Vom Peer Review zur Umerziehung?

Ich weiß, dass man das an sich nicht macht. Ich mache es trotzdem – einen abgelehnten Forschungsantrag online stellen. Warum? Man kann es als Beitrag zum Wissensmanagement (allgemeine Infos hierzu z.B. hier) im Wissenschaftsbereich sehen: Neben „Best Practices“ können Fehlschläge ebenfalls einen Lerneffekt nicht nur für einen selbst, sondern auch für andere (Nachwuchs-)Wissenschaftler haben – also durchaus eine Form von Wissensteilung. Man kann es vielleicht auch als einen Aspekt von „öffentlicher Wissenschaft“ interpretieren, wie es Christian Spannagel vertritt. Vor allem aber möchte ich damit anregen, über ein Problem nachzudenken und zu diskutieren, das man ansonsten gerne in seiner privaten Schublade verstaut (weil man es halt AN SICH nicht öffentlich macht).

Aber zum Inhalt: Es handelt sich um einen Antrag, in dem wir unsere Erfahrungen und bisherigen praktischen Versuche wie auch theoretischen und empirischen Arbeiten zum Thema „Emotion und Lernen“ einerseits sowie „Assessment und Feedback“ andererseits heranziehen und darauf aufbauend eine Studie (im Feld) durchführen wollten. Maßgeblich an diesem Antrag beteiligt war Silvia Sippel (die mit diesem Blog-Beitrag einverstanden ist).

Ein (kürzeres) Gutachten bewertet den Antrag positiv, moniert aber die beantragten Ressourcen. Dies ist einsichtig und hätte bei einer Überarbeitung auch entsprechend geändert werden können. Auch andere Änderungsvorschläge hätten wir gerne berücksichtigt – unser Vorhaben ist/war sicher nicht frei von Mängeln. Ein zweites (langes) Gutachten dagegen kommt zu einem weitgehend vernichtenden Urteil. Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Bei einem Peer Review-Verfahren ist das nun einmal so und wenn man sich in dieses „Spiel“ begibt, hat man es zu akzeptieren, was selbstredend auch für mich/uns ist (Gedanken zum Thema in diesem Blog siehe auch hier, hier und hier). Allerdings bestärkt mich dieses (eigene) Beispiel mal wieder, dass es unter (sicher nicht allen, aber doch) bestimmten Bedingungen fruchtbar wäre, ein „open peer review“ durchzuführen. Ich würde zu diesen Bedingungen z.B. die Situation zählen, in der verschiedene methodische Auffassungen, letztlich auch erkenntnistheoretische Positionen aufeinanderprallen. Obschon wir bei diesem Antrag versucht haben, den Schwerpunkt auf einen quasi-experimentellen Vergleich zu legen, beinhaltet der Antrag doch auch entwicklungsorientierte Aspekte (wie ich sie z.B. hier und hier versucht habe, theoretisch zu begründen). Diese Richtung bedingt eine an mehreren Stellen andere Vorgehensweise als dies z.B. in der klassischen psychologischen oder pädagogisch-psychologischen Forschung favorisiert wird. Es wäre daher schon spannend gewesen, mehrere Meinungen auf diesen Antrag einzuholen und eine Chance zu haben, genau diese strittigen Punkte unter Peers (!) zu diskutieren. Nun gut, das Verfahren ist eben nicht so, aber man kann es ja immer wieder mal anregen, zumindest darüber nachzudenken, wo und wie man Peer Review-Verfahren auch anders gestalten bzw. Alternativen zur gängigen Praxis in unserer Disziplin ausprobieren könnte.

