Vor ca. drei Monaten hat Werner Sesink im Rahmen der Vortragsreihe des Forums offene Wissenschaft an der Universität Bielefeld einen Vortrag gehalten mit dem Titel „Wissenschaft für die Gesellschaft? Exzellenzinitiativen, Elitehochschulen, Rankings: Wie verändern sie den Wissenschaftsbetrieb?“ Ich habe die Schriftfassung bekommen und auf meine Bitte hin hat Werner Sesink nun hier den Text online zugänglich gemacht (inklusive Präsentation, nämlich hier). In seinem Vortrag greift er die Rhetorik des Leistungssports auf, mit der man die Hochschulen nun schon seit längerem heimsucht (schneller, höher, weiter), und versucht nachzuweisen, dass es sich dabei keineswegs nur mehr um Metaphorik, sondern um die Schaffung einer neuen Wirklichkeit handelt, die mit dem ökonomischen Konkurrenzprinzip unserer Gesellschaft konform geht. Zudem setzt er sich mit der Frage der gesellschaftlichen Legitimation von Wissenschaft auseinander und zieht doch in Zweifel, ob das an vielen Orten zu beobachtende Marketing-Gehabe (auch hier könnte man meinen, dass Fanclubs diverser Fußballvereine Pate gestanden haben) hierzu ein universitätsangemessener Weg ist. Gesellschaftliche Legitimation und Verantwortung sehen für Werner Sesink anders aus und laufen in hohem Maße über die Lehre – die man nun allerdings ebenfalls nur via Wettbewerbe ankurbeln will (in der Annahme, dass auch hier Rankings einen öffentlichkeitswirksamen Legitimationseffekt erzielen) .
Jedem, der sich (gewollt oder ungewollt) mit der Ökonomisierung unserer Hochschul- bzw. Bildungslandschaft auseinandersetzt, kann ich den Text nur empfehlen. Anschaulich stellt er die Schwierigkeit der Quantifizierung wissenschaftlicher Leistungen dar, die nun einmal in ihrer Komplexität nicht so leicht zu erfassen sind, wie die „Güte“ eines Schnellaufs, die sich per definitionem eben an der Geschwindigkeit tatsächlich messen lässt. (Die Verselbständigung der Messmetapher – das nur als Nebenbemerkung – ist allerdings auch innerhalb des Wissenschafts- bzw. Forschungsbetriebs in unseren Fächern eines der Hauptprobleme .) Die Analogie zum Sport lässt sich noch ausbauen, wenn man das Doping dazu nimmt – wofür Sesink ein weitere Bild bringt, das zum Abschluss nochmal das Leseinteresse anstoßen soll. Das Bild bezieht sich auf die mitunter absurde Situation, die eintritt, wenn sich eine Universität, eine Fakultät oder ein Studiengang um einen „Bundesliga-Platz“ bemüht:
„Wo Rauch ist, so heißt es, muss auch Feuer sein! Und wo viel Rauch ist, wird wohl auch viel Feuer sein. Aber der Indikator ist nur solange als Spur von etwas zu lesen, als er nicht absichtlich erzeugt wird; denn dann zeugt er nur noch von der Absicht, eine Spur zu legen. Wenn ich weiß, dass da hinter den Bergen irgendwo die Ranking-Spezialisten Ausschau halten nach den Rauchzeichen, die ihnen anzeigen, dass das für sie unsichtbare Feuer der Forschung brennt, und wenn ich weiß, dass es für die Rauchzeichen Geld oder Stellen oder sonstwas gibt, das angeblich das Feuer der Forschung weiter schüren soll, dann werde ich – in Entbehrung des Feuers – schon meine Mittel und Wege finden, um ordentlich Rauchzeichen zu erzeugen und die Mittel in meine Rauchzeichen- Erzeugungseinrichtung zu lenken – um so weiterhin den Ranking-Spezialisten zu bestätigen, dass die Mittel an die richtige Adresse gelangt sind. Feuer wurde zwar keins entfacht; aber eine Inflation an Rauchzeichen.“
Der Text von Herr Sesink hat mich ebenfalls sehr angesprochen, warum? Er skizziert die veführerische Metaphorik der Exzellenz und deckt dabei die analoge Struktur, z.B. zwischen Leistungssport und „Leistungsbildung“ auf. Dadurch macht er die Pathologien des gegenwärtigen Rattenrennens sichtbar.
Ich habe zwei Anmerkungen zu machen, eine zum Sport und eine in Form einer offenen Frage.
