Up-to-date, broad and authoritative

Für das Jahr 2011 (ist also noch eine Weile hin) ist eine große Enzyklopädie zum Thema Lernen geplant. Die „Encyclopedia of the Sciences of Learning“ hat eine eigene Web-Seite und alle beteiligten Autoren nutzen diese auch zur Einreichung ihrer Beiträge. Der „Editor-in-chief“ (also der Chef-Herausgeber, oder wie übersetzt man das jetzt?) ist Norbert Seel. Die Beiträge sollen interdisziplinär über mehrere Kategorien bzw. Themengebiete gestreut sein. Unter der Zielsetzung des Projekts heißt es: „The Encyclopedia provides an up-to-date, broad and authoritative coverage of the specific terms mostly used in the sciences of learning and its related fields, including relevant areas of instruction, pedagogy, cognitive sciences, and especially machine learning and knowledge engineering.”

Ich habe mich bereit erklärt, einen Beitrag zur “Wissensorganisation” zu leisten – wenn ich sonst schon nicht oder kaum Englisch publiziere, habe ich diese Chance ergriffen und bin also auch dem Ratschlag der Gutachter (hier) unseres Forschungsantrags gefolgt (nein, Blödsinn, das hatte ich vorher zugesagt). Da der Beitrag noch einem Peer Review (!) unterzogen wird und entsprechend einige Änderungen möglich oder wahrscheinlich sind, kann/darf ich die nun vorliegende erste Fassung auch online zugänglich machen. Hier ist sie:

preprint_knowledge_organization_Reinmann

Ja, nun könnte man natürlich einwenden, das man das doch gleich online und offen machen könnte. Ja könnte man wohl. Allerdings ist es schon eine riesige Koordinationsleistung, die da jetzt vollbracht wird, wofür sicher einiges an Geld in die Hand genommen wird. Wie gut das jetzt ohne diese Koordination funktionieren würde, kann ich wirklich nicht sagen. Ich denke, wir sind da im Moment am Übergang zweier Publikationszeitalter. Vielleicht aber wird es auch noch lange zwei Modi nicht nur der Distribution, sondern eben auch der Entstehung von Inhalten geben. Ich wage da keine genauen Prognosen.

Hörsaalbesetzer

Na ja, im Vergleich zur neuen Grippe halten sich die Schlagzeilen in den Medien in Grenzen, wenn es um Bildungsstreiks geht. Die großen Zeitungen berichten in ihren Online-Ausgaben nur kurz über Hörsaalbesetzungen (z.B. die SZ) und erste Polizeieinsätze. Was die inhaltlichen Forderungen betrifft, oder auch die Stimmung unter den Studierenden generell, wird eher nicht vertiefend behandelt. Wer aber Genaueres wissen will, kann sich auf der Web-Seite Bildungsstreik informieren.

Ich bin gespannt, ob sich in der Öffentlichkeit – wie teilweise im Juni 2009 – wieder nur die eher platten Forderungen in den Ohren festzsetzen, oder ob die durchaus anspruchsvollen Überlegungen etwa zu den Auswirkungen wettbewerbs- und marktorientierter Prinzipien im Bildungsbereich mal etwas deutlicher nach außen dringen.  Darüber zu urteilen, was die verschiedenen Aktionen wie Hörsaalbesetzungen bringen, fühle ich mich nicht berufen. Ich tue mir ehrlich gesagt schwer, die Wirkung und Wirkungslosigkeit solcher und anderer Maßnahmen einzuschätzen.  Ganz schlecht fände ich eine Polarisierung zwischen Lehrenden/Wissenschaftlern einerseits und Lernenden/Studierenden andererseits. Die Ökonomisierung trifft auch die Akteure der Wissenschaft, sodass ich nachhaltige Veränderungen an sich nur bei kooperativen Aktionen für wahrscheinlich halte. Schlecht wäre außerdem eine Spaltung der Studierenden in eine letztlich laute Minderheit, von denen womöglich einige die notwendige Artikulation von Missständen für eigene (ideologische) Zwecke missbrauchen, und eine schweigende oder gar angenervte Mehrheit, die mit all dem nichts zu tun haben will. Mal sehen, wie sich das weiter entwickelt.