Kein Verständnis habe ich dagegen für einen speziellen Ablehnungsgrund, der auch im anschließenden Urteil (auf der Basis der Gutachten) formuliert wurde: Dieser Grund ist meine Publikationspraxis und die Feststellung, dass ich kaum in referierten Zeitschriften publiziert hätte, wobei gleich deutlich wird, dass hier ein recht enger Begriff von „Peer Review“ herangezogen wird (nämlich double blind reviews in fast ausschließlich englischsprachigen Journals). Unabhängig davon, dass man bereits darüber streiten kann, ob der Begriff des Peer Review in dieser Enge adäquat ist (zudem: ich mache viele Beiträge online zugänglich, sodass jeder, der es will, ein „Review“ durchführen kann), wundere ich mich schon: Habe ich ein persönliches Stipendium beantragt oder die Finanzierung eines Forschungsprojekts? Geht es um die Förderung meiner Person oder die einer Sache? Darf die Art der Publikationen (wohl gemerkt: nicht die Vorarbeiten, sondern der Ort deren Veröffentlichung) eines Antragstellers wirklich ein Kriterium für die Beurteilung der Qualität eines Forschungsantrags sein? Mir wird geraten, mich im Hinblick auf weitere Anträge diesbezüglich mehr zu engagieren. Gut gemeinter Tipp! Leider aber sind viele dieser Journals ja auch wieder so gestrickt, dass die meisten meiner Arbeiten darin eher keinen Platz finden. Ich müsste also meine Arbeit auf die Zeitschriftenpraxis abstimmen (als Wissenschaftler meint ja erst mal ganz naiv, es sollte umgekehrt sein). Was soll das werden? Ein Umerziehungsprogramm? Das macht mich schon ein bisschen nachdenklich und auch ratlos. Hier der Antrag:

Forschungsantrag

Unangenehmer Schritt mit angenehmen Folgen

Im Juli 2009 habe ich in meinem Blog (hier) kurz über einen unangenehmen Schritt berichtet, nämlich die Rückgabe meiner Herausgeberschaft für das Themenheft „Assessment im Hochschulunterricht“ der Zeitschrift für Hochschulentwicklung (kurz: ZFHE). Ich konnte mich mit dem Ablauf und meiner Rolle, in der ich an sich kaum aktiv werden konnte, nicht mehr wohl gefühlt und dies auch dem wissenschaftlichen Beirat mitgeteilt. Nun bin ich vor kurzem darüber informiert worden, dass man das Verfahren der Einreichung und Begutachtung sowie die Rolle des Herausgebers überarbeitet hat. Darüber kann man sich auf der Web-Seite der Zeitschrift hier informieren. Es ist natürlich sehr erfreulich, dass diese Entscheidung im Sommer, die mir sehr schwer gefallen war, doch noch positive Folgen hatte. Daher bin ich dann auch der Bitte nachgekommen, die Herausgeberschaft wieder aufzunehmen. Zu den letztlich fünf Beiträgen, die in das Themenheft aufgenommen wurden, habe ich ein kurzes Editorial verfasst. Es wird nächste Woche online gehen.

Editorial Assessment im Hochschulunterricht

Müller-Böling auf Wahrheitssuche

„Zukunft jetzt – Wie wir leben, lernen, arbeiten“ – so heißt eine Reihe von SWR 2 Aula, die man auch online hier abrufen kann. Folge 8, auf die mich Sandra aufmerksam gemacht hat, dreht sich um die Universität. Es spricht Detlef Müller-Böling zum Thema „Autonom und forschungsintensiv – Die Universität der Zukunft“. 25 Minuten ca. dauert Müller-Bölings Zukunftsszenario der deutschen Universitäten und es gäbe eine ganze Reihe von Punkten, an denen man aus meiner Sicht viel und kontrovers diskutieren könnte. Wie zu erwarten, ist viel von Leistung, Exzellenz und Qualität die Rede. Aber auch das Wort Vielfalt hört man erstaunlich oft, als wolle man damit den kritischen Kommentaren gleich zu Beginn den Wind aus den Segeln nehmen (nach dem Motto: Wenn Vielfalt herrsch, findet jeder Querulant schon irgendwo seinen Platz).