1. Herr Sesink arbeitet die Analogie zum Leistungssport heraus. Er rekonstruiert den Sport in der Form einer unschönen Fratze: Johlendes Publikum, äußere Anerkennung, Nase-vorn-Brust-raus/Kirmes-Stimmung überall… und in dieser Rekonstruktion sieht er eben die Parallele zu aktuellen Verzerrungen in der Hochschulbildung. Die Fratzen ähneln sich. Ich möchte nun darauf hinweisen, dass hinter dieser Fratze (Leistungssport) auch ein Gesicht steckt, ein Gesicht mit eleganten Zügen und Proportionen. Man hat sich in der Sportwissenschaft viele Gedanken zu einer Philosophie der Leistung gemacht (u.a Güldenpfennig, 2006): „Es geht in der Sinnstruktur sportlich-kulturellen Handelns um ein Streben nach Vollkommenheit, nach Exzellenz (Weiss, 1969), also um eine selbstzweckhafte und primär selbstbezügliche Leistungssteigerung des Sporttreibenden, deren Grenze im nicht-notwendigen, ja zwischen den Kontrahenten freiwillig und einvernehmlich verabredeten Streit ausgetestet werden und so einen spezifischen Weg zur Schaffung von Sportereignissen als eigensinnigen ä s t h e t i s c h e n Werken abstecken, der gleichzeitig verallgemeinert werden kann zur symbolischen und idealtypischen Darstellung und Verkörperung der gleichsam „wissenschaftlichen“ Suche nach den Grenzen des „Menschlich-Menschenmögliche.“ (98-99) Also, die Sportanalogie ist deshalb so gut (und das übergeht Herr Sesink), weil die Entwicklungen der Ökonomisierung im Sport zur gleichen Fratzenbildung beigetragen haben wie im Bereich der Wissenschaft. Beide Bereiche haben einen humanen und bildenden Kern, beide Sinnkerne sind anfällig für Sinnverzerrung oder gar Sinnperversion. Wenn dem so ist, was können wir aus der vorangeschrittenen Kommerzialisierung im Sport (als Gegenmodell) für die Wissenschaft lernen?
2. Herr Sesink skizziert seine Diagnose aus der „Innensicht“, also als Beteiligter, als Akteur, als Hochschullehrer. Er muss zusehen, wie sein „pädagogischer Laden“ geplündert wird. Das Prinzip Hoffnung (gegenüber den vagen Zusagen der Hochschulleitung) und sicherlich auch tausend Kämpfe und Pokale (Ranking) haben sich am Ende nicht gelohnt, so scheint es. So enttäuschend das für Herrn Sesink persönlich ist, so muss der Blick doch nach vorne, aufs Ganze, gehen: was bedeutet das für die nachfolgende Wissenschaftlergeneration von Pädagogen, was bedeutet es für die Idee der Pädagogik im Kontext der Institution Universität? Vor ein paar Wochen habe ich einen Emeritus genau diese Frage gestellt, was er (der Emeritus) heute tun würde, wäre er nochmal jung. Seine Antwort: Ich weiß es nicht! Darin sehe ich die eigentliche Gefahr, dem Kraftloswerden gegenüber den (unvermeitlichen) Entwicklungen.
Also, was kann man tun? „Politischer werden“ wie Rolf Schulmeister fordert (GMW, 2006)? Oder was? Als Einzelkämpfer kommt man in diesem Dschungel jedenfalls nicht weit.
Frank
Hallo Frank,
an sich müssten wir jetzt nicht im Netz miteinander diskutieren ;-), aber ich tus jetzt trotzdem. Die Frage, was zu tun ist, ist entscheidend, denn auf Diagnosen müssen auch Taten folgen – sollte man jedenfalls meinen. Ich denke, Hochschullehrer, die hier was ändern wollen, müssten sich stärker vernetzen. Es gibt genug, die über die aktuellen Entwicklungen den Kopf schütteln, ohne dabei einfach nur „Bologna-Gegner“ zu sein oder in die Vergangenheit zurück zu wollen. Aber wir sind da weder „organisiert“ (was wahrscheinlich auch keiner will – siehe Liebe zur Autonomie) noch besonders gut vernetzt. „Irgendwie“ hat man zwar zueinander mitunter Kontakt, trifft sich auch mal, aber z.B. „vernetzte Aktionen“ erfolgen nicht. Wie die aussehen könnten, kann ich jetzt allerdings auch nicht so genau sagen. Genau darüber sollte man mal „kollektiv“ nachdenken. Bezeichnend jedenfalls ist ja schon mal, dass emotional offenbar ansprechende Themen wie „unser E-Learning-Begriff“ und „mein Blog“ viele Kommentare hervorrufen, kompliziertere Gedankengänge, wie sie in manchen Vorträgen und Aufsätzen stecken zwar auch Leser finden, aber wenige Kommentatoren einladen. Und mal ehrlich: Wie viele Profs bloggen denn? Die Mehrheit der wissenschaftlichen Blogs wird vom wissenschaftlichen Nachwuchs betrieben – fallen die digitalen Medien also als Vernetzungshilfe gar weg? Weil man sich mit so einem Blog einfach auch in hohem Maße angreifbar macht?
Gabi
Lieber Herr Vohle,
ganz richtig: die von mir angesprochene Rhetorik und die von mir herangezogenen Analogien stammen aus dem kommerzialisierten Wettkampfsport. Damit sollten keine Verdikte über den Sport generell ausgesprochen werden. Über den gesellschaftlichen Stellenwert und/oder den humanen Sinn des Sports zu sprechen, wäre ein anderes Thema.
