Stimme aus dem Nichts

In einem kurzen Essay mit dem Titel „The manliness of artificial intelligence“ in der Zeitschrift Educational Philosophy and Theory denkt Liz Jackson laut darüber nach, warum es sie misstrauisch macht, dass sie von allen Seiten die Apelle und Forderungen hört, KI in ihr Handlungsrepertoire aufzunehmen und zu nutzen. Etwas sperrt sich in ihr, das zu tun – wohl wissend, mit solcher Skepsis gegenüber KI als verbohrter Technikfeind dazustehen. Die vollständige Literaturangabe lautet:

Jackson, L. (2024). The manliness of artificial intelligence. Educational Philosophy and Theory, 1-5. Es ist wirklich ein schöner Text. Den können wir dann später auch gut auf der Insel veröffentlichen.

„Stimme aus dem Nichts“ weiterlesen

Menschen-„on-demand“

Die Europäische Kommission hat vor ziemlich genau zwei Jahren im Rahmen der Initiative „Europäische Hochschulen“ die Etablierung eines Wissensaustauschs zwischen Hochschulen und Unternehmen vorgeschlagen und eine entsprechende Umgestaltung der Hochschulen angemahnt. Eike Zimpelmann deckt in den Formulierungen der Europäischen Kommission eine „radikal-utilitaristische Haltung“ auf und kritisiert die menschenverachtende Haltung, die in der verwendeten Sprache – wie beispielsweise „Menschen-´on-demand´“ – zum Ausdruck kommt. Gerne bin ich der Bitte von Eike Zimpelmann nachgekommen, seinen Text mit einem Plädoyer an die Wissenschaft (insbesondere an die Hochschuldidaktik, die übrigen Bildungswissenschaften und Hochschullehrende), dagegen deutlich Stellung zu beziehen, bei Impact Free zu veröffentlichen. Der Beitrag ist online hier verfügbar.

Ungewöhnliche Worte

Wenn man diesen Monat das aktuelle Heft von Forschung & Lehre aufschlägt, liest man Ungewöhnliches über die deutsche Sprache (online hier). Man solle das Deutsche auch als überregional nützliche Sprache nicht zu früh abhaken. Als Sprache der Integration, als Sprache des Zugangs zu und des Aufstiegs durch Bildung werde Deutsch wieder wichtiger. Und dann gäbe es da noch die geniale Wortbildung und den elastischen Satzbau im Deutschen – so die Worte von Roland Kaehlbrandt. Ungewöhnlich sind diese Worte, weil man eher umgekehrt inzwischen zunehmend rechtfertigen muss, wenn man in deutscher Sprache publiziert. Es ist zum Manko geworden, zum Defizit, das man beseitigen muss. Dafür gibt es gute Gründe – das ist mir bewusst. Umso schöner, wenn es auch mal für das Deutsche ein paar gute Gründe gibt 😉

Jetzt regen sich die Männer auf

Vor kurzem habe ich den jungen Kabarettisten Till Reiners (toll!) gehört und mir ist folgende Passage (hier nur sinngemäß skizziert) im Kopf hängen geblieben: Man regt sich ja oft über Dinge auf, die genau genommen ziemlich irrelevant sind – z.B. darüber, dass kaum mehr jemand das Futur II richtig verwenden kann. Man regt sich darüber dann so auf, dass für Meldungen über Waffenlieferungen in Krisengebiete keine Wutreserven mehr da sind. Die sind verbraucht – z.B. für das Futur II.

Das ist mir eben wieder eingefallen, als ich gelesen habe: „Uni Leipzig verweiblicht ihre Grundordnung“. Weil es Streit über die ewigen Bindestrichschreibweisen gab, hat man kurzerhand entschieden, jetzt nur noch die weibliche Form zu nutzen. Ja, warum nicht? Von mir aus; Hauptsache diese sprachlichen Stacheldrähte sind weg. Auf die Frage „Ist das ein Signal für das Binnenklima an den Hochschulen?“ erklärt Prof. Dr. Friederike Maier von der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin in einem kurzen duz-Interview: „Natürlich, denn wenn wir Frauen klagen, dass wir uns ausgegrenzt fühlen, dann ruft das in der Regel ein mildes Lächeln der Kollegen hervor. Jetzt läuft das mal andersrum und die Männer regen sich auf.“

Und die Frauen lächeln milde oder schadenfroh? Was für eine Wende – ich bin beeindruckt, denke dann aber doch noch lieber über das Futur II nach. Wenn wir nämlich das verlieren, dann fehlen uns vielleicht irgendwann die Möglichkeiten, in Gedanken durchzuspielen, was sein wird, wenn wir die Leipziger Regelung flächendeckend durchgeführt haben werden.