Aber ich möchte mich auf einen speziellen Aspekt konzentrieren, nämlich auf Müller-Bölings Postulat der Trennung von „Wissensproduktion“ – also von Forschung – auf der einen Seite und von „Wissensvermittlung“ – also von Lehre – auf der anderen Seite. Eine wie auch immer geartete Einheit von Forschung und Lehre ist für Müller Böling nichts als eine lästige Monstranz, die die ewig Gestrigen vor sich hertragen – blind für die moderne Welt, die nach Arbeitsteilung verlangt. Forschung und Lehre und dazu auch noch Prüfen – so sein Szenario – würden sich zunehmend voneinander trennen, bisherige Zusammenhänge, die hier bestehen, würden sich „auflösen“. Mit anderen Worten: Forschung in vielen Disziplinen gleichzeitig sei künftig wohl auf drei bis fünf Spitzenuniversitäten in Deutschland beschränkt. Ein bisschen Forschung in einzelnen Disziplinen sei an Hochschulen mit „Forschungsleuchttürmen“ möglich und dann gäbe es noch viele Hochschulen, die eine „regionale Versorgung mit Bildung“ sicherstellen sollten – ohne Forschung, versteht sich. Als Beispiel für die Sinnhaftigkeit einer solchen Trennung, bei der jede Hochschule dann das mache könne, was sie gut kann (oder umgekehrt, dass sie nicht mehr das machen müsse, was sie nicht kann), nennt Müller-Böling die Virtuelle Hochschule Bayern – als handle es sich dabei um eine eigene Hochschule und nicht um ein Verbundprojekt, das gänzlich andere Ziele verfolgt als eine normale Universität. Genauso deplatziert wie dieses Beispiel ist aus meiner Sicht der Vergleich reiner „Lehr-Hochschulen“ (wobei er diesen Begriff nicht nennt) mit dem Breitensport – als könne man nicht genau beim Sport wunderschön sehen, wie sich der Spitzensport vom Breitensport entkoppelt hat. Vielleicht hätte er diese Analogie besser mal zu Ende gedacht.

Damit man aber auf keine dummen Gedanken kommt und all diese ökonomisch höchst anschlussfähigen Formal-Forderungen in Zweifel zieht, ist das Schlusswort dann doch wieder recht pathetisch und scheinbar nah an den Vorstellungen derjenigen, die (noch) glauben, dass Forschung und Lehre sehr wohl zusammengehören. Er sagt: „Auch wenn die Universitäten im Detail sich grundlegend verändern, wenn sie anders aussehen in 20 Jahren als heute, …., so bleibt eines doch auf jeden Fall bestehen: Sie sind und sie werden bleiben Ort der Wahrheitssuche für Wissenschaftler und Ort der Ermutigung zur Wahrheitssuche für Studierende“. Wie das mit den vorangegangenen Forderungen zusammenpasst, ist mir ein Rätsel! Wer Universitäten haben will, die sich ausschließlich auf die Lehre konzentrieren, die „Kunden“ mit Bildungsware versorgen, und sich darauf beschränken, „Versorgungslücken“ zu füllen, der kann mir nicht erzählen, dass es ihm darum geht, Wahrheit suchende, fragende und aufgeklärte Menschen zu fördern.

Kultur des Klagens

Auf meinen Blogbeitrag „Teil des Establishments“ gab es einen Kommentar, in dem ich auf einen Beitrag von Rolf Haubl und Günter Voß aufmerksam gemacht worden bin. Der Text mit dem Titel „Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen“ beinhaltet die Kurzdarstellung einer qualitativen Befragung von Supervisor/innen zum „Innenleben von Organisationen in Deutschland“. Die dort skizzierten Ergebnisse stellen in der Tat eine generelle Zustandsbeschreibung von Organisationen dar, in die man die Beobachtungen und Erfahrungen an Universitäten (wie im oben genannten Blogbeitrag beschrieben) sehr gut und fast schon nahtlos einordnen kann. Die Autoren verweisen auf zahlreiche Punkte, die auch für die Arbeit von Professoren und Mitarbeitern an den Universitäten gelten:

Nennen kann man etwa die wachsenden Dokumentations- und Evaluationspflichten, die zu Lasten der Arbeits- und Leistungsqualität gehen, den steigenden Effizienzdruck und das unangemessene Innovationstempo, wobei angemerkt wird: „Übersteigt das Innovationstempo die Anpassung der Beschäftigten, neigen sie dazu, lediglich die Rhetorik zu wechseln, um sich selbst zu schützen …“ – wie wahr! Auch Misstrauen und fortschreitende Entsolidarisierung sind Phänomene, die an Universitäten ebenfalls zu erkennen sind. Führungskräfte scheitern auch an den Unis an widersprüchlichen Anforderungen, fehlenden Ressourcen und einer gewissen Machtlosigkeit. Zielvereinbarungen, die im Text ebenfalls besprochen werden, haben in der W-Besoldung von Professoren längst Einzug gehalten. Dass diese, wie Haubl und Voß betonen, „hohe Selbsterkenntnis“ (S. 6) voraussetzen, aber keineswegs bedeuten, dass Leistung wirklich belohnt wird, weshalb „Enttäuschungsprophylaxe“ (S. 7) angezeigt sei, gilt wohl für Unternehmen und Universitäten gleichermaßen. Eine „Kultur des Klagens wegen anhaltender Überforderung“ (S. 6) aber – so die Folgerung der Autoren – sei keine angemessene Reaktion, denn sie diene lediglich der Ritualisierung der Probleme. Dass Jammern nicht hilft, hatte ich ja auch schon festgestellt, aber wissen wir, was denn nun tatsächlich helfen könnte? Haubl und Voß hoffen, dass die Finanzkrise eine Chance sein könnte, ehrlicher mit diesen Problemen umzugehen, was ein erster Lösungsschritt wäre. Nun ja, Krisen gibt es auch an den Universitäten zuhauf – vielleicht können wir sie nutzen?

Experiment mit ungewissem Ausgang

Diese Woche ist es soweit: Mein „Experiment“ zur Podcast-Vorlesung startet an diesem Mittwoch (28.10.2009), an dem ich die Einführung mache und den Studierenden das Konzept erkläre (hier die Folien: Einfuehrungsfolien). Am Donnerstag dann wird der erste Themen-Podcast hochgeladen. Aktuell kann man schon mal den Einstiegspodcast (hier) anhören – zur Rahmung der Story sozusagen.

Ich habe in diesem Blog bereits mehrfach über die Podcast-Vorlesung, ihre theoretischen Grundlagen (hier und hier) und das Konzept (hier) berichtet. Zum Vorlesungsblog, auf dem die Podcasts abzurufen sind geht es hier. Natürlich werden wir diesen Versuch wissenschaftlich begleiten. Ich bin selbst sehr gespannt, was am Konzept funktionieren wird, wo wir nachbessern müssen und an welchen Stellen (hoffentlich wenige oder keine) negative Effekte auftreten.

Ich habe für dieses Vorhaben mehrere Helfer: Christian Jocher-Wiltschka ist unser Podcast-Experte und wird mit seiner Abschlussarbeit in die wissenschaftliche Begleitung einsteigen. Unterstützt wird er dabei nicht nur von mir, sondern auch von Marianne Kamper. Beide werden zusammen mit Tamara Specht die Studierenden zudem tutoriell begleiten. Das in die Vorlesung integrierte Tutorium zum wissenschaftlichen Arbeiten übernimmt Hannah Dürnberger. Und ohne Frank gäbe es keinen Podcast – er hat sich mutig auf die „Vorlesungsgespräche“ eingelassen, die uns letztlich beiden viel Spaß gemacht haben. Jetzt gilt es zu hoffen, dass sie auch beiden Studierenden positiv ankommen und vor allem ihren Zweck erreichen.

Wo sind die Experten?

