Anderes Denken im Gepäck der Sprache

Oft angekündigt, mit Spannung erwartet – jetzt ist es da: das Positionspapier vom Wissenschaftsrat zu „Strategien für die Hochschullehre“. Für diejenigen von uns, die sich mit dem akademischen Lehren und Lernen wissenschaftlich beschäftigen, ist es zunächst einmal höchst erfreulich, dass das Thema Hochschullehre derzeit so weit oben auf der Agenda steht – auch beim Wissenschaftsrat. Positiv aufgefallen ist mir an dem Papier, dass ein paar sehr grundlegende Dinge, die man endlich in Angriff nehmen müsste, angesprochen werden: unter anderem „alternative Berechnungsmodelle für die Gesamtheit von Lehraufgaben“ (S. 18) inklusive einer (rechtlichen) Reform der Lehrverpflichtungsverordnungen der Länder (S. 30) sowie eine ausreichende finanzielle Grundlage für bessere Lehrbedingungen (S. 33 f.) statt temporärer Förderprogramme. Hinweise darauf, dass auch die Studierenden selbst Verantwortung für ihren „Bildungserfolg“ tragen, dass Lehre in der individuellen Verantwortung der Lehrenden UND in der institutionellen Verantwortung der Hochschulen liegt, Hochschullehre mithin eine gemeinsame Aufgabe ist, bieten zwar nichts Neues, aber es kann in der Tat nicht schaden, wenn man das ab und zu neu begründet und wiederholt.

Es gäbe viel zu sagen zu dem Positionspapier und ich denke, es wird uns auch noch eine Weile beschäftigen. An dieser Stelle nur mal ein paar erste (noch unsystematische) Kommentare.

Nachdem die Notwendigkeit neuer „Lehrverfassungen“ bereits in Vorträgen mehrfach angekündigt worden war, hatten wohl viele gehofft, dass das Positionspapier verrät, was es damit genau auf sich hat. Die Definition ist allerdings etwas enttäuschend, denn letztlich heißt es nur: „Lehrverfassungen beschreiben ein verbindliches Leitbild für die Lehre an einer bestimmten Hochschule“ (S. 15). Wo da jetzt der Unterschied zwischen einem Leitbild für die Lehre (das ja viele Hochschulen schon haben) und einer Lehrverfassung liegen soll, erschließt sich mir nicht. Das wird wohl eher dazu einladen, mal eben die Überschrift zu ändern …

Was mich immer wieder und erneut im neuen Positionspapier verwundert, ist die Rede vom „neuen Paradigma“ (S. 8), das darin bestünde, dass wir uns alle an „learning outcomes“ zu orientieren haben. Was daran „paradigmatisch“ ist, habe ich nie verstanden. Warum man „Lehrendenorientierung“ und „Studierendenorientierung“ als Pole eines Kontinuums stilisiert, obschon sich Lehren und Lernen an einer Bildungsinstitution wie der Hochschule gegenseitig bedingen, bleibt mir ebenfalls ein Rätsel (siehe dazu auch hier).

Seltsam zu lesen ist, dass der Wissenschaftsrat seine Hoffnungen in Sachen Digitalisierung unter anderem auf Campus Management Systeme legt (S. 22, 24 f.): Diese dienen zum einen vor allem der Verwaltung und nicht direkt dem Lehren und Lernen; zum anderen hört mal überall nur Klagen über die gängigen Systeme, die als starr und eher beschränkend, denn als einladend für kreative Ideen in Sachen Digitalisierung wahrgenommen werden. Der Rest der Empfehlungen bleibt denn auch eher nebulös.

Was ich aus dem Positionspapier zudem herauslese, ist eine gewisse Richtungsvorgabe in Sachen Forschung zur Hochschullehre: Die (psychologische) Lehr-Lernforschung (genannt ist z.B. explizit die Kompetenzforschung) bzw. empirische Bildungsforschung, wie wir sie aus dem Schulbereich kennen, scheint für den Wissenschaftsrat der Favorit zu sein, zumal da andere Formen der (Wirkungs-)Forschung offenbar als zu „komplex und voraussetzungsreich“ gelten (S. 13). Das stimmt mich besorgt (obschon es mich nicht überrascht), denn aus meiner Sicht wäre es fatal für die Hochschullehre, wenn die besonderen Merkmale akademischen Lehrens und Lernens auf diese Weise außen vor blieben, die heute verbreitete simplifizierte Auffassung von „Evidenzbasierung“ (S. 19) auch auf dem Hochschulsektor übergreifen und ein bildungstheoretischer Diskurs zum Zweck verschiedener Hochschultypen überhaupt nicht mehr geführt werden würde.