Nachtrag (17.11.2009): Inzwischen schaffen es die sich ausweitenden Proteste ja doch ganz gut auf einen ansehnlichen Platz auf der Medienagenda – z.B. hier.

Fragen lernen ist (nicht) schwer

Es ist Zeit für einen ersten Erfahrungsbericht zu meiner „Podcast-Vorlesung“, wobei zunehmend klar wird, dass das an sich die falsche Bezeichnung ist, denn zentral ist ja die Kombination aus Podcast, Textlektüre, Wiki-Arbeit und Tutorium. Wie das Konzept im Einzelnen aussieht, habe ich hier bereits beschrieben.

Am Anfang der Konzeption habe ich mir vor allem Gedanken über die Funktion und die Art des Podcasts gemacht. Das war/ist auch wichtig – insbesondere muss man den Studierenden genau sagen, welche Funktion der Podcast in diesem Konzept hat: Er hat rahmende und (hoffentlich) motivierende Funktion für die Textlektüre und soll zudem dabei helfen, bei der Textlektüre besser zu erkennen, was wichtig und was weniger wichtig ist. Dass genau das nämlich gar nicht so leicht ist, zeigte die erste Runde in der Wiki-Arbeit. Die se Wiki-Arbeit gerät jetzt bei der Durchführung der Veranstaltung zunehmend in den Fokus meiner Aufmerksamkeit, weshalb ich darüber kurz bercihten möchte.

Mit der Wiki-Arbeit betrete ich das zweite Neuland im Rahmen dieser Veranstaltung: Mein Ziel ist es, dass die Studierenden für insgesamt acht Themenblöcke in einem (geschlossenen) Wiki ihre Klausurfragen und dazugehörige Musterantworten selbst generieren! Dabei werden sie natürlich unterstützt. Wie diese Unterstützung genau aussieht, das war mir zu Beginn auch noch nicht klar, weil ich überhaupt nicht einschätzen konnte, wie das funktioniert. Nun liegen die ersten Erfahrungen vor. Erfreulich ist, dass die Kernzielgruppe der Veranstaltung (Studierende des Studiengangs Medien und Kommunikation) sich zu ca. 70% an der Wiki-Arbeit (in Partnerarbeit) bislang beteiligt haben. Wie zu erwarten war, erwies sich die erste Wiki-Runde allerdings noch in vielen Dingen als verbesserungswürdig: Trotz Instruktionen und Hinweise vorab wurden z.B. viele ähnliche Fragen doppelt oder mehrfach gestellt (und beantwortet). Mitunter passten die Antworten nicht oder zu wenig zu den Fragen. Manche Fragen waren so gestellt, dass sehr viele Antworten möglich wären, was in einer Klausur nicht funktionieren kann. Verschiedene Fragetypen zu produzieren, wurde noch kaum bewerkstelligt. Sehr viele Fragen rankten sich um Details, die ich niemals abfragen würde (und wenn ich es täte, hätte ich eine aufgebrachte Menge von Studierenden vor mir).

Nach Schließen der ersten Runde habe ich alle Beiträge im Wiki ausführlich kommentiert, die Probleme aufgezeigt und Alternativen angeboten. Auf einer zweiten Wiki-Seite habe ich dann ein korrigiertes Set an Fragen und Antworten zur Verfügung gestellt. Die zweite Runde lief daraufhin bereits wesentlich besser. Viele Fehler, auf die ich hingewiesen hatte, wurden weniger gemacht. Langsam fingen die Studierenden auch an, sich gegenseitig zu verbessern – ein Aspekt, der in der ersten Runde noch kaum auftrat. Dennoch zeiget sich auch in der zweiten Runde noch großes Verbesserungspotenzial. Also habe ich auch diese zweite Runde ausführlich online kommentiert und wiederum eine verbesserte Fassung zur Verfügung gestellt. Das ist aufwändig, aber es war auch sehr interessant. Interessant nämlich ist zu sehen, wo die Studierenden Schwierigkeiten haben, was typische „Anfängerfehler“ sind etc. All das bekommt man ja normalerweise gar nicht mit und kann darauf auch entsprechend nicht reagieren. Sollten meine Kommentare gelesen werden (ich gehe schon davon aus, dass dies die aktiv Beteiligten tun), dann könnte man zumindest einen Lerneffekt erwarten, weil sich meine Hinweise direkt auf die Aktionen der Studierenden beziehen.