Jochen Robes hat (hier) auf eine Broschüre zum Open Access aufmerksam gemacht, die einen knappen und informativen Überblick über die aktuellen Bestrebungen wie auch deren Genese gibt, wissenschaftliche Informationen allgemein zugänglich zu machen. Schön an dieser Broschüre ist die Prägnanz, denn zig Seiten mit vor allem juristischen Argumenten erschlagen mich immer geradezu – mehr als ein paar Seiten schaffe ich dann meistens nicht.

Was ich mich frage ist, warum es eigentlich nur vergleichsweise wenige Initiativen seitens der Hochschulen selbst gibt, sich z.B. regional zusammenzuschließen und gemeinsam einen Verlag zu gründen oder einen solchen zum Partner zu nehmen, um wissenschaftliche Publikationen sowohl klassisch als auch im Open Access herauszugeben. Mir ist es nämlich auch lieber, wenn Profis das Layout machen, wenn es ein Lektorat gibt und in der Folge auch sprachlich (nicht nur inhaltlich) eine hohe Qualität resultiert. Dazu braucht man Fachleute und die müssen natürlich finanziert werden. Auf der Frankfurter Buchmesse bin ich an einem Stand vorbeigekommen, auf dem auch ein paar Infos zur „Arbeitsgemeinschaft der Universitätsverlage“ zu haben waren. Das geht ja schon mal in die Richtung, die ich meine.

Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet und meine Ansichten dazu sind folglich laienhaft und die eines Nutzers. Trotzdem wundere ich mich, dass es offenbar so schwer ist, hier Geschäftsmodelle zu generieren, die die verschiedenen Interessen bündeln. Warum haben staatliche Bibliotheken nicht längst Modellrechnungen angestellt, wo sie durch Open Access sparen und dieses Geld in einer vernünftige Partnerschaft (auch mit Verlagen) re-investieren könnten. Publizieren gehört zum Forschen, sodass ich schon meine, dass es auch Aufgabe der Universitäten (mit ihren Bibliotheken) selbst ist, sich hier Gedanken zu machen. Möchte sich da nicht mal eine Wirtschaftsfakultät erbarmen und hier die betriebs- und volkswirtschaftlichen Grundlagen erarbeiten? Das wären doch die Experten für solche Fragen, oder? Kurzum: Ich kapier es nicht, dass wir hier nicht schon weiter sind und immer noch rumeiern als ginge es darum, den Mars zu besiedeln.

In widersprüchlichen Anforderungen verstrickt

Semesterbeginn im Herbst – das ist meistens eine turbulente Sache, aber dieses Jahr erscheint es mir besonders turbulent. Wir sind dieses Semester für den Bachelor (BA) und Master (MA) „Medien und Kommunikation“ mit einer neuen Studien- und Prüfungsordnung gestartet. Der Hintergrund ist der, dass unser „alter“ BA und MA (gestartet im Wintersemester 2001/02) den jetzt geltenden Vorstellungen insbesondere von Akkreditierungsagenturen nicht gerecht werden würde (zu frei, zu flexibel). Also haben wir nun „nachgebessert“, manche Löcher gestopft und – wie so viele andere auch – mehr Pflichtbereiche definiert und Vereinbarungen mit Nebenfächern etc. getroffen. Ich finde, unser Studiengang ist bisher recht gut gelaufen, auch wenn wir viel improvisiert haben. Damit aber ist jetzt Schluss, was aber nicht nur an der neuen Prüfungs- und Studienordnung liegt, sondern auch an wachsenden Ansprüchen an „rechtsgültigen Leitlinien“. Ich will mich hier nicht über Details auslassen, aber ich empfinde vor allem Folgendes als zeitraubend (vor allem in der Rolle als Vorsitzende des Prüfungsausschusses) und auch als belastend: Einerseits sollen wir als Fachvertreter die Gleichwertigkeit von Leistungen feststellen, wenn diese außerhalb des regulären Curriculums erbracht wurden – also z.B. im Ausland, in einem Fach, das an sich nicht vorgesehen war, aber jetzt eine durchaus passende Veranstaltung anbietet, bei der Virtuellen Hochschle Bayern usw. Andererseits aber gibt es permanent Probleme in der Verwaltung, wenn diese Veranstaltungen nicht schon Wochen oder Monate vorher erfasst, im Prüfungsamt aufgelistet u. ä. werden. Noch schwieriger wird es, wenn z. B. im Nebenfach Master-Studierende auch mal eine BA-Veranstaltung besuchen wollen, weil der Inhalt für sie neu ist und sie eben auch im Master noch ihren Horizont erweitern wollen.

