Ein aufmerksamer, mitdenkender, nachbohrender und kritisch konfrontierender Zuhörer

„Sehen Sie, ich bin ja mein akademisches Leben lang nur ein kleiner C2-Professor gewesen, ohne besondere Ausstattung, ohne eigene Assistenten, aber mit einem enormen Zulauf von Studenten, […]. Und es gab auch einen Kollegen, der auf eine schmunzelnde Weise hat durchblicken lassen, dass er das, was ich da tat, nicht wirklich für Wissenschaft hielt.“ (S. 46 f.). Das ist eine Selbstbeschreibung des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun in einem Buch, das bereits letztes Jahr erschienen ist.

Pörksen, B. & Schulz von Thun, F. (2014). Kommunikation als Lebenskunst. Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens. Heidelberg: Carl-Auer.

Schulz von Thun – wer kennt den Kommunikationspsychologen nicht. Mindestens sein „Vier-Ohren-Modell“ ist ja so bekannt wie das Es-Ich-Überich von Freud. Nun hat Schulz von Thun aber keinen neuen Beststeller geschrieben. Vielmehr ist Bernhard Pörksen auf die Idee gekommen, ein – ich nenne es mal – Dialogbuch über ihn und sein Werk zu verfassen. Das Buch ist das Kondensat vieler Gespräche (Pörksen beziffert die Mitschriften auf 600 Seiten) über große und kleinere Fragen. Die rahmende Idee lässt sich vielleicht am besten mit dem Satz umreißen, von dem Pörksen glaubt, dass er das Werk von Friedemann Schulz von Thun auf den Punkt bringt: „Die Qualität der Kommunikation bestimmt die Qualität unseres Lebens“.

„Ein aufmerksamer, mitdenkender, nachbohrender und kritisch konfrontierender Zuhörer“ weiterlesen

Fremddisziplinär vereinnahmt

Nicht nur in der ZEIT werden Wissenschaftler/innen, ihre Arbeit und ihr (fehlender) Bezug Gesellschaft derzeit kritisch beleuchtet. Speziell auf die Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft gemünzt findet sich dazu auch ein aktueller Beitrag in der Zeitschrift für Pädagogik.

Smith, R. & Keiner, E. (2015). Erziehung und Wissenschaft, Erklären und Verstehen. Zeitschrift für Pädagogik, 61 (5), 665-682.

Die ersten Sätze aus dem Abstract macht die Stoßrichtung des Beitrags bereits deutlich: „Erziehungswissenschaft scheint gegenwärtig weltweit, besonders in englischsprachigen Ländern, zunehmend von der Übernahme, gar der Imitation, naturwissenschaftlicher Methoden bestimmt zu sein. Ein Beispiel hierfür ist die gegenwärtige Begeisterung für randomisierte kontrollierte Studien (randomised controlled trials, RCTs), die oft als der Goldstandard in der medizinischen Forschung gelten. Ein anderes Beispiel ist die bislang unerfüllte Erwartung, dass die Neurowissenschaften uns alles darüber sagen könnten, wie Menschen lernen und wie sie besser, d. h. schneller und effektiver, lernen könnten.“

„Fremddisziplinär vereinnahmt“ weiterlesen

Wissensfeldchen in böhmischen Dörflein

Die ZEIT hat im August (2015) eine neue Serie begonnen: „Wo seid ihr Professoren?“ (ganz politisch unkorrekt ohne die Professorinnen und ich fühle mich trotzdem angesprochen und finde es nicht schlimm ;-)). Die ersten vier Beiträge stammen von Bernhard Pörksen, Sandra Richter, Stefan Sinzinger und Fritz Breithaupt – alles selbst Professor/innen, die entsprechend auch ihre persönlichen Wahrnehmungen schildern. Ich hoffe, dass noch mehr interessanter Lesestoff kommt; die ersten vier Beiträge lohnen sich schon mal die Lektüre.

„Wissensfeldchen in böhmischen Dörflein“ weiterlesen

Die Sache mit der Implementation

Kürzlich habe ich einen Beitrag über Design-Based Implementation Research (DBIR) gelesen – bereits zum zweiten Mal, weil ich beim ersten Lesen noch kein so rechtens Interesse fand:

Fishman, B.J., Penuel, W.R., Allen, A.-R., Cheng, B.H. & Sabell, N. (2012). Design-Based Implementation Research: An emerging model for transforming the relationship of research and practice. In B. J. Fishman & W. R. Penuel (Eds.), National Society for the Study of Education: Vol 112. Design Based Implementation Research (pp. 136-156). Online hier verfügbar