Heute nun hatten wir ein Präsenz-Tutorium, in dem die Herausforderungen und Schwierigkeiten noch einmal diskutiert wurden. In den kommenden beiden Wiki-Runden werde ich meinen Support etwas zurücknehmen und ganz schräge Fragen oder Fehler einfach kommentarlos löschen und nur da eigene Verbesserungen anbringen, wo ich das Gefühl habe, dass das Dinge sind, die die Erstsemester noch nicht wissen können. In der zweiten Hälfte der Themen (Thema fünf bis acht) wird diese Unterstützung weiter ausgeblendet. Ziel ist es, dass die Studierenden selbst in der Lage sind, Fragen und Antworte mit angemessener Qualität hinzubekommen. Begleitet werden sie dabei aber weiterhin von studentischen Tutoren und durch drei weitere Präsenz-Tutorien, die ich selbst mache. Am Ende jeder Runde können sich die Studierenden natürlich darauf verlassen, dass ausschließlich richtige Fragen und Antworten im Wiki stehen. Wenn die vorgeschlagenen Fragen und Antworten aber schlecht oder fasch waren und gelöscht wurden und am Ende zu wenige Fragen/Antworten im „Pool“ sind, müssen die Studiereden damit rechnen, dass ich in der Klausur eigene Fragen beisteuere. Anbei die Folien aus dem heutigen Tutorium: VL_Tutorium1

Warum mache ich das? Nun ich denke, wer nicht aktiv mitmacht und auf Auswendiglernen setzt, für den bleibt es weitgehend gleich, ob er 160 Fragen und Antworten oder 120 Folien auswendig lernt, die man normalerweise in so einer Vorlesung mindestens präsentiert. Ich hoffe aber jetzt natürlich auf einen kleineren Prozentsatz von „Auswendig-Lernern“, die sich statt dessen doch lieber mit der sehr begrenzten Textlektüre auseinandersetzen, sich am Wiki beteiligen und auf diese Weise über ca. 10 Wochen lang kontinuierlich mit überschaubaren Zeitinvestitionen „aktiv lesen“, Fragen zum Text formulieren, diese beantworten und dabei auch darüber nachdenken, was in einem Text wohl wichtig ist und was nicht, was man wissen und sich merken sollte. Wer auf diese Weise mitarbeitet, wird sich in sehr kurzer Zeit auf die Klausur vorbereiten können – immerhin hat er selbst an ihr mitgearbeitet. Einen Schaden sehe ich hier nicht – vielmehr hätte man erreicht, was man sich immer wünscht, nämlich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Lektüre, die man zum Semesterbeginn als lesenswert recherchiert und/oder für die Studierende aufbereitet hat.

Nach zwei Wochen muss ich das Experiment immerhin nicht abbrechen. Bis jetzt scheint der Weg gangbar, auch wenn die ersten Steine erst mal aus dem Weg geräumt werden mussten. Ich bleibe optimistisch und bin gespannt auf den weiteren Verlauf. Jedenfalls zeigen mir die ersten Wochen, dass es sinnvoll ist, die Studierenden dazu anzuregen, selbst Fragen zu stellen – das ist nämlich, wie jetzt viele feststellen, gar nicht so einfach, aber man kann es lernen!

Vom Peer Review zur Umerziehung?

Ich weiß, dass man das an sich nicht macht. Ich mache es trotzdem – einen abgelehnten Forschungsantrag online stellen. Warum? Man kann es als Beitrag zum Wissensmanagement (allgemeine Infos hierzu z.B. hier) im Wissenschaftsbereich sehen: Neben „Best Practices“ können Fehlschläge ebenfalls einen Lerneffekt nicht nur für einen selbst, sondern auch für andere (Nachwuchs-)Wissenschaftler haben – also durchaus eine Form von Wissensteilung. Man kann es vielleicht auch als einen Aspekt von „öffentlicher Wissenschaft“ interpretieren, wie es Christian Spannagel vertritt. Vor allem aber möchte ich damit anregen, über ein Problem nachzudenken und zu diskutieren, das man ansonsten gerne in seiner privaten Schublade verstaut (weil man es halt AN SICH nicht öffentlich macht).