Was man hört, aber nicht sieht

Sprache: Wie wichtig ist sie im Vergleich zum Inhalt – in einer Hausarbeit, Bachelorarbeit, Dissertation? Nicht so wichtig? Weil es doch auf den Inhalt und nicht darauf ankommt, wie man ihn darstellt? Ich maße mir nicht an, das für Disziplinen und Fächer zu beurteilen, von denen ich keine Ahnung habe. Aber für Geistes- und Sozialwissenschaften im Allgemeinen und für Bildungswissenschaften im Besonderen halte ich die sprachliche Umsetzung der eigenen Gedanken ebenso wie die Widergabe der Gedanken anderer für sehr wichtig. Ich weiß, dass viele Studierende, vielleicht auch einige Doktoranden, das entweder nicht so sehen (und mich für kleinkariert halten) oder aber den Stellenwert der Sprache anders interpretieren. Eine solche andere Interpretation ist z.B. die, dass die Sprache nicht zwingend verständlich, sondern vor allem „wissenschaftlich“ klingen müsse. Und wissenschaftlich klinge es vor allem dann, wenn der Autor als Ich im Text nicht auftaucht (weil die Inhalte dann nicht mehr „subjektiv“ sind), wenn der Text möglichst viele Substantivierungen enthält (weil das die Argumente schwergewichtiger macht), wenn Sätze bevorzugt passiv statt aktiv konstruiert werden (weil das die notwendige Distanz erhöht) und wenn man möglichst viele Botschaften in einen Satz packt und dabei ein hohes Maß an Nebensätzen und Einschüben verwendet (weil sich das dann so ähnlich anhört wie viele der Texte von Wissenschaftlern, die man schon gelesen hat).

Verständlichkeit und Lesefreude – das scheinen für viele (auch für manche Wissenschaftler) die natürlichen Gegenspieler der Wissenschaftlichkeit zu sein. Ich sehe das anders: Wenn jemand einen Text nicht versteht, kann das zwar verschiedene Ursachen haben und natürlich auch am Leser liegen. Wenn aber fortgeschrittene Studierende, die sich anstrengen, oder Wissenschaftler selbst mit Fragezeichen vor einem Text aus ihrer eigenen Domäne sitzen, mühsam das Subjekt und Verb im Satz suchen und sich vergeblich fragen, was der Autor einem wohl sagen will, dann stimmt etwas mit dem Text nicht! Und wissenschaftlich ist es auch nicht, wenn die Verständlichkeit auf der Strecke bleibt: Von Wissenschaft erwarte ich mir Klarheit im Ausdruck und keine Nebelkerzen. Leider aber lernen viele Studierende im Studium genau das: vermeintlich wissenschaftliche, an großen (schwierig zu verstehenden) Vorbildern orientierte, aber leider schlechte Texte zu schreiben.

Ich empfehle Studierenden und Doktoranden gerne, ihre Texte laut zu lesen, bin mir aber sicher, dass es kaum jemand macht (sonst würden sie anders klingen)! Das ist schade. Denn lautes Lesen der eigenen Sätze, die man aufs Papier gebracht hat, ist sehr heilsam: Man hört eher, wie schlecht ein Satz klingt, als dass man es ihm ansieht. Und man hört auch eher, wenn Sätze ihre Botschaft verloren oder eine angenommen haben, die man gar nicht im Sinn hatte. Endlich gibt es jemanden, der meinen (ernst gemeinten, aber offenbar nicht ernst genommenen) Ratschlag teil ;-): Valentin Groebner hat ein kleines Büchlein mit dem Titel „Wissenschaftssprache. Eine Gebrauchsanweisung“ geschrieben (2012). Der Buchtitel ist etwas irreführend und aus meiner Sicht nicht glücklich gewählt. Mit dem ersten Teil des Buches kann ich auch nicht so sehr viel anfangen. Der zweite aber beschreibt sehr schön die Irrungen und Wirrungen der Wissenschaftssprache und das Problem, das Doktoranden (an diese Zielgruppe wendet sich Groebner hauptsächlich) damit haben. Er plädiert für Lesbarkeit, für das „Ich“ im Text und – ja! – für lautes Lesen: „Beim Vorlesen merken Sie … rasch, wie lange es am Beginn eines neuen Absatzes dauert, bis Sie selber verstehen, wovon eigentlich die Rede sein wird. Sie merken auch, wie rasch das bedeutungstragende Substantiv am Anfang erscheint. („Von wem ist die Rede?“) Und Sie merken, wenn Sie das Verb mit lauter Einschüben und Relativsätzen so weit nach hinten geschoben haben, dass im Satz niemand irgendetwas zu tun scheint, oder einfach zu lange damit wartet („Was passiert hier eigentlich?“). Wenn Sie Ihren Text selbst vorlesen (oder noch besser: einem geduldigen Publikum), merken Sie schließlich auch, ob am Ende die Resultate Ihrer Überlegungen wirklich deutlich werden.“ (S. 101 f.) Also: Einfach mal ausprobieren!

