Bildung als Leidenschaft

Menschen, die an Universitäten angestellt sind, beäugen Menschen, die Unternehmen gründen, nicht selten skeptisch: Was man als Unternehmer macht, ist „kommerziell“ und das wiederum ist etwas, wovon man sich als Wissenschaftler gerne abgrenzt. Schnell wird vermutet, dass es nur mehr darum gehe, das „große Geld“ zu machen. Das mag mitunter stimmen. Für kleine Unternehmen, die ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern insbesondere über bildungsnahe Produkte und Dienstleistungen ein Auskommen ermöglichen wollen, gilt das sicher nicht – oder zumindest sehr selten. Ich konnte und durfte sozusagen hautnah miterleben, was es bedeutet, im Bildungskontext unternehmerisch tätig zu werden, nämlich am Beispiel von Frank. Im April 2024 macht er nun einen über mehrere Jahre abgewogenen und vorbereiteten Schritt und steigt nach 20 Jahren als Geschäftsführer aus „seinem“ Unternehmen aus – mit den Worten: Ist gut jetzt.

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The world is trying to teach you something

„Being at home in the world” – unter diesem Motto spricht Gert Biesta hier in rund 30 Minuten über Bildung. Das Video ist fünf Jahre alt, die Themen aber aktuell, und obschon von Kindern und Jugendlichen sowie von der Schule die Rede ist, lässt sich doch vieles von dem, was Biesta sagt, so meine Einschätzung, auch für die Hochschule nutzen. Es ist ein grundsätzlicher Vortrag über, ich sage mal, Bildungsziele, und es finden sich zahlreiche Anknüpfungspunkte zu Konzepten auch aus der deutschsprachigen Bildungstheorie.

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Leblose Floskelsprache

Bernhard Pörksen hat ein neues Buch geschrieben: „Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung.“ In der letzten Zeit-Ausgabe (auch online hier) findet sich ein Essay, der auf dem Buch basiert. Die Überschrift „Alle müssen Journalisten sein“ ist vielleicht nicht ganz so glücklich gewählt, jedenfalls beißen sich viele Online-Kommentare zum Artikel daran fest. Ob mal wieder, wie Pörksen vorschlägt, ein eigenes Schulfach als „Labor der redaktionellen Gesellschaft“ die Rettung sein kann, um „die revolutionäre Öffnung des kommunikativen Raumes zu verarbeiten, die derzeitige Phase der mentalen Pubertät im Umgang mit den Medien der vernetzten Welt zu überwinden“, mag man ebenfalls bezweifeln. Was er aber konkret fordert, ist, so denke ich, eine wichtige Bildungsaufgabe an Schulen und Hochschulen, nämlich zu „lernen, dass Medien, von der Erfindung der Schrift, der Druckerpresse, des Telefons, des Radios, des Fernsehens oder eben des Netzes an, Wirklichkeitsmaschinen und Werkzeuge der Welterkenntnis sind, die bestimmen, was wir für wahr halten, worüber wir sprechen, wie wir Autorität begreifen.“

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Tiefgang oder Hochglanz

Gestern hatten wir Markus Deimann zu Gast im HUL-Forschungskolloquium – gewissermaßen im „flipped“-Modus, denn statt eines Vortrags gab es vorab einen Link zum videografierten Referat oder Text (siehe hier). Das Thema war groß und umfassend: Digitalität – Bildung – Hochschule, so könnte man es umreißen (siehe dazu auch hier und hier). Die – mit Markus – insgesamt elf Teilnehmenden hatten verschiedene disziplinäre und berufliche Hintergründe ebenso wie unterschiedliche Fragen und Erwartungen an den wissenschaftlichen Diskurs mitgebracht. Da wir vereinbart haben, dass sich mehrere aus der Gruppe zum Kolloquium noch via Blogs äußern werden oder dort kommentieren, beschränke ich mich tatsächlich auf die Inhalte und Impulse, die für mich persönlich besonders wichtig waren.

