nicht krank

Studentische E-Mails sind ein immer wieder mal diskutiertes Thema. Dazu ein nettes Fundstück in der aktuellen Ausgabe von „Forschung & Lehre“:

„Betreff: arghh!

Guten Abend. Haben Sie von meiner Freundin die nachricht bekommen dass mein zug ausgefallen ist? Ich stand gerade im wald mit dem ollen ding. Ich hoffe Sie haben mich heute nicht zu sehr vermisst wenn sie brauchen kann ich ihnen einen attest besorgen.. aber eigentlich war ich nicht krank.Lg

E-Mail eines Studenten an einen Hochschullehrer; zitiert nach Bonner General-Anzeiger vom 29. Januar 2013

Ist das jetzt ein Einzelfall oder schon die Regel? Meiner Erfahrung nach würde ich sagen: weder noch. Das ist weder ein Einzelfall (solche und ähnliche Nachrichten bekomme ich schon auch ab und zu – nur hebe ich sie leider nicht auf ) noch ist es die Regel (ein Großteil der Studierenden kann durchaus E-Mails mit angemessenen und klaren Botschaften schreiben). Trotzdem ist das immer wieder ein Thema – so z.B. vor einigen Monaten in Spiegel online: Hier findet sich übrigens (nach dem eigentlichen Beitrag) ein klärender E-Mail-Austausch zwischen dem Sprachwissenschaftler Jan Seifert und dem Autor des Spiegel-Artikels Jonas Leppin.

Was mich an (einigen) studentischen E-Mails besonders irritiert ist, wenn man mich mit „Frau Professor“ ohne Namen anspricht und sich am Ende mit „hochachtungsvoll“ verabschiedet. Das liest wie ein automatisiertes Schreiben vom Finanzamt und weckt entsprechend wenig angenehme Gefühle. Außerdem frage ich mich natürlich, woher das kommt: Ist man selbst die Ursache (kann ich mir irgendwie nicht vorstellen) oder die Kollegen (weiß man natürlich nie so genau) oder das Umfeld (kann sein)? Wie auch immer: Lieber Name statt Titel und freundliche Grüße tun es auch. 🙂

Werte statt Monumente

Da verblasst jede Plagiatsdiskussion um eine Bildungsministerin: Gaucks gestrige Rede (22.02.2013) zu Europa hat zumindest kurzzeitig aufhorchen lassen. Noch am selben Tag konnte man dazu viele Schlagzeilen lesen (und es ist wohl zu befürchten, dass es aufgrund der wenigen Zeit, die jeder nur noch hat, beim Lesen der Schlagzeilen bleibt). Wie nicht anders zu erwarten, sind diese Schlagzeilen unterschiedlich: Gauck sieht keine deutsche Vormachtstellung in Europa – so titelt Focus online. Bei der ZEIT online heißt es: Gauck zeigt Verständnis für Kritik an EU, bei der SZ dagegen: Gauck bekennt sich zu mehr Europa. Spiegel online folgert aus der Rede Gaucks: Der wohltemperierte Präsident. Andere Überschriften halten sich lieber an Zitate, z.B. „Nicht deutsches Europa, sondern europäisches Deutschland“ (FAZ.net) oder „Europa braucht Bannerträger, keine Bedenkenträger“ (Focus online). Die Tagesschau (online) dagegen titelt: Statt Lobeshymne Tipps für den Nobelpreisträger. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Gott sei Dank kann jeder die Rede selber lesen und sich die Passagen oder auch Zitate herausholen, die ihn am meisten überzeugen. Hier ist die Rede als pdf abrufbar.

Mir hat Gaucks Rede sehr gut gefallen (eine Rede übrigens, die, wie wohl alle guten Reden, ganz ohne Visualisierung auskommt). Zwar lassen sich Gaucks Argumentation und Botschaften sicher nicht an einzelnen Zitaten vollständig festmachen. Trotzdem möchte ich ein paar Sätze und Passagen als Reflexions- und Diskussionsanker herausgreifen

Gleich im ersten Teil seiner Rede stellt Gauck fest: „Die Krise hat mehr als nur eine ökonomische Dimension. Sie ist auch eine Krise des Vertrauens in das politische Projekt Europa. Wir ringen nicht nur um unsere Währung. Wir ringen auch mit uns selbst“ (S. 2). Er mahnt ein Innehalten und die Entwicklung eines Gesamtrahmens an, den man im Zuge der vielen pragmatischen Maßnahmen vernachlässigt habe: „Weil Entwicklungen ohne ausreichenden politischen Gesamtrahmen zugelassen wurden, sind die Gestalter der Politik bisweilen zu Getriebenen der Ereignisse geworden“ (S. 3). Gestalten statt getrieben werden, ist eine Botschaft, die sich durch die ganze Rede zieht.

