Überfordert, was anderes erwartet oder zu hohe Ansprüche?

Diese HIS GmbH hat eine neue Studie zum Thema Studienabbruch online gestellt. Der genau Titel lautet: „Ursachen des Studienabbruchs in Bachelor- und in herkömmlichen Studiengängen“. Die Pressemitteilung kann hier abgerufen werden. Gleich darunter befindet sich der Link zum Bericht, der knapp 200 Seiten umfasst und einen differenzierten Eindruck macht. Es handelt sich um eine bundesweite Befragung von Exmatrikulierten des Studienjahres 2007/08; der Fragebogen findet sich am Ende des Berichts.

Unabhängig von der mehr oder weniger latenten Behandlung des „Bologna-Problems“ (verstärkt oder reduziert der Bachelor den Studienabbruch?) finde ich die Folgerungen der Autoren besonders interessant, was die „Problemlagen“ mit Bündelung mehrerer Faktoren betrifft, die einen Studienabbruch befördern. Ich zitiere aus der Zusammenfassung:

„Drei Gruppen von abbruchfördernden Problemlagen spielen … eine besondere Rolle Eine erste Gruppe von Studienabbrechern ist dadurch gekennzeichnet, dass sie schon mit schulischen Defiziten und schlechter Schulabschlussnote das Studium aufnimmt, der es dementsprechend an fachlichen Voraussetzungen mangelt. Wenn ihre Studienwahl zudem in hohem Maße extrinsisch bestimmt ist und sie über zu wenig Informationen über die Studienanforderungen bei Studienbeginn verfügten, fällt es solchen Studierenden schwer, hohe Studienleistungen zu erbringen. Die Abbruchgefahr steigert sich noch, wenn sie nicht in der Lage sind, sich die notwendigen Betreuungsleistungen zu erschließen bzw. wenn sie keine motivierende Betreuung durch die Lehrenden erfahren. Dieses Bündel von Bedingungen wirkt vor allem auf einen Studienabbruch aufgrund von Leistungsproblemen hin. Eine weitere Gruppe von Studienabbrechern startet mit falschen Studienerwartungen hinsichtlich der fachlichen Inhalte und der beruflichen Möglichkeiten. Ihre Studienwahl zeichnet sich häufig durch Unsicherheit bzw. dadurch aus, dass nicht das Wunschfach realisiert werden konnte. Sie geraten in Gefahr, das begonnene Studium wegen mangelnder Studienmotivation abzubrechen. Für eine dritte Gruppe von Studienabbrechern ist bezeichnend, dass sie in hohem Maße erwerbstätig sind, da dies ihre wichtigste Möglichkeit ist, die Studienfinanzierung zu gewährleisten. Das ist häufig bei Studierenden der Fall, die eine Berufsausbildung absolviert haben und eine lange Übergangsdauer zur Hochschule benötigten. Höhere Lebensansprüche, die zum Beispiel aus Zeiten einer Berufstätigkeit vor dem Studium resultieren, verschärfen die problematische Lage noch. Die betreffenden Studierenden sind stärker als andere in Gefahr, ihr Studium aus finanziellen Gründen abzubrechen.“

Diese Ergebnisinterpretationen finde ich deswegen so interessant, weil alle drei unmittelbare Hinweise für Gestaltungsmöglichkeiten an den Hochschulen bieten: (a) Gestaltung des Übergangs Schule – Hochschule; (b) Information, Erwartungssteuerung und Motivationsförderung; sowie (c) berufsbegleitende Studiengänge. Das sind bekannte Forderungen und Ziele, die durch die Studie erneut an Brisanz gewinnen.

Minderheitenmeinungen

Erst jetzt bin ich auf einen kurzen Beitrag (hier) von Hans Brügelmann aufmerksam geworden, mit dem er ein „offenes Forum“ zu bildungswissenschaftlichen Themen (Titel: Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung kontrovers) anstößt und auf diesem Wege eine Alternative zu anonymen Peer Review-Verfahren anbietet. Das Forum (leider etwas versteckt eingebettet in das Pädagogische Journal) soll die Möglichkeit bieten, auch Minderheitenmeinungen zu diskutieren, „insbesondere von Manuskripten und Förderanträgen, die in Peer-Review-Verfahren abgelehnt worden sind“. Na ja, da wäre ich ja ein geeigneter Kandidat, der das Forum allein füllen könnte. 😉 Aber entweder es geht wenigen so wie mir (was nicht anzunehmen ist) oder es traut sich keiner (was schon wahrscheinlicher ist). Gestartet im Spätsommer 2008 hat das Forum bis jetzt nämlich keinen großen Zulauf finden können: Lediglich ein Beispiel findet sich dort – eines, das aber gut die Probleme des Peer Reviews aufzeigt und vor allem eine große Lernchance für Autoren bieten könnte – wenn denn auch diskutiert werden würde.

