Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Fantasielose Reproduktion von Wissenschaftsritualen

| 9 Kommentare

Eher zufällig bin ich auf einen Beitrag von Ulrich Frank, Wirtschaftsinformatiker, gestoßen, in dem er sich mit der Vernachlässigung wissenschaftstheoretischer Herausforderungen in der Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik auseinandersetzt. Der Beitrag wurde bereits 2003 in der Zeitschrift DBW veröffentlicht und ist hier online zu lesen. Nun kann man sich fragen, was die Wirtschaftsinformatik mit bildungswissenschaftlichen Themen zu tun hat: auf einer formalen Ebene gar nicht mal so wenig, was z.B. der kurze Enzyklopädie-Artikel desselben Autors zur „konstruktionsorientierten Forschung“ zeigt (worauf ich jetzt aber nicht näher eingehe). Als „vernachlässigte Probleme“ werden im Text von 2003 z.B. die Grenzen empirischer Forschung herausgearbeitet und diskutiert, in welchem Verhältnis die aktuelle (und eine mögliche) Wissenschaftskultur zum wissenschaftlichen Fortschritt steht. Diskutiert werden auch die Bedeutung der Praxis in und für die Forschung (eine Diskussion, bei der man durchaus Parallelen zur Bildungswissenschaft ziehen kann) sowie die Folgen der sich vollziehenden Universitäts- und Wissenschaftsreform (Bologna, Exzellenzinitiativen etc.). Spannend sind am Ende des Textes vor allem die drei Thesen von Ulrich Frank zum Thema Wissenschaftstheorie in seiner Disziplin:

  • „Forschungsmethoden sind bedeutsam – und hinderlich“: Bedeutsam sind sie, weil die Reflexion über Designs und Methoden das Selbstverständnis von Wissenschaftlern prägen und in ihrer Anwendung die für Wissenschaft geforderte Systematik sicherstellen. Hinderlich werden sie, wenn „sie bei naiver Interpretation ein schematisches Vorgehen über das Interesse an Erkenntnis stellen und damit kontraproduktiv sind“. Da kann ich nur zustimmen; meiner Ansicht nach passt das auch eins-zu-eins auf die Bildungsforschung.
  • „Der Elfenbeinturm verspricht eine weitreichende Aussicht“, womit gemeint ist, dass Zeit und Muße etwa zur Konstruktion von Leitideen und zur Reflexion von Begriffen keine unnötige Spielerei im hektischen Wissenschaftsbetrieb, sondern umgekehrt geradezu lebensnotwendig sind, um Wissenschaften weiterzuentwickeln. Auch dies würde ich für die Bildungswissenschaft unterstreichen, wobei hier die zum Teil großen Unterschiede (z.B. geisteswissenschaftliche und psychologische Ausläufer) zu beachten sind.
  • „Zu einer alternativen Wissenschaftskultur gehört ein … intellektueller Hedonismus“ als Gegenpol zur fantasielosen Reproduktion von Ritualen an unseren Hochschulen. Frank schlägt hierzu zum einen Rahmenbedingungen in der täglichen Arbeit vor, „die den Genuss wissenschaftlicher Diskurse und die Freude am gemeinsamen Lernen fördern“. Zum anderen verweist er auf „organisierten Freiraum für fruchtbare wissenschaftliche Auseinandersetzungen jenseits der Ablenkungen des Tagesgeschäfts“ etwa auf Konferenzen. Er verweist dabei auf die früheren philosophischen Treffen in Alpach, deren Charakter man sehr schön in den Briefwechseln von Feyerabend und Albert nachvollziehen kann (z.B. hier). Auch die Chancen der digitalen Medien werden von Frank genannt – angesichts des Entstehungsdatums des Artikels also noch VOR dem Web 2.0-Hype (wobei man auch sehen muss, dass sich da Widersprüche ergeben können, z.B. dann, wenn die permanente Online-Erreichbarkeit gerade wieder die soziale Präsenz auf Tagungen stört).

Leider hat Ulrich Frank dieses wissenschaftstheoretische Thema in aktuelleren Schriften nicht weiter vertieft, was ich sehr schade finde. Aber es ist ja auch meine Erfahrung, dass Beiträge dieser Art eher wenig rezipiert werden und vor allem wenig aktiv aufgegriffen werden – das Tagesgeschäft belohnt halt andere Themen einfach wesentlich mehr …

9 Kommentare

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  2. „Nun kann man sich fragen, was die Wirtschaftsinformatik mit bildungswissenschaftlichen Themen zu tun hat“
    Das ist jetzt ein wenig aus dem Kontext des Beitrags gerissen, aber ich kenne einen Wirtschaftsinformatiker ziemlich gut, der sich mit bildungswissenschaftlichen Fragen auseinander setzt 😉

  3. Nein, das habe ich ja auch anders gemeint: Jemand, der nicht so recht weiß, auf welchen verschiedenen Feldern Wirtschaftsinformatiker arbeiten, KÖNNTE jetzt ja skeptisch gegenüber dem Versuch sein, aus Überlegungen seitens der Wirtschaftsinformatik bildungswissenschaftliche Folgerungen zu ziehen. Ich selbst weiß ja, dass es da bezogen auf Gegenstandbereiche wie Lernen/Lehren mit digitalen Medien viele Bezüge gibt. Das ist aber nicht unbedingt so im Fokus der Aufmerksamkeit vieler Pädagogen und Psychologen. Klarer? 🙂
    Gabi

  4. Vielen Dank für den Einblick in diesen Artikel. Man möchte die Aussagen wirklich einfach irgendwo unterschreiben.
    Gestolpert bin ich nur über die Aussage „Der Elfenbeinturm verspricht eine weitreichende Aussicht.“ Ich verstehe, wie er es meint. Aber ich finde, der Begriff „Elfenbeinturm“ passt nicht so gut. Er steht eher für „Weltferne“, und es ist ja gerade die Welt, die wissenschaftliche erforscht wird. Ich würde eher sagen, dass es an den universitären Freiheiten liegt, die einem die Möglichkeit geben, Leitideen zu konstruieren und Begriffe zu reflektieren, und weniger am „Sitzen in der Abgeschiedenheit“.

  5. Das stimmt, das sehe ich inhaltlich auch so. Ich denke, dass Ulrich Frank einfach den in der Öffentlichkeit verbreiteten, eher negativ konnotierten Begriff des Elfenbeinturms bewusst verwenden und zeigen wollte, dass dieser „Turmmetapher“ auch was Positives anhaften kann.

  6. Ja, klarer! Ich wollte das auch lediglich unterstreichen: Es ließe sich nicht nur ein Bezug zwischen den Disziplinen herstellen, sondern es gibt auch tatsächlichLeute, die sich in beiden Feldern tummeln.

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