Aber zum Inhalt: Es handelt sich um einen Antrag, in dem wir unsere Erfahrungen und bisherigen praktischen Versuche wie auch theoretischen und empirischen Arbeiten zum Thema „Emotion und Lernen“ einerseits sowie „Assessment und Feedback“ andererseits heranziehen und darauf aufbauend eine Studie (im Feld) durchführen wollten. Maßgeblich an diesem Antrag beteiligt war Silvia Sippel (die mit diesem Blog-Beitrag einverstanden ist).

Ein (kürzeres) Gutachten bewertet den Antrag positiv, moniert aber die beantragten Ressourcen. Dies ist einsichtig und hätte bei einer Überarbeitung auch entsprechend geändert werden können. Auch andere Änderungsvorschläge hätten wir gerne berücksichtigt – unser Vorhaben ist/war sicher nicht frei von Mängeln. Ein zweites (langes) Gutachten dagegen kommt zu einem weitgehend vernichtenden Urteil. Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Bei einem Peer Review-Verfahren ist das nun einmal so und wenn man sich in dieses „Spiel“ begibt, hat man es zu akzeptieren, was selbstredend auch für mich/uns ist (Gedanken zum Thema in diesem Blog siehe auch hier, hier und hier). Allerdings bestärkt mich dieses (eigene) Beispiel mal wieder, dass es unter (sicher nicht allen, aber doch) bestimmten Bedingungen fruchtbar wäre, ein „open peer review“ durchzuführen. Ich würde zu diesen Bedingungen z.B. die Situation zählen, in der verschiedene methodische Auffassungen, letztlich auch erkenntnistheoretische Positionen aufeinanderprallen. Obschon wir bei diesem Antrag versucht haben, den Schwerpunkt auf einen quasi-experimentellen Vergleich zu legen, beinhaltet der Antrag doch auch entwicklungsorientierte Aspekte (wie ich sie z.B. hier und hier versucht habe, theoretisch zu begründen). Diese Richtung bedingt eine an mehreren Stellen andere Vorgehensweise als dies z.B. in der klassischen psychologischen oder pädagogisch-psychologischen Forschung favorisiert wird. Es wäre daher schon spannend gewesen, mehrere Meinungen auf diesen Antrag einzuholen und eine Chance zu haben, genau diese strittigen Punkte unter Peers (!) zu diskutieren. Nun gut, das Verfahren ist eben nicht so, aber man kann es ja immer wieder mal anregen, zumindest darüber nachzudenken, wo und wie man Peer Review-Verfahren auch anders gestalten bzw. Alternativen zur gängigen Praxis in unserer Disziplin ausprobieren könnte.

Kein Verständnis habe ich dagegen für einen speziellen Ablehnungsgrund, der auch im anschließenden Urteil (auf der Basis der Gutachten) formuliert wurde: Dieser Grund ist meine Publikationspraxis und die Feststellung, dass ich kaum in referierten Zeitschriften publiziert hätte, wobei gleich deutlich wird, dass hier ein recht enger Begriff von „Peer Review“ herangezogen wird (nämlich double blind reviews in fast ausschließlich englischsprachigen Journals). Unabhängig davon, dass man bereits darüber streiten kann, ob der Begriff des Peer Review in dieser Enge adäquat ist (zudem: ich mache viele Beiträge online zugänglich, sodass jeder, der es will, ein „Review“ durchführen kann), wundere ich mich schon: Habe ich ein persönliches Stipendium beantragt oder die Finanzierung eines Forschungsprojekts? Geht es um die Förderung meiner Person oder die einer Sache? Darf die Art der Publikationen (wohl gemerkt: nicht die Vorarbeiten, sondern der Ort deren Veröffentlichung) eines Antragstellers wirklich ein Kriterium für die Beurteilung der Qualität eines Forschungsantrags sein? Mir wird geraten, mich im Hinblick auf weitere Anträge diesbezüglich mehr zu engagieren. Gut gemeinter Tipp! Leider aber sind viele dieser Journals ja auch wieder so gestrickt, dass die meisten meiner Arbeiten darin eher keinen Platz finden. Ich müsste also meine Arbeit auf die Zeitschriftenpraxis abstimmen (als Wissenschaftler meint ja erst mal ganz naiv, es sollte umgekehrt sein). Was soll das werden? Ein Umerziehungsprogramm? Das macht mich schon ein bisschen nachdenklich und auch ratlos. Hier der Antrag:

Forschungsantrag

Unangenehmer Schritt mit angenehmen Folgen

Im Juli 2009 habe ich in meinem Blog (hier) kurz über einen unangenehmen Schritt berichtet, nämlich die Rückgabe meiner Herausgeberschaft für das Themenheft „Assessment im Hochschulunterricht“ der Zeitschrift für Hochschulentwicklung (kurz: ZFHE). Ich konnte mich mit dem Ablauf und meiner Rolle, in der ich an sich kaum aktiv werden konnte, nicht mehr wohl gefühlt und dies auch dem wissenschaftlichen Beirat mitgeteilt. Nun bin ich vor kurzem darüber informiert worden, dass man das Verfahren der Einreichung und Begutachtung sowie die Rolle des Herausgebers überarbeitet hat. Darüber kann man sich auf der Web-Seite der Zeitschrift hier informieren. Es ist natürlich sehr erfreulich, dass diese Entscheidung im Sommer, die mir sehr schwer gefallen war, doch noch positive Folgen hatte. Daher bin ich dann auch der Bitte nachgekommen, die Herausgeberschaft wieder aufzunehmen. Zu den letztlich fünf Beiträgen, die in das Themenheft aufgenommen wurden, habe ich ein kurzes Editorial verfasst. Es wird nächste Woche online gehen.

Editorial Assessment im Hochschulunterricht

Müller-Böling auf Wahrheitssuche

„Zukunft jetzt – Wie wir leben, lernen, arbeiten“ – so heißt eine Reihe von SWR 2 Aula, die man auch online hier abrufen kann. Folge 8, auf die mich Sandra aufmerksam gemacht hat, dreht sich um die Universität. Es spricht Detlef Müller-Böling zum Thema „Autonom und forschungsintensiv – Die Universität der Zukunft“. 25 Minuten ca. dauert Müller-Bölings Zukunftsszenario der deutschen Universitäten und es gäbe eine ganze Reihe von Punkten, an denen man aus meiner Sicht viel und kontrovers diskutieren könnte. Wie zu erwarten, ist viel von Leistung, Exzellenz und Qualität die Rede. Aber auch das Wort Vielfalt hört man erstaunlich oft, als wolle man damit den kritischen Kommentaren gleich zu Beginn den Wind aus den Segeln nehmen (nach dem Motto: Wenn Vielfalt herrsch, findet jeder Querulant schon irgendwo seinen Platz).

Aber ich möchte mich auf einen speziellen Aspekt konzentrieren, nämlich auf Müller-Bölings Postulat der Trennung von „Wissensproduktion“ – also von Forschung – auf der einen Seite und von „Wissensvermittlung“ – also von Lehre – auf der anderen Seite. Eine wie auch immer geartete Einheit von Forschung und Lehre ist für Müller Böling nichts als eine lästige Monstranz, die die ewig Gestrigen vor sich hertragen – blind für die moderne Welt, die nach Arbeitsteilung verlangt. Forschung und Lehre und dazu auch noch Prüfen – so sein Szenario – würden sich zunehmend voneinander trennen, bisherige Zusammenhänge, die hier bestehen, würden sich „auflösen“. Mit anderen Worten: Forschung in vielen Disziplinen gleichzeitig sei künftig wohl auf drei bis fünf Spitzenuniversitäten in Deutschland beschränkt. Ein bisschen Forschung in einzelnen Disziplinen sei an Hochschulen mit „Forschungsleuchttürmen“ möglich und dann gäbe es noch viele Hochschulen, die eine „regionale Versorgung mit Bildung“ sicherstellen sollten – ohne Forschung, versteht sich. Als Beispiel für die Sinnhaftigkeit einer solchen Trennung, bei der jede Hochschule dann das mache könne, was sie gut kann (oder umgekehrt, dass sie nicht mehr das machen müsse, was sie nicht kann), nennt Müller-Böling die Virtuelle Hochschule Bayern – als handle es sich dabei um eine eigene Hochschule und nicht um ein Verbundprojekt, das gänzlich andere Ziele verfolgt als eine normale Universität. Genauso deplatziert wie dieses Beispiel ist aus meiner Sicht der Vergleich reiner „Lehr-Hochschulen“ (wobei er diesen Begriff nicht nennt) mit dem Breitensport – als könne man nicht genau beim Sport wunderschön sehen, wie sich der Spitzensport vom Breitensport entkoppelt hat. Vielleicht hätte er diese Analogie besser mal zu Ende gedacht.