In seinem Zweiseiter fasst Brügelmann knapp, aber sehr deutlich die Gründe für seine Initiative zusammen. Dabei macht er vor allem auf die Schwierigkeit aufmerksam, Minderheitenmeinungen einen Platz zu geben. Das formuliert er so: „Sucht man kompetente Peers, werden in der Regel lang gediente VertreterInnen einer Fachdisziplin angefragt, die meist etablierte Positionen vertreten. Für sie aber ist die Versuchung groß, konkurrierende Minderheitenmeinungen klein zu halten. In der Jurisprudenz spricht man zu Recht von „herrschender Meinung“ – in einem doppelten Sinn: Sie prägt über Gerichtsurteile die soziale Wirklichkeit und sichert zudem mit der Ausbildung des Nachwuchses die zukünftige Deutungshoheit über eben diese Wirklichkeit. Diese Mechanismen werden auch bei der Förderung von Projekten durch Stiftungen oder durch die DFG wirksam.“

Ich habe mich mit Hans Brügelmann in Verbindung gesetzt, weil mich interessiert, wie er es sich erklärt, dass ein so wichtiges Angebot keine Resonanz findet: Ist die herrschende Meinung bereits zu stark? In diesem Zusammenhang ist übrigens noch ein anderer Beitrag von Uwe Laucken höchst interessant, obschon er fast 10 Jahre alt ist. Unter dem Titel „Qualitätskriterien als wissenschaftspolitische Lenkinstrumente“ arbeitet er für die Psychologie heraus, wie die herrschende Meinung (in dem Fall die Meinung, das Heil liege im naturwissenschaftlichen Paradigma) nicht nur das Denken und Handeln in der Wissenschaft, sondern auch das in Öffentlichkeit und Alltag beeinflusst. Dabei geht es zwar primär um Evaluation und Qualitätskriterien in der Wissenschaft, was aber aber natürlich in einem engen Zusammenhang zu Peer Reviews zu sehen ist. Der Beitrag ist etwas länger – die Lektüre aber lohnt sich!

Das Elend mit den (Massen)Medien

Ich will jetzt nicht die Bildzeitung, die SZ und die ZEIT in einen Topf werfen, aber einen gemeinsamen Nenner gibt es natürlich schon – nämlich die Ansprache einer vergleichsweise breiten Leserschaft, für die man Komplexität reduzieren muss. Das ist bei einem Massenmedium nun einmal so (auch bei denen mit an sich höherer Qualität) – unabhängig davon, ob der Beitrag auf Papier gedruckt oder ins Netz gestellt wird. Aber Komplexitätsreduktion ist das eine. Ungenauigkeit und nachfolgende Irreführung das andere. Letzteres liegt vor, wenn man einfach schlampig mit Begriffen umgeht, schlecht recherchiert und Widersprüche produziert – in dieser Hinsicht gefährdet ist mit Sicherheit auch das E-Learning-Thema. In einem aktuellen Artikel in der ZEIT online (nämlich hier) z.B. heißt es: „Das Elend mit dem E-Lernen. Die meisten Unternehmen setzen E-Learning-Methoden in der Weiterbildung ein. Trotzdem lernen die Mitarbeiter nur wenig.“ Der Rest des Beitrags bietet leider auch keine Informationen, die sich auf einem anderen Niveau befinden: Weiterbildung, Office-Lernprogramme und lebenslanges Lernen werden bunt durcheinander gewürfelt. Die Aussagen sind stellenweise widersprüchlich, vor allem aber unangemessen generalisierend. Erkenntnisse wie die, dass man zum Lernen halt Motivation brauche, retten den Beitrag leider auch nicht. Nicht nur auf der Online Educa, wie die Autorin schreibt, herrscht Ratlosigkeit. Offenbar steht auch der Autor oder die Autorin etwas ratlos vor dem Thema.