All das ging bisher durch genaue inhaltliche Prüfung (passt es im einzelnen Fall?) relativ problemlos und in meinen Augen war genau das „Bologna-konform“: nämlich die Anerkennung von Leistungen, die man nicht zu einer bestimmten Zeit an einem ganz bestimmten Ort erbracht hat (nur nebenher: das ist auch die Voraussetzung für Mobilität). Nun aber wird immer deutlicher, dass dieser Freiheit viele Grenzen gesetzt sind – überall herrscht in der Verwaltung Angst vor Klagen seitens der Studierenden: Wenn man großzügig etwas anerkennt, beim nächsten Fall aber Bedenken hat (weil der Einzelfall halt anders ist), könnte letzterer klagen. Also besser nichts anerkennen, was nicht eindeutig und vorher festgelegt worden ist. Genau das aber nimmt einem jede Flexibilität und das führt auch das Grundprinzip ad absurdum, dass an sich der Fachvertreter entscheiden sollte, ob etwas gleichwertig ist oder eben nicht.

Ich will da gar nicht die Verwaltungen oder gar einzelne Personen „anklagen“, denn aus der juristischen und administrativen Logik mögen die jetzige Vorsicht und die daraus resultierenden restriktiven Folgen gerechtfertigt sein. Vielmehr haben wir da einen ganz gewaltigen grundsätzlichen Webfehler, der mir ehrlich gesagt nicht nur Zeit, sondern bald auch den letzten Nerv raubt. Natürlich ist es erstrebenswert, Studierende vor der Willkür etwa einzelner Professoren zu schützen (z.B. in Anerkennungsfragen). Ich habe aber den Verdacht, dass sich die Studierenden bald nach genau diesen Entscheidungen von Professoren zurücksehnen werden, nämlich dann, wenn das unpersönliche Kontroll- und Sicherungssystem so undurchschaubar wie das Steuersystem geworden ist, das keiner mehr richtig durchblickt. Wenn es also in nächster Zeit etwas stiller in diesem Blog werden sollte, dann schlage ich mich wahrscheinlich mal wieder mit Anerkennungsanträgen und Rechtfertigungen vor dem Prüfungsamt herum oder habe mich vollends in widersprüchlichen Anforderungen verstrickt.

Blogging-Artikel: Zweiter Anlauf

Ende Juli habe ich in einem Blogbeitrag (hier) einen Artikel für die Zeitschrift Organisationsentwicklung zum „Corporate Blogging“ online gestellt – als Preprint. Da dies dem Verlag nicht REeht war und ich gebeten wurde, erst im Oktober das Postprint zugänglich zu machen, habe ich diesen wieder entfernt. Jetzt ist der Beitrag im Original-Layout der Zeitschrift wie versprochen wieder online, nämlich hier.