Damit man aber auf keine dummen Gedanken kommt und all diese ökonomisch höchst anschlussfähigen Formal-Forderungen in Zweifel zieht, ist das Schlusswort dann doch wieder recht pathetisch und scheinbar nah an den Vorstellungen derjenigen, die (noch) glauben, dass Forschung und Lehre sehr wohl zusammengehören. Er sagt: „Auch wenn die Universitäten im Detail sich grundlegend verändern, wenn sie anders aussehen in 20 Jahren als heute, …., so bleibt eines doch auf jeden Fall bestehen: Sie sind und sie werden bleiben Ort der Wahrheitssuche für Wissenschaftler und Ort der Ermutigung zur Wahrheitssuche für Studierende“. Wie das mit den vorangegangenen Forderungen zusammenpasst, ist mir ein Rätsel! Wer Universitäten haben will, die sich ausschließlich auf die Lehre konzentrieren, die „Kunden“ mit Bildungsware versorgen, und sich darauf beschränken, „Versorgungslücken“ zu füllen, der kann mir nicht erzählen, dass es ihm darum geht, Wahrheit suchende, fragende und aufgeklärte Menschen zu fördern.

Kultur des Klagens

Auf meinen Blogbeitrag „Teil des Establishments“ gab es einen Kommentar, in dem ich auf einen Beitrag von Rolf Haubl und Günter Voß aufmerksam gemacht worden bin. Der Text mit dem Titel „Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen“ beinhaltet die Kurzdarstellung einer qualitativen Befragung von Supervisor/innen zum „Innenleben von Organisationen in Deutschland“. Die dort skizzierten Ergebnisse stellen in der Tat eine generelle Zustandsbeschreibung von Organisationen dar, in die man die Beobachtungen und Erfahrungen an Universitäten (wie im oben genannten Blogbeitrag beschrieben) sehr gut und fast schon nahtlos einordnen kann. Die Autoren verweisen auf zahlreiche Punkte, die auch für die Arbeit von Professoren und Mitarbeitern an den Universitäten gelten:

Nennen kann man etwa die wachsenden Dokumentations- und Evaluationspflichten, die zu Lasten der Arbeits- und Leistungsqualität gehen, den steigenden Effizienzdruck und das unangemessene Innovationstempo, wobei angemerkt wird: „Übersteigt das Innovationstempo die Anpassung der Beschäftigten, neigen sie dazu, lediglich die Rhetorik zu wechseln, um sich selbst zu schützen …“ – wie wahr! Auch Misstrauen und fortschreitende Entsolidarisierung sind Phänomene, die an Universitäten ebenfalls zu erkennen sind. Führungskräfte scheitern auch an den Unis an widersprüchlichen Anforderungen, fehlenden Ressourcen und einer gewissen Machtlosigkeit. Zielvereinbarungen, die im Text ebenfalls besprochen werden, haben in der W-Besoldung von Professoren längst Einzug gehalten. Dass diese, wie Haubl und Voß betonen, „hohe Selbsterkenntnis“ (S. 6) voraussetzen, aber keineswegs bedeuten, dass Leistung wirklich belohnt wird, weshalb „Enttäuschungsprophylaxe“ (S. 7) angezeigt sei, gilt wohl für Unternehmen und Universitäten gleichermaßen. Eine „Kultur des Klagens wegen anhaltender Überforderung“ (S. 6) aber – so die Folgerung der Autoren – sei keine angemessene Reaktion, denn sie diene lediglich der Ritualisierung der Probleme. Dass Jammern nicht hilft, hatte ich ja auch schon festgestellt, aber wissen wir, was denn nun tatsächlich helfen könnte? Haubl und Voß hoffen, dass die Finanzkrise eine Chance sein könnte, ehrlicher mit diesen Problemen umzugehen, was ein erster Lösungsschritt wäre. Nun ja, Krisen gibt es auch an den Universitäten zuhauf – vielleicht können wir sie nutzen?