Es lohnt sich, sich bei solchen Beiträgen auch die Kommentare anzuschauen – manchmal sind die gehaltvoller als der Beitrag, was auch für den folgenden Kommentar zum genannten ZEIT-Artikel gilt: „Wenn man sagen würde, ´Buch lesen = Zeitverschwendung´ würde sofort geantwortet: Es kommt doch darauf an, welches Buch man liest. Das ist beim e-Learning nicht anders, nur die Techniken dahinter sind vielfältiger und komplexer als beim Buch. Es gibt Leute, die verstehen unter e-Learning ein didaktisch miserables PDF-Bleiwüsten-Dokument, das irgendwo verloren im Cyperspace steht. Gutes e-Learning sieht anders aus: Präsenzveranstaltung (evtl. aufgezeichnet mit drei Streams: Folien in voller Auflösung, Video und Ton), alles Material in einem Lernmanagementsystem mit Forum und Wiki verfügbar und diskutierbar, Betreuung der Fragen durch den Referenten, Chat- und Videokonferenzmöglichkeiten, Online-Selbstlernmodule mit Selbsttest-Möglichkeiten, Einsatz von Medien wie Videos und Simulationen in didaktisch sinnvoller Weise usw. Nur das kostet Geld, bringt aber auch Erfolg.“ Ein Glück, dass einige Leser es einfach besser wissen. Natürlich müssen wir (die sich beruflich mit E-Learning befassen) uns da auch selbst an die Nase fassen. Die Diskussion im Nachklang der GMW 2009 (hier z.B.) hat ja sehr schön gezeigt, dass der „E-Learning Community“ die Problematik mit dem E-Learning-Begriff bekannt ist. Zeitungsartikel wie der hier zitierte tragen das Ihrige zur Verwirrung bei und erinnern uns daran, dass es nicht genügt, über die Schwierigkeiten mal gesprochen zu haben.

Wenn es uns gelänge, die bisherige (und hoffentlich noch wachsende) E-Learning- Community in den Bildungswissenschaften nicht auszugrenzen, sondern deren Arbeit besser in die Forschungsförderung und breitere wissenschaftliche Communities zu integrieren, hätte ICH nichts dagegen, schlichtweg von Bildung zu sprechen. So wie man sich heute kaum noch ohne digitale Medien informieren kann und ebenso die Kommunikation ohne digitale Medien zunehmend unvorstellbar wird, wird dies auch in der Bildung langsam aber sicher kommen. Warum ich aktuell an dem Begriff immer noch festhalte, ist die Hoffnung, auf diesem Wege der interdisziplinäre Gemeinschaft an Wissenschaftlern und Praktikern, die sich mit dem Lernen mit digitalen Medien beschäftigen, ein Forum bzw. eine Identität zu geben, damit sie ihre Stimme in Bildungsfragen (in Schule, Hochschule, Weiterbildung und im informellen Raum) einbringen können. Aber vielleicht ist es doch der falsche Weg?

Was das Buch uns noch zu sagen hätte …

darüber hat sich Helge zum Jahresausklang so seine Gedanken gemacht und eine Idee ausgearbeitet, die das Buch nicht nur zum Träger von Geschichten, sondern selbst zum Erzähler macht (das Konzept hierzu kann man hier abrufen). Technisch umsetzen ließe sich das mit Hilfe einer Software für das Smartphone. Nun gebe ich zu, dass ich kein Smartphone-Fan bin und auch sonst mobile Endgeräte für die Hosentasche nur eingeschränkt nutze (schlicht deshalb, weil ich es sehr schätze, mal einfach nur zu lesen oder nachzudenken, ohne von digitaler Information abgelenkt zu sein, wenn ich mal NICHT vor dem Rechner sitze, was selten genug vorkommt). Deswegen geht es mir an dieser Stelle auch weniger um Helges technischen Umsetzungsvorschlag (so interessant der auch sein mag), sondern um die Idee an sich: Bücher gehen durch viele Leserhände. In der Folge entstehen Aktionen und Interaktionen zwischen einem Buch und seinen Lesern, die höchst individuell und dennoch auch für andere interessant sind bzw. sein können. Der Fixpunkt ist das Buch bzw. nach Helge ein „sehr, sehr kleiner Mensch“ (metaphorisch zu verstehen), versteckt in den Molekülen der ersten Seite, der folglich eine ganze Menge zu erzählen hätte – von seinen Lesern, ihren Interessen und Erkenntnissen infolge der Lektüre usw. Man stelle sich nun vor, das Buch ließe sich in diesem Sinne zum Erzählen bringen.