Die vermeintliche Politikferne der Wissenschaft

Niels Taubert vom Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT) an der Universität Bielefeld hat mir in einem Kommentar auf den Blogbeitrag „Den Jackpot knacken“ einen höchst interessanten Linktipp auf einen Text von Stefan Hirschauer mit dem Titel „Die Innenwelt des Peer Review. Qualitätszuschreibung und informelle Wissenschaftskommunikation in Fachzeitschriften“ (aus dem Jahr 2002) gegeben, für den ich mich an der Stelle noch einmal herzlich bedanke. Der (soziologische) Beitrag beschäftigt sich mit der Forschung zum Peer Review, gibt einen Überblick über bisherige empirische Strategien und setzt sich kritisch mit den bislang gestellten Fragen wie auch Methoden auseinander. Ich habe darin viele mir bereits aus einigen anderen Texten bekannte Erkenntnisse zum Peer Review gefunden, aber auch eine ganze Reihe neuer Einsichten vor allem zur Forschung zu diesem Thema selbst. So weist der Autor z.B. darauf hin, dass man im Zuge von Reliabilitätsüberprüfungen von Gutachten im Peer Review durchaus einmal die Frage stellen sollte, ob Gutachterübereinstimmung denn überhaupt Zweck eines Peer Reviews sein kann. Zudem wird aufgedeckt, dass es auf der Ebene der Herausgeberentscheidungen in Zeitschriften fast gar keine empirischen Erkenntnisse gibt. Eine der Hauptaussagen des Textes aber ist, dass es in der Peer Review-Forschung ein paar gravierende Schwächen gibt, die zum einen mit der Erwartungshaltung (und den damit verbundenen Prämissen im Kontext des Peer Review) und zum anderen mit dem Theoriedefizit dieser Forschung zusammenhängen. Bemängelt werden auch methodische Vorgehensweisen etwa bei Reliabilitätsmessungen oder auch bei Inhaltsanalysen von Gutachten. Hitschauer plädiert vor diesem Hintergrund dafür, bisherige meist nur quantitative Forschungsmethoden durch qualitative zu ergänzen. Am Ende des Beitrags fasst Hirschauer seine Position zusammen, die ich an der Stelle gerne ausführlicher zitieren möchte, weil sie meiner Ansicht nach ein paar ganz zentrale Punkte sehr prägnant auf den Punkt bringt:

„Ich habe eingangs festgestellt, daß der Peer Review nicht nur ein wissenschaftsinternes Instrument ist, er wird auch zur externen Evaluation von Forschung (in Finanzierungsfragen) instrumentalisiert. Dies kann auf zwei Weisen problematische Effekte im Sinne einer Fehlsteuerung von Mitteln haben. Zum einen auf Seiten der Rezeption von Gutachten: Außerhalb der Wissenschaft werden Gutachten tendentiell nicht mehr als Äußerungen-im-wissenschaftlichen-Meinungsstreit aufgefasst, sondern als autoritative Expertenäußerungen ‚der Wissenschaft‘ und diese Verkürzung gelingt umso eher, je geringer die Zahl der Gutachter (d.h. je geringer die Dissenschancen). Zum anderen können solche Erwartungen der Politik auch entsprechende Sprecherpositionen in der Wissenschaft hervorbringen. Eben dies scheint das Gros der Peer Review Forschung wie auch der quantitativen Wissenschaftsevaluation zu bestätigen: Wenn etwa Dissens als ‘Random’ gilt, übernimmt eine für Zwecke politischer Evaluation eingesetzte Wissenschaftsforschung ein Fremdstereotyp von Wissenschaft – daß diese sicheres und objektives Wissen generiere – in ihre Selbstbeschreibung. Diese bestätigt dann wiederum die Erwartungen (und Hoffnungen) der Politik, daß Wissenschaft politikferner sei als sie es tatsächlich ist; daß es in ihr nicht auch um Öffentlichkeit und das Gelingen von Kommunikation, um Diskursivität und um Politik ginge: um Parteilichkeit und ihre Neutralisierung durch Verfahren, die Legitimität für hierarchiebedürftige Entscheidungen unter Gleichen beschaffen müssen.“ (Hirschauer, 2002, S. 20)

