Ernst gemeinte Exzellenz?

„Datenqualität als Schlüsselfrage der Qualitätssicherung von Lehre und Studium an Hochschulen“ – so lautet der Titel einer bereits 2008 online veröffentlichten Dissertation von Philipp Pohlenz, auf die ich vor kurzem gestoßen bin. Die Arbeit gibt einen guten Überblick über Qualitätsmanagement und Evaluation an Hochschulen und thematisiert vor allem die Gütekriterien der verwendeten Verfahren und resultierenden Ergebnisse. Online ist die Arbeit hier abrufbar.

Die Ergebnisse der Studie von Pohlenz lassen (was jetzt nicht so erstaunlich ist, aber immerhin nicht als Polemik abgetan werden kann) erhebliche Zweifel vor allem an der Validität studentischer Qualitätsurteile aufkommen – jedenfalls verglichen mit den Intentionen der Evaluierenden und im Zusammenhang mit der Art der Nutzung dieser Daten für Hochschulentwicklung und -politik! Das Interesse der Studierenden, die Studienphase, in der sie sich befinden, aber auch die Infrastruktur des Hochschulortes (um nur ein paar Beispiele zu nennen) beeinflussen das Urteil über Lehre und Studium erheblich und schränken die Aussagekraft entsprechend ein. Aber sogar die meist als objektiv geltenden Hochschulstatistiken halten, so eine Erkenntnis der Arbeit, nicht immer, was sie versprechen. Pohlenz kommt zu dem Schluss, dass vor allem die in der Praxis bevorzugten einfachen Evaluationsverfahren mit simplen Indikatoren zahlreichen Fehlerquellen ausgesetzt sind.

In den ersten Teilen der Arbeit werden auch andere Funktionen von Evaluationen thematisiert als z.B. die Leistungsbewertung von Hochschulen oder von Hochschullehrern (z.B. die Partizipation der Studierenden). Dies ist aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher Punkt, der dann aber doch wieder in den Hintergrund rückt.

Das Abschluss-Statement in der Dissertation lautet: „Evaluation steht vor der Aufgabe, Routinen zu entwickeln, die der Vielgestaltigkeit der Qualität der Lehre sowie der Realität des Hochschulalltages gerecht werden. Nur so kann sie den Anspruch darauf erheben, als Instrument der Hochschulentwicklung ernst genommen zu werden. Insofern dies den Einsatz komplexer und verschiedene Ansätze versöhnende Verfahren und damit einen stärkeren Mitteleinsatz erfordert, ist das Hochschulwesen insgesamt gefragt, inwieweit die vielfach verkündete Formel von der Entwicklung von Exzellenz durch qualitätssichernde Verfahren ernst gemeint und mit der Bereitschaft verknüpft ist, die entsprechend notwendigen Investitionen in die Zukunft zu tätigen.“ Dem kann man nur zustimmen …

Stütze für die mentale Gesundheit

Es gibt kleine und große Dinge, die kann man – einmal in Gang gesetzt – nicht mehr aufhalten: Eine Tasse Kaffee, an die man dranstößt, bekommt man in der Regel erst dann wieder zum Stehen, wenn sich der Inhalt bereits über den ganzen Tisch ergossen hat. Die Mail, die gar nicht fertig war und noch Adressaten enthielt, die da nicht stehen sollten, lässt sich nicht mehr zurückholen, wenn der Send-Button einmal angeklickt ist. In beiden Fällen beobachtet man in den entscheidenden Bruchteilen von Sekunden die Katastrophe und weiß gleichzeitig, dass man sie nicht mehr aufhalten kann – umgekippt – weggeschickt – unwiderruflich.