Ein weiteres, Gauck offenbar wichtiges, Thema ist das der Identität: „Europäische Identität löscht weder regionale noch nationale Identität, sie existiert neben diesen“ (S. 4). Diese Aussage veranschaulicht er mit einem Beispiel – mit einem aus der Hochschule: „Gerade habe ich bei meinem Besuch im Freistaat Bayern an der Universität Regensburg im Projekt Europaeum einen jungen Studenten getroffen, der als Pole in Deutschland aufwuchs, polnisch erzogen, mit Polnisch als Muttersprache und bei Sportereignissen trug er begeistert die polnische Fahne umher. Aber erst, als er ein Semester in Polen studierte und seine Kommilitonen ihn komplett als Deutschen wahrnahmen, wurden ihm auch diese, seine deutschen Anteile der Identität bewusst. Er konnte sie auch schmerzfrei bejahen. Es ging ihm wie vielen: Oft nehmen wir unsere Identität durch die Unterscheidung gegenüber anderen wahr“ (S. 4). Daraus folgt aber auch: „Mehr Europa heißt: mehr gelebte und geeinte Vielfalt“ (S. 7). Genau das aber ist schwierig, denn, so Gauck: „In Europa fehlt die große identitätsstiftende Erzählung. Wir haben keine gemeinsame europäische Erzählung, die über 500 Millionen Menschen in der Europäischen Union auf eine gemeinsame Geschichte vereint, die ihre Herzen erreicht und ihre Hände zum Gestalten animiert“ (S. 6) – kein Gründungsmythos also, an dem man sich festhalten könnte. Trotzdem, so Gauck, habe Europa eine identitätsstiftende Quelle: „Wir versammeln uns im Namen Europas nicht um Monumente, die den Ruhm der einen aus der Niederlage der anderen ableiten. Wir versammeln uns für etwas – für Frieden und Freiheit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für Gleichheit, für Menschenrechte, für Solidarität. Alle diese europäischen Werte sind ein Versprechen, aber sie sind auch niedergelegt in Verträgen und garantiert in Gesetzen. … Die europäischen Werte öffnen den Raum für unsere europäische res publica“ (S. 6).

Aber wie bekommt man das in die Köpfe der Bürger? Wie macht man das verständlich und möglichst auch erlebbar? Wie, so Gauck, verhindert man, dass Populisten oder Nationalisten Unsicherheit und Angst für ihre Zwecke nutzen? „Dies nun geduldig und umsichtig zu vermitteln ist Aufgabe aller, die sich dem Projekt Europas verbunden fühlen“ (S. 8). Ich würde sagen: Es ist auch Aufgabe der Bildung (Schulbildung, Hochschulbildung, Berufsbildung, Weiterbildung), dies zu tun. Es kann nicht sein, dass wir uns hier immer mehr darauf beschränken, die Spitzen von Rankings zu erklimmen und die MINT-Fächer attraktiver zu machen. Am Ende seiner Rede führt Gauck eine Reihe historischer Argumente an, warum wir gerade in Deutschland mit Europa besonders verbunden sind, und warum wir uns „Europa geradezu versprochen“ haben (S. 14). Das zu vermitteln, darf nicht allein Aufgabe der Medien sein, so meine Meinung, sondern muss immer auch Aufgabe von Bildung und damit auch von Bildungsinstitutionen sein.