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Bildung gänzlich vermeiden

Am Freitag hatten wir Heidrun Allert von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zu Gast im Rahmen unserer HUL-Ringvorlesung. Der Titel ihres Vortrags lautete: „Digitalisierung und Unbestimmtheit“. Viele erwarten ja gerade von den digitalen Medien eher mehr und bessere Steuerung, höhere und vor allem verlässlichere Kontrolle, Effizienz, vielleicht auch Intelligenz – aber Unbestimmtheit? Ich war entsprechend gespannt auf den Vortrag (den wir auch aufgezeichnet haben – Video wird also demnächst verfügbar sein).

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Wo sollte das hinführen?

Es ist bestimmt schon zehn Jahre her (und daher finde ich es leider auch nicht mehr), dass ich von Axel Hacke eine kleine Geschichte über seinen Sohn Luis (damals im Kindergartenalter) gelesen habe: Luis trödelt morgens, obwohl es eilt, und es entsteht ein Dialog zwischen Vater und Sohn. An einer Stelle erklärt Luis, was er sich für den heutigen Tag vornimmt: „Ich werde heute kein Bild malen“. Der Vorsatz ist also einer, etwas nicht zu tun – nicht in dem Sinne, etwas zu unterlassen, was man eh nicht tun sollte, sondern in dem Sinne, etwas bewusst nicht zu machen, was man erwartungsgemäß so tut.

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Streitschrift oder Schmähschrift?

Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift“ – so lautet der Titel des 2014 erschienen Buchs von Konrad Paul Liessmann (Wien: Zsolnay). Eine Streitschrift zeichnet sich laut Wikipedia (hier nachzulesen) dadurch aus, dass sie scharfe Kritik an herrschenden Positionen unter anderem in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft übt. Sie „provoziert, sie übertreibt, spitzt zu und kann sogar beleidigen. Es geht ihr nicht um sachliche Argumentation, sondern um engagierte Parteinahme für eine Sache, um Kritik und Ablehnung […].

Diese Kriterien erfüllt das Buch und damit die Erwartung, wenn man eine „Streitschrift“ liest: Liessmann rechnet ab – mit PISA und Bologna, mit Kompetenzen und PowerPoint, mit dem Internet und der Wirtschaft, um am Ende bei der „Schönheit des Nutzlosen“ zu landen. Wer nach Rezensionen von Liessmanns Streitschrift sucht, merkt rasch: Das Buch polarisiert, was aber natürlich zum Wesen einer Streitschrift gehört: Auf socialnet. (hier) rät der Rezensent vom Lesen eher ab, auf den nachdenkseiten (hier) hofft man darauf, dass die Lektüre Lust zum Widerstand weckt.

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Bildung erfolgreich verhindern

Vor wenigen Tagen landete ein Buch in meiner Post: „Forschungsgeleitete Lehre in einem Massenstudium“, herausgegeben von Rudolf Egger, Cornelia Wustmann und Anke Karber (Wiesbaden: Springer VS, 2015). Schon allein der Titel ist eine Provokation: Massenstudium klingt nach notwendig effizienter Massenabfertigung in der Lehre – prinzipiell schlecht vereinbar mit dem unsicheren und zweitaufwändigen Prozess des Forschens. Die Beiträge des Buches beschäftigen sich vor allem mit der Lehrerbildung und anderen bildungs- und erziehungswissenschaftlichen Studiengängen, beinhalten aber auch einige übergreifende Themen, die wohl für alle Disziplinen relevant sein dürften.

An einem Beitrag bin ich besonders hängen geblieben: „Unterricht an Universitäten? Systematische Überlegungen zum intradisziplinären Transfer“ von Claudia Gerdenitsch.

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Absurde Perversion der Universitätsidee

Bildung statt Bologna!“, so lautet der programmatische Titel eines schmalen Taschenbuches von Dieter Lenzen, das verschiedene in Zeitungen und Zeitschriften bereits veröffentlichte Beiträge von Lenzen unter drei Kapitel zusammenführt: I. Bologna: Vom Scheitern einer Reform, II. Was ist Bildung?, III. Die Zukunft universitärer Bildung.