Bisweilen habe ich den Eindruck, dass auch die Ökonomisierung von Wissenschaft und Hochschulbildung ein Prozess ist, der – einmal angestoßen – nicht mehr anzuhalten ist, obwohl viele Augen auf die sich abspielenden Prozesse geheftet sind und die sich daran anschließenden kleineren und größeren Katastrophen quasi live mitverfolgen – nicht in Bruchteilen von Sekunden, sondern in Zeiträumen von Jahren. Die Beobachtungen werden sogar zunehmend öffentlich mitgeteilt – in Büchern, Sendungen und Zeitschriften, so z.B. wieder einmal in der aktuellen Ausgabe von Forschung und Lehre, die den Titel trägt „Wettbewerb: Glanz und Elend“. Neben einigen anderen kommen die allseits bekannten Kritiker zu Wort, so z.B. Martin Binswanger (auf sein lesenswertes Buch habe ich hier bereits hingewiesen) und Richard Münch (ebenfalls schon Anlass für Blog-Postings, z.B. hier). Aber was hilft es? Nach der erste Freude über die Existenz von Gleichgesinnten, die man als Stütze für die eigene mentale Gesundheit erlebt, bleibt die bange Sorge, ob und wie sich der in Gang gesetzte Prozess noch aufhalten oder zumindest umlenken lässt, gefolgt von der „Fast-Gewissheit“, dass diese Chance bereits unwiderruflich vertan ist. Das Schlimme nämlich ist, dass wir alle mittendrin stecken: Drittmittel und gute Evaluationsergebnisse in der Lehre bestimmen mit, was am Monatsende auf dem Konto ist; von unserem Antragserfolg sind Nachwuchswissenschaftler abhängig, die wir fördern möchten; die Güte unserer Prosa bei der Beschreibung von Studiengängen entscheidet über die (Re-)Akkreditierung und damit über Rahmenbedingungen für Studierende; wer eine Professur ergattern oder sich noch einmal verändern möchte, wird tunlichst die aktuell geforderten Publikationsriten mitspielen usw. Wenn die eigene Person und Menschen, für die man sich verantwortlich fühlt, tangiert sind, wird es schwer, den Schritt vom Reden zum Handeln zu vollziehen und das Unmögliche zumindest zu versuchen: aufzufangen und anzuhalten, was scheinbar nicht mehr aufzufangen und anzuhalten ist – und das obwohl uns hier nicht nur Bruchteile von Sekunden, sondern Jahre zur Verfügung stehen.

Auf die Füße getreten

76 Kommentare in zwei Tagen auf einen ZEIT-Artikel – das ist durchaus beachtlich. Geschafft hat das ein Beitrag über die Studie ZEITLast, deren Ergebnisse nun in einem Buch erscheinen (Rolf Schulmeister, Christiane Metzger (Hrsg.): Die Workload im Bachelor: Zeitbudget und Studierverhalten. Eine empirische Studie. Waxmann 2011). ZEITLast möchte Transparenz in den tatsächlichen Zeitaufwand Studierender bringen und den vielen Vermutungen vor allem zum Zeitstress der Studierenden in den neuen Studiengängen objektive Zahlen entgegenhalten. Anders als viele andere Studien schätzen die Studienteilnehmer/innen ihren Zeitaufwand hier nicht retrospektiv, sondern erfassen laufend, wofür sie wie viel Zeit aufwänden.

Der Beitrag ist – wie das journalistische Texte zu speziellen Themen oft sind – stellenweise etwas unglücklich formuliert, enthält auch Fehler (Rolf Schulmeister wird zum Informatiker gemacht) und ist durch die Art der Darstellung schon etwas darauf angelegt zu polarisieren. Der wohl intendierte Effekt wurde denn auch erreicht – teilweise zeugen die zahlreichen Kommentare von erzürnten Reaktionen. Es wäre sicher ganz interessant, die Beiträge inhaltsanalytisch auszuwerten: Manche rechnen da ihr eigenes Zeitkonto nach, viele verweisen auf die (in der Studie ebenfalls festgestellten) Unterschiede zwischen Disziplinen und Fächern, einige bemängeln die Studienmethode (über die der Beitrag allerdings gar nicht viel sagt), ein paar machen auf den Unterschied zwischen Zeiterleben und faktisch gebrauchter Zeit aufmerksam (ein Punkt, der auch aus meiner Sicht sehr interessant ist) und sehr viele fühlen sich offenbar persönlich angesprochen und in der Folge massiv auf die Füße getreten.