Des einen Freud des anderen Leid

Was habe ich mit Nintendo zu schaffen? Kaum etwas, seitdem mein Sohn das Interesse an der Spielkonsole in weiten Teilen verloren hat. Dennoch habe ich meine Beteiligung an einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Digitales Lernen in Schule und Freizeit“ auf der Frankfurter Buchmesse zugesagt. Gestern nun hat diese stattgefunden – initiiert von Nintendo auf dem Forum Bildung (umgesetzt wird das dann wieder von einem Zwischendienstleister, in diesem Fall von Süddeutscher Verlag onpact). Wie bereits vorab vereinbart, ging es in der Diskussion an sich nur als Aufhänger um neue Programme (u.a. von Cornelsen) für den Nintendo DS (siehe hier), mit dem einer der Diskutanten, der Hauptschullehrer Ulrich Stöger, mit seinen Klassen seit längerem erfolgreich (in Mathematik) experimentiert. Weitere Diskussionsteilnehmer waren der Leiter Geschäftsentwicklung Digitale Medien von Cornelsen, Dr. Carsten Kindermann, der Verlagsleiter der Langenscheidt KG, Rolf Müller, und eben ich. Moderiert hat Frank Patalong von Spiegel Online.

Viele Differenzen gab es nicht: Schulpraxis, Wissenschaft und Wirtschaft waren sich ziemlich einig, dass Spiele wie die auf dem Nintendo DS im Besonderen und digitale Medien im Allgemeinen nur differenziert in Bezug auf die angestrebten Lern- und Bildungsziele bewertet werden können. Keinen Widerspruch gab es auch bei dem Hinweis, dass die didaktische Kompetenz des Lehrenden das letztlich Ausschlaggebende darstellt. Überhaupt fand ich es erstaunlich, dass so große Einmütigkeit in den meisten Fragen herrschte. Es fehlte einfach ein Politiker in der Runde, den man hätte fragen müssen, warum denn so vieles nicht funktioniert, wo doch alle Seiten wissen, woran es liegt und was man besser machen könnte. Wobei klar ist, dass es in punkto Schule zwischen den Bundesländern einerseits und zwischen konkreten Schulen andererseits erhebliche Unterschiede gibt. Generalisierungen sind da also immer schwer. Nachdenklich machen sollte einen aber die ziemlich ehrliche Aussage von Rolf Müller, dass die Verlage von der Schwierigkeit an den Schulen profitieren, in immer weniger Zeit immer mehr und mit höherem Druck Wissen vermitteln zu müssen (was vor allem für den Bereich des Gymnasiums gilt) – des einen Freud des anderen Leid sozusagen.

Wieder einmal zeigte sich, dass man offenbar im Grundschul- und Hauptschulbereich mehr Freiheiten und Kreativität im täglichen Unterricht walten lässt als an den Gymnasien. Mir jedenfalls war es vor zwei Tagen (in der Elternrolle) auf dem Elternabend an einem bayerischen Gymnasium fast schon schwindelig von den Hinweisen der (übrigens sehr häufig wechselnden) Lehrer, wie wichtig ihr jeweiliges Fach doch sei und wie viel und kontinuierlich dies und jenes zu üben ist. Dabei habe ich Inhalte vernommen, von denen ich mir sicher war, dass sie in den 1970er und 80er Jahren (also zu meiner Zeit auf dem Gymnasium) Oberstufenstoff, aber kein Stoff der neunten Klasse waren. Gut, das sind persönliche und anekdotische Erfahrungen; trotzdem hatte ich diese in der Diskussion des Öfteren in meinem Kopf und sie haben stellenweise wohl auch meine Beiträge mitbestimmt.

Mein Fazit: Die Probleme, die ich in der Schule sehe, lassen sich sicher kaum mit digitalen Medien, also auch nicht mit dem Nintendo DS und neuer Software von (Schulbuch-)Verlagen lösen. Die liegen wohl tiefer in unserer „Idee von Schule“, den Zielen von Schule, dem Stellenwert von Bildung in unserer Gesellschaft, dem beruflichen Selbstverständnis von Lehrer/innen und dem politischen Willen, Schulbildung jenseits vom ökonomischen Wettbewerb als Eigenwert zu denken, die allem voran dem einzelnen Menschen zugute kommen muss.