Forschungswerkstatt ohne mich

Ja, also geärgert habe ich mich nun schon genug, dass die Forschungswerkstatt, die ich zusammen mit Peter Baumgartner geplant hatte, am vergangenen Wochenende (wegen Krankheit) in Wien ohne mich stattfinden musste (hier die Ankündigung). Dabei wäre es doch MEIN Thema gewesen – das heißt, es hat die Frage nach verschiedenen Wegen der Erkenntnis in den Bildungswissenschaften zum Gegenstand gehabt. Und dieses Thema treibt mich ja schon länger nicht nur aufgrund abgelehnter Forschungsanträge um ;-), sondern auch, weil es unser tägliches Tun (neben der Lehre) unmittelbar berührt.

Die Forschungswerkstatt richtet sich vor allem an die Doktoranden im Umkreis an Peter. Doch seine Grundidee ist die, jede Forschungswerkstatt mit einem Partner zu machen (vor einiger Zeit war das Christian Kohls zu „Pattern-Theorien“) und die Zielgruppe dann auch für andere zu öffnen – u. a. für die, die dann eher aus dem Umkreis eben des Workshop-Partners kommen. Das war auch diesmal so:

Mandy, Silvia, Tamara und Tobias (nicht mehr, aber früher Augsburg) bildeten diesen Kreis. Das Thema war schwierig für eine Forschungswerkstatt, das habe ich schon bei der Vorbereitung gemerkt: Sobald man auf eine Metaebene der Diskussion kommt, kann das Interesse der Teilnehmer schnell schwinden, denn leider ist die Einstellung verbreitet, dass dieses Thema (Was ist wissenschaftlich? Was ist empirisch? Wie kommt man zu Erkenntnis und wie nicht? Etc.) zu abstrakt sei und mit dem täglichen Tun nicht viel zu tun habe. Ich denke, das ist ein großer Irrtum: Es ist die Hintergrundfolie, vor der wir arbeiten, unsere Projekte planen, Anträge schreiben und andere bewerten. Auf dieser Hintergrundfolie finden sich zahlreiche Prämissen, die manchmal viel Konsens haben, oft genug aber unreflektiert übernommen und dann als „Wahrheit“ abgespeichert und nicht mehr in Frage gestellt werden. Ein solches Vorgehen mag in Kontexten wir dem Straßenverkehr durchaus funktional sein. In Kontexten wie der Wissenschaft aber ist das ein Risiko, weil Ideologien entstehen, denen Wissenschaft ja genau etwas Tragfähiges entgegensetzen sollte.

Die ersten Reaktionen auf die Forschungswerkstatt (z.B. hier und hier) kommen zu einer positiven Gesamtbilanz: Ertragreich scheint vor allem der gegenseitige Austausch zu sein. Die eben angesprochene Metadiskussion aber war wohl doch nicht so einfach anzukurbeln – keine Ahnung, ob es mir gelungen wäre. Ich hoffe nun, es gibt Gelegenheiten, dieses Thema anderweitig mit Nachwuchswissenschaftlern weiter zu verfolgen. An der Stelle aber noch einmal einen großen Dank an Peter, dass er es alleine durchgezogen hat!

Sie wollen Tools, Techniken und Tricks

Also es ist jetzt nicht gerade eine Neuigkeit, denn dass die Abschiedsvorlesung von Friedemann Schulz von Thun hier online zugänglich ist, wurde schon auf vielen Blogs verbreitet. Um sich diese ganz anzuhören, muss man aber schon ein bisschen Zeit mitbringen (oder sie sich nehmen) und dazu bin ich erst heute gekommen. Ich habe es nicht bereut!

So stellt man sich eine Abschiedsvorlesung vor! Wie oft bekommt man eine solche zu hören? Ich würde mal sagen: Nicht oft. Da wird Biografisches mit inhaltlichen Erkenntnissen verknüpft, es werden Anekdoten aus dem universitären Alltag berichtet, aber auch Schlüsselerlebnisse für den eigenen Werdegang geschildert und geschickt mit Botschaften aus dem eigenen Forschungsgebiet verbunden. An manchen Stellen wird fast ein bisschen (locker verpackte) Wissenschaftsgeschichte hörbar, gepaart mit Selbstkritik, denn natürlich kann wohl jeder Wissenschaftler mit Blick zurück seine Irrwege oder ein noch fehlendes Verständnis feststellen – nur machen es nicht viele, obschon es doch so lehrreich ist.