Zum zweiten Punkt: In der Tat gab es eine Koinzidenz zwischen aktueller persönlicher Erfahrung an meiner Uni und den angesprochenen generellen Entwicklungen. Die persönliche Erfahrung sollte illustrieren, was ich im Allgemeinen thematisierte. Wenn es nun umgekehrt so scheinen mag, als ob der Frust über das selbst Erlebte die Motivation für die allgemeineren Überlegungen gewesen wäre, dann wäre das sehr schade. Eine erste Version meiner Überlegungen hatte ich nämlich schon vor 5 Jahren auf einem Symposium an der TUD vorgestellt; und die um sich greifende „Zählulitis“ bei der Bewertung von wissenschaftlicher Leistung motiviert mich schon länger immer wieder zu entsprechenden Kommentaren, auch in Briefen an unsere frühere Hochschulleitung, auf die ich im Übrigen große Stücke gehalten habe.
Der Fokus meines Vortrags war eher analytisch als normativ ausgerichtet. Ich glaube allerdings auch nicht, dass sich die beschriebenen Entwicklungstendenzen durch überzeugende oder aufrüttelnde Vorträge bremsen, aufhalten oder gar umwenden ließen. Eher setze ich darauf, dass die negativen Folgen für die Qualität von Forschung und Lehre sich irgendwann so deutlich erweisen werden, dass dann wieder einmal neu und anders gedacht werden kann und muss, wie es mit den Universitäten weiter gehen soll. Bis dahin muss man die Unter- und Gegenströmungen lebendig und möglichst stark halten; durch das eigene Beispiel, den nicht nachlassenden Einsatz und durch Werbung für eine andere Wissenschaftskultur; durch Publizierung des Einspruchs gegen das, was da geschieht; durch Vernetzung derer, die eine solche andere Wissenschaftskultur aufrecht erhalten und leben wollen.
Aber auch Unter- und Gegenströmungen stehen in Verbindung zum Mainstream; in toten Nebenarmen gibt es gar keine Strömung. Wir müssen uns auf das Spiel einlassen, sozusagen „eintauchen“, wenn wir die Flussrichtung beeinflussen wollen. Verweigerung und Ausstieg scheinen mir daher keine aussichtsreichen Strategien. Gegen Drittmitteleinwerbung, Wettbewerbsbeteiligungen und gutes Abschneiden in Rankings ist ja auch gar nichts zu sagen. Das alles kann man nutzen, um seine Handlungsspielräume zu erweitern – man darf sich nur nicht vom ständigen Schielen danach die Optik aufs Wesentliche verstellen und, was man zu tun gedenkt, auf Zählbares einengen lassen.
Vermutlich würde mein Statement kämpferischer ausfallen, wenn ich nicht kurz vor der Pensionierung stehen würde. Das sei zugegeben. Dennoch wollte ich nicht Resignation verbreiten, sondern eher allen, die ähnliche Sorge umtreibt, zeigen, dass da noch jemand nicht einverstanden ist; und vielleicht ein paar Argumentationshilfen geben.
Werner Sesink
Lieber Herr Sesink,
@Sport: Ja, Sie beziehen sich klar auf den kommerziellen Leistungsport. Hier wirken die von Ihnen formulierten Analogien ja besonders stark, zeigen ihr analythisches Potenzial. Meine Anmerkung war gar nicht kritisch gemeint, sondern bezog sich auf die Ausdehnung der Sportanalogie in Richtung Sport : Leistungssport / Bildung : „Leistungsbildung“.
@“Eintauchen“: Ich habe aus ihren Zeilen in der Tat etwas Resignation herausgelesen. Aber manchmal sagt das mehr über den Leser aus als über den Text. Sie hatten mir ja schon an anderer Stelle mit Verweis auf Winnicott Ihre Grundauffassung mitgeteilt, ich hätte es also wissen müssen. Weil das aber für Nachwuchswissenschaftler so wichtige Einsichten „jenseits der Fachgrenzen“ sind, möchte ich Ihre Sätze hier noch einmal zitieren: „Integration und Subversion, Realitätsprinzip und Kreativität, Bindung und Freiheit, Grenze und Raum usw. – all diese Spannungsverhältnisse sollten nicht nach der einen oder anderen Seite aufgelöst werden (was dann zu Grabenkämpfen, Lagerbildung, jeweiliger Verteufelung der anderen Seite führt: wir sind die Kritischen, Ihr seid die Affirmativen; Ihr seid die Spinner, wir sind die Realisten usw.), sondern in ihrem dialektischen Bezug zueinander ausgelotet werden: Soviel Grenze, dass Raum wahrgenommen werden kann; soviel Bindung, dass wir uns frei fühlen können; soviel Realitätsprinzip, dass unsere Kreativität wirksam werden kann, soviel Integration, dass unsere Subversivität nicht ignoriert werden kann.“ … „Wie weit die Spielräume sind, das hängt auch vom eigenen Mut ab, sie wahrzunehmen. Dabei findet man vielleicht mehr Verbündete oder doch Zustimmung, als erwartet. Geduld und Durchhaltevermögen sind jedenfalls nötig; man darf sich nie entmutigen lassen.“ [Aus: http://www.frank-vohle.de/node/189#comments%5D
Vor allem den letzten Satz nehme ich mit!
Danke und Gruß Frank Vohle