Zugegeben: Den Medien kommt natürlich ebenfalls eine große Bedeutung zu, wenn es darum geht, das europäische Versprechen zu „erneuern“. Es hapert laut Gauck nämlich auch an der Kommunikation innerhalb der Europäischen Gemeinschaft: „Und damit meine ich eigentlich weniger die Ebene der Diplomatie, als vielmehr den Alltag der Bevölkerung, richtiger der Bevölkerungen“ (S. 11). Die Medienlandschaft könne, so Gaucks Vorschlag, „eine Art europafördernde Innovation hervorbringen, vielleicht so etwas wie Arte für alle, ein Multikanal mit Internetanbindung, für mindestens 27 Staaten, 28 natürlich, für Junge und Erfahrene, Onliner, Offliner, für Pro-Europäer und Europa-Skeptiker“ (S. 12). Aber: Haben wir die Möglichkeit nicht längst, dezentral und offen zu kommunizieren? Ich denke nicht, dass wir dazu einen neuen Monsterkanal brauchen. Eher brauchen wir Internet-Nutzer, die in der Lage und willens sind, die Kommunikations- und Partizipationsmöglichkeiten des Netzes auch zu nutzen (dazu mehr in meinem Vortrag vom November 2012 hier). Aber wahrscheinlich ist es bis dahin noch ein sehr langer Weg. Und sicher ist Gauck zuzustimmen, wenn er das Ziel einer besseren Kommunikation formuliert, wobei wir offenbar noch nicht genau den „Ort“ gefunden oder konstruiert haben, an dem all das stattfindet, was er in seiner Rede fordert: eine europäische Identität gestalten, Vielfalt erkennen und erhalten, miteinander sprechen, Ziele und Rahmen aushandeln etc.  Ich hoffe jedenfalls, dass sich viele Politiker Gaucks Position anschließen, wenn er sagt „Kommunikation ist für mich kein Nebenthema des Politischen. Eine ausreichende Erläuterung der Themen und Probleme, sie ist vielmehr selbst Politik“ (S. 12).

Machtlose Bildungspolitik?

Es bleibt in Frauenhand – das Bundesministerium für Bildung und Forschung: Bulmahn, Schavan, Wanka (auch wenn letztere vielleicht nur sechs Monate Zeit hat). Die studierte Disziplin aber wechselt: Johanna Wanka ist Mathematikerin. Spiegel Online (hier) gratuliert ihr schon mal zum „Aufstieg in die Machtlosigkeit“. Aber ist das gerechtfertigt? Wer die Wissenschaft seinen eigenen (beruflichen) Kontext nennt, weiß, dass auch die Bildungspolitik des Bundes durchaus Einfluss auf Forschung und Lehre an unseren Hochschulen nimmt.

Einen kurzen Überblick über das Wirken der letzten Bildungsministerin findet man hier; dabei wird deutlich: So ganz machtlos ist das nicht, was in diesem Ministerium möglich ist. Der Beitrag verweist unter anderem auf die politisch zumindest mit verursachte Schieflage in der deutschen Wissenschaft: „Die außeruniversitären Einrichtungen bekommen bis 2015 satte Aufwüchse über den ´Pakt für Forschung und Innovation´. Die Hochschulen hingegen müssen einen immer größeren Teil ihrer Grundfinanzierung durch im Wettbewerb eingeworbene Drittmittel stemmen. Immer mehr Personal ist prekär beschäftigt. Dabei mussten die Hochschulen in kurzer Zeit eine Rekordzahl von Studierenden aufnehmen. Der Hochschulpakt hilft, doch er ist unterfinanziert und befristet.“

In der ZEIT Online findet man hier eine Liste von Wünschen, die Studierende nun an Johanna Wanka richten. Die hier ausgesuchten Wünsche sind teils praktischer, teils aber auch höchst ideeller Natur: mehr Zeit und Muße, mehr Freiheit und Eigenverantwortung, mehr Selbstbestimmung, mehr Lehrende und weniger Drittmittelabhängigkeit und ein Klima, in dem es nicht nur darum geht „den Lebenslauf aufzupimpen“ (zu deutsch: aufzumotzen). Um diese Wünsche zu erfüllen, dürften sechs Monate wohl leider nicht reichen.

Und Schavan? Mich würde interessieren, wie denn die Betreuung ihrer Dissertation vor gut 30 Jahren abgelaufen ist. Hier gehen ja die Meinungen auseinander: Die einen sagen, man sei als Professor nicht dazu da, eine Arbeit im wörtlichen Sinne zu „betreuen“, weil das an der Idee eines selbständig forschenden Doktoranden vorbeigehe. Andere (und da zähle ich mich auch dazu) weisen darauf hin, dass auch Promotionen Qualifizierungsphasen sind, in denen man sehr wohl noch von anderen etwas lernen kann und soll (die Frage ist ja eher, wie), was dann auch eine Begleitung erforderlich macht. Nur dann nämlich kann man erkennen, wenn jemand auf einen ungeeigneten Weg gerät und die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens wissentlich oder unwissentlich aus den Augen verliert. Frank führt dazu hier die Unterscheidung von nicht-sportlich und unsportlich ein – eine treffende Analogie, wie ich finde.