Ich finde diese Idee deswegen sehr schön, weil sie mehrere Dinge deutlich macht: (a) Die Inhalte eines Buches werden erst aktualisiert, wenn Menschen sie lesen. Das öffentlich zugängliche (materialisierte) Wissen (im Buch) ist noch kein handlungswirksames personales Wissen; es muss erst zu einem solchen werden. Das Buch als Erzähler wüsste genau darüber zu berichten – eine spannende Aussicht. (b) Ob der Inhalt eines Buches nützlich ist oder nicht, ob er als spannend oder langweilig empfunden, als schwer oder leicht beurteilt, als neu oder hinlänglich bekannt bewertet wird etc., ist abhängig vom Leser. Das Buch als Erzähler wüsste das und so könnte man validere Urteile über die Qualität der Buchinhalte treffen als dies bisher möglich ist – ein Beitrag zur mehr Fairness gegenüber den Autoren. (c) Ähnliche Fragen eines Lesers an ein Buch, vergleichbare Folgerungen aus der Lektüre oder resultierende Ideen in die gleiche Richtung sind hervorragende Anker, die einem helfen würden, Kontakte und Netzwerke zu Menschen zu knüpfen, mit denen man sich effektiv austauschen kann. Das Buch als Erzähler könnte genau diese Informationen liefern und Gleichgesinnte, ebenso wie natürlich auch Kontrahenten zueinander führen und auf diesem Wege fruchtbare Beziehungen für den gegenseitigen Austausch anstoßen.

Also, Helge, ICH finde, du hättest bei diesem Bibliothekswettbewerb, zu dem du deine Idee eingereicht hast (Blog-Info dazu hier), Platz 1 verdient.

Wer kümmert sich?

Dass die Masse kein Garant dafür ist, dass sich jemand für eine Sache verantwortlich fühlt, ist an sich hinlänglich bekannt. Man denke nur an die traurige Tatsache, dass ganze Menschenhorden an Unfällen oder Menschen in Bedrängnis achtlos vorübergehen oder –fahren. Dass dieses Problem auch bei weniger existenziellen Ereignissen im virtuellen Raum auftritt, darauf verweist der Spiegel Online-Artikel „Hilferuf aus dem Maschinenraum“. Der Beitrag schildert, dass und warum es bei Wikipedia keinen Mangel an neuen Einträgen, wohl aber ein Defizit bei der kontinuierlichen Pflege derselben gibt. Die Folge sind verwahrloste Einträge und ein beständiges Wiederaufflammen des „Relevanz-Streits“ (Was ist relevant genug, um in einer Enzyklopädie zu stehen?). Dagegen hilft nur das permanente „sich kümmern“ – aber wer macht es? Wer kümmert sich? Ich finde diese Frage sehr wichtig – und zwar auch deshalb, weil das keine Frage ist, die allein Wikipedia betrifft, sondern generell gilt – gerade auch in Bildungsinstitutionen. Es gibt viele Leute mit vielen guten Ideen, auch solche, die mal eben was initiieren. Wer aber kümmert sich darum, dass nach der ersten Euphorie auch etwas entsteht, das zumindest für einen nennenswerten Zeitraum erhalten bleibt und Bildungspotenziale bietet? Wer fühlt sich wofür verantwortlich? Dass man diese Frage zu wenig stellt (und ich nehme mich da gar nicht aus), ist eine meiner größten Befürchtungen, wenn wir im Zuge der Web 2.0-Bewegung darauf setzen, dass allein die Masse schon ein Gewinn ist. Aber Masse bedeutet immer auch Anonymität und das dürfte der größte Feind für persönliche Verantwortung sein. Wenn man den hier zitierten Spiegel Online-Beitrag zu Wikipedia unter dieser Perspektive liest, könnte man ihn viel grundsätzlicher verstehen – nämlich als Anstoß zum Nachdenken darüber, wofür man sich als Einzelner wirklich so verantwortlich fühlt, dass man bereit ist, sich längerfristig und intensiver darum zu kümmern.