„Sie wollen Tools, Techniken und Tricks“, sagt Schulz von Thun etwa von den Unternehmensvertretern. Er sagt es mit leiser Ironie in der Stimme, um dann sogleich Verständnis zu zeigen, denn die eigene Professionalität verlange es eben, praktisch einsetzbare Instrumente zu kennen und zu nutzen. Und dann kommt er auf die „Entwicklung des inneren Menschen“ zu sprechen und bringt später auch ein persönliches Beispiel: den zermürbenden Umgang mit marxistischen Gruppen in den Hörsälen der 1980er Jahre (die ich in meinem Studium auch noch beobachten, aber damals überhaupt nicht einordnen konnte). Fast schon bewegend schildert er, wie er sich in der Auseinandersetzung mit diesen Gruppen von außen betrachtet acht Jahre lang – man könnte sagen – „tapfer geschlagen“ hat und wie sehr es ihn doch im Inneren nicht nur zermürbt, sondern verletzt hat – am Rande zum Burnout.

Schulz von Thun erzählt (zu diesem Thema siehe auch hier) – man hört ihm zu und die 100 Minuten, die er spricht, wirken nicht ermüdend. An vielen Stellen unterhält er seine Zuhörer, blickt mit Witz und Humor auf sich, seine Kollegen und auch die Sache, die ihn bis heute begeistert. Aber er hat durchaus auch inhaltlich etwas zu sagen – sehr dosiert, aber dafür scheinen ihm die ausgewählten diese Botschaften sehr wichtig zu sein: allem voran die Stimmigkeit – ein Konzept, von dem er befürchtet, dass man es unterschätzt und angesichts der Popularität seines „Vier-Ohren-Modells“ als „Oberideal“ vergisst. Gemeint ist die Stimmigkeit zwischen Innen und Außen, zwischen Selbstbewusstsein und Systembewusstsein.

Es ist freilich keine „normale Vorlesung“; es ist eine Abschiedsvorlesung, in der man sich nicht genötigt fühlen muss, besonders viele Inhalte zu vermitteln. Trotzdem kann man an dieser erkennen, was Schulz von Thun auch in seiner Rede (das ist vielleicht der bessere Begriff) an einer Stelle sagt, nämlich, dass man die Menschen bewegen muss, wenn man ihnen etwas vermitteln will. Die große Frage ist, wie man sie bewegen kann und diese Rede zeigt, dass man dazu keine lauten Effekte braucht. Es genügt die eigene Begeisterung für eine Sache, die authentische Darstellung und Sensibilität für das Publikum. Wenn man das am Ende seiner Laufbahn so hinbekommt, dann darf man sich vielleicht ein bisschen auf die Schulter klopfen, ohne sagen zu müssen: „In meiner Haut möchte ich nicht stecken“ (Schulz von Thun, 2009).

Die vermeintliche Politikferne der Wissenschaft

Niels Taubert vom Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT) an der Universität Bielefeld hat mir in einem Kommentar auf den Blogbeitrag „Den Jackpot knacken“ einen höchst interessanten Linktipp auf einen Text von Stefan Hirschauer mit dem Titel „Die Innenwelt des Peer Review. Qualitätszuschreibung und informelle Wissenschaftskommunikation in Fachzeitschriften“ (aus dem Jahr 2002) gegeben, für den ich mich an der Stelle noch einmal herzlich bedanke. Der (soziologische) Beitrag beschäftigt sich mit der Forschung zum Peer Review, gibt einen Überblick über bisherige empirische Strategien und setzt sich kritisch mit den bislang gestellten Fragen wie auch Methoden auseinander. Ich habe darin viele mir bereits aus einigen anderen Texten bekannte Erkenntnisse zum Peer Review gefunden, aber auch eine ganze Reihe neuer Einsichten vor allem zur Forschung zu diesem Thema selbst. So weist der Autor z.B. darauf hin, dass man im Zuge von Reliabilitätsüberprüfungen von Gutachten im Peer Review durchaus einmal die Frage stellen sollte, ob Gutachterübereinstimmung denn überhaupt Zweck eines Peer Reviews sein kann. Zudem wird aufgedeckt, dass es auf der Ebene der Herausgeberentscheidungen in Zeitschriften fast gar keine empirischen Erkenntnisse gibt. Eine der Hauptaussagen des Textes aber ist, dass es in der Peer Review-Forschung ein paar gravierende Schwächen gibt, die zum einen mit der Erwartungshaltung (und den damit verbundenen Prämissen im Kontext des Peer Review) und zum anderen mit dem Theoriedefizit dieser Forschung zusammenhängen. Bemängelt werden auch methodische Vorgehensweisen etwa bei Reliabilitätsmessungen oder auch bei Inhaltsanalysen von Gutachten. Hitschauer plädiert vor diesem Hintergrund dafür, bisherige meist nur quantitative Forschungsmethoden durch qualitative zu ergänzen. Am Ende des Beitrags fasst Hirschauer seine Position zusammen, die ich an der Stelle gerne ausführlicher zitieren möchte, weil sie meiner Ansicht nach ein paar ganz zentrale Punkte sehr prägnant auf den Punkt bringt:

„Ich habe eingangs festgestellt, daß der Peer Review nicht nur ein wissenschaftsinternes Instrument ist, er wird auch zur externen Evaluation von Forschung (in Finanzierungsfragen) instrumentalisiert. Dies kann auf zwei Weisen problematische Effekte im Sinne einer Fehlsteuerung von Mitteln haben. Zum einen auf Seiten der Rezeption von Gutachten: Außerhalb der Wissenschaft werden Gutachten tendentiell nicht mehr als Äußerungen-im-wissenschaftlichen-Meinungsstreit aufgefasst, sondern als autoritative Expertenäußerungen ‚der Wissenschaft‘ und diese Verkürzung gelingt umso eher, je geringer die Zahl der Gutachter (d.h. je geringer die Dissenschancen). Zum anderen können solche Erwartungen der Politik auch entsprechende Sprecherpositionen in der Wissenschaft hervorbringen. Eben dies scheint das Gros der Peer Review Forschung wie auch der quantitativen Wissenschaftsevaluation zu bestätigen: Wenn etwa Dissens als ‘Random’ gilt, übernimmt eine für Zwecke politischer Evaluation eingesetzte Wissenschaftsforschung ein Fremdstereotyp von Wissenschaft – daß diese sicheres und objektives Wissen generiere – in ihre Selbstbeschreibung. Diese bestätigt dann wiederum die Erwartungen (und Hoffnungen) der Politik, daß Wissenschaft politikferner sei als sie es tatsächlich ist; daß es in ihr nicht auch um Öffentlichkeit und das Gelingen von Kommunikation, um Diskursivität und um Politik ginge: um Parteilichkeit und ihre Neutralisierung durch Verfahren, die Legitimität für hierarchiebedürftige Entscheidungen unter Gleichen beschaffen müssen.“ (Hirschauer, 2002, S. 20)

Teil des Establishments

Ehrliche Worte über die Tätigkeit eines Professors und die seit Jahren sich einschleichenden Veränderungen kann man von Peter Baumgartner an diesem Wochenende in seinem Blog lesen (nämlich hier). Manch einer mag geneigt sein, Peters Eintrag als vorwinterliche Depression und unnötige Klage („habt ihr es als Profs nicht schön genug?“) abzutun, aber das wäre wohl mehr als voreilig. Natürlich gibt es in jedem Beruf Höhen und Tiefen, Erfolg und Frustration und angesichts der Tatsache, dass viele Dinge in unserer Gesellschaft von Umwälzungen erfasst sind, ändern sich auch Berufsbilder. So dann also auch das des Hochschullehrers und Wissenschaftlers. Was – so könnte man fragen – sollte daran so schlimm sein? „Immer mehr werden wir Professoren zu artfremden Tätigkeiten verpflichtet“ – so Peters Einstiegsargument. Und weiter: „Wir haben immer weniger Zeit für inhaltliche Arbeit und müssen im Rahmen der viel gerühmten Autonomie der Universitäten immer mehr Verwaltungs- bzw. Leitungstätigkeiten übernehmen.“ Die Folge davon: „Verarmung von Forschungstätigkeiten“. Ich kann das nur mehrfach unterstreichen: Es ist mitunter ein Rattenrennen, das man da veranstaltet, und nicht nur ein Beitrag in meinem Blog beschäftigt sich mit dem alltäglichen Wahnsinn: angefangen bei der Verwaltung (Bsp.) über eigenes Projekt- und Forschungsmanagement (Bsp.) bis zur Forschungsförderung (Bsp.) – und das Ganze eingebettet in politisch als Heil daherkommende Reformen von Wissenschaft, Lehre und Forschung. Nur: Das ist – da stimme ich Peter zu – sicher keine „normale“ Veränderungen, die man halt hinnehmen sollte und die vielleicht ein bisschen unangenehm für die Betroffenen sind. Da ist ein Umbau unserer Forschungs- und Bildungslandschaft im Gange und das, was Peter beschreibt, sind die Symptome, die man dann eben als Professor ganz stark spürt. Nun mag es Professoren geben, die in diesem Punkt in ihrem Elemenet sind, die sich eben sowieso hin zu einem Forschungsmanager entwickeln wollen. Vielleicht brauchen wir solche auch – aber soll das der Endpunkt jeden Professors sein? Laufen wir da nicht Gefahr nur noch „Nachwuchsforschung“ mit Qualifizierungscharakter zu produzieren? Oder ist es gewollt, das man uns am Nachdenken hindert (weil vielleicht was dabei herauskäme, was kritisch – zu kritisch – ist?). Von daher kann man nur warnen, Darstellungen wie die von Peter als „persönliches Klagelied“ zu individualisieren.