Experiment mit ungewissem Ausgang

Diese Woche ist es soweit: Mein „Experiment“ zur Podcast-Vorlesung startet an diesem Mittwoch (28.10.2009), an dem ich die Einführung mache und den Studierenden das Konzept erkläre (hier die Folien: Einfuehrungsfolien). Am Donnerstag dann wird der erste Themen-Podcast hochgeladen. Aktuell kann man schon mal den Einstiegspodcast (hier) anhören – zur Rahmung der Story sozusagen.

Ich habe in diesem Blog bereits mehrfach über die Podcast-Vorlesung, ihre theoretischen Grundlagen (hier und hier) und das Konzept (hier) berichtet. Zum Vorlesungsblog, auf dem die Podcasts abzurufen sind geht es hier. Natürlich werden wir diesen Versuch wissenschaftlich begleiten. Ich bin selbst sehr gespannt, was am Konzept funktionieren wird, wo wir nachbessern müssen und an welchen Stellen (hoffentlich wenige oder keine) negative Effekte auftreten.

Ich habe für dieses Vorhaben mehrere Helfer: Christian Jocher-Wiltschka ist unser Podcast-Experte und wird mit seiner Abschlussarbeit in die wissenschaftliche Begleitung einsteigen. Unterstützt wird er dabei nicht nur von mir, sondern auch von Marianne Kamper. Beide werden zusammen mit Tamara Specht die Studierenden zudem tutoriell begleiten. Das in die Vorlesung integrierte Tutorium zum wissenschaftlichen Arbeiten übernimmt Hannah Dürnberger. Und ohne Frank gäbe es keinen Podcast – er hat sich mutig auf die „Vorlesungsgespräche“ eingelassen, die uns letztlich beiden viel Spaß gemacht haben. Jetzt gilt es zu hoffen, dass sie auch beiden Studierenden positiv ankommen und vor allem ihren Zweck erreichen.

Wo sind die Experten?

Jochen Robes hat (hier) auf eine Broschüre zum Open Access aufmerksam gemacht, die einen knappen und informativen Überblick über die aktuellen Bestrebungen wie auch deren Genese gibt, wissenschaftliche Informationen allgemein zugänglich zu machen. Schön an dieser Broschüre ist die Prägnanz, denn zig Seiten mit vor allem juristischen Argumenten erschlagen mich immer geradezu – mehr als ein paar Seiten schaffe ich dann meistens nicht.

Was ich mich frage ist, warum es eigentlich nur vergleichsweise wenige Initiativen seitens der Hochschulen selbst gibt, sich z.B. regional zusammenzuschließen und gemeinsam einen Verlag zu gründen oder einen solchen zum Partner zu nehmen, um wissenschaftliche Publikationen sowohl klassisch als auch im Open Access herauszugeben. Mir ist es nämlich auch lieber, wenn Profis das Layout machen, wenn es ein Lektorat gibt und in der Folge auch sprachlich (nicht nur inhaltlich) eine hohe Qualität resultiert. Dazu braucht man Fachleute und die müssen natürlich finanziert werden. Auf der Frankfurter Buchmesse bin ich an einem Stand vorbeigekommen, auf dem auch ein paar Infos zur „Arbeitsgemeinschaft der Universitätsverlage“ zu haben waren. Das geht ja schon mal in die Richtung, die ich meine.

Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet und meine Ansichten dazu sind folglich laienhaft und die eines Nutzers. Trotzdem wundere ich mich, dass es offenbar so schwer ist, hier Geschäftsmodelle zu generieren, die die verschiedenen Interessen bündeln. Warum haben staatliche Bibliotheken nicht längst Modellrechnungen angestellt, wo sie durch Open Access sparen und dieses Geld in einer vernünftige Partnerschaft (auch mit Verlagen) re-investieren könnten. Publizieren gehört zum Forschen, sodass ich schon meine, dass es auch Aufgabe der Universitäten (mit ihren Bibliotheken) selbst ist, sich hier Gedanken zu machen. Möchte sich da nicht mal eine Wirtschaftsfakultät erbarmen und hier die betriebs- und volkswirtschaftlichen Grundlagen erarbeiten? Das wären doch die Experten für solche Fragen, oder? Kurzum: Ich kapier es nicht, dass wir hier nicht schon weiter sind und immer noch rumeiern als ginge es darum, den Mars zu besiedeln.