Unabhängig von diesem Beitrag im Speziellen frage ich mich bei Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln über wissenschaftliche Ergebnisse oder Ereignisse (siehe auch die Plagiatsaffäre hier, hier und hier in diesem Blog) oft, ob die Relation zwischen dem damit erzielten Nutzen (breite Aufmerksamkeit für ein Thema) und dem potenziell angerichteten Schaden (verkürzte und/oder verfälschte – weil nicht richtig verstandene – Aussagen) noch ausreichend ausgewogen ist. Ich bin ja der Meinung, dass Wissenschaftler selbst mehr für die Verbreitung gesellschaftlich relevanter Erkenntnisse tun könnten und dies nicht nur den Journalisten überlassen sollten – digitale Medien haben dies immerhin sehr erleichtert. Allerdings – das liegt natürlich auf der Hand – erreicht man damit nach wie vor niemals eine solche Breite wie ein Beitrag etwa in Spiegel oder Zeit online. Aber drüber nachdenken könnte man ja mal.

Wer spricht denn von Wissensmanagement?

Ich weiß: Über das Thema Verwaltung habe ich in diesem Blog schon öfter mal geschrieben. In einer der letzten Sitzungen meinte ein Kollege ganz erzürnt, er werde doch nicht für Verwaltungsarbeit bezahlt und würde jetzt einfach mal alles liegen lassen. Wer hat sich nicht schon diese Frage gestellt und sich in kühnen Tagträumen ausgemalt, einfach mal keine Verwaltungsarbeiten mehr zu übernehmen. Gut, man ist als Professor zur „akademischen Selbstverwaltung“ verpflichtet. Es fragt sich nur, was da alles dazugehört. Sekretariatsstellen werden in München zunehmend eingestampft. Aber welcher Prof braucht heute noch eine persönliche Sekretärin? „Bändchen abtippen“, Termine vereinbaren, den Prof vor unangemeldetem Besuch schützen, Telefonate durchstellen – das ist von vorgestern und wäre wahrscheinlich vielen von uns eh nur lästig. Also okay – wir brauchen keine klassischen Sekretariate mehr. Man hatte da (in München und woanders auch?) die Idee und Hoffnung, das würde durch „Assistenzstellen“ etwa für Forschung oder Lehre ersetzt. Nun aber mehren sich die Stimmen, die meinen, das sei wohl eher ein frommer Wunsch gewesen.

Also macht man alles selber!? Drittmittelanmeldungen, Personaleinstellungen, Finanzberechnungen, Kontrolle kryptischer Kontoauszüge, Materialbestellungen usw. usw. Nun wäre das an sich vielleicht gar nicht das Schlimmste. Was mir aber wirklich den letzten Nerv raubt ist, dass viele dieser Vorgänge pseudoformalisiert, in Wirklichkeit aber überhaupt nicht vernünftig und vor allem nicht systematisch festgeschrieben und natürlich nirgendwo dokumentiert sind. Seit über einem halben Jahr bin ich permanent auf der Suche nach Informationen, die ich mir an den verschiedensten Stellen zusammensuche – bisweilen mit der Erkenntnis, dass die Auskunft von zwei Stellen zum selben Vorgang keineswegs identisch sein muss. „Muggling through“ – das scheint eine wichtige Strategie zu sein, die aber dann nicht mehr funktioniert, wenn sich die Vorgänge häufen, die man unter einen Hut bringen muss. Ich verstehe das einfach nicht, warum Universitätsverwaltungen dieses Problem nicht vernünftig in den Griff bekommen. Wer spricht denn von Wissensmanagement? Es geht um simples Informationsmanagement, um die prägnante, online zugängliche Dokumentation von Abläufen in einer verständlichen Sprache, die auch für Wissenschaftler nachvollziehbar ist.