Sie wollen Tools, Techniken und Tricks

Also es ist jetzt nicht gerade eine Neuigkeit, denn dass die Abschiedsvorlesung von Friedemann Schulz von Thun hier online zugänglich ist, wurde schon auf vielen Blogs verbreitet. Um sich diese ganz anzuhören, muss man aber schon ein bisschen Zeit mitbringen (oder sie sich nehmen) und dazu bin ich erst heute gekommen. Ich habe es nicht bereut!

So stellt man sich eine Abschiedsvorlesung vor! Wie oft bekommt man eine solche zu hören? Ich würde mal sagen: Nicht oft. Da wird Biografisches mit inhaltlichen Erkenntnissen verknüpft, es werden Anekdoten aus dem universitären Alltag berichtet, aber auch Schlüsselerlebnisse für den eigenen Werdegang geschildert und geschickt mit Botschaften aus dem eigenen Forschungsgebiet verbunden. An manchen Stellen wird fast ein bisschen (locker verpackte) Wissenschaftsgeschichte hörbar, gepaart mit Selbstkritik, denn natürlich kann wohl jeder Wissenschaftler mit Blick zurück seine Irrwege oder ein noch fehlendes Verständnis feststellen – nur machen es nicht viele, obschon es doch so lehrreich ist.

„Sie wollen Tools, Techniken und Tricks“, sagt Schulz von Thun etwa von den Unternehmensvertretern. Er sagt es mit leiser Ironie in der Stimme, um dann sogleich Verständnis zu zeigen, denn die eigene Professionalität verlange es eben, praktisch einsetzbare Instrumente zu kennen und zu nutzen. Und dann kommt er auf die „Entwicklung des inneren Menschen“ zu sprechen und bringt später auch ein persönliches Beispiel: den zermürbenden Umgang mit marxistischen Gruppen in den Hörsälen der 1980er Jahre (die ich in meinem Studium auch noch beobachten, aber damals überhaupt nicht einordnen konnte). Fast schon bewegend schildert er, wie er sich in der Auseinandersetzung mit diesen Gruppen von außen betrachtet acht Jahre lang – man könnte sagen – „tapfer geschlagen“ hat und wie sehr es ihn doch im Inneren nicht nur zermürbt, sondern verletzt hat – am Rande zum Burnout.

Schulz von Thun erzählt (zu diesem Thema siehe auch hier) – man hört ihm zu und die 100 Minuten, die er spricht, wirken nicht ermüdend. An vielen Stellen unterhält er seine Zuhörer, blickt mit Witz und Humor auf sich, seine Kollegen und auch die Sache, die ihn bis heute begeistert. Aber er hat durchaus auch inhaltlich etwas zu sagen – sehr dosiert, aber dafür scheinen ihm die ausgewählten diese Botschaften sehr wichtig zu sein: allem voran die Stimmigkeit – ein Konzept, von dem er befürchtet, dass man es unterschätzt und angesichts der Popularität seines „Vier-Ohren-Modells“ als „Oberideal“ vergisst. Gemeint ist die Stimmigkeit zwischen Innen und Außen, zwischen Selbstbewusstsein und Systembewusstsein.

Es ist freilich keine „normale Vorlesung“; es ist eine Abschiedsvorlesung, in der man sich nicht genötigt fühlen muss, besonders viele Inhalte zu vermitteln. Trotzdem kann man an dieser erkennen, was Schulz von Thun auch in seiner Rede (das ist vielleicht der bessere Begriff) an einer Stelle sagt, nämlich, dass man die Menschen bewegen muss, wenn man ihnen etwas vermitteln will. Die große Frage ist, wie man sie bewegen kann und diese Rede zeigt, dass man dazu keine lauten Effekte braucht. Es genügt die eigene Begeisterung für eine Sache, die authentische Darstellung und Sensibilität für das Publikum. Wenn man das am Ende seiner Laufbahn so hinbekommt, dann darf man sich vielleicht ein bisschen auf die Schulter klopfen, ohne sagen zu müssen: „In meiner Haut möchte ich nicht stecken“ (Schulz von Thun, 2009).

Hörsaalbesetzer

Na ja, im Vergleich zur neuen Grippe halten sich die Schlagzeilen in den Medien in Grenzen, wenn es um Bildungsstreiks geht. Die großen Zeitungen berichten in ihren Online-Ausgaben nur kurz über Hörsaalbesetzungen (z.B. die SZ) und erste Polizeieinsätze. Was die inhaltlichen Forderungen betrifft, oder auch die Stimmung unter den Studierenden generell, wird eher nicht vertiefend behandelt. Wer aber Genaueres wissen will, kann sich auf der Web-Seite Bildungsstreik informieren.