Gefordert werden übrigens (am Ende des Positionspapiers) eine neue Institution für die Lehre (bundesweit; S. 34 f.), was nach einer Deutschen Lehrgemeinschaft klingt (siehe dazu auch hier – einschließlich der Diskussion), sowie – wieder einmal – Lehrprofessuren (S. 32). Bei letzteren wird immerhin noch einmal die Forschung zum akademischen Lehren und Lernen ins Spiel gebracht (als fachdidaktische Forschung). Und das ist ein wichtiger Punkt, der aber auch der Diskussion bedarf, zumal wenn wiederum anklingt, dass man das vor allem analog zur schulischen Fachdidaktik machen könne.

Übrigens: Während die Persönlichkeitsbildung in den Empfehlungen des Wissenschaftsrats zum Verhältnis von Hochschulbildung und Arbeitsmarkt (vom Oktober 2015) noch eine zentrale Rolle als eine von drei Dimensionen der Hochschullehre gespielt hat, taucht das Wort im Positionspapier zu den Strategien für die Hochschullehre kein einziges Mal auf. Dominant sind dagegen Begriffe, die eine deutlich andere Sprache einführen und den Eindruck erwecken, als seien Hochschulen nichts anderes als Unternehmen, deren Stellung auf dem Markt zu behaupten ist: Es ist (natürlich) von Strategie und Strategiefähigkeit sowie von Benchmarks die Rede, sehr (!) viel von Steuerung (Steuerung von Verhalten), von Kennwerten und indikatorengestützter Bewertung, von Anreizen und Belohnung, von Wettbewerb (siehe zu diesem Thema auch hier). Ich finde das nicht unwichtig: Die Sprache setzt hier einen Rahmen, der in sich schlüssig wirkt, der einen infolge der inneren Konsistenz „mitnimmt“ und dazu verleitet, immer weniger Fragen zu stellen, weil das Meiste ja irgendwie (nämlich im gesteckten Rahmen) nachvollziehbar klingt. Es ist aber ein anderes Denken, das da im Gepäck der Sprache ist – ein Denken, das nicht mehr um Bildung und Forschung als Leitideen für die Hochschullehre kreist, sondern eigene Steuerungskreise kreiert, ohne dass so richtig klar wird, welchem Zweck die Steuerung denn letztlich dient.

5 Gedanken zu „Anderes Denken im Gepäck der Sprache“

  1. Liebe Gabi,
    danke für Deine Zusammenfassung, die ich im Großen und Ganzen teile.
    Beim Lesen musste ich zudem an mehrere Beiträge von Michael Seemann denken, für den neue Plattformen immer auch ein Ausdruck von Ohnmacht (der Nutzer*innen) sind. Für den Umgang der Hochschulen mit der Digitalisierung gilt das allemal: Neue technische Plattformen werden kaum eine Antwort auf die aktuelle Medienkultur anbieten (können). Wer das heute noch glaubt, ist nicht nur wenig kreativ, sondern hat auch den Umfang digitaler Transformation (ich mag den Begriff eigentlich nicht, aber er passt hier ausnahmsweise) bisher nicht verstanden.
    Darüber hinaus – das mag ein kleines Detail sein – wird an einer Stelle im Text das Erfahrungswissen der Hochschule/der hochschulischen Akteur*innen angesprochen (S. 25): Das finde ich spannend und wiederspricht zumindest teilweise Deiner obigen Analyse (Schwenk in Richtung psychologischer Lehr-Lernforschung). Hier stellt sich nämlich die Frage, wie eine Wissensorganisation mit ihrem eigenen Herzstück – dem Wissen (in der schon kritisierten Sprache wäre wohl eher vom „Kerngeschäft“ die Rede) – in Zeiten der Digitalisierung umgeht. Im Wissensmanagement hätte die Antwort Kommunikation geheißen. Vielleicht könnte man diese alten Schriften jetzt wieder rezipieren, weil die Probleme zumindest teilweise die Gleichen sind. Hinzu kommt „nur“, dass Information und Wissen als solche heute eigentlich nicht mehr das Problem sind, sondern vielmehr der Umgang damit. Gerade hier gäbe es in Bildungsinstitutionen wie der Hochschule m.E. noch sehr viel zu tun und unter Entwicklungsperspektive auch zu gestalten bzw. zu erforschen.
    Liebe Grüße,
    Sandra

  2. Liebe Sandra,
    danke für deinen Kommentar. Das Positionspapier, so denke ich, wird noch viele Deutungsversuche und „Analysen“ hervorrufen, denn es arbeitet mit sehr abstrakten Begriffen und lädt geradezu dazu ein, dass jeder Lesergruppe so ihre eigenen Fantasien da hineinlegt, die Wörter dreht und wendet und sich fragt, was wohl gemeint sein könnte. Absicht?

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