Natürlich können sie lesen

Auf der Web-Seite von Deutschlandradio Kultur kann man hier ein Interview mit dem Gerhard Wolf, Professor für Ältere Deutsche Philologie, nachlesen, der darin den Studienanfängern eine äußerst defizitäre Sprachkompetenz bescheinigt. Nun habe ich ja in diesem Blog auch schon ein paar Mal über die sprachlichen Probleme geschrieben, die mir vor allem immer zu Zeiten der Korrektur etwa von Hausarbeiten und anderen schriftlichen Leistungen der Studierenden auffallen (z.B. hier und hier).

Der Hintergrund ist eine Umfrage von Professoren an insgesamt 135 Fakultäten, die wohl regelmäßig durchgeführt wird. Die aktuelle Umfrage nun habe Ergebnisse zu Tage gefördert, die massive Kritik an der Sprachkompetenz von Studienanfängern beinhaltet. „Wir waren … über die Wucht der Kritik selbst überrascht“, so Wolf. Lustig ist, dass er die KMK mit den Ergebnissen nicht beunruhigen will, weshalb die Ergebnisse nicht veröffentlicht werden (wobei sie auch nicht zur Veröffentlichung gedacht waren). Ich gehe aber mal davon aus, dass die Online-Verbreitung dieses Interviews bei weitem über das hinausgeht, was man an Verbreitung mit einem wissenschaftlichen Artikel erreicht hätte.

Was beklagen die Profs an den Philosophischen Fakultäten nun genau? Schwierigkeiten bei der Rechtschreibung und Grammatik, Probleme beim selbständigen Formulieren und beim Schreiben zusammenhängender Texte, aber auch mangelnde Lesefähigkeit. „Also, natürlich können sie lesen“, so Wolf, „Aber es fällt ihnen sehr schwer, den roten Faden eines Textes zu begreifen“. Ich kann das durchaus bestätigen, habe aber den Verdacht, dass es mindestens AUCH am Wollen liegt: Komplexere Texte sind eben anstrengend zu lesen; das gilt auch für das Formulieren präziser Sätze, die eine verständliche Aussage haben. Und viele wollen sich schlicht nicht so gerne anstrengen. Ich stelle das jetzt einfach mal als These in den (virtuellen) Raum …

Etwas seltsam ist Wolfs Auffassung von Medienkompetenz: Jüngere Leute könnten heute auch einiges besser als frühere Studierende; sie seien z.B. flexibler und hätten auch mehr Medienkompetenz. Es gehört also offenbar nicht zur Medienkompetenz, die eigene Sprache rezeptiv und produktiv zu beherrschen. Na ja, das liegt jetzt nicht allein an Wolf; viele Medienkompetenzdefinitionen übersehen das tatsächlich. Aber bitte: Es gibt nicht nur Fotos und Videos im Internet – will man das Netz vernünftig nutzen, sollte man eben auch sprachlich einigermaßen zurechtkommen, oder?

