Bekenntnis zum "macro-learning"

Ich weiß nicht … vielleicht liegt es an meinem Arbeitsumfeld oder an mir als Person, dass ich mich mit dem Beschleunigungswahn nicht anfreunden kann, den das im Moment wieder häufig ins Netz geworfene micro-learning mit sich bringt: Ins Grübeln gekommen bin ich über den Blog-Beitrag von Jochen Robes (hier) zum micro-learning. Wieder wird da u.a. die „neue Generation“ beschworen, die einfach nicht mehr so lernen würde (oder wolle) wie früher, will heißen: sich z.B. nicht mehr über längere oder lange Zeit beispielsweise mit einem nicht unterhaltsam aufbereiteten Text auseinandersetzen kann und will, der mehr als 10 Seiten umfasst.

Also, es ist keineswegs so, dass ich Veränderungen und neue Ideen in unserem Bildungssystem für unnötig halte – im Gegenteil, obschon man immerhin zugeben muss, dass es auch ein paar (wenige) positive Trends gibt: z.B. Initiativen, dass man für die Grundschule zwischen drei und fünf Jahren brauchen darf. Das ist eine Idee, die mir übrigens sehr gut gefällt, weil sie den Faktor Zeit (und um den geht es ja auch beim micro-learning) individualisiert: Menschen – da bin ich mir sicher – haben nun einmal individuelle Geschwindigkeiten darin, wie sie sich entwickeln, wie sie arbeiten, kommunizieren und eben auch lernen. Manchmal muss man versuchen, das bis zu einem gewissen Grad zu harmonisieren (bei Veranstaltungen oder in der Teamarbeit). Aber ich denke, es gibt an sich sehr viele Spielräume in allen Bildungskontexten, die man nutzen könnte und müsste, um Lehren, Lernen und Bildung nicht einem standardisierten Zeitdiktat zu unterwerfen. Aber um wieder zum micro-learning zurückzukehren: Ich frage mich halt: Was kann man in drei bis fünf Minuten lernen? Vielleicht, wie ich eine Kaffeemaschine bediene; eventuell auch vier, fünf neue Vokabeln in einer Fremdsprache, ein interessantes Detail aus irgendeiner Domäne …. Geht es uns darum? Wo und warum geht es uns darum? Ist es sinnvoll, die so verschiedenen Formen des Lernens inklusive unterschiedlicher Lernziele und entsprechend auch äußerst variabler Lehrangebote gegeneinander auszuspielen? Vor allem an der  „2.0-, Micro- und Co.-Debatte“ geht mir dieses Durcheinander, das entsteht, wenn gar nicht klar gesagt wird, was denn wozu unter welchen Bedingungen gelernt werden soll, gehörig auf die Nerven. Hauptsache neu, Hauptsache hip formuliert. Das führt auch nur dazu, dass das außer einer kleinen Minderheit niemand ernst nimmt – schon gar nicht an den bildungspolitischen Stellen, wo es nötig wäre.

Ich bekenne mich zum „macro-learning“ – auch wenn es das als Begriff noch gar nicht gibt. In meiner Lehre jedenfalls will ich, dass Lernende eine Idee vom Ganzen bekommen, Zusammenhänge erkennen, und in diesem Zusammenhang(!) lernen, eigene Fragen zu stellen. Und dazu muss man auch lesen – und zwar in manchen Phasen auch viel lesen und sich Gedanken machen und sich dabei Zeit lassen. Wenn Lernende mal zu einem Themengebiet oder Thema so etwas wie mentale Modelle bzw. eine gewisse Orientierung aufgebaut haben, dann mag auch mal ein „micro-learning“ sinnvoll sein, um Details zu klären, um kleine Lernphasen z.B. in Projektarbeiten einzubinden etc. Und wenn Menschen in ihrer Freizeit oder am Arbeitsplatz neue Dinge via micro-learning erfahren, ist das natürlich auch schön – aber doch bitte nicht als eine „neue Lernform für eine neue Generation“!

Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit

Ich mache kein Hehl daraus, dass mir die deutsche Sprache wichtig ist. Sie ist mein Werkzeug, ich würde auch für mich persönlich durchaus behaupten: mein „Denkwerkzeug“ (um mal das englische „cognitive tool“ zu vermeiden). Klar, dass ich mir heute die Zeit gekauft habe, wenn das Titelthema wie folgt angekündigt ist: „Rettet die deutsche Sprache! Die Elite spricht Englisch, am unteren Ende der Gesellschaft verkümmert die Sprachfähigkeit. Wie können wir verhindern, dass unsere Muttersprache weiter erodiert? Und welche Zukunft hat unsere deutsche Sprache überhaupt noch?“ Nun, mehr als zwei Seiten ist die Beantwortung dieser Fragen (im Feuilleton) dann doch nicht wert und sehr viel Neues habe ich nicht gelesen. Dass in der Wissenschaft das Deutsche allenfalls in geistes- und einigen wenigen sozialwissenschaftlichen Fächern noch eine gewisse (geringe) Bedeutung hat, ist hinlänglich bekannt. Dass das auch nicht mehr zu ändern sei, kann man ebenfalls überall da lesen, wo über das Thema geschrieben wird. Der Artikel bemüht sich, die Vor- und Nachteile der Durchsetzung des Englischen als globale Sprache einander gegenüberzustellen. Dabei wird auch die wachsende Kluft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft/Öffentlichkeit angesprochen, wenn Publikationen und andere Darstellungsmodi nur mehr auf Englisch erfolgen. Wenig vertiefend dagegen kommen in dem Beitrag Überlegungen dazu ins Spiel, welche Bedeutung die Sprache auf das Denken und damit auch auf das wissenschaftliche Denken und wissenschaftliche Kreativität hat (der Autor sieht das allenfalls auf philosophischem Gebiet als relevant an).

Wirklich neu waren für mich zwei Punkte: (1) Der Beitrag verweist auf Arbeiten, die sich der Frage stellen, wie sich das Englische verändert, wenn es denn vor allem von „Ausländern“ als „Lingua franca-Englisch“ gesprochen wird. Das sei dann auch nicht mehr die Sprache der englischen Muttersprachler, sondern eine andere – eine die allen gehöre. Das finde ich einen ganz interessanten Gedanken, aber ob das wirklich mehrheitlich so wahrgenommen wird? (2) Der Beitrag thematisiert quasi als Rahmen für die restlichen Ausführungen die Verantwortung der „Eliten“ in einer Gesellschaft gegenüber der eigenen Sprache. Und so endet der Beitrag mit folgendem Absatz: „Dass Teile unserer Eliten diese Sprache [Anm. das Deutsche in bedeutenden Werken der Literatur und Philosophie] nicht verstehen und nicht mehr sprechen, hat wenig mit globalen Zwängen zu tun und viel mit Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit. Damit verhalten sich die Eliten unverantwortlich, denn der Zustand einer Sprache hängt am meisten von jenen ab, die Macht und Einfluss haben. An ihrem Sprachverhalten richten sich jene aus, die unten sind und nach oben wollen“. Vor Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit ist auch die Wissenschaft nicht gefeit und ich habe schon mitunter den Eindruck, dass wenig neue und tiefe Gedanken, verpackt in einem englischen Text oder Vortrag, allein aufgrund der damit erreichten Internationalität bereits eine Menge „Bonuspunkte“ einheimsen, die dann inhaltliche Defizite kompensieren (sollen). Auch das ist letztlich unverantwortlich.

Beharrlich ignoriert

Michael Kerres hat bereits vor einiger Zeit (hier) auf das Themenheft „Transferforschung im Bildungsbereich“ (März 2010) hingewiesen, das ich jetzt endlich auch gelesen habe. Ich bin Wolfgang Einsiedler sehr dankbar, dass er das Thema „Entwicklungsforschung“ in dieses Heft platziert hat, tun sich doch vor allem die DFG-Forscher mit diesem Begriff (innerhalb der Bildungswissenschaften) mehr als schwer. Michael kommentiert das so: „Vielleicht wird dieses Heft der ZfH einmal als Wendepunkt in der bildungswissenschaftlichen Forschung im deutschsprachigen Raum referenziert werden. (Ok: #Wunschdenken)“ – Wunschdenken … ja, das könnte wahrscheinlich sein, dass es Wunschdenken bleibt, aber ist es auch richtig? Ich hatte mit Herrn Einsiedler einen virtuellen Austausch im Vorfeld zu seinem Beitrag, der sich ja auch an einigen Stellen explizit auf den Band bezieht, den ich mit Joachim Kahlert herausgegeben habe (hier). So ganz richtig wiedergegeben finde ich die Arbeiten aus dem Umkreis der Design-based Research in Einsiedlers Text allerdings nicht. Auch fühle ich selbst mich eher nicht richtig in einer „pragmatische Unterrichtsforschung“ eingeordnet. Ich halte die Entwicklungsforschung auch für einen Weg zur Erkenntnis – nun gut, der dazugehörige Artikel kam etwas später heraus und konnte wohl nicht mehr berücksichtigen werden (hier das Preprint und hier das Buch). Aber egal: Ich freue mich, dass Einsiedler unsere Arbeiten überhaupt aufgegriffen hat, während sie von den anderen Autoren aus dem Umkreis der empirischen Bildungsforschung beharrlich ignoriert werden … warum auch immer.

Etwas schade ist die Einschränkung der Beiträge auf den Kontext Schule. Ich meine, man könnte und sollte viel öfter die Bildungskontexte bei solchen wissenschaftstheoretischen und methodischen Themen breiter anlegen, denn gelten die angestellten Überlegungen zu Implemenation, Transfer und Forschung nicht auch für Bildungsbemühungen in Hochschule, Berufsbildung, Weiterbildung und anderen Organisationen?

Verhaltenes Interesse?

Als ich 2001 an der Universität Augsburg die Professur für Medienpädagogik übernommen hatte, war kurz darauf eine Veranstaltung, die sich „Tage der Forschung“ nannte. Den Uni-Angehörigen selbst wie auch interessierten Besuchern sollte zugänglich gemacht werden, was man so forscht und womit man sich beschäftigt. Etliche Jahre später haben wir das nochmal gewagt, wobei wir uns dann auf die Lehre beschränkt hatten. Das Interesse an solchen Veranstaltungen (falls es keine Events auf Plätzen großer Innenstädte oder ähnliche sind) hält sich einfach in Grenzen. Nun sind wir knapp drei Monate in München an der UniBw und werden trotz dieses meist verhaltenen Zuspruchs exemplarisch unsere Arbeit auf einem „interaktiven Marktplatz“ beim Tag der offenen Tür am Samstag zwei Stunden lang (12.00 bis 14.00) präsentieren (hier das Programm). Alex hat hierzu bereits eine Meldung auf unserer Webseite gemacht (hier). Wir hoffen, dass ein paar Interessierte kommen – vielleicht auch Kollegen aus den anderen Fächern und Fakultäten, um ein wenig ins Gespräch zu kommen. Und wenn nicht: Wir sind zu sechst (Tamara, Marianne, Alex, Silvia, Frank und ich) und müssen uns auch dann nicht langweilen, wenn sich der Besucherandrang  in Grenzen hält ;-).

Wenn ich schon mal beim Ankündigen bin: Am Montag werde ich mich bei e-teaching.org an einer Online-Podiumsdiskussion im Rahmen des Themenspecials E-Lectures beteiligen: Zusammen mit Michale Kerres und Karsten Morisse (den ich noch nicht kenne) geht es darum, Konzepte und damit gemachte Erfahrungen im Vorlesungsbereich kurz vorzustellen und zu diskutieren. Ich bin schon gespannt auf das Format (ist in dieser Form meine erste Beteiligung) und die Diskussion. Weitere Infos finden sich hier.

Bildung vom Windel- bis zum Greisenalter

Auf mehreren Blogs wurde bereits auf den neuen Bildungsbericht 2010 hingewiesen, der dieses Jahr mit dem Untertitel „Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Perspektiven des Bildungswesens im demografischen Wandel“ versehen ist. Es gibt eine Langfassung (hier) und eine Zusammenfassung (hier). Ich gestehe, dass ich auch nur die Zusammenfassung gelesen habe. Wie immer, wird jeder aus dem Bericht herauslesen und herauspicken, was ihn gerade umtreibt. Ein- und derselbe Sachverhalt wird mit Sicherheit für ganz unterschiedliche Argumentationen herhalten müssen. Informationen sind halt das eine; daraus abgeleitete Folgerungen und Forderungen das andere.

Die Regierung selbst beklagt die schlechte Bildungssituation für Migranten – wahrlich keine neue Erkenntnis, weshalb es mich schon verwundert, dass man sich immer wieder von Neuem so wundert, OHNE DASS irgendwelche nennenswerten Maßnahmen ergriffen werden, dies zu ändern. Die taz macht auf die wachsende generelle soziale Kluft zwischen denen aufmerksam, „die im Windelalter pädagogisch gefördert werden“ und denen, die in einer „Risikolage“ (Achtung Frauen, dazu zählt auch bereits, wer sein Kind alleine großzieht). Den Blick auf die Berufsbildung wirft Spiegel online: „keine Ausbildung – keine Perspektive“. Auch das erscheint mir nicht gerade neu. Die Hochschulrektorenkonferenz freut sich immerhin, dass „das Bildungsniveau steigt“, weil zunehmend mehr Abiturienten ein Studium beginnen (angeblich mehr als erwartet). Ob deswegen wirklich das „Bildungsniveau“ steigt ist allerdings zumindest dann fraglich, wenn Hochschulen weiter unterfinanziert bleiben, was ja auch Auswirkungen auf das Niveau in Studium und Lehre hat.

Was habe ich mir als besonders interessant angestrichen? Ich bringe mal beispielhaft drei Punkte:

  1. „Schüler in achtjährigen Gymnasien (G8) üben seltener eine freiwillige Tätigkeit aus als G9-Schüler. Niedriger fällt im Vergleich zu Schülern an Halbtagsschulen auch die Engagementquote der Ganztagsschüler aus“. Finde ich deshalb interessant, weil es vielleicht einen Anstoß dazu gibt, ob wirklich immer die viel gelobte Ganztagsschule (die ja mit dem G8 auch faktisch wächst) aus einer Bildungsperspektive heraus wirklich IMMER der beste Weg ist.
  2. „Seit 2005 liegt der Frauenanteil bei den Hochschulabsolventen über 50%, an den Universitäten beträgt er fast 60%“. Das ist erfreulich, aber warum hat es für Aufstiegs- und Gehaltsfragen so wenig Einfluss? Was läuft da in welchen biografischen Phasen schief oder ist das gar eine falsche Interpretation, weil Bildung schließlich nicht immer unter einem ökonomischen Verwertungsaspekt gesehen werden muss? Mich wundert ja, dass diese Ausrede noch nicht politisch artikuliert wurde.
  3. „Angesichts des zunehmenden gesellschaftlichen Bedarfs an Weiterbildung in allen Altersstufen jenseits der Erstausbildung ist ein weiterer Ausbau der Angebote mit einem steigenden Personalbedarf in der Weiterbildung anzustreben. Neben der Expansion scheint eine verstärkte Professionalisierung des Weiterbildungspersonals geboten“. Schön wäre ja, wenn das mit einer entsprechend wachsenden Wertschätzung von bildungswissenschaftlichen Studiengängen verbunden wäre, die immerhin für genau diese Professionalisierung sorgen könnten!

Bibliotheken in der Eurokrise

„Lernen in der Bibliothek von heute“ – unter diesem Motto findet aktuell der Bayerische Bibliothekstag in Augsburg statt (hier das Programm). Ein Anlass für mich, mal wieder die alte Zugstrecke nach Augsburg zu fahren, denn ich durfte – nach allerlei Grußworten seitens des Bürgermeisters, des Generaldirektors der Bayerischen Staatsbibliothek und des Vorsitzenden des Bayerischen Bibliotheksverbands – den Eröffnungsvortrag halten. Der Empfang fand im Goldenen Saal im Augsburger Rathaus statt, den ich jetzt, nachdem ich nicht mehr in Augsburg bin, nun endlich auch gesehen habe ;-).

Dass sich der alle zwei Jahre stattfindende Bibliothekstag dieses Jahr explizit mit dem Lernen, der Gestaltung von Lernumgebungen und der Informationskompetenz beschäftigt, passt gut in aktuelle Bildungsdiskussionen. Wie bedroht genau diese Leistungen der Bibliotheken angesichts der schlechten öffentlichen Haushaltslage und Eurokrise allerdings sind, machte der Vorsitzende des Bayerischen Bibliotheksverbands, Prof. Walter Eykmann, nachdrücklich deutlich – entsprechend länger gestaltete sich das „Grußwort“.

Für mich war die Wahl eines geeigneten Themas einigermaßen schwierig, weil ich die Zielgruppe nicht besonders gut einschätzen konnte und mit meiner Annahme dann auch richtig lag, dass diese sehr heterogen zusammengesetzt ist. Ich hoffe, dass ich mit meinen Ausführungen zur Rolle der digitalen Medien und der Bibliotheken zum forschenden Lernen inklusive einer Lebensspannenperspektive etwas liefern konnte, das ein paar Impulse für die Veranstaltung gegeben hat. Für alle, die nachlesen wollen, stelle ich mein Manuskript gerne online zur Verfügung:

Vortrag_Augsburg_Juni 10

Lieber am Badesee

Freitag Nachmittag bei weit über 30 Grad – das ist eher keine Zeit, zu der man sich einen Vortrag anhören möchte. Dennoch waren einige interessierte Zuhörer/innen da, als ich gestern im Rahmen der Friday Lectures – organisiert vom Center for Teaching and Learning der Universität Wien – einen Vortrag zur Studienganggestaltung gehalten habe. Es gab im Anschluss zwei Kurzvorträge von Ko-Referenten zum Thema – zum einen von Herbert Hrachovec, Vorsitzender der Curricularkommission des Senats der Universität Wien, sowie von Christian Brandstätter, einem Studierenden der TU Wien. Moderiert hat Martin Bernhofer vom ORF/Ö1. Das Format hat mir gut gefallen: Eine kurze Einführung, ca. 30 Minuten Vortrag, zweimal ca. 10 Minuten Ko-Referate, zu denen ich dann Stellung genommen habe, und schließlich eine allgemeine Diskussion. Alles wurde als Audio aufgezeichnet, sodass Interessierte, die bei ca. 36 Grad lieber einen Badesee aufgesucht haben, dennoch mitbekommen, wie die eineinhalb Stunden liefen. Hinterher haben ich zwei Studierenden noch ein Interview gegeben.

Interessant an der Diskussion war für mich, dass es in Österreich keine Akkreditierung von Studiengängen gibt, was sich aber ändern soll. Man kann nur hoffen, dass man aus den in dieser Hinsicht schon begangenen Fehlern (in anderen Ländern) lernt. Ob meine Grundidee, die Studienganggestaltung endlich auch wieder als eine didaktische und nicht mehr bloß logistische Herausforderung zu sehen, wirklich angekommen ist, das weiß ich nicht so genau. Letztlich landeten wir nämlich doch wieder bei den hochschulpolitischen Problemen, bei denen wir als Hochschullehrer nicht unmittelbar und in Eigenregie richtig tätig werden können, um zu Lösungen zu kommen.

Hier nun der Vortrag zum Nachlesen (für die, die lieber lesen als zuhören):

Vortrag_Wien_Juni10

Mut zur Lehre

„Die zählebigste Grundannahme ist die, der zufolge Lehren eine unverzichtbare Voraussetzung für die Initiierung und Begleitung von Lernprozessen sein soll“ – schreibt Rolf Arnold in der FAZ.net (hier) angesichts der nie endenden Klagen über die Lehre an deutschen Universitäten (danke an Sandra für den Link-Hinweis). Bologna, so Arnolds Argumentation, versuche, grundlegende Probleme des Lernens und Lehrens an unseren Unis durch „Mehr vom selben“ zu lösen, indem man z.B. den Präsenzunterricht erhöht und unter anderem auch die physische Präsenz kontrolliert. Dass dies keine sinnvolle Lösung ist, da stimme ich Arnold zu, wie ich kürzlich selbst in einem Interview (Blogbeitrag hier) erklärt habe. Meine volle Zustimmung hat Arnold auch in dem Argument, dass man im Zuge von Bologna dem Irrglaube unterliegt, dass man allein mit der Einrechnung des Selbststudiums in die Punktelogik der neuen Studiengänge sicherstellen könne, dass Studierende ein effektives Selbststudium praktizieren. Das Gegenteil dürfte (eben wegen mehr Präsenz-Anforderungen) der Fall sein.

Allerdings meine ich, dass Lehre sehr wohl etwas dazu beitragen kann, das Studierverhalten und damit das Lernen an sich (auch das Selbststudium) zu verbessern: Muss Lehre denn darauf beschränkt werden, langweile Vorlesungen zu halten, die – so Arnold – mit „aberwitzig geringen Behaltensquoten“ einhergehen und der „Verkündigungstradition der Kirche“ folgen? Nicht ganz klar ist mir außerdem, warum Arnold die Entwicklung von Selbstlernmaterialien von der Lehre abgekoppelt sieht: Vor mich besteht Lehren zum einen darin, geeignete Inhalte auszuwählen und aufzubereiten (Inhaltsdesign) und sich dann Gedanken darüber zu machen, mit welchen Methoden man Lernende darin unterstützen kann, aktiv mit diesen Inhalten umzugehen (Aufgabendesign). Wer Selbstlernmaterialien erstellt, der lehrt – finde ich! Aus dem Grund habe ich meinen Studientext (hier) auch genau so aufgebaut (nach Inhalts- und Aufgabendesign).

Wenn man ein solches Verständnis von Lehren hat, dann entsteht erst gar nicht eine so große Kluft zwischen Lernen und Lehren, wie Arnold sie sieht, und in der Folge empfiehlt, das Lehren besser nicht mehr so in den Vordergrund zu stellen. Bringt es uns weiter, wenn wir das Lehren zum Feind des Lernens erklären? Wollen dahin kommen, dass sich jeder alles selbst beibringen soll? Ist das ein kultureller Fortschritt? Ich würde alle drei Fragen mit nein beantworten und mich für mehr „Mut zur Lehre“ aussprechen. Mut braucht man deshalb, weil man sich mit dem Anspruch, anderen etwas beibringen zu können (und zu wollen), natürlich angreifbar macht, weil man viele Fehler machen kann, weil man mit seiner Inhalts- und Aufgabenwahl danebenliegen kann, weil man es NIEMALS allen recht machen kann …. Aber ist das ein Grund, es sein zu lassen?

Diskussion ohne Vorbehalte

Am letzten Freitag hat Christian Kohls, wie angekündigt, seinen „Gastvortrag“ gehalten, wobei – das gleich als Vorwarnung – er dazu einlud, auch gleich während seiner Ausführungen in die Diskussion einzusteigen. Und das haben wir dann auch gemacht – zweieinhalb Stunden lang. Wer also tatsächlich Interesse an der Audio-Aufnahme hat, sei hiermit gleich vorab informiert: Das ist die Aufnahme eines „Kolloquiums“ im wahrsten Sinne des Wortes (lat. colloqui = sich besprechen). Wir waren in einem normalen Seminarraum und haben diskutiert. Ich bitte also um Verständnis, wenn die die Qualität jetzt nicht so überaus hoch ist. Hier der Mitschnitt.

Frank hat sich (hier) in seinem Blog bereits ausführlicher mit den inhaltlichen Ergebnissen beschäftigt. Relativ lange haben wir uns in der „Musterdiskussion“ gleich zu Beginn bei den „Kontexten“ und den dort auftretenden „Wirkkräften“ aufgehalten, die man bei einer (didaktischen) Problemlösung beachten muss und die einen wesentlichen Aspekt in Mustern ausmachen. Ein weiterer längerer Diskussionspunkt waren der Begriff und die Rolle von „Normen“ in der Musterforschung. Wegen meines Esoterik-Vorbehaltes hatte Christian besonders viele Überlegungen zum Ganzheitlichtskeitsbegriff mitgebracht, den er dann auch etwas ausführlicher mit dem der „Gestalthaftigkeit“ verglichen hat. Interessant waren dabei vor allem die interdisziplinären Vergleiche.

Mir haben Christians Ausführungen auf jeden Fall geholfen, nochmal einen anderen Zugang zu und Blick auf die Musterforschung zu werfen. Wenn man Vorbehalte hat, ist dieser Weg des interaktiven Austausches mit Sicherheit der beste, um sich trotzdem mit einem Ansatz zu beschäftigen und ihn daraufhin abzuklopfen, was er zu bieten hat. Ich hoffe, den anderen Teilnehmern des Kolloquiums ist es auch so gegangen.

Silvias Präsentation zum Stand ihrer Arbeit im Themengebiet des Assessments hat gut in den vom Muster beherrschten Nachmittag gepasst. Allerdings stehen bei Silvia erst mal das Suchen und Finden von lernförderlichen und praxistauglichen Assessment-Verfahren an der Hochschule im Mittelpunkt der ersten Phase, bevor dann auch die Frage virulent wird, wie man diese sinnvoll darstellen kann, damit sie breiter genutzt werden. Ihre bzw. unsere Annahme ist, dass sich hierfür eine Darstellung als Muster eignet – womit eine gute Verbindung zu Christians Vortrag vorlag.

Ein insgesamt betrachtet interessanter Kolloquiumstermin mit unserem externen Gast, der hoffentlich auch etwas von der Diskussion mitgenommen hat.

Kollaboratives Schreiben für Lesefaule?

Die Autorenliste ist beeindruckend lang, die Sandra Schaffert und Martin Ebner nun beisammen haben, um ihr ehrgeiziges Lehrbuchprojekt L3T (Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien) zu realisieren – hier die dazugehörige Web-Seite. Ich vermute, dass es mehreren so geht wie mir: Ich bin beeindruckt, wie rasch die Idee in der Community eingeschlagen ist. Ich finde das zugrundeliegende