DBIR ist ein Ableger der Design-Based Research (DBR)-Bewegung. Im Zentrum von DBIR steht die Frage, was wo, wann und für wen funktioniert. Man konzentriert sich auf die Implementierung von Programmen, Konzepten, Methoden, Medien in der Bildung. DBIR verschreibt sich dem Ziel, Verbesserungen in der Bildung skalierbar und nachhaltig zu machen, also qualitativ gute und wirksame Programme, Konzepte, Methoden, Medien in die Breite zu tragen und langfristig zu verankern. Berücksichtigt wird, dass es man es im Bildungskontext nicht mit einfach zu beforschende Objekten zu tun hat, sondern mit sozialen Praktiken, die in der Regel an lokale Bedingungen angepasst werden müssen, um ihre potenzielle Wirkung zu entfalten. Eine skalierbare und nachhaltige Implementierung von Programmen, Konzepten, Methoden, Medien in der Bildung erfordert allerdings einen Wandel der Lehr-Lern- und Prüfungskulturen, inklusive Überzeugungen und Annahmen der Akteure. DBIR setzt auf eine enge Beziehung zwischen Wissenschaft und Praxis, die wechselseitig transformativ wirkt, also mit Veränderungen auf beiden Seiten einhergeht.

„Die Sache mit der Implementation“ weiterlesen

Jeder muss unterschreiben

Mir geht es manchmal so, dass ich gar nicht mehr merke, wenn ich selber Mainstream-Begriffe benutze, weil sie sich schon so sehr eingebürgert haben und/oder weil man den Eindruck hat, dass man nicht mehr darum herum kommt. Aber das ist freilich falsch, denn selbstverständlich kann man etwas immer auch anders, am besten einfach und präzise, sagen als es eine scheinbar umfassend legitimierte Sprachregelung nahelegt. Ein schönes Beispiel dafür dürfte (neben anderen) das Qualitätsmanagement sein.

Sowohl die Sprache als auch der „Geist“ des (aus der Wirtschaft stammenden) Qualitätsmanagements hat die Hochschulen seit den 1990er Jahren im Griff – aber es scheint immer schlimmer zu werden. Wie schlimm es schon ist, lässt sich kaum pointierter und anschaulicher auf den Punkt bringen, als es Rainer Dollase in einem Text in der duz (Mai 2015) macht:

„Man stelle sich einmal vor, die 1. Bundesliga würde sich anschicken, Standards für die Durchführung von Fußballspielen zu formulieren: Der Fußballspieler bemüht sich auf dem Platz, den Ball in das gegnerische Tor zu treten. Er achtet in Zweikämpfen darauf, dass er gewinnt, dabei aber fair bleibt. Er bemüht sich, hohe Bälle im Falle der sofortigen Weitergabe mit dem Kopf, im Falle des Weiterspielens mit dem Fuß zu stoppen etc. Zielvereinbarung: Die Mannschaft bemüht sich, das nächste Spiel zu gewinnen. (Jeder muss unterschreiben.) Interne Evaluation: Wir prüfen, ob wir das Ziel erreicht haben. So oder ähnlich würden Qualitätsmanager ihr QM-Nachschlagewerk für die 1. Bundesliga formulieren. Banal und überflüssig wäre das, wie QM an Hochschulen.“

Wer jetzt Interesse am ganzen Beitrag hat, kann diesen hier online lesen.

Zweifel zerstreuen

Dualismen machen das Leben, das Wahrnehmen, vor allem das Entscheiden leichter, geben einem Sicherheit und zerstreuen Zweifel – auch an der Hochschule und in der Hochschuldidaktik. Dualismus bedeutet so viel wie Polarität, Zweiheit, auch Gegensätzlichkeit. Mit Dualismen in der Hochschullehre und Hochschuldidaktik beschäftigt sich ein Text von Bruce Macfarlane, über dessen Inhalt es sich aus meiner Sicht lohnt, genauer nachzudenken:

Macfarlane, B. (2015). Dualisms in higher education: a critique of their influence and effect. Higher Education Quartely, 69 (1), 101-118.

„Zweifel zerstreuen“ weiterlesen

Selbstzufrieden

Die europäischen Minister/innen haben sich Mitte Mai 2015 wieder zur Bologna-Konferenz (siehe hier) getroffen … und sind zufrieden mit sich, wie es scheint. Jedenfalls kann man das der Pressemitteilung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) (siehe hier) so entnehmen. Dort heißt es unter anderem:

„Zentrale Punkte des im Rahmen der zweitägigen Konferenz gemeinsam verabschiedeten Kommuniqués sind unter anderem der Ausbau der Studierendenzentrierung der Lehre, die Schaffung flexibler und transparenter Lernpfade und die Förderung einer Hochschulbildung, die die Beschäftigungsbefähigung der Absolventinnen und Absolventen in sich schnell verändernden Arbeitsmärkten stärkt.“ Das sei der richtige Weg, so Prof. Dr. Holger Burckhart, HRK-Vizepräsident für Lehre und Studium, Lehrerbildung und Lebenslanges Lernen. In dieser Allgemeinheit wird wohl keiner widersprechen: Wer wollte schon die Lehre von den Studierenden de-zentrieren, Lernpfade (was immer das genau heißen mag) unflexibel und intransparent gestalten und Studierende auf die Arbeitslosigkeit hin vorbereiten. Also stimmt man natürlich zu.