Ich bin gespannt, ob sich in der Öffentlichkeit – wie teilweise im Juni 2009 – wieder nur die eher platten Forderungen in den Ohren festzsetzen, oder ob die durchaus anspruchsvollen Überlegungen etwa zu den Auswirkungen wettbewerbs- und marktorientierter Prinzipien im Bildungsbereich mal etwas deutlicher nach außen dringen.  Darüber zu urteilen, was die verschiedenen Aktionen wie Hörsaalbesetzungen bringen, fühle ich mich nicht berufen. Ich tue mir ehrlich gesagt schwer, die Wirkung und Wirkungslosigkeit solcher und anderer Maßnahmen einzuschätzen.  Ganz schlecht fände ich eine Polarisierung zwischen Lehrenden/Wissenschaftlern einerseits und Lernenden/Studierenden andererseits. Die Ökonomisierung trifft auch die Akteure der Wissenschaft, sodass ich nachhaltige Veränderungen an sich nur bei kooperativen Aktionen für wahrscheinlich halte. Schlecht wäre außerdem eine Spaltung der Studierenden in eine letztlich laute Minderheit, von denen womöglich einige die notwendige Artikulation von Missständen für eigene (ideologische) Zwecke missbrauchen, und eine schweigende oder gar angenervte Mehrheit, die mit all dem nichts zu tun haben will. Mal sehen, wie sich das weiter entwickelt.

Nachtrag (17.11.2009): Inzwischen schaffen es die sich ausweitenden Proteste ja doch ganz gut auf einen ansehnlichen Platz auf der Medienagenda – z.B. hier.

Müller-Böling auf Wahrheitssuche

„Zukunft jetzt – Wie wir leben, lernen, arbeiten“ – so heißt eine Reihe von SWR 2 Aula, die man auch online hier abrufen kann. Folge 8, auf die mich Sandra aufmerksam gemacht hat, dreht sich um die Universität. Es spricht Detlef Müller-Böling zum Thema „Autonom und forschungsintensiv – Die Universität der Zukunft“. 25 Minuten ca. dauert Müller-Bölings Zukunftsszenario der deutschen Universitäten und es gäbe eine ganze Reihe von Punkten, an denen man aus meiner Sicht viel und kontrovers diskutieren könnte. Wie zu erwarten, ist viel von Leistung, Exzellenz und Qualität die Rede. Aber auch das Wort Vielfalt hört man erstaunlich oft, als wolle man damit den kritischen Kommentaren gleich zu Beginn den Wind aus den Segeln nehmen (nach dem Motto: Wenn Vielfalt herrsch, findet jeder Querulant schon irgendwo seinen Platz).

Aber ich möchte mich auf einen speziellen Aspekt konzentrieren, nämlich auf Müller-Bölings Postulat der Trennung von „Wissensproduktion“ – also von Forschung – auf der einen Seite und von „Wissensvermittlung“ – also von Lehre – auf der anderen Seite. Eine wie auch immer geartete Einheit von Forschung und Lehre ist für Müller Böling nichts als eine lästige Monstranz, die die ewig Gestrigen vor sich hertragen – blind für die moderne Welt, die nach Arbeitsteilung verlangt. Forschung und Lehre und dazu auch noch Prüfen – so sein Szenario – würden sich zunehmend voneinander trennen, bisherige Zusammenhänge, die hier bestehen, würden sich „auflösen“. Mit anderen Worten: Forschung in vielen Disziplinen gleichzeitig sei künftig wohl auf drei bis fünf Spitzenuniversitäten in Deutschland beschränkt. Ein bisschen Forschung in einzelnen Disziplinen sei an Hochschulen mit „Forschungsleuchttürmen“ möglich und dann gäbe es noch viele Hochschulen, die eine „regionale Versorgung mit Bildung“ sicherstellen sollten – ohne Forschung, versteht sich. Als Beispiel für die Sinnhaftigkeit einer solchen Trennung, bei der jede Hochschule dann das mache könne, was sie gut kann (oder umgekehrt, dass sie nicht mehr das machen müsse, was sie nicht kann), nennt Müller-Böling die Virtuelle Hochschule Bayern – als handle es sich dabei um eine eigene Hochschule und nicht um ein Verbundprojekt, das gänzlich andere Ziele verfolgt als eine normale Universität. Genauso deplatziert wie dieses Beispiel ist aus meiner Sicht der Vergleich reiner „Lehr-Hochschulen“ (wobei er diesen Begriff nicht nennt) mit dem Breitensport – als könne man nicht genau beim Sport wunderschön sehen, wie sich der Spitzensport vom Breitensport entkoppelt hat. Vielleicht hätte er diese Analogie besser mal zu Ende gedacht.