Sprachliche Fehlleistungen als Kavaliersdelikt

Es liegen mal wieder mehrere Tage hinter mir, an denen ich einen Stapel Hausarbeiten gelesen, kommentiert und bewertet habe. Ich gebe es zu: Diese Tätigkeit frustriert mich. Sie frustriert mich, weil keinesfalls alle, aber viel zu viele dieser Arbeiten auch im zweiten Studienjahr nicht den Standards entsprechen, die man erwarten würde oder – noch schlimmer – auf die man meint, durchaus hingearbeitet zu haben. Was mir dabei besonders auffällt und was ich an dieser Stelle mal thematisieren möchte, ist die grundlegende Sprachkompetenz. Damit meine ich die Kompetenz, erstens einen Gedanken mittels Sprache so zu formulieren, dass der Gedanke auch tatsächlich wiedergegeben wird, dass der so formulierte Gedanke zweitens für einen Leser nachvollziehbar bzw. verständlich ist, dass die gewählte Formulierung drittens grammatikalisch korrekt und viertens ohne Komma- und Rechtschreibfehler ist. Fangen wir von hinten an: Rechtschreibfehler sind dank Rechtschreibhilfen in allen gängigen Textverarbeitungsprogrammen an sich gar nicht so das Problem – mit Ausnahme vielleicht der Klein- und Großschreibung. Kommafehler sind der reine Wahnsinn. Es geht hier nicht um die Feinheiten – wirklich nicht. Vielmehr werden Kommata nahezu flächendeckend derart wahllos gesetzt, dass daraus bereits Verständnisprobleme resultieren und man sich fast wünschen würde, die Autoren würden Kommata besser gleich ganz weglassen. Grammatikfehler sind ebenfalls häufig: Ganz oben rangieren unvollständige Haupt- wie auch Nebensätze. Nicht im eigentlichen Sinne fehlerhaft, aber extrem hinderlich für das Verstehen sind Passivkonstruktionen, Nominalisierungen und verschachtelte Sätze. Aber all das ist gar nicht das Schlimmste. Für mein Sprachempfinden viel schlimmer ist es, wenn die Sätze semantisch mitunter gar keinen Sinn ergeben, wenn ich sie gar nicht verstehe, sondern nur ahne, was sie aussagen sollen. Wie das zustande kommt? Meine These ist, dass folgende Faktoren eine zentrale Rolle spielen: oberflächliches Lesen wissenschaftlicher Literatur; nur ungefähres Verstehen dessen, was man gelesen hat; der fest verwurzelte Glaube, dass einfache und klare Sätze unwissenschaftlich sind, gepaart mit der Überzeugung, dass die oben genannten grammatikalischen Fehlleistungen (Passivkonstruktionen, Nominalisierungen, verschachtelte Sätze, unnötige Fremdwörter) zum guten wissenschaftlichen Ton gehören. Es ist naheliegend, dass Defizite auf der Sprachebene auf der nächst höheren Ebene etwa der Argumentation eine Fortsetzung finden: Es ist kaum möglich, eine konsistente Argumentation aufzubauen, wenn man schon Probleme hat, einen Gedanken in einen klaren Satz zu packen.

Ich weiß, das klingt jetzt vielleicht etwas überheblich. Ich gestehe auch, dass bei so mancher Lektüre der Zorn in mir aufsteigt und irgendein Ventil her muss, wenn ich einen ganzen Tag oder mehrere Tage damit verbracht habe, Rechtschreib- und Kommafehler, Grammatikfehler und unverständliche Sätze, Absätze und ganze Abschnitte zu markieren und zu erläutern – mit dem Wissen, dass nur wenige diese Hinweise, die mich viele, viele Stunden kosten, auch nutzen werden (aber einige halt schon, weswegen ich es immer wieder tue). Aber mal jenseits der Überheblichkeit und des Zorns: Das ist doch wirklich ein Problem, oder? Was mir hier unter anderem fehlt, ist das Problembewusstsein. Bisweilen habe ich den Eindruck, sprachliche Defizite gelten als eine Art Kavaliersdelikt – also als legitimer Regelverstoß, der nicht nur akzeptiert, sondern in gewisser Weise sogar befürwortet wird: Besser man nutzt die Zeit für was Wichtigeres! Was kann man tun? Schreibwerkstätten einrichten? Viele Maßnahmen zum „wissenschaftlichen Schreiben“ beschäftigen sich eher mit der Zitierweise, mit dem Aufbau von Texten, auch mit emotionalen Problemen wie Schreibblockaden etc. Das ist alles wichtig und richtig so. Aber wenn es ein noch viel grundsätzlicheres Problem gibt – nämlich das, welches ich hier versuche, kurz zu beschreiben? Wie kann man das beheben? Wie kann man überhaupt erst mal das Bewusstsein dafür schaffen und zu einer Haltung gelangen, dass es NICHT egal oder sekundär ist, wenn man sprachliche Defizite hat? Ich würde ja gerne helfen, aber wie in anderen Kontexten auch, bedarf es dazu erst einmal der Einsicht, dass es sich hier um ein relevantes Problem handelt!

