Im Blog unseres HUL-Forschungskolloquiums kann man hier nachlesen, mit welchem neuen Format wir Ende September experimentieren wollen: „Impulsgeber“ der gemeinsamen Kolloquiumssitzung am 29. September 2017 (13.00 bis 16.00) ist eine wissenschaftliche Literaturquelle, nämlich: die gesammelten Aufsätze des polnischen Mediziners und Wissenschaftstheoretikers Ludwik Fleck [Fleck, L. (1983). Erfahrung und Tatsache. Gesammelte Aufsätze. Frankfurt am Main: Suhrkamp]. Mehr zum Konzept und zur Idee, die dem zugrunde liegt, findet sich in diesem Artikel hier.
Für alle, die sich dazu entschlossen haben, bis Ende September Ludwik Flecks „Erfahrung und Tatsache“ zu lesen, ist es allerhöchste Zeit, zumindest mal mit der Einführung von Lothar Schäfer und Thomas Schnelle zu beginnen.
Unter dem Titel „Die Aktualität Ludwik Flecks in Wissenschaftssoziologie und Erkenntnistheorie“ geben die Herausgeber dem Leser in der Einleitung einen aus meiner Sicht guten Überblick über biografische Besonderheiten, die mir selbst sehr geholfen haben, die chronologisch geordneten Texte zu verstehen. Flecks Arbeiten werden hier in drei Phasen eingeteilt:
In der vorbereitenden Phase befinden wir uns in den 1920er Jahren. Flecks zentrales Thema ist die „Relativierung der Wirklichkeit“ (S. 17). Sein Ausgangspunkt ist das ärztliche Denken und das, so Fleck, ist sehr pragmatisch: Medizinisches Erkenntnisziel sei nicht in erster Linie, Wissen zu erweitern, sondern Krankheiten zu beherrschen. Dabei sei das ärztliche Wissen in einem ständigen Fluss (S. 13 f.). Fleck wagt sich dann auch in die Naturwissenschaften generell vor, generalisiert also seine Überlegungen aus der Medizin und kommt bereits zu dem, was sich durch alle Aufsätze in verschiedener Form zieht: zum Denkstil im Erkennen.
Das Hauptwerk sehen die Autoren der Einleitung in den 1930er Jahren. In dieser Zeit erarbeitet Fleck sozusagen eine soziologische Erkenntnistheorie (und nicht erst Thomas Kuhn). Zentral wird nun das Konzept des Denkkollektivs. Man erfährt hier, welche Philosophen Fleck offenbar beeinflusst haben und wie sich sein Denken sowie die Konzepte vom Denkstil und Denkkollektiv allmählich entwickelt haben.
Als dritte Phase werden die Nachkriegsjahre gesehen. Hier skizzieren die Autoren der Einleitung Flecks Erfahrungen aus dem KZ. Trotz der durchweg knappen und nüchternen Darstellungen bin ich an diesen Seiten hängen geblieben – auch emotional, denn es ist kaum vorstellbar, unter welchen Bedingungen es Menschen offenbar schaffen, weiterzumachen und sich noch dazu mit wissenschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen. Flecks eigene Geschichte wird geradezu zu einem Nachweis für seine soziologischen Konzepte von Wissenschaft und Forschung.
Die Einleitung, so meine Einschätzung, ist alles in allem eine gute „Lesehilfe“. Die Lektüre der ersten knapp 30 Seiten lohnt sich also!
2 Gedanken zu „Ludwik Fleck – die Einleitung als Lesehilfe“