Frank hat ein tolles T-Shirt, auf dem steht: „Jammern hilft nicht“. Das stimmt und umso interessanter sind Peters Reflexionen darüber zu lesen, was man denn tun kann, um zu den genuinen Aufgaben eines Professors (der sich immerhin der Forschung und Lehre verpflichtet hat) zurückzukehren: Rückzug aus den Gremien? Lockerung der zeitintensiven Netzwerke? Reflexion der eigenen Rolle im „Establishment“? Verzicht auf die Quick Wins und stattdessen Freude an einem neuen Buch (Achtung Peter: Bücher zählen nicht mehr – denk an den Impact!)? Das mag alles noch gehen – aber wenn man dann z.B. das Engagement einstellt, den „Jackpot“ bei der nächsten Förderrunde zu gewinnen, und den Nachwuchsleuten sagen muss „Sorry, kein Geld da“, geht’s plötzlich nicht mehr nur um den eigenen Seelenfrieden … das ist schwer. Ja, da mangelt es also noch an Strategien. Wahrscheinlich sind wir als Professoren schon so an die Autonomie gewohnt, dass wir stets meinen, jedes Problem allein lösen zu müssen … könnte auch ein Teil des Problems sein.

Peter zitiert am Ende Wittgenstein: „Ich glaube, einen Philosophen, einen der selbst denken kann, könnte es interessieren, meine Noten zu lesen. Denn wenn ich auch selten ins Schwarze getroffen habe, so würde er doch erkennen, nach welchen Zielen ich unablässig geschossen habe.“ Hmm – also ich weiß nicht, ob wir uns damit zufrieden geben sollten, uns wenigstens bemüht zu haben. Ganz so pessimistisch bin ich NOCH nicht …

Wo sind die Alternativen?

Ich muss doch nochmal zurückkommen auf die durch die GMW-Tagung 2009 angestoßene Diskussion zum Begriff des E-Learning (Näheres zum Ausgangspunkt dieser Diskussion siehe hier). Wolfgang Neuhaus hat (hier) versucht, die Diskussion aus seiner Sicht noch einmal zusammenzufassen und seine Position zu formulieren.

Zunächst einmal sehe ich mich unter Punkt 1 falsch interpretiert. Da heißt es: „Sie (also ich) plädiert dennoch ausdrücklich dafür, am E-Learning-Begriff festzuhalten, weil sie den Begriff des Lernens – hinsichtlich seiner Interpretation durch Lehrende – für genauso unpräzise hält wie den Begriff des E-Learnings.“ In der Diskussion zu meinem Beitrag habe ich noch einmal klar gestellt, dass man Begriffsdefinitionen innerhalb einer Fach-Community einerseits von der Begriffswahl bei der Kommunikation in Praxiskontexte und damit auch bei der Implementation andererseits auf jeden Fall unterscheiden sollte. Es ist keine neue Erkenntnis, dass man wissenschaftliche Ergebnisse in Form von Erkenntnissen, Konzepten oder auch Produkten in der Praxis anschlussfähig und kontextsensibel beschreiben und umsetzen sollte. Dass sich dafür Fachsprachen nicht immer eignen oder unerwünschte Konnotationen hervorrufen, wissen wir. Dass man das vermeiden sollte, darin haben wir Konsens. Und genau in diesem Punkt haben die meisten Gudrun Bachmann in ihrem Plädoyer für die „Abschaffung des E-Learning-Begriffs“ wohl auch zugestimmt. Davon zu trennen aber ist doch die interne Diskussion, die Theorie und Empirie zum Lernen mit digitalen Medien.

Und damit komme ich zu meinem zweiten Einwand: Ich kann nicht verstehen, wie man behaupten kann, Lernen sei ein wissenschaftlich eindeutig definierter Begriff und zwar unabhängig von der paradigmatischen Richtung der Definition (Abschnitt 2 im Beitrag von Neuhasu). Das Verständnis davon, wie Menschen lernen, unterscheidet sich doch wohl gewaltig oder ist es plötzlich egal, ob ich mir Lernen analog zur technischen Informationsverarbeitung, als Assoziation von Reizen und Reaktionen oder als selbstorganisierte Konstruktion vorstelle? Ich würde ja schon sagen, dass dies die Förderpraxis beim Lernen und die Haltung von Lehrenden in hohem Maße beeinflusst. Erstaunt hat mich dann vor allem die Festlegung auf ein Lernverständnis, dass die beobachtbaren Verhaltensweisen ins Zentrum rückt (Zitat: „Mit Lernen bezeichnen wir immer eine Verhaltensänderung des Menschen“): Hat nur gelernt, wer beobachtbar eine Aufgabe anders bewältigt? Hat nicht gelernt, wer zu einer neuen Erkenntnis gelangt ist, die ihm hilft ein Problem in einem anderen Licht zu sehen – auch wenn er selbst es niemals beobachtbar für andere lösen wird (z.B. ein politisches Problem)? Wollen wir uns wirklich auf so einen engen und recht mechanistischen (keinesfalls wohl humanistischen) Lernbegriff einigen? Nein, da bin ich nicht dabei. Im Kompetenzbegriff sehe ich hier übrigens alles andere als eine gelungene Alternative: Ich melde mich sofort für eine Community, die den Kompetenzbegriff abschaffen will (Genaueres zu dem Wirrwarr an anderer Stelle, nämlich hier).

Noch ein Einwand zu dem Satz „Natürlich ist der Streit um Begriffe nur ein Nebenkriegsschauplatz“ (Punkt 4). Natürlich? Ich neige manchmal auch zu einem genervten „Nenne es doch, wie du willst, wenn du nur die Idee kapiert hast“. Aber das sagt sich so leicht. Können wir nicht oft beobachten, wie sich Menschen an Begriffe klammern, die dann ein Feld von Konnotationen verbreiten, das sich ab einem bestimmten Zeitpunkt individuell oder gar kollektiv nicht mehr revidieren oder erweitern oder eingrenzen lässt – und wenn man noch so viele Richtigstellungen unternimmt? Aus der Sicht der Bildungspraxis haben wir da also keineswegs einen Nebenkriegsschauplatz. Und aus der Sicht der Wissenschaft ist ein Streit um Begriffe aus meiner Sicht notwendig. Vielmehr ist es eine Frage, wie dieser Streit ausgetragen wird und welche Ziele man erreichen will. Dass es da dann auch Sackgassen geben kann, die man besser wieder verlässt und einen neuen Weg sucht, der auch weiterführt, will ich nicht bestreiten. Aber keinesfalls dürfen wir den Streit um Begriffe begraben. Wir würden ein wichtiges Element der Wissenschaft verlieren – das kann man nicht ernsthaft fordern.

Am Ende frage ich mich: Hätte denn jemand für die Fach-Community (nicht für die Praxis) eine sinnvolle Alternative für den Begriff des „E-Learning“? Viele (ich auch) verwenden den Begriff nur als Dach/Sammelbegriff für das Lernen und Lehren mit digitalen Medien, den es dann ohnehin jeweils zu spezifizieren gilt. Vielleicht gibt es ja einen besseren Sammelbegriff – aber wo ist der? Ist es sinnvoll, dass wir uns stattdessen als Hochschuldidaktiker bezeichnen? Kann ich mir nicht vorstellen, weil es dagegen ebenfalls Aversionen gibt (ist eher wieder das Praxisargument) und weil es zweitens den Kontext einschränkt (was ist mit Schule, Freizeit, Arbeitsplatz und Weiterbildung?). Der Vorschlag mit der Allgemeinen Didaktik kann nicht ernst gemeint sein, wenn man sich Historie, Ziele und Besonderheiten der deutschen Allgemeinen Didaktik ansieht. Also: Wo sind die Alternativen?

Doch keine Prosumenten?

Viele Studien (JIM-Studie, HIS-Studie zum Studierendenverhalten) kommen zu dem Schluss, dass selbst die netzaffinen Bevölkerungsgruppen (jung, hoher Bildungsgrad) keine überwältigenden „Produzenten“ in der Netzwelt sind, also z.B. Blogs schreiben, sich an Wikis beteiligen, Bookmarks öffentlich machen etc. Eine jetzt bei eleed veröffentlichte Studie mit Nachwuchswissenschaftlern (online hier abrufbar) kommt zu dem Schluss, dass es mit der aktiv-konstruktiven Nutzung des Web 2.0 auch im Wissenschaftsbetrieb nicht so weit her ist: „In unserer Studie konnten wir zeigen, dass auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Web 2.0 zurzeit noch hauptsächlich als Recherche-Tool und damit eher passiv nutzen“, heißt es im Fazit nach Darstellung der Befragungsergebnisse von immerhin 2361 Doktoranden. Auffällige Unterschied zwischen Fach und Geschlecht gibt es bei den Ergebnissen nicht, die durchaus Parallelen zu anderen Online-Studien mit anderen Bevölkerungsgruppen aufweisen, wenngleich auf einem höheren Nutzungsniveau. Interessant, aber nicht erstaunlich: Nur 3 % der Befragten geben an, in einem eigenen Blog über wissenschaftliche Themen zu schreiben.

Eine Generalisierbarkeit der Resultate auf „die“ Wissenschaft erscheint mir allerdings nicht gerechtfertigt: Immerhin konzentriert sich die Studie auf den wissenschaftlichen Nachwuchs. Professoren wurden nicht befragt; na ja, viele hätten wohl gar nicht geantwortet. Selbstreflexion auf dieser Ebene ist – das fürchte ich – nicht so gefragt: Vor zehn Jahren gab es an der LMU München mal den Versuch, eine interdisziplinäre Forschergruppe zum Wissensmanagement aufzubauen, was aber leider nicht geklappt hat: Immerhin aber waren wir schon so weit, dass jeder Fachbereich eine Projektidee entwickelt hatte. Für unseren Fachbereich hatte ich mich für die Idee stark gemacht, das Wissensmanagement in dieser Forschergruppe zu untersuchen. Das war allerdings nicht durchzusetzen: Zu groß war wohl die Sorge, wie diese Ergebnisse am Ende aussehen würden.

Es kommt auf einen Versuch an

„Ich setz mal eine Community auf“ – so lautete Christian Spannagels Abschlusskommentar in einer kleinen Diskussion anlässlich meines Blogbeitrags „Schon schade“, in dem ich ein bisschen herum maulte, dass gegenseitige Reviews unter Wissenshaftlern nicht optimal funktionieren, vor allem dann nicht, wenn sie nicht in ein offizielles Zeitschriften-Review eingebunden sind. Und das ist das Schöne an den neuen Web 2.0-Anwendungen, dass vom Reden zum Tun keine so große Hürde mehr liegt (wenn tatkräftige Nutzer hinzukommen): Seit kurzem gibt es dank Christians rascher Umsetzungsbereitschaft die besagte Community, die wir nun versuchen, auch mit Leben zu füllen: „(Bildungs-)Wissenschaftler 2.0“.

Ziel ist es, gerade nicht nur den Nachwuchs, sondern auch etablierte Wissenschaftler aus unserem Bereich zu ermuntern, einen etwas offeneren Austausch zu erproben. Wir haben dazu an sich nur ein paar Grundsätze formuliert und eben die „Vision“, auf diesem Wege einen alternativen Review-Prozess anzustoßen. Ich weiß, dass es ein Wunsch bleiben KÖNNTE, denn bestehende Systeme, die ja auch eine gewisse Anreizstruktur haben (Anerkennung in Bewerbungsprozess und in der Fach-Community), sind schwer zu ändern. Natürlich muss man unsere Ansichten zu diesem Thema nicht teilen; es geht nicht darum, dass wir es besser wüssten und andere bekehren wollten. Es geht auch NICHT darum, andere Formen des Reviews abzuschaffen – aber warum nicht mal mit verschiedenen Dingen ernsthaft experimentieren? Ich jedenfalls finde es bereichernd, was Neues auszuprobieren, auch wenn ich nicht weiß, ob es gelingt. Ich denke, man muss es testen, wofür genau, in welchem Umfang, mit wem etc. eine solche Form des Review-Prozesses fruchtbar ist. Nur machen muss man es, um sich ein echtes Urteil bilden zu können. Also: Wer macht mit? Der Profesorentitel sollte kein Hindernis sein – im Gegenteil 🙂 (zum Thema siehe auch Christians Blog-Beitrag hier)

Schon schade

Seit einiger Zeit stelle ich Vortragsmanuskripte, Preprints, aber auch erste Arbeitspapiere als Vorstufe etwa von Vorträgen oder Artikeln online – oft in der Hoffnung, dass vielleicht zu dem einen oder anderen Thema ein Austausch auf Augenhöhe (also auch unter Wissenschaftlern und Hochschullehrern) stattfindet: etwa beim Thema empirische Bildungsforschung (Vorüberlegungen hier, letztendlicher Text hier) oder – wie vor kurzem – bei Fragen der Didaktik (Vorüberlegungen zu einer pfadabhängigen Didaktik hier – daraus soll natürlich noch mehr entstehen). Das klappt aber (noch) nicht, obwohl es – theoretisch zumindest – eine gute Möglichkeit wäre, außerhalb des klassischen Peer-Reviews gegenseitige Kritik und Stellungnahmen auszutauschen.

Manchmal versuche ich das auch direkt – indem ich einen anderen Wissenschaftler bitte, einen Beitrag kritisch zu lesen und Rückmeldung zu geben. Das funktioniert ab und zu, aber auch nicht immer. Irgendwie ist da die Scheu offenbar groß, denn ich glaube nicht, dass es wirklich immer Zeitargründe sind, die das verhindern – jedenfalls nicht, wenn es sich um Texte handelt, deren Umfang z.B. unter 20 oder 15 Seiten liegt. Es widerspricht wahrscheinlich eher der Karrierelogik, nach der man vor allem das tut, was einen selbst voranbringt – und ein gutes und durchdachtes Feedback bringt auf den ersten Blick ja nur den anderen voran. Ich bin allerdings überzeugt davon, dass man als Feedbackgeber auch selbst eine Menge dazulernt und durchaus einen persönlichen Nutzen hat. Also: Ich weiß letztlich nicht, woran es liegt. Vielleicht ist es auch Gewohnheit, es gibt keine Kultur dafür. Ich habe stets versucht, das zumindest unter den Mitarbeitern anders handzuhaben, und ich habe den Eindruck, dass da ein reger Textaustausch mit Feedback stattfindet. Aber wenn man mal den Professorenstatus hat, scheint das anders zu werden.

Schon schade! Mit Blick auf die Qualität der Wissensgenerierung hätte ein solcher Austausch bei der Genese von Texten nämlich viele Vorteile. Und wenn man mal einen besonders engagierten Feedbackgeber hat, der dann plötzlich eigene Ideen beisteuert, könnten sich daraus ja Co-Autorenschaften entwickeln. Aber genau hier liegt vielleicht der Knackpunkt bzw. der potenzieller Streitpunkt: Ab wann ist das der Fall? Das ist übrigens ein ganz klassisches Problem beim Wissensmanagement: Das Geben fällt schwer, weil der Nutzen nicht genau kalkulierbar ist, und ein Risiko verbleibt, mehr zu geben als zu bekommen.

Wissenschaft 2.0?

Unter dem Titel „Forschen und Lehren in der Öffentlichkeit“ hat Christian Spannagel vor knapp zwei Wochen in Hamburg einen Vortrag in der Ringvorlesung „Medien und Bildung“ gehalten. Dabei hat er ein aus meiner Sicht sehr spannendes Thema aufgegriffen, das an anderer Stelle (nämlich hier) auch als „Öffentliche Wissenschaft“ bezeichnet wird. Ich habe mir Christians Vortrag angehört, dann auch dank Googles verwerflicher (?) Digitalisierungswut in Peter Faustichs Herausgeberband „Öffentliche Wissenschaft“ herumgeblättert und mir ein paar Gedanken dazu gemacht. Ich komme momentan auf mindestens fünf verschiedener Lesarten bzw. Intentionen von „öffentlicher Wissenschaft“:

  • Erstens kann der klassische Wissenstransfer als Ziel im Fokus stehen, also der Versuch, wissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis nutzbar zu machen, wofür es natürlich zahlreiche Wege gibt: von der wissenschaftlichen Weiterbildung bis zur Wissenssendung.
  • Zweitens kann man primär den öffentlichen Zugang im Sinne von Open Access im Blick habe, wenn man für eine öffentliche Wissenschaft plädiert – mit allen Streitpunkten, die wir dazu aktuell haben.
  • Drittens kann man (wenn auch verknüpft mit dem ersten Punkt) vor allem die persönliche Bildung durch Wissenschaft anstreben – und das eben nicht nur bezogen auf Studierende, sondern auch bezogen auf alle anderen interessierten Bürger, die über die Beschäftigung mit Wissenschaft ihren Horizont erweitern.
  • Viertens – und jetzt kommen wir zu dem, was Christian allem voran vorschwebt – kann man eher eine „partizipative Wissenschaft“ , also vielleicht eine Wissenschaft 2.0, als Ziel einer öffentlichen Wissenschaft definieren: Interessanter Weise wird hier von Christian der „mode 2“ ins Feld geführt, was Erinnerungen in mir wach ruft, nämlich z.B. die Rede von Franz Weinert zu Heinz Mandls 60. Geburtstag. In dieser Rede (die es leider nirgends schriftlich gibt) drückte Weinert sowohl seine Skepsis gegenüber dieser partizipativen Form der „Wissensproduktion“ aus als auch seine Hochachtung vor Mandl, der es immer verstanden habe, solche neuen Trends mit der klassischen Grundlagenforschung zu verknüpfen.
  • Fünftens gibt es immer mehr Leute, die meinen, „öffentliche Wissenschaft“ heiße vor allem öffentlichkeitswirksames Wissenschaftsmarketing. Nun sind die Grenzen zwischen informativen und motivierend gemachten Darstellungen von Wissenschaft und Forschung auf der einen Seite und anbiedernder Exzellenz- und Qualitätsrhetorik im Hochglanzformat auf der anderen Seite sicher fließend und von mir aus kann eine „MS Wissenschaft“ auch mal eine Zeitlang durch die Flüsse schippern. Aufpassen aber muss man da schon, dass man wissenschaftliches Denken und Handeln nicht nur als Unterhaltensangebot und Anreiz für mögliche Sponsoren nutzt, sondern als ernst zu nehmende Chance zur technischen, wirtschaftlichen UND kulturellen und humanen Weiterentwicklung von Gesellschaften … und als Wert an sich.

Nächsten Dienstag (am 9. Juni) bin ich übrigens auch in Hamburg – mein Thema dreht sich aber um eine andere Frage, nämlich um die Herausforderung des forschenden Lernens.

Geld oder Aufmerksamkeit?

Vielen Dank an Joachim, der in seinem Blog (hier) auf einen Beitrag von Hubertus Kohle zum Thema Open Access und der vor einigen Wochen in vielen Zeitungen dargestellten Streitfrage hinweist, ob das Einscannen von Büchern etwa durch Google einem Kulturkrieg gleichkommt. Der Text trifft die Problematik aus meiner Sicht auf den Punkt und bezieht klar Stellung zu den verschiedensten Angriffen auf einen offenen Zugang speziell zu wissenschaftlichen Inhalten. Ich hatte mich schon Anfang April über einige Beiträge etwa in der ZEIT geärgert (z.B. von Susanne Gaschke, die aber überhaupt ganz offensichtlich einige Probleme mit dem Netz hat), und als dann das in diesem Artikel ebenfalls erwähnte Schreiben von der VG-Wort mit der Aufforderung in der Post lag, ich solle mich mit einer Unterschrift dagegen wehren, dass man mir als Autorin meine Rechte nimmt, habe ich es weggeworfen – es hat mich NICHT überzeugt (hier die VG-Wort-Seite zu diesem Thema).

Nun drückt Kohle in seinem Beitrag aus, was mir nur diffus als Begründung für die „Nicht-Unterschrift“ im Kopf schwirrte. Kohle stellt völlig zu Recht klar, dass es bei wissenschaftlichen Büchern in der Regel um lächerliche Auflagen geht; hier verdienen die Verlage ohnehin anders das Geld als mit dem Verkauf der Bücher selbst (nämlich durch Zuschüsse und die Kosten, die viele Autoren selbst tragen). Er beschreibt ebenfalls, das klassische Dienstleistungen des Verlags oft gar nicht erbracht werden: nämlich Lektorat und Beratung. Da ist es kein Wunder, dass allein für Vertrieb und Marketing der Zulauf zu Book-on-demand-Verlagen wächst – wenn man eh alles selbst machen muss. Hier könnten Verlag umdenken und ihr Spektrum an Dienstleistungen ändern. Wissenschaftler verdienen selten an ihren Schriften und wenn dann sind das Summen, die mal für einen Ausflug oder ein paar Abendessen reichen. Sollte das wegfallen, wird das keinen umbringen. Die Entlohnung besteht halt dann in potenziell höherer Aufmerksamkeit, die ein offener Zugang mit sich bringt. Kohle berichtet auch, dass erste Erfahrungen die Hoffnung bestätigen, dass ein offener Zugriff auf ein Buch, das es auch gedruckt gibt, nicht dessen Verkauf schmälert – im Gegenteil: Es wird durch den offenen Zugang viel bekannter, sodass mehr Leute Lust haben, das Buch zu kaufen (wenn es gut ist). Ich nutze google-books sehr viel, denn es ist einfach hervorragend, wenn ich vorher feststellen kann, ob es sich lohnt, ein Buch etwa bei der BIB zu holen oder über Fernleihe zu bestellen oder eben zu kaufen. Ich kann mir vorher ein Bild machen, um dann das Buch in der Hand zu halten, das ich wirklich brauche. Gut, wer Romane schreibt und davon leben will, der befindet sich in einer andere Situation. Aber mal ehrlich: Wer liest denn einen Krimi am Rechner – am Abend – im Bett? Ich nicht. Schließlich ist der wissenschaftliche Mehrwert infolge von Open Access, den Kohle erwähnt, wichtig: Wissenschaftliche Erkenntnisse können und sollen sichtbar und kritisierbar sein und das sind sie im Netz eben viel besser und umfassender als in Bücherregalen … die bei mir trotzdem voll sind.