„Selbstzufrieden“ weiterlesen

Der Übergang vom Lernen zum Profit

Das Spardiktat hat auch die niederländischen Universitäten erreicht. Ein Artikel in der ZEIT (online hier) sowie einer in der taz (hier) schildern hierzu das Beispiel der Universität Amsterdam: Bis Mitte April hatten Studierende sechs Wochen lang ein Uni-Gebäude besetzt, bis es zwangsgeräumt wurde. „Doch was Studierende mithilfe der Lehrkräfte dort auf die Beine stellten und jetzt dezentral fortführen, sucht seinesgleichen in der jüngeren Geschichte europäischer Studentenrevolten“ – so die taz. Im Hintergrund geht es um ein weitreichendes, ja globales Problem: um finanzmarktgetriebene Politik, um Bürokratisierung via Punkteverwaltung, Evaluierung und Mittelakquise, um finanzielle Anreize für eine Absenkung von Niveau und Qualität (dann nämlich, wenn Fakultäten Boni für Studierende erhalten, die möglichst schnell ihren Abschluss machen).

„Der Übergang vom Lernen zum Profit“ weiterlesen

Schreiben für die Lehre: nur was für Alte und Anfänger?

Wer schreibt heute eigentlich noch Lehrbücher? Ich meine jetzt nicht Sammelbände mit Einführungscharakter, in denen einzelne Kapitel verschiedener Autor/innen nur lose zusammenhängen, sondern Bücher, die strukturierend und sozusagen navigierend in eine (Teil-)Disziplin einführen und „aus einem Guss“ sind. Wer also schreibt solche Lehrwerke und wer soll sie schreiben? Der wissenschaftliche Nachwuchs, der sich noch in den Anfängen der Karriere befindet, sagen die einen. Die „Alten“, die nichts mehr beweisen müssen, sagen die anderen. Und ist das gut so? Ich finde nein. Wenn ich richtig informiert bin, dann gibt es schon noch Disziplinen, in denen größere Lehrbücher als anerkennenswerte Publikationen gelten, die Einfluss auf ein Fach nehmen und den Autoren Renommee bescheren, wenn sie sich denn durchsetzen (z.B. in der Rechtswissenschaft). In anderen Disziplinen dagegen gelten Lehrbücher eher als Fleißarbeit, in denen gesammelt und zusammengestellt wird, was es schon gibt, ohne dass von diesen eine die (Sub-)Disziplin irgendwie beeinflussende Wirkung ausgeht (z.B. in der Psychologie).

„Schreiben für die Lehre: nur was für Alte und Anfänger?“ weiterlesen

Schreibkompetenz oder lieber weiter im Nichtangriffspakt?

Forschungsnahes Lehren und Lernen gehört derzeit zu den wichtigsten Themen meiner Arbeit. Unser BMBF-Projekt FideS (Forschungsorientierung in der Studieneingangsphase) ist kürzlich angelaufen (dazu bald mal mehr); das Thema Prüfungen habe ich unter dieses Dach gestellt (siehe z.B. hier) und ich hoffe, dass ich bald einen Publikationsort für einen übergreifenden Text zur „Bildung durch Wissenschaft“ finden werde, in dem ich die Hochschuldidaktik eng mit dem Anspruch verbinde, Lehren, Lernen und Forschen aufeinander zu beziehen.

Letzteres halte ich allerdings nur für möglich, wenn man nicht ausschließlich das forschende Lernen im engeren Sinne im Blick hat: Hier führen Studierende eigene Forschungen durch – und das möglichst so, dass der ganze Zyklus eines Forschungsprojekts durchlaufen wird. Andere Gruppen forschungsnaher Lernformen habe ich in den letzten Texten als „Forschen verstehen lernen“ und „Forschen üben“ bezeichnet. Unter „Forschen üben“ fallen nicht nur Methodenübungen, sondern auch das Einüben wissenschaftlichen Schreibens. Und genau dazu gibt es von Stefan Kühl einen aus meiner Sicht sehr interessanten Text zur „publikationsorientierten Vermittlung von Schreibkompetenzen“ – dankenswerter Weise online verfügbar hier.

„Schreibkompetenz oder lieber weiter im Nichtangriffspakt?“ weiterlesen