Nun wird ein halbes Jahr schnell um sein. Mal sehen, wer im September das Bildungs- und Forschungszepter in die Hand nimmt und wie er oder sie die damit verbundene Macht(losigkeit) dann nutzen wird.

Professoren – eine schwierige Klientel

Gestern und heute war ich an der Uni Gießen auf einer Veranstaltung zum Thema „Lehrkompetenzen für die wissenschaftliche Weiterbildung“ (hier mehr Infos). Elf Referenten (geplant waren zwölf, aber im Winter kommen nun mal ab und zu Krankheiten dazwischen) haben aus verschiedenen Perspektiven (methodisch, begrifflich-theoretisch, praktisch) von ihren Konzepten, Projekten, Erkenntnissen und Erfahrungen rund um Lehrkompetenzen an Hochschulen berichtet. Leider habe ich die letzten drei Vorträge nicht mehr mitverfolgen können (ich hoffe, man kommt noch anderweitig an die Inhalte), aber selbst ohne die Beiträge von Carola Iller (Linz), Karin Reiber (Esslingen) und Wolfgang Jütte & Markus Walber (Bielefeld) bleibt bei mir ein vielfältiges Bild verschiedenster Beschäftigungen mit dem Thema im Gedächtnis.

Zwei Beiträge stammten von den Veranstaltern der Tagung (Ivo Steininger und Olaf Hartung) und zeigten, wie über qualitative Einzelfallforschung Lehrkompetenzen in der wissenschaftlichen Weiterbildung untersucht werden. Mit besonderem Interesse aufgrund unserer eigenen Projekte zum Thema Videoreflexion habe ich die Beiträge aus der Uni Tübingen von Josef Schrader und Annika Goeze verfolgt. Alles in allem habe ich aus jedem der gehörten Vorträge interessante Perspektiven mitgenommen. Deutlich wurde (und das gilt auch für meinen eigenen Beitrag), dass es bereits schwierig ist, Lehrkompetenzen an Hochschulen für die grundständige Lehre zu bestimmen, aber dass es noch einmal weniger Erkenntnisse zu der Frage gibt, was spezifisch für das Lehren in der wissenschaftlichen Weiterbildung ist. In den Diskussionen zeichnete sich aus meiner Sicht ein gewisser Konsens dahingehend ab, dass Wissenschaft als Gegenstand des Lehrens und Lernens ein Spezifikum ist, das als deutliches Unterscheidungsmerkmal zu anderen Kontexten dienen könnte, in denen Lehrkompetenzen gebraucht werden. Festhalten kann man auch die offenbar weit verbreitete Erfahrung, dass speziell Professoren eine schwierige Klientel sind, wenn es um die Förderung von Lehrkompetenzen geht – ein Umstand, auf den ich vor einiger Zeit ja auch schon in einem Vortrag hingewiesen habe (hier).

Ausnahmsweise kann ich meinen Vortrag an dieser Stelle noch nicht öffentlich machen. Ich habe dazu auch einen schriftlichen Beitrag verfasst, der im Juni erscheinen wird – Open Access! Ich bitte daher einfach um ein klein wenig Geduld, weil ich der Publikation nicht vorgreifen will.

Doktorandenausbildung – ist solide gut genug?