Damit man aber auf keine dummen Gedanken kommt und all diese ökonomisch höchst anschlussfähigen Formal-Forderungen in Zweifel zieht, ist das Schlusswort dann doch wieder recht pathetisch und scheinbar nah an den Vorstellungen derjenigen, die (noch) glauben, dass Forschung und Lehre sehr wohl zusammengehören. Er sagt: „Auch wenn die Universitäten im Detail sich grundlegend verändern, wenn sie anders aussehen in 20 Jahren als heute, …., so bleibt eines doch auf jeden Fall bestehen: Sie sind und sie werden bleiben Ort der Wahrheitssuche für Wissenschaftler und Ort der Ermutigung zur Wahrheitssuche für Studierende“. Wie das mit den vorangegangenen Forderungen zusammenpasst, ist mir ein Rätsel! Wer Universitäten haben will, die sich ausschließlich auf die Lehre konzentrieren, die „Kunden“ mit Bildungsware versorgen, und sich darauf beschränken, „Versorgungslücken“ zu füllen, der kann mir nicht erzählen, dass es ihm darum geht, Wahrheit suchende, fragende und aufgeklärte Menschen zu fördern.

Kultur des Klagens

Auf meinen Blogbeitrag „Teil des Establishments“ gab es einen Kommentar, in dem ich auf einen Beitrag von Rolf Haubl und Günter Voß aufmerksam gemacht worden bin. Der Text mit dem Titel „Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen“ beinhaltet die Kurzdarstellung einer qualitativen Befragung von Supervisor/innen zum „Innenleben von Organisationen in Deutschland“. Die dort skizzierten Ergebnisse stellen in der Tat eine generelle Zustandsbeschreibung von Organisationen dar, in die man die Beobachtungen und Erfahrungen an Universitäten (wie im oben genannten Blogbeitrag beschrieben) sehr gut und fast schon nahtlos einordnen kann. Die Autoren verweisen auf zahlreiche Punkte, die auch für die Arbeit von Professoren und Mitarbeitern an den Universitäten gelten:

Nennen kann man etwa die wachsenden Dokumentations- und Evaluationspflichten, die zu Lasten der Arbeits- und Leistungsqualität gehen, den steigenden Effizienzdruck und das unangemessene Innovationstempo, wobei angemerkt wird: „Übersteigt das Innovationstempo die Anpassung der Beschäftigten, neigen sie dazu, lediglich die Rhetorik zu wechseln, um sich selbst zu schützen …“ – wie wahr! Auch Misstrauen und fortschreitende Entsolidarisierung sind Phänomene, die an Universitäten ebenfalls zu erkennen sind. Führungskräfte scheitern auch an den Unis an widersprüchlichen Anforderungen, fehlenden Ressourcen und einer gewissen Machtlosigkeit. Zielvereinbarungen, die im Text ebenfalls besprochen werden, haben in der W-Besoldung von Professoren längst Einzug gehalten. Dass diese, wie Haubl und Voß betonen, „hohe Selbsterkenntnis“ (S. 6) voraussetzen, aber keineswegs bedeuten, dass Leistung wirklich belohnt wird, weshalb „Enttäuschungsprophylaxe“ (S. 7) angezeigt sei, gilt wohl für Unternehmen und Universitäten gleichermaßen. Eine „Kultur des Klagens wegen anhaltender Überforderung“ (S. 6) aber – so die Folgerung der Autoren – sei keine angemessene Reaktion, denn sie diene lediglich der Ritualisierung der Probleme. Dass Jammern nicht hilft, hatte ich ja auch schon festgestellt, aber wissen wir, was denn nun tatsächlich helfen könnte? Haubl und Voß hoffen, dass die Finanzkrise eine Chance sein könnte, ehrlicher mit diesen Problemen umzugehen, was ein erster Lösungsschritt wäre. Nun ja, Krisen gibt es auch an den Universitäten zuhauf – vielleicht können wir sie nutzen?