Wenn ich mal mit einem Resümee anfange, dann muss ich sagen: Ja, letztlich stimme ich Lenzen zu einem relativ hohen Prozentsatz in dem zu, was er da auf knapp 100 schnell zu lesenden Seiten zusammenstellt (auch wenn ich nicht jeden Satz unterschreiben würde): Das Kopieren des britischen Bachelor- und Master-Systems und der US-amerikanischen Abschlusstypen ohne tiefere Analyse, ob die Bedingungen passen und die Folgen gewollt sind, die Ignoranz gegenüber dem kontinentaleuropäischen Bildungsverständnis und der Idee „Bildung durch Wissenschaft“, das Elend mit der Akkreditierung sowie die Versäumnisse der Hochschullehrer selbst im Bologna-Prozess infolge von Unkenntnis, Fehleinschätzung und/oder Gleichgültigkeit – all das sind Punkte, die Lenzen aus meiner Sicht gut auf den Punkt bringt.

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Der wissenschaftliche Gott schütze uns vor den Qualitätsschützern

Unregelmäßig, aber wiederkehrend habe ich das Bedürfnis, Modulhandbücher, Studiengangskonzepte, Formulare aller Art, Ausschreibungstexte, Pflichtlektüre zur Orientierung darüber, was es Neues gibt, etc. auf die Seite zu legen und Texte (oder Bücher) zu suchen und zu lesen, die mich auch zum Nachdenken anregen. Wenn die Zeit sehr knapp, aber dieses Bedürfnis dennoch sehr groß ist, schaue ich ganz gern nach Reden – also richtige Reden jenseits der PowerPoint-Präsentation, denen dann auch (wie vorteilhaft) ein Manuskript zugrundliegt. Am Wochenende bin ich bei zwei besonders bekannten Personen fündig geworden, die sich – aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und doch mit ein paar gemeinsamen Gedanken – um die Rolle der Wissenschaft in unserer Gesellschaft ihre Gedanken gemacht haben: Helmut Schmidt (eine Rede vom Januar 2011) und Jürgen Mittelstraß (eine Rede vom Februar 2010).

Das Gemeinsame vorweg: Es geht um die Beziehung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und damit auch um die Frage der Verantwortung, die der Wissenschaft bzw. dem einzelnen Wissenschaftler obliegt.

Helmut Schmidt beginnt mit einem Überblick über drängende globale Probleme: ungebremstes Bevölkerungswachstum, Weltwirtschaftskrisen, ungehemmter Rüstungswettlauf, religiöse und kulturelle Konflikte und unaufhaltsamer Klimawandel. Und genau hier fordert er ein größeres und sichtbareres Engagement der Wissenschaftler, wenn es sagt:

„Es mag ja sein, dass ein Wissenschaftler jemand ist, dessen Einsichten größer sind als seine Wirkungsmöglichkeiten. Es mag auch sein, dass Sie, meine Damen und Herren, Politiker für Menschen halten, deren Wirkungsmöglichkeiten größer sind als deren Einsichten. Gleichwohl können Wissenschaftler nicht beanspruchen, unbehelligt von den Weltproblemen, unbehelligt vom ökonomischen und politischen Geschehen, unbehelligt von den Zwängen, denen ansonsten die Gesellschaft unterworfen ist, ein glückliches Eremitendasein zu führen. Denn auch als hoch spezialisierter Forscher bleiben Sie ein Zoon politikon. Und deshalb ist Wissenschaft heute nicht nur, wie Carl Friedrich von Weizsäcker gesagt hat, ´sozial organisierte Erkenntnissuche´ – sondern Wissenschaft ist zugleich eine der sozialen Verantwortung verpflichtete Erkenntnissuche!“

Hier würde Jürgen Mittelstraß wohl zustimmen, denn auch er formuliert den Anspruch einer gesellschaftlichen Verantwortung der Wissenschaft – wenn auch in anderen Worten, nämlich so:

„Wissenschaft ist nicht länger ein nur beobachtendes und analysierendes Tun, zur selbstverliebten Freude der Vernunft oder des Geistes mit Sitz in Elfenbeintürmen, sondern ein weltgestaltendes und weltveränderndes Tun … Dabei bedeutet die Verwissenschaftlichung der Welt auch die Verweltlichung der Wissenschaft, womit sich auch die Zuständigkeiten und die Erwartungen an Wissenschaft ändern. Pointiert formuliert: Während es bisher so scheinen mochte, dass zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält, die alleinige Aufgabe der Wissenschaft war, ist es in einer Leonardo-Welt mehr und mehr die Notwendigkeit, die Welt (wissenschaftlich und technisch) zusammenzuhalten. Die Vorstellung, dass Wissenschaft nützlich ist bzw. nützlich sein soll, hat nicht nur politisch, sondern auch wissenschaftstheoretisch gewaltig an Aktualität gewonnen.“

Die Frage ist jetzt nur, wie die Wissenschaft dahin kommt, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Und da beide Redner die Verantwortung als Postulat formulieren, können wir davon ausgehen, dass beide hier entsprechende Defizite erkennen (Helmut Schmidt sagt das explizit, Jürgen Mittelstraß nur indirekt, indem er als Einstieg die Trennung der Welt zwischen Wissenschaft und Kultur beklagt).

Schmidt plädiert (als Politiker) dafür, dass Wissenschaftler ihre Distanz zur Politik reduzieren sollten – nicht die Distanz zur Tages- und Parteipolitik, aber die Distanz zur politischen Mitbestimmung und -gestaltung über Entwicklungen unserer Gesellschaft. Dafür, so Schmidt, bräuchten Wissenschaftler Weitsicht und Urteilskraft, die mit der zunehmenden fachlichen Spezialisierung zwar immer schwieriger wird, deswegen aber nicht abgelehnt werden könne.

Mittelstraß wirbt (als Wissenschaftler) für das Vertrauen in genuin wissenschaftliche Prinzipien. Er zeigt sich überzeugt, dass Wissenschaft auch in Anwendungsdingen erfolgreich sein kann (und man dies auch erwarten darf), aber nur in Verbindung mit der Einsicht, dass Wissenschaft dazu ihren eigenen Gesetzen und nicht etwa ökonomischen und/oder bürokratischen Regeln folgen muss. Besonders hart geht er dabei mit dem „wissenschaftlichen Markt“ und seiner eigene Logik der Qualitätssicherung ins Gericht, wenn er sagt: „Der wissenschaftliche Gott schütze uns vor den Qualitätsschützern!“ Das eigentlich Beunruhigende aber sei, dass der prüfende und verwaltende Verstand den wissenschaftlichen Verstand immer mehr verdränge.

Auffällig ist, dass in Schmidts Rede der Begriff der Anwendungsforschung fällt und favorisiert wird, während Mittelstraß den Begriff der Grundlagenforschung bemüht, beide aber Wissenschaft und Gesellschaft wieder näher zusammenbringen wollen. Gleichzeitig liegt in den Reden die Assoziation in der Luft, Anwendungsforschung sei vor allem Auftragsforschung und Grundlagenforschung prinzipiell nutzlos. Womöglich würden wir uns einen Gefallen tun, wenn wir diese unsägliche Dichotomie aufgeben würden – Schmidt und Mittelstraß könnten ja mal den Anfang machen. In beiden Reden, die mir sehr gut gefallen und deren Lektüre ich empfehle, vermisse ich allerdings Hinweise auf die Rolle der Bildung bei diesem Thema: Die Lösung von Weltproblemen mithilfe von Wissenschaft (Schmidt) und die Wissenschaft als Form der Wissensbildung, als Institution und als Idee und Lebensform (Mittelstraß) haben nur auf der Grundlage einer gebildeten Bevölkerung eine Chance. Bildung als wissenschaftlicher Gegenstand (was leider keiner von beiden thematisiert) und Bildung als Grundlage für Wissenschaft und Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist aus meiner Sicht essenziell. Und auch Verantwortungsübernahme – dem Kern der beiden Reden – erscheint mir ohne Bildung wenig wahrscheinlich.