Was wir bräuchten, wären so was wie „Schnittellenmanager“ zwischen den Fakultäten (und da am besten getrennt für Forschung und Lehre) und der Verwaltung, damit wir – die Wissenschaftler – feste Ansprechpartner hätten und nicht rumgereicht werden müssten wie Valentins Buchbinder Wanninger. Die Verwaltungsangestellten können dafür in der Regel nichts, das ist ein strukturelles Problem, das man mal „Top-down“ lösen müsste.

In der Zwischenzeit kann man wohl nur selbst versuchen, solche Dokumentationen zu erstellen, und sollte diese dann altruistisch anderen – vor allem neuen Kollegen/innen – zur Verfügung stellen. Und klar, da fragt man sich dann schon: Wird man dafür tatsächlich bezahlt?

Opium für die Frauen

Vor kurzem hatte ich mal wieder einen kurzes Austausch zur Frage der Gender-neutralen Sprache in wissenschaftlichen Artikeln. Da nehmen es ja die Schweizer/innen und Österreicher/innen bekanntlich noch genauer als die Deutschen (oh – das ist ja schon Gender-neutral ;-)). Ich bin da schon mehrmals angeeckt, weil ich die weiblichen Formen zwar durchaus aus einer bestimmten Perspektive für wichtig und nachvollziehbar halte, letztlich aber der Meinung bin, dass es Wichtigeres gibt – also Wichtigeres in Sachen „Gender“: Bisweilen habe ich den Verdacht, dass man die Frauen auf diesem Wege beschäftigt, damit sie Ruhe geben und schon zufrieden sind, wenn eine weibliche Form auf irgendwelchen Urkunden steht (wenn man jetzt mal an der Hochschule bleiben will). Meine Erfahrung ist eher die, dass Ungleichbehandlung auf ganz anderen Gebieten wesentlich gravierender und vor allem subtiler ist, dass man sich um diese aber nach wie vor zu wenig kümmert. Das merkt man in Sitzungen, das wird allzu deutlich, je mehr es um höhere Positionen geht, und das ist nach wie vor flächendeckend, wenn Familien gegründet werden und die Frage ansteht, wie man jetzt Kindererziehung, Hausarbeit und berufliche Karriere verteilt. Und siehe da: Der oben erwähnte Austausch mit zwei Frauen brachte sogleich zwei Beispiele zutage, die meiner Einschätzung nach keineswegs persönliche (also einmalige) Anekdoten sind (wie man dann schnell meint), sondern strukturellen Charakter haben:

Beispiel 1: Ein Frauenförderprogramm für Postdocs, das zur Bedingung macht, dass man in Vollzeit arbeiten muss. Bravo: Angesichts der Tatsache, dass die meisten Frauen nach der Promotion in einem Alter sind, in dem es ja wohl normal ist (oder wäre) Kinder zu haben, ist das eine sehr weitsichtige Entscheidung!

Beispiel 2: Folgendes Argument für die Absicht, eine weiterfinanzierte Stelle nicht mit der bisherigen Stelleninhaberin, sondern einem Kollegen zu besetzen: Sie sei ja jetzt eh schwanger, und der männliche Kollege sei doch gerade Vater geworden, sodass dieser jetzt eine Familie zu ernähren habe. Hier ein ganz besonders großes Bravo für diese vorbildliche Zementierung alter Rollenbilder.

Und wo bitte sind da die Frauenbeauftragten? Bekommen sie das vielleicht gar nicht mit, weil sie damit beschäftigt sind, für das „innen“ zu kämpfen? Liegt es da nicht nahe, die Sprachgerechtigkeit als eine Art „Opium für die Frauen“ zu interpretieren? Ich weiß, das wird jetzt Proteste hageln – und es mag überzeichnet sein. Aber nachdenken sollte man schon mal drüber.

Wer ist verantwortlich?

Die Frage, wer die Verantwortung trägt, stellt sich im Moment ja ziemlich oft: Wer ist verantwortlich für die aktuelle Ölpest, wer für die Euro-Krise und wer dafür, dass die Ziele, die man für Forschung und Hochschulbildung in Deutschland gesteckt hat, nicht erreicht werden? In der Hochschulrektorenkonferenz, unterstützt vom Bundespräsidenten und Ministerin Schavan (von der man ja sonst nicht mehr viel hört) wird der Ruf laut, Bildung und damit auch die Hochschulen (wieder) unter eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu stellen und folglich dem Bund mehr Rechte, aber natürlich auch Pflichten zu geben, auch wenn es um die Hochschulen geht. Ob da wirklich so viel mehr Finanzkraft als von den Ländern kommt, kann ich nicht beurteilen; zumindest habe ich da meine Zweifel. Dass Kleinstaaterei bei so grundsätzichen Fragen wie in der Bildung aber mehr als verzichtbar ist, das glaube ich schon. Mal schauen, was aus diesem Vorstoß wird. Hier die dazugehörige (kurze) Pressemeldung der HRK.

Vielleicht haben wir alles nur falsch verstanden?

Es war und ist recht still um die Bologna-Konferenz in Budapest und Wien am 11. und 12. März. Ein paar wenige Zeitungen haben darüber berichtet (z.B. die ZEIT hier) und es gibt ein kurzes Abschlusspapier (hier), in dem die Erfolge des Bologna-Prozesses allen Protesten zum Trotz beschworen werden. Deshalb wird auch an mehreren Stellen bekräftigt, dass man an den Zielen weiter festhalten wolle, die auch für die nächste Dekade gelten sollen. Was man aber verbessern müsse, ist die Kommunikation speziell mit den Studierenden und den Hochschulangehörigen, denn die – so liest es sich jedenfalls – hätten wohl einiges nicht so ganz verstanden. Also: Weiter so, aber mit besserem Marketing? Erfreulicherweise wird im abschließenden Zweiseiter immerhin die Freiheit von Forschung und Lehre eigens hervorgehoben und zumindest schriftlich festgehalten, dass Hochschulen und Wissenschaft wichtig für den Erhalt und die Weiterentwicklung einer Demokratie sind. Wichtig finde ich das als Pendant zu wirtschaftlichen Interessen, die sich wie in allen Bereichen der Gesellschaft als dominant erweisen. Aber irgendeine konkrete Idee, was man besser machen könnte, lese ich da nicht heraus. Man nimmt die Proteste aus dem Jahr 2009 zwar offiziell zur Kenntnis, reagiert aber offenbar vor allem mit der Folgerung, nicht richtig kommuniziert zu haben – wobei nicht ganz klar ist, wer da genau der Adressant ist: die Nationen, die Minister, speziell in Deutschland die Bundesländer, die Hochschulen, die Hochschullehrer oder die Studierenden?

Ich würde mir wünschen, dass man die Akkreditierungsverfahren endlich mal radikal ändert, dass man Bürokratie abbaut (die uns lähmt und nichts nützt) und dass man aufhört, jedes Merkmal in quantifizierter Form erfassen zu wollen. Gut am Bologna-Prozess ist, dass dieser die schon vorher bestandenen schlechten Rahmenbedingungen vor allem in überlaufenen Fächern so richtig manifest gemacht hat. Schlecht ist, dass trotzdem alles weitergeht wie bisher, dass sich unter anderem die Verteilung von Mitteln an anderen Kriterien festmacht als am bestehenden Bedarf. All das ist Bildungspolitik und ich würde mir erwarten, dass genau diese Punkte in entsprechenden politischen Gremien und Konferenzen – zu der ja wohl auch die Bologna-Konferenzen gehören – diskutiert werden. Oder haben wir das auch nur falsch verstanden?

Nachtrag am 22.03.2010: Seit wenigen Tagen gibt es nun auf dem Deutschen Bildungsserver ein Dossier zum Thema mit weiterführenden Informationen, nämlich hier.

Hörsaalbesetzer

Na ja, im Vergleich zur neuen Grippe halten sich die Schlagzeilen in den Medien in Grenzen, wenn es um Bildungsstreiks geht. Die großen Zeitungen berichten in ihren Online-Ausgaben nur kurz über Hörsaalbesetzungen (z.B. die SZ) und erste Polizeieinsätze. Was die inhaltlichen Forderungen betrifft, oder auch die Stimmung unter den Studierenden generell, wird eher nicht vertiefend behandelt. Wer aber Genaueres wissen will, kann sich auf der Web-Seite Bildungsstreik informieren.

Ich bin gespannt, ob sich in der Öffentlichkeit – wie teilweise im Juni 2009 – wieder nur die eher platten Forderungen in den Ohren festzsetzen, oder ob die durchaus anspruchsvollen Überlegungen etwa zu den Auswirkungen wettbewerbs- und marktorientierter Prinzipien im Bildungsbereich mal etwas deutlicher nach außen dringen.  Darüber zu urteilen, was die verschiedenen Aktionen wie Hörsaalbesetzungen bringen, fühle ich mich nicht berufen. Ich tue mir ehrlich gesagt schwer, die Wirkung und Wirkungslosigkeit solcher und anderer Maßnahmen einzuschätzen.  Ganz schlecht fände ich eine Polarisierung zwischen Lehrenden/Wissenschaftlern einerseits und Lernenden/Studierenden andererseits. Die Ökonomisierung trifft auch die Akteure der Wissenschaft, sodass ich nachhaltige Veränderungen an sich nur bei kooperativen Aktionen für wahrscheinlich halte. Schlecht wäre außerdem eine Spaltung der Studierenden in eine letztlich laute Minderheit, von denen womöglich einige die notwendige Artikulation von Missständen für eigene (ideologische) Zwecke missbrauchen, und eine schweigende oder gar angenervte Mehrheit, die mit all dem nichts zu tun haben will. Mal sehen, wie sich das weiter entwickelt.

Nachtrag (17.11.2009): Inzwischen schaffen es die sich ausweitenden Proteste ja doch ganz gut auf einen ansehnlichen Platz auf der Medienagenda – z.B. hier.

Müller-Böling auf Wahrheitssuche

„Zukunft jetzt – Wie wir leben, lernen, arbeiten“ – so heißt eine Reihe von SWR 2 Aula, die man auch online hier abrufen kann. Folge 8, auf die mich Sandra aufmerksam gemacht hat, dreht sich um die Universität. Es spricht Detlef Müller-Böling zum Thema „Autonom und forschungsintensiv – Die Universität der Zukunft“. 25 Minuten ca. dauert Müller-Bölings Zukunftsszenario der deutschen Universitäten und es gäbe eine ganze Reihe von Punkten, an denen man aus meiner Sicht viel und kontrovers diskutieren könnte. Wie zu erwarten, ist viel von Leistung, Exzellenz und Qualität die Rede. Aber auch das Wort Vielfalt hört man erstaunlich oft, als wolle man damit den kritischen Kommentaren gleich zu Beginn den Wind aus den Segeln nehmen (nach dem Motto: Wenn Vielfalt herrsch, findet jeder Querulant schon irgendwo seinen Platz).

Aber ich möchte mich auf einen speziellen Aspekt konzentrieren, nämlich auf Müller-Bölings Postulat der Trennung von „Wissensproduktion“ – also von Forschung – auf der einen Seite und von „Wissensvermittlung“ – also von Lehre – auf der anderen Seite. Eine wie auch immer geartete Einheit von Forschung und Lehre ist für Müller Böling nichts als eine lästige Monstranz, die die ewig Gestrigen vor sich hertragen – blind für die moderne Welt, die nach Arbeitsteilung verlangt. Forschung und Lehre und dazu auch noch Prüfen – so sein Szenario – würden sich zunehmend voneinander trennen, bisherige Zusammenhänge, die hier bestehen, würden sich „auflösen“. Mit anderen Worten: Forschung in vielen Disziplinen gleichzeitig sei künftig wohl auf drei bis fünf Spitzenuniversitäten in Deutschland beschränkt. Ein bisschen Forschung in einzelnen Disziplinen sei an Hochschulen mit „Forschungsleuchttürmen“ möglich und dann gäbe es noch viele Hochschulen, die eine „regionale Versorgung mit Bildung“ sicherstellen sollten – ohne Forschung, versteht sich. Als Beispiel für die Sinnhaftigkeit einer solchen Trennung, bei der jede Hochschule dann das mache könne, was sie gut kann (oder umgekehrt, dass sie nicht mehr das machen müsse, was sie nicht kann), nennt Müller-Böling die Virtuelle Hochschule Bayern – als handle es sich dabei um eine eigene Hochschule und nicht um ein Verbundprojekt, das gänzlich andere Ziele verfolgt als eine normale Universität. Genauso deplatziert wie dieses Beispiel ist aus meiner Sicht der Vergleich reiner „Lehr-Hochschulen“ (wobei er diesen Begriff nicht nennt) mit dem Breitensport – als könne man nicht genau beim Sport wunderschön sehen, wie sich der Spitzensport vom Breitensport entkoppelt hat. Vielleicht hätte er diese Analogie besser mal zu Ende gedacht.

Damit man aber auf keine dummen Gedanken kommt und all diese ökonomisch höchst anschlussfähigen Formal-Forderungen in Zweifel zieht, ist das Schlusswort dann doch wieder recht pathetisch und scheinbar nah an den Vorstellungen derjenigen, die (noch) glauben, dass Forschung und Lehre sehr wohl zusammengehören. Er sagt: „Auch wenn die Universitäten im Detail sich grundlegend verändern, wenn sie anders aussehen in 20 Jahren als heute, …., so bleibt eines doch auf jeden Fall bestehen: Sie sind und sie werden bleiben Ort der Wahrheitssuche für Wissenschaftler und Ort der Ermutigung zur Wahrheitssuche für Studierende“. Wie das mit den vorangegangenen Forderungen zusammenpasst, ist mir ein Rätsel! Wer Universitäten haben will, die sich ausschließlich auf die Lehre konzentrieren, die „Kunden“ mit Bildungsware versorgen, und sich darauf beschränken, „Versorgungslücken“ zu füllen, der kann mir nicht erzählen, dass es ihm darum geht, Wahrheit suchende, fragende und aufgeklärte Menschen zu fördern.

Erste Versuche einer pfadabhängigen Didaktik

An anderer Stelle (nämlich hier) habe ich bereits auf die (hier) online zugängliche Schrift von Schulmeister et al. zu „Didaktik und IT-Service-Management für Hochschulen“ verwiesen. Mich interessiert natürlich vor allem der Didaktik-Teil, zu dem ich mir nun etwas mehr Gedanken gemacht habe (wofür sich lange Zugfahrten immer besonders gut eignen – das sind ja fast schon Rückzugsorte geworden).  Das Ergebnis meiner Überlegungen (auf viereinhalb Seiten) ist vorläufiger Art, sodass ich mich über Meinungen oder weiterführende Hinweise  dazu freue. Wichtig ist, dass ich dabei eine etwas andere Perspektive einnehme (als die Autoren/innen der oben genannten Schrift) und weniger das Beschreiben des Gegebenen im Blick habe (wie kann man bestehende Szenarien ordnen?), sondern mehr das Entwickeln von Szenarien (wie komme ich auf mögliche Szenarien?). Dabei komme ich auf eine Art „pfadabhängige Didaktik“.

Arbeitspapier Pfadabhaengige Didaktik