Super, geil und alles mit Ausrufezeichen

„Fetzenliteratur“ auf Twitter oder in SMS bedroht nach Ansicht des Rechtschreibrats-Vorsitzenden Hans Zehetmair die Sprachkompetenz junger Menschen – so eine heutige Pressenachricht (z.B. hier). Im gleichen Artikel wird auch auf Klagen von Professoren hingewiesen, die in studentischen (Abschluss-)Arbeiten ebenfalls einen Mangel an Rechtschreibefähigkeiten feststellen.

Nun, jeder der mich ein wenig kennt, weiß, dass ich die Sprache speziell in geistes- und sozialwissenschaftlichen und damit auch in bildungswissenschaftlichen Fächern für ein sehr wichtiges Werkzeug halte, das man beherrschen muss – und dazu gehört auf jeden Fall auch die Rechtschreibung. Daher bin ich schon oft lästig, wenn es darum geht, das, was man im Kopf hat, auch angemessen schriftlich zu artikulieren, denn immerhin ist unsere Sprache nicht nur zur Kommunikation, sondern auch zum Denken da. Inwiefern aber Abkürzungen oder andere funktionale Entscheidungen im Gebrauch der Sprache vor allem zur einfachen Kommunikation die Ursache für Mängel vor allem in der Schriftsprache sein sollen, kann ich nicht nachvollziehen. Hier werden mal wieder die digitalen Medien als Sündenbock herangezogen, und das zeugt eher von Angst und Unerfahrenheit mit diesen als von einer genauen Problemanalyse. Vielmehr ist es ja so, dass die Nutzung digitaler Medien in hohem Maße mit sprachlichen Anforderungen verbunden ist, und neue Funktionsweisen der Sprache müssen keinen prinzipiell negativen Effekt haben.

Zustimmen aber muss ich darin, dass es vielen Studierenden schwer fällt, sich formal korrekt und verständlich auszudrücken: Das beginnt bei der Zeichensetzung, geht über die Rechtschreibung und endet nicht bei der Grammatik. Auch semantische Zusammenhänge scheinen vielen Studierenden entweder egal oder nicht hinreichend bekannt. Bei der Bewertung von schriftlichen Arbeiten zwinge ich mich selbst mit Kriterien, die ich unterschiedlich gewichte, dazu, dass die vielen sprachlichen Fehler und Defizite (bei einer auch aus meiner Sicht wachsenden Anzahl von Studierenden) nicht mein Urteil in Bezug auf alle anderen Aspekte der Arbeit beeinflussen und „ausstrahlen“. Trotzdem ärgere ich mich jedes Mal darüber, und noch mehr ärgert es mich, wenn das am Ende als „kleinlich“ gilt und Reaktionen auslöst wie: „Es kommt doch auf den Inhalt an, die Sprache ist da nicht so wichtig!“. Doch, denke ich mir da stets, das ist wichtig. Ich unterstelle mal, dass z.B. eine unpräzise oder unstrukturierte sprachliche Umsetzung auch auf Ungenauigkeit und Durcheinander im Denken zumindest hinweisen kann. Und da muss ich Herrn Zehetmair sogar (mal) zustimmen, dass ein wenig mehr Hinterfragen und Innehalten auch in Bezug auf das Thema Sprache angebracht wäre – mindestens jedenfalls bei Studierenden der Geistes- und Sozialwissenschaften. Zehetmairs Diagnose aber ist dann doch eher etwas zum Schmunzeln als zum Ernstnehmen, wenn er die jungen Lehrer dafür verantwortlich macht und gleichzeitig so etwas wie Verständnis signalisiert: „Die Lehrer sind auch Kinder unserer Zeit und – bei allem guten Bemühen – gibt es auch bei ihnen oft diese Fetzenliteratur: super, geil und alles mit Ausrufezeichen.“ … omg!!

Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit

Ich mache kein Hehl daraus, dass mir die deutsche Sprache wichtig ist. Sie ist mein Werkzeug, ich würde auch für mich persönlich durchaus behaupten: mein „Denkwerkzeug“ (um mal das englische „cognitive tool“ zu vermeiden). Klar, dass ich mir heute die Zeit gekauft habe, wenn das Titelthema wie folgt angekündigt ist: „Rettet die deutsche Sprache! Die Elite spricht Englisch, am unteren Ende der Gesellschaft verkümmert die Sprachfähigkeit. Wie können wir verhindern, dass unsere Muttersprache weiter erodiert? Und welche Zukunft hat unsere deutsche Sprache überhaupt noch?“ Nun, mehr als zwei Seiten ist die Beantwortung dieser Fragen (im Feuilleton) dann doch nicht wert und sehr viel Neues habe ich nicht gelesen. Dass in der Wissenschaft das Deutsche allenfalls in geistes- und einigen wenigen sozialwissenschaftlichen Fächern noch eine gewisse (geringe) Bedeutung hat, ist hinlänglich bekannt. Dass das auch nicht mehr zu ändern sei, kann man ebenfalls überall da lesen, wo über das Thema geschrieben wird. Der Artikel bemüht sich, die Vor- und Nachteile der Durchsetzung des Englischen als globale Sprache einander gegenüberzustellen. Dabei wird auch die wachsende Kluft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft/Öffentlichkeit angesprochen, wenn Publikationen und andere Darstellungsmodi nur mehr auf Englisch erfolgen. Wenig vertiefend dagegen kommen in dem Beitrag Überlegungen dazu ins Spiel, welche Bedeutung die Sprache auf das Denken und damit auch auf das wissenschaftliche Denken und wissenschaftliche Kreativität hat (der Autor sieht das allenfalls auf philosophischem Gebiet als relevant an).

Wirklich neu waren für mich zwei Punkte: (1) Der Beitrag verweist auf Arbeiten, die sich der Frage stellen, wie sich das Englische verändert, wenn es denn vor allem von „Ausländern“ als „Lingua franca-Englisch“ gesprochen wird. Das sei dann auch nicht mehr die Sprache der englischen Muttersprachler, sondern eine andere – eine die allen gehöre. Das finde ich einen ganz interessanten Gedanken, aber ob das wirklich mehrheitlich so wahrgenommen wird? (2) Der Beitrag thematisiert quasi als Rahmen für die restlichen Ausführungen die Verantwortung der „Eliten“ in einer Gesellschaft gegenüber der eigenen Sprache. Und so endet der Beitrag mit folgendem Absatz: „Dass Teile unserer Eliten diese Sprache [Anm. das Deutsche in bedeutenden Werken der Literatur und Philosophie] nicht verstehen und nicht mehr sprechen, hat wenig mit globalen Zwängen zu tun und viel mit Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit. Damit verhalten sich die Eliten unverantwortlich, denn der Zustand einer Sprache hängt am meisten von jenen ab, die Macht und Einfluss haben. An ihrem Sprachverhalten richten sich jene aus, die unten sind und nach oben wollen“. Vor Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit ist auch die Wissenschaft nicht gefeit und ich habe schon mitunter den Eindruck, dass wenig neue und tiefe Gedanken, verpackt in einem englischen Text oder Vortrag, allein aufgrund der damit erreichten Internationalität bereits eine Menge „Bonuspunkte“ einheimsen, die dann inhaltliche Defizite kompensieren (sollen). Auch das ist letztlich unverantwortlich.

E-Learning am Scheidepunkt?

Einen spannenden Titel und eine berechtigte Frage positionierten Gudrun Bachmann et al. mit ihrem Beitrag „E-Learning ade – tut Scheiden weh?“ (Beitrag im Tagungsband auf den Seiten 118 bis 128). Im Kern geht es um die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, den Begriff des E-Learning aus unserem Wortschatz zu verdammen. Mit einem narrativen Einstieg wurde im Vortrag plakativ deutlich gemacht, dass jeder unter „E-Learning“ etwas anderes versteht: Studierende, Lehrende und Unileitungen gleichermaßen. Das ist sicher richtig UND es ist auch ein Problem – ohne Frage. Meine These aber ist, dass man denselben Effekt hat, wenn man auf das „e“ verzichtet und die genannten Personengruppen über „Lernen“ sprechen lässt. Auch hier wird man auf eine ähnliche Vielfalt stoßen. Wer sich mit psychologischen Phänomenen und dazugehörigen Konzepten beschäftigt (und dazu gehört auch das Lernen), muss damit leben, dass es konkurrierende Auffassungen, verschiedene Definitionen und – ein Besonderheit sicher im Vergleich zu vielen Naturwissenschaften – Diskrepanzen zu alltagssprachlichen Verwendungen derselben Wörter gibt.

