Manchmal hat man ja wirklich das Gefühl, die Zeit bleibt stehen. Eher durch Zufall bin ich auf einen kurzen Text von Karl-Heinz- Flechsig zur Hochschuldidaktik gestoßen. Der Text ist von 1975 (hier online). Flechsig wendet darin seine Handlungsebenen, die er für die Allgemeine Didaktik postuliert, auf die Hochschule an, nämlich (1) die organisatorischen, finanzielle, personellen und konzeptionellen Rahmenbedingungen der Hochschule, (2) die Studiengänge und Studienmodelle, (3) die Phasen oder Teilbereiche von Studiengängen (was man heute vielleicht als die Modulebene bezeichnen könnte), (4) die Lehrveranstaltungen und (5) die konkreten Lernsituationen. Das eigentlich Interessante an dem Text sind die analysierten Probleme und Postulate, die in diesem Zusammenhang vor immerhin fast 40 Jahren formuliert wurden: So wird z.B. beklagt, dass die erforderlichen Aktivitäten auf den genannten Handlungsebenen oft „unverbunden“ laufen, „von unterschiedlichen Personen und Institutionen, die oft ohne wechselseitige Information und häufig mit nur begrenzter Kompetenz und Legitimation ausgestattet laufen“ (S. 3). Wenn ich mir vorstelle, welche Macht „Bologna- und/oder Evaluationsbeauftragte“ in Universitäten sowie Akkreditierungsagenturen auf nahezu allen Handlungsebenen haben, erscheinen einem solche Sätze höchst aktuell. Zwischen den Ebenen, so Flechsig, gäbe es zahlreiche „Diskontinuitäten und Widersprüche“ (S. 5), etwa wenn organisatorische Reformen in keiner Weise mit Veränderungen konkreter Lernsituationen korrespondieren. Auch das liest sich wie für heute geschrieben. Man denke nur an die überall zu lesende Kompetenzorientierung bei der Modulbeschreibung einerseits und Multiple Choice-Klausuren wegen Überlast andererseits – was nur ein Beispiel für Widersprüche und Diskontinuitäten von vielen ist. Eine weitere Forderung Flechsigs besteht darin, Hochschuldidaktik i.w.S. zu verstehen und darin politische, didaktische und forschungsintensive Bereiche zu subsumieren, wobei auffällt, dass eine Leerstelle bei der „didaktischen Forschung“ besteht, die man offenbar schon 1975 nicht so recht als Bildungsforschung ansehen wollte. Zudem warnt Flechsig davor, Fragen zu didaktischen Methoden (bzw. „Unterrichtstechnologie“) an den Hochschulen nicht zu reinen „Servicefunktionen“ verkommen zu lassen – ein Schicksal, das unter anderem viele E-Learning-Zentren längst erlitten haben.
Bereits im vorletzten und letzten Jahr bin ich anlässlich des Themas Assessment und forschendes Lernen über Schriften aus den 1970er Jahren gestolpert (siehe z.B. hier) und habe mich verwundert gefragt, warum wir uns offenbar über mehrere Jahrzehnte lang quasi im Kreis gedreht haben: Wie kann es sein, dass man so vieles immer wieder neu erfindet? Wie kann es sein, dass neue Vokabeln immer wieder erfolgreich suggerieren, es gäbe auch inhaltlich etwas Neues? Und warum kommt vor allem die Didaktik irgendwie nicht so recht aus ihrem nach wie vor belächelten Loch?
Ja, warum kommt eigentlich die Didaktik nicht aus ihrem nach wie vor belächelten Loch? Ich bin diese Woche nach einem Vortrag gefragt worden, ob ich denke, dass die Vorlesung in der nächsten Zukunft verschwinden wird. Überrascht war ich über diese ‚ketzerische‘ Frage, weil sie aus dem Munde eines Firmeninhabers ‚älteren Semesters‘ kam, der auch gleich die mittelalterliche Herkunft der Vorlesung mit ins Spiel brachte.
Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass man sich im Kreis gedreht hätte; Zumindest im Bereich der Ingenieurwissenschaften, in dem ich mich bewege. Seit ungefähr der Jahrtausendwende stelle ich eine verstärkte Diskussion über die Lehrmethoden in der Ingenieurausbildung fest. Und vor einigen Wochen fand ich eine Veröffentlichung in der Science (vom Physiknobelpreisträger Carl Wiemann) ausgesprochen interessant. Dort wurde der Lernerfolg zweier großer Studentengruppen ausgewertet: Die eine Gruppe wurde per Vorlesung unterrichtet. Durch eine erfahrene, universitäre Lehrkraft, die mit Bestnoten für ihre Lehrtätigkeit bewertet wurde. Die andere Gruppe durch eine unerfahrene aber didaktisch geschulte Lehrkraft. Der Lernerfolg der letzteren Gruppe war mehr als doppelt so hoch. Außerdem wurde ein tiefer gehendes Verständnis für Zusammenhänge bei den Studenten festgestellt.
Schade ist nur, dass dieser Prozess ziemlich langwierig ist. Aber im Verhältnis zur fast 1000-jährigen Geschichten der Universitäten sind diese Erkenntnisse ja doch noch allesamt recht frisch ;). Und vielleicht trägt ja in Deutschland das erst kürzlich ins Leben gerufene MINT-Journal zu einer größeren Verbreitung der Didaktik in den Ingenieurwissenschaften bei.
Ok, das ist richtig: Verallgemeinerungen sind hier sicher schwierig, weil meine Beobachtungen auf bildungs- vielleicht noch sozialwissenschaftliche Disziplinen eingeengt sind. Aber umso besser: Wenn sich zumindest in einigen Fächern didaktisch etwas bewegt, ist das ja erfreulich. Ich meine übrigens gar nicht, dass es uns an Ideen fehlt – eher (siehe Titel) produzieren wir erstaunlich oft Ideen, die bei näherem Hinsehen so neu gar nicht sind, und dann wird einem klar, wie viel schwieriger es ist, Ideen umzusetzen als diese in die Welt zu setzen.
Gabi
Meinerseits war es auch durchaus mit einem ironischen Unterton gemeint ;). Auf der einen Seite tut sich schon was. Auf der anderen Seite frage ich mich warum die Einsicht doch so lange dauert. In vielen anderen Bereichen der Wissenschaft wird sehr schnell auf neuem Wissen aufgebaut und damit gearbeitet. Nur in Sachen Didaktik tut man sich irgendwie schwer.
Erstens wird die Lehre in der Regel als unwichtige Nebensache betrachtet und zweitens geht es ja auch so irgendwie. Die Ergänzung eines Professors auf die oben genannte Frage und meine Antwort war dann noch „Die Studenten wollen in der Vorlesung die Wissenschaft in Performance sehen.“ Man baut einfach auf der traditionellen Institution der Vorlesung. Und selbst bei engagierten Professoren habe ich den Eindruck, dass sie es in Sachen Lehre doch alles selbst am besten wissen.
Insofern kann ich Ihre Feststellungen durchaus nachvollziehen. Die Veränderungen, die da eintreten kann man wohl eher als ‚Lüftchen der Veränderung‘ bezeichnen. Wünschen würde ich mir persönlich ein viel stärkeres Umdenken. Aber wahrscheinlich ist eine wirklich Veränderung immer nur im Rahmen eines Generationswechsels möglich. Denn was Hänschen nicht lernt … 😉
Ich würde jetzt das Problem keineswegs nur bei den „Abnehmern“ didaktischen Wissens sehen – in Grenzen ist es nachvollziehbar, dass man sich in die Lehre nicht „reinreden lassen“ will. Das Problem liegt auf jeden Fall AUCH in der „Produktion“ didaktischen Wissens und der schlecht auszumachenden Stellung der Hochschuldidaktik in der bildungswissenschaftlichen Forschung. Hmm .. auf die nächste Generation wollte ich jetzt an sich nicht warten wollen 😉
Gabi