Ich habe in diesem Blog seit Beginn der „Münchener Zeit“ schon des Öfteren über das Doktorandenkolloquium bzw. die an der Professur für Lehren und Lernen mit Medien sich entwickelnde Doktorandenausbildung berichtet: zum ersten Mal im Mai 2010 (hier). Nicht in allen Punkten, aber zumindest in einigen kann man anhand einiger Blogbeiträge nachvollziehen, wann wir welche Änderungen eingeführt haben: im Frühjahr 2010 z.B. Änderungen in der Art, wie der Stand der Dissertationen präsentiert wird (hier), oder im Herbst 2010 erste Erfahrungen mit „Fortbildungsworkshops“, zu denen wir auch (externe) Gäste einladen (hier und hier). Eine große Neuerung und interessante Erfahrung waren dann die Writers´ Workshops (siehe hier). Zwischendurch habe ich mir durchaus auch grundsätzliche Gedanken dazu gemacht, wie man mit der Heterogenität der Doktoranden am besten umgehen kann (hier). Eine Zeit lang habe ich auf Mahara in einem Blog jede Sitzung kurz zusammengefasst und kommentiert. Das war viel Aufwand und ich hatte nicht das Gefühl, dass der Nutzen da mithalten konnte – außer vielleicht für mich, indem ich auf diesem Wege natürlich sehr intensiv darüber nachgedacht habe, was gut und was nicht so besonders lief. Inzwischen gibt es Berichte zu jedem Kolloquiumszyklus (hier), was mir ebenfalls ausreichend Reflexionsraum gibt, aber nicht mehr ganz so aufwändig ist ;-). Ansonsten habe ich ab und zu besonders eindringliche Erlebnisse aus dem Kolloquium zum Anlass für ein paar grundsätzliche Überlegungen genommen (z.B. hier im Frühjahr 2012 und hier im Herbst 2012). Außerdem gibt es Infos zur Doktorandenausbildung auf unserer Web-Seite (hier).

Aber: So richtig beschrieben hatte ich das langsam gewachsene Konzept eigentlich nie. Das habe ich im Herbst 2012 endlich nachgeholt und einen Text dazu verfasst, den ich gegen Ende des Jahres 2012 mit den Doktoranden diskutiert habe. Nun möchte ich das Papier gerne öffentlich zugänglich machen. Vielleicht findet es ja „Abnehmer“ oder auch Kritiker. Wie auch immer: Ähnlich wie im Forschungsbereich die Entwicklungsforschung ist natürlich auch dieser Bereich der Doktorandenausbildung so etwas wie „work in progress“:

Doktorandenausbildung_LLM_2013

Ich bin mit dem aktuellen Entwicklungsstand des Konzepts in weiten Teilen zufrieden: Es funktioniert durchaus gut. Aber wann ist man schon „rundum“ zufrieden? Natürlich gibt es immer noch Dinge, von denen ich glaube, sie noch nicht richtig gut bewältigen zu können. Dazu gehört z.B.: (a) Immer mal wieder zieht sich die eine oder andere Dissertation aus meiner Sicht zu sehr in die Länge. (b) Es kommt nicht ständig, aber schon immer wieder vor, dass man Doktoranden aus den verschiedensten Gründen verliert. (c) Selten, aber besonders schlecht ist es, wenn allzu ungleiche Erwartungen und Ansprüche an den Prozess der Dissertation und an den der Betreuung geknüpft werden. (d) Überforderungen auf beiden Seiten kommen immer mal wieder vor und stellen alle Beteiligten auf eine harte Probe, die auch misslingen kann. Also: Das obige Dokument soll jetzt kein „Jubel-Konzept“ sein: Ich denke, es ist solide, denn es funktioniert ja recht gut seit einigen Jahren. Es beinhaltet aber leider keine Rezepte für einige Herausforderungen, die man wahrscheinlich auch zu wenig thematisiert.

Entwicklungsorientierte Bildungsforschung – work in progress

Mit diesem Blogpost möchte ich einen einen Reader verfügbar machen, der sechs Artikel als Postprints zusammenstellt, die ich zwischen 2005 und 2012 zum Thema „entwicklungsorientierte Bildungsforschung“ allein oder mit Co-Autoren verfasst habe.

Viele meiner bisherigen Arbeiten insbesondere in der Hochschullehre sind „Entwicklungsarbeiten“, ohne dass allerdings angesichts der knappen Ressourcen in der Regel Zeit bleibt, daraus entwicklungsorientierte Forschungsprojekte zu machen. Leider ist es nach wie vor schwer, genau dafür Fördergelder zu akquirieren.

Mit dieser Zusammenstellung ist das Thema für mich nicht beendet. Ich hoffe, dass es weitere Gelegenheiten und vor allem weitere Autoren gibt, mit denen ich mich zusammen dem Thema widmen und weitere Texte schreiben kann. Insbesondere aber müsste neben den theoretischen Auseinandersetzungen konkrete Projekte und längerfristige Vorhaben als entwicklungsorientierte Bildungsforschung durchgeführt und dabei verschiedenen Leitprinzipien und Methoden konkret erprobt und weiterentwickelt werden.

Reader_Entwicklungsforschung_Jan2013.