In widersprüchlichen Anforderungen verstrickt

Semesterbeginn im Herbst – das ist meistens eine turbulente Sache, aber dieses Jahr erscheint es mir besonders turbulent. Wir sind dieses Semester für den Bachelor (BA) und Master (MA) „Medien und Kommunikation“ mit einer neuen Studien- und Prüfungsordnung gestartet. Der Hintergrund ist der, dass unser „alter“ BA und MA (gestartet im Wintersemester 2001/02) den jetzt geltenden Vorstellungen insbesondere von Akkreditierungsagenturen nicht gerecht werden würde (zu frei, zu flexibel). Also haben wir nun „nachgebessert“, manche Löcher gestopft und – wie so viele andere auch – mehr Pflichtbereiche definiert und Vereinbarungen mit Nebenfächern etc. getroffen. Ich finde, unser Studiengang ist bisher recht gut gelaufen, auch wenn wir viel improvisiert haben. Damit aber ist jetzt Schluss, was aber nicht nur an der neuen Prüfungs- und Studienordnung liegt, sondern auch an wachsenden Ansprüchen an „rechtsgültigen Leitlinien“. Ich will mich hier nicht über Details auslassen, aber ich empfinde vor allem Folgendes als zeitraubend (vor allem in der Rolle als Vorsitzende des Prüfungsausschusses) und auch als belastend: Einerseits sollen wir als Fachvertreter die Gleichwertigkeit von Leistungen feststellen, wenn diese außerhalb des regulären Curriculums erbracht wurden – also z.B. im Ausland, in einem Fach, das an sich nicht vorgesehen war, aber jetzt eine durchaus passende Veranstaltung anbietet, bei der Virtuellen Hochschle Bayern usw. Andererseits aber gibt es permanent Probleme in der Verwaltung, wenn diese Veranstaltungen nicht schon Wochen oder Monate vorher erfasst, im Prüfungsamt aufgelistet u. ä. werden. Noch schwieriger wird es, wenn z. B. im Nebenfach Master-Studierende auch mal eine BA-Veranstaltung besuchen wollen, weil der Inhalt für sie neu ist und sie eben auch im Master noch ihren Horizont erweitern wollen.

All das ging bisher durch genaue inhaltliche Prüfung (passt es im einzelnen Fall?) relativ problemlos und in meinen Augen war genau das „Bologna-konform“: nämlich die Anerkennung von Leistungen, die man nicht zu einer bestimmten Zeit an einem ganz bestimmten Ort erbracht hat (nur nebenher: das ist auch die Voraussetzung für Mobilität). Nun aber wird immer deutlicher, dass dieser Freiheit viele Grenzen gesetzt sind – überall herrscht in der Verwaltung Angst vor Klagen seitens der Studierenden: Wenn man großzügig etwas anerkennt, beim nächsten Fall aber Bedenken hat (weil der Einzelfall halt anders ist), könnte letzterer klagen. Also besser nichts anerkennen, was nicht eindeutig und vorher festgelegt worden ist. Genau das aber nimmt einem jede Flexibilität und das führt auch das Grundprinzip ad absurdum, dass an sich der Fachvertreter entscheiden sollte, ob etwas gleichwertig ist oder eben nicht.

Ich will da gar nicht die Verwaltungen oder gar einzelne Personen „anklagen“, denn aus der juristischen und administrativen Logik mögen die jetzige Vorsicht und die daraus resultierenden restriktiven Folgen gerechtfertigt sein. Vielmehr haben wir da einen ganz gewaltigen grundsätzlichen Webfehler, der mir ehrlich gesagt nicht nur Zeit, sondern bald auch den letzten Nerv raubt. Natürlich ist es erstrebenswert, Studierende vor der Willkür etwa einzelner Professoren zu schützen (z.B. in Anerkennungsfragen). Ich habe aber den Verdacht, dass sich die Studierenden bald nach genau diesen Entscheidungen von Professoren zurücksehnen werden, nämlich dann, wenn das unpersönliche Kontroll- und Sicherungssystem so undurchschaubar wie das Steuersystem geworden ist, das keiner mehr richtig durchblickt. Wenn es also in nächster Zeit etwas stiller in diesem Blog werden sollte, dann schlage ich mich wahrscheinlich mal wieder mit Anerkennungsanträgen und Rechtfertigungen vor dem Prüfungsamt herum oder habe mich vollends in widersprüchlichen Anforderungen verstrickt.