Die vermeintliche Politikferne der Wissenschaft

Niels Taubert vom Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT) an der Universität Bielefeld hat mir in einem Kommentar auf den Blogbeitrag „Den Jackpot knacken“ einen höchst interessanten Linktipp auf einen Text von Stefan Hirschauer mit dem Titel „Die Innenwelt des Peer Review. Qualitätszuschreibung und informelle Wissenschaftskommunikation in Fachzeitschriften“ (aus dem Jahr 2002) gegeben, für den ich mich an der Stelle noch einmal herzlich bedanke. Der (soziologische) Beitrag beschäftigt sich mit der Forschung zum Peer Review, gibt einen Überblick über bisherige empirische Strategien und setzt sich kritisch mit den bislang gestellten Fragen wie auch Methoden auseinander. Ich habe darin viele mir bereits aus einigen anderen Texten bekannte Erkenntnisse zum Peer Review gefunden, aber auch eine ganze Reihe neuer Einsichten vor allem zur Forschung zu diesem Thema selbst. So weist der Autor z.B. darauf hin, dass man im Zuge von Reliabilitätsüberprüfungen von Gutachten im Peer Review durchaus einmal die Frage stellen sollte, ob Gutachterübereinstimmung denn überhaupt Zweck eines Peer Reviews sein kann. Zudem wird aufgedeckt, dass es auf der Ebene der Herausgeberentscheidungen in Zeitschriften fast gar keine empirischen Erkenntnisse gibt. Eine der Hauptaussagen des Textes aber ist, dass es in der Peer Review-Forschung ein paar gravierende Schwächen gibt, die zum einen mit der Erwartungshaltung (und den damit verbundenen Prämissen im Kontext des Peer Review) und zum anderen mit dem Theoriedefizit dieser Forschung zusammenhängen. Bemängelt werden auch methodische Vorgehensweisen etwa bei Reliabilitätsmessungen oder auch bei Inhaltsanalysen von Gutachten. Hitschauer plädiert vor diesem Hintergrund dafür, bisherige meist nur quantitative Forschungsmethoden durch qualitative zu ergänzen. Am Ende des Beitrags fasst Hirschauer seine Position zusammen, die ich an der Stelle gerne ausführlicher zitieren möchte, weil sie meiner Ansicht nach ein paar ganz zentrale Punkte sehr prägnant auf den Punkt bringt:

„Ich habe eingangs festgestellt, daß der Peer Review nicht nur ein wissenschaftsinternes Instrument ist, er wird auch zur externen Evaluation von Forschung (in Finanzierungsfragen) instrumentalisiert. Dies kann auf zwei Weisen problematische Effekte im Sinne einer Fehlsteuerung von Mitteln haben. Zum einen auf Seiten der Rezeption von Gutachten: Außerhalb der Wissenschaft werden Gutachten tendentiell nicht mehr als Äußerungen-im-wissenschaftlichen-Meinungsstreit aufgefasst, sondern als autoritative Expertenäußerungen ‚der Wissenschaft‘ und diese Verkürzung gelingt umso eher, je geringer die Zahl der Gutachter (d.h. je geringer die Dissenschancen). Zum anderen können solche Erwartungen der Politik auch entsprechende Sprecherpositionen in der Wissenschaft hervorbringen. Eben dies scheint das Gros der Peer Review Forschung wie auch der quantitativen Wissenschaftsevaluation zu bestätigen: Wenn etwa Dissens als ‘Random’ gilt, übernimmt eine für Zwecke politischer Evaluation eingesetzte Wissenschaftsforschung ein Fremdstereotyp von Wissenschaft – daß diese sicheres und objektives Wissen generiere – in ihre Selbstbeschreibung. Diese bestätigt dann wiederum die Erwartungen (und Hoffnungen) der Politik, daß Wissenschaft politikferner sei als sie es tatsächlich ist; daß es in ihr nicht auch um Öffentlichkeit und das Gelingen von Kommunikation, um Diskursivität und um Politik ginge: um Parteilichkeit und ihre Neutralisierung durch Verfahren, die Legitimität für hierarchiebedürftige Entscheidungen unter Gleichen beschaffen müssen.“ (Hirschauer, 2002, S. 20)