Der Beitrag liefert einen wichtigen Impuls und erinnert uns daran, auf die entsprechend vorprogrammierten Missverständnisse und Verständigungsschwierigkeiten vorbereitet zu sein und ihnen wirkungsvoll zu begegnen. Begriffe auszutauschen, ist dabei durchaus eine von mehreren Lösungen. Allerdings haben mich die sprachwissenschaftlichen Begründungsversuche nicht überzeugt. Auch Sätze wie „E-Learning ist ein falsches Paradigma“ (S. 125) verstehe ich nicht: Geht es jetzt um einen Begriff oder um ein ganzes Paradigma, was ja immerhin eine Menge mehr meint als einen Begriff? Stimmt es wirklich, dass E-Learning generell einen „schlechten Ruf“ hat? Bei wem genau und sollte man nicht fragen, warum das so ist? Dass E-Learning NICHT definiert wird, ist eine Aussage, die ich schon deshalb nicht so ganz nachvollziehen kann, weil eine Seite vorher eine informative Tabelle zu finden ist, die immerhin drei Standardwerke ausfindig macht, in denen der Begriff sehr wohl nicht nur eingeführt, sondern auch definiert wird. Und welcher Begriff in unserem Fach hat denn nun tatsächlich nur EINE Definition? Ich kenne keinen.

Diese Kritikpunkte aber ändern nichts daran, dass die in Bachmanns Beitrag aufgeworfenen Überlegungen und Vorschläge wichtig, weil symptomatisch für die aktuelle Situation in der E-Learning-Community und damit auch für Gesellschaften wie die GMW sind: Digitale Medien – das zeigte ja auch die Podiumsdiskussion – werden zur „Normalität“ in unserer Gesellschaft. Sie beeinflussen die Art, wie wir arbeiten, wie wir uns unterhalten und informieren, und vor allem, wie wir kommunizieren. Lernen und Lehren (obschon auch da natürlich Kommunikation und Information zentrale Bestandteile sind) erweisen sich demgegenüber als resistenter, sodass es nach wie vor gerechtfertigt erscheint, sich explizit für einen sinnvollen und unsere Möglichkeiten erweiternden Einsatz der digitalen Medien einzusetzen. Aber wie lange noch? Sind wie hier schon – wie Bachmann postuliert – an einem „Scheideweg“? Oder wäre es zu früh und würde es nur Wasser auf den Mühlen konservativer Kritiker sein (nach dem Motto: „Haben wir euch gleich gesagt, dass das nichts taugt!“), wenn wir uns hier zurückziehen und zusammen mit dem Begriff „E-Learning“ den Medienfokus verlassen? Ich habe meine Zweifel: Eindeutig ist doch, dass aus der E-Learning-Community nach wie vor kreative und zukunftsweisende didaktische Neuerungen entstehen, bei denen die digitalen Medien (und damit meine ich deren Potenzial für Multimedia, Interaktion und Vernetzung) keineswegs nur Werkzeugcharakter haben, sondern uns oft genug auf andere Ideen bringen, neue Phänomene zum Vorschein bringen und sicher auch zusätzliche Herausforderungen (z.B. im Bereich der Rechte von digitalen Inhalten) mit sind bringen. Was die E-Learning-Community auszeichnet, ist Interdisziplinarität, die Nachwuchswissenschaftlern zwar mitunter das Leben schwer macht, aber den künftigen Anforderungen an die Bildungsforschung doch viel eher gerecht wird als einseitige theoretische und methodische Vorgehensweisen. Würden wir das womöglich nicht auch aufs Spiel setzen, wenn wir „E-Learning“ als Begriff verdammen? Eine Alternative zum „Scheiden“ wäre eine weiter beharrliche Überzeugungsarbeit, dass auch die Bildung in einer veränderten Gesellschaft nicht bleiben kann, wie sie war und ist, dass die mediale Durchdringung unserer Welt auch beim Lernen und Lehren zu bedenken ist und dass interdisziplinäre Gruppen (wie die E-Learning-Community), die neben Fächern auch Forschung und Praxis zusammenbringen, einen wissenschaftlichen UND gesellschaftlichen Mehrwert haben (dass das auf vielen Gebieten immer noch nötig ist, zeigt z.B. auch Franks Beitrag hier).

PS: Lieber würde ich Begriffe wie Qualität und Exzellenz aus unserem Wortschatz verdammen …