Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Pendelblick (10): Ohne Jurist sagt man besser nichts

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Das Thema, das mich die letzte Woche mental am meisten beansprucht hat, heißt: Prüfungen. Ich glaube ja, dass mich im letzten Jahr keiner so recht ernst genommen hat mit meinem Gedankenexperiment: „Was wäre, wenn es (an Universitäten) keine Prüfungen mit Rechtsfolgen mehr gäbe?“ Letzte Woche habe ich mir öfter gedacht: Schade, dass niemand so recht mitdenken wollte; schade, dass da die Hindernisse offenbar so groß waren/sind, mal gedanklich (!) mit diesem Szenario zu experimentieren.

Im Hinblick auf Prüfungen ist auch die Zeppelin Universität (ZU) keine Insel der Seligen – das wäre auch komisch. Das Thema war in mehrfacher Form Diskussionsstoff in einzelnen Sitzungen und Zusammentreffen. Dabei ist mir aufgefallen (und wieder eingefallen, denn darüber habe ich schön öfter nachgedacht), dass zwischen Lehrenden und Studierenden beim Thema Prüfungen generell (!) eine seltsame Sprachlosigkeit und verschlungene Erwartungserwartungen herrschen. Ich denke hier jetzt einfach mal laut darüber nach und bündele dabei meine bisherigen Erfahrungen aus drei Universitäten und meine Beobachtungen aus Gesprächen mit anderen Wissenschaftlern, aber auch mit Studierenden:

Zur Sprachlosigkeit: So richtig miteinander reden tut man ja nicht. In Hochschulgremien bauen sich schnell die bekannten Fronten auf. Irgendwie sind Prüfungen ein Tabu-Thema und ohne Jurist sagt man besser gar nichts – auch als Prof nicht. Und Studierende haben natürlich im Hinterkopf, dass die nächste Prüfung ansteht, und sagen dann letztlich auch nicht viel.

Zu den Erwartungserwartungen: Lehrende nehmen in der Regel an, dass Studierende nichts lernen würden, wenn nicht geprüft wird, was sie gelernt haben. Studierende nehmen häufig an, dass Lehrende sie vor allem rausprüfen wollen. Beide Gruppen nehmen sehr oft an, dass immer dann, wenn in einer Veranstaltung etwas geleistet wird und man darauf Feedback gibt, das Ganze doch unbedingt eine Prüfung sein müsse – eine mit Rechtsfolgen, also mit Notengebung. Lehrende denken mitunter, Studierende würden stets eine „Belohnung“ für ihre Anstrengung in Form einer Note erwarten. Studierenden denken bisweilen, dass sich für Lehrende die Mühe für ein Feedback lohnen und daher mit einer Benotung einhergehen muss. Aber ist das alles wirklich so? Stimmen diese Annahmen generell oder nur unter bestimmten Bedingungen – und unter welchen nicht?

Ich glaube ja, dass da noch ein viel größeres Problem hinter diesen Alltagsprüfungsproblemen stecken könnte – ein ganz grundsätzliches Problem, das die Rolle des Lehrenden betrifft. Ich kenne viele Lehrende, die haben im Hinterkopf eine Art „Trainer- oder Coach-Analogie“: Sie sehen es als ihre Aufgabe an, den Studierenden dabei zu helfen, besser zu werden. Ich zähle mich eindeutig auch dazu. Entsprechend habe ich kein Problem damit, ausführlich Feedback zu geben, auch ohne Prüfungssituation, DAMIT in einer späteren Prüfung das Ergebnis besser wird. Aber diese Auffassung teilt nicht jeder. Es gibt auch Lehrende, die eine andere Analogie zu der ihren gemacht haben – ich bezeichne sie mal als „Schieds- oder Wettkampfrichter-Analogie“: Unter so einer Perspektive ist es die Aufgabe eines Hochschullehrers, möglichst neutral zu beurteilen, ob gesteckten Ziele erreicht worden sind oder nicht. Da geht es nicht darum, den Studierenden zu helfen – man kann ihnen ja nicht beim Laufen unter die Arme greifen und sie über die Hürden heben, weil das den ganzen Wettkampf ad absurdum führen würde.

Sitzt man nun mit Lehrenden an einem Tisch, von denen sich die einen als Trainer und die anderen als Wettkampfrichter verstehen, ist an sich klar, dass man nicht nur nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommt, sondern auch hoffnungslos aneinander vorbeiredet und gegenseitig vor allem eines produziert: Unverständnis. Vielleicht also, so meine Folgerung, brauchen wir eine ehrliche Grundsatzdiskussion über das Verhältnis von Lehren und Prüfen und über die Rolle des Hochschullehrers, aber auch über die der Universität. Mit der Vorstellung von Universität als Bildungsort liegt für mich nahe, an der Universität die Analogie des Trainers (versus Wettkampfrichters) zu verwenden, aber ist die Universität für jeden Hochschullehrer und Wissenschaftler ein Bildungsort ODER etwas anderes oder ein Bildungsort UND etwas anderes? Und warum? Welche Argumente haben wir dafür? Welche Werte stecken dahinter?

Was bedeute „Pendelblick“? Siehe hier

8 Kommentare

  1. Ich weiß es definitiv, dass ohne Prüfung nichts bzw. nicht viel geht. Bei uns an der PH Heidelberg gibt es eine Prüfung, die drei Teile beinhaltet: Arithmetik, Geometrie, Didaktik des Mathematikunterrichts.
    Es geht nur darum durchzukommen. Das geht mit zwei dieser drei Teilgebiete. Das schwierigste der drei Teilgebiete wird gnadenlos ausgeblendet … . Und schwierig ist heutzutage das für meine Studierenden, das früher in der 7. Klasse Schulstoff war. Gute Nacht!

  2. Das glaube ich gerne, das es genau diese Erfahrungen häufig gibt. Aber die Frage ist doch, warum das so ist, und ob es durch das Lösungsschema „mehr Prüfungen“ wirklich in der Substanz besser wird! Ich vermute auch, dass eine isolierte Maßnahme (auf Prüfung A oder B verzichten) unwirksam ist (oder sogar negative Effekte hat), sondern dass man ein generelles Überdenken braucht, was Umfang und Art von Prüfungen betrifft.

  3. Oh Gott, ich mag keine Prüfungen. Selber ablegen – gerne; abnehmen: ein Graus.
    Weil? Prüfungen, wenn man es mal realistisch betrachtet, immer eine Prüfung des Lehrenden sind. Ein gnadenloseres und ehrlicheres Feedback gibt es nicht.
    Ich bin also FÜR Prüfungen, nicht um Studenten oder Schüler zu quälen (die haben auch meist einen rechten Stress), sondern um eine direkte Leistungsbeurteilung meiner Arbeit zu bekommen.

  4. Ich würde es so sehen dass man alles in Betracht zieht – es gibt Fächer die einfach Prüfungen erfordern, weil das Lernen einfach Drill&Practice heißt. Oder sagen wir es so ich kann zwar die Mathemathik grundsätzlich verstehen, ich muss sie aber trotzdem üben, üben, üben damit ich im nächsten Level bestehen kann – wenn ich hier auf Feedback Schleifen bauen würde, minimieren wir die Personen die fertig werden drastisch weil denen Deadlines und auch der nötige Antrieb fehlt und wir bilden heute schon viel zu wenig Techn. Versierte Studierende aus (!)
    Andersrum gibt es Gegenstände wo diese Vorgehensweise wenig Sinn macht – da es um Zusammenhänge geht und nicht um Definitionen oder was weiß ich – wenn ich mein Studium rückwärts betrachte dann hatte ich Gegenstände wo ersteres für 8 Semester galt – wenn ich so an das Lösen der ganzen Differentialgleichungen denke –
    Naja, schwieriges Thema 🙂

  5. Nein, nicht alles muss mit einer Prüfung belegt sein. Ich lerne auch, wenn ich nicht geprüft werde, dann aber meist das, was mich wirklich interessiert und kann dort genauso zum Experten werden wie jemand, der dieses durch Prüfungen bewiesen hat. Leider wird das aber nur selten hier in Deutschland anerkannt.
    Und andersherum behaupte ich mal frech: Nur weil eine Prüfungsleistung gut ist, heißt dies nicht, dass derjenige es auch verstanden hat und anwenden kann und auch nicht wie gut die Leistung des Lehrenden ist. Sondern eher wie gut der Lernende genau in dem Moment den Stoff rezipieren konnte. Kommt aber auch etwas auf die Prüfungsform an (MC oder freies Beantworten, reines Zitieren von Phrasen oder Anwendung vom Stoff und Übertragen auf ähnliche Prozesse).
    Die Diskussion wird auf jeden Fall sehr komplex, denn für mich fängt sich schon bei der Prüfungsart an und hört dann erst bei Prüfungen ja oder nein auf.

  6. Danke für die Kommentare!
    @Martin: ist Üben gleich Prüfen? Ich bin auch für Assessment – Selbst-Assessment, Peer-Assessment, Assessment mit schonungslosem Feedback und Verbesserungshinweisen, aber MUSS man alles benoten – mit Ziffern, deren Aussagekraft fragwürdig ist, mit dem Damoklesschwert über eine, dass „alles zählt“., dass an man sich Fehler an sich nicht leisten kann?
    Mir fällt immer wieder auf (auch bei den Kommentaren), dass ein Denkanstoß in Richtung Überdenken der ständigen Notengebung reflexhaft mit einem Verzicht von Assessment und Feedback gleichgesetzt wird. Aber genau das muss überhaupt gar nicht sein!!

  7. Derjenige, ohne den man besser nichts sagt, meint: Es geht auch ohne!
    Die Bologna-Vorgaben der Kultusministerkonferenz fordern zwar, dass man Noten und ECTS-Kreditpunkte getrennt ausweisen müsse. Daraus kann man aber nicht den Schluss ziehen, dass alle Prüfungen zwingend benotet werden müssen. Soweit das jeweilige Landeshochschulgesetz nicht entgegen steht, kann man also auf Noten verzichten.
    Wer wagt den Feldversuch?

  8. Also ich wäre bei dem Feldversuch sofort dabei! Aber eben unter der Prämisse, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher lernprozessbegleitender Assessments gibt, die auch alle verpflichtend sind (sonst gibt es halt keine ECTS-Punkte). Ich glaube, wer sich in einem Lernumfeld bewegt, in dem er sich stets aktiv mit Inhalten auseinandersetzt und darauf regelmäßig Rückmeldung erhält, kann gar nicht anders, als dazu zu lernen.
    Meine starke Vermutung ist, dass wir mit dem Begriff der Prüfung in der Diskussion über ein Abschaffen eben dieser nicht weiter kommen. Da werden zur schnell „Kuschelkurs“-Assoziationen geweckt. Der im Englischen verwendete Begriff des Assessment – der hier deutlich gewinnbringender wäre, ist ja bei uns leider nicht in der Breite etabliert. Hier wäre eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Aktivitäten mit „prüfendem/ leistungsrückmeldendem Charakter“ leicht: Ein Assessment OF Learning (oft auch gleichgesetzt mit summativem Assessment) dient der Zertifizierung und Benotung; ein Assessment FOR Learning der Rückmeldung über den Leistungsstand mit dem Ziel der Förderung/Verbesserung.
    Mich würde interessieren: Für wen hier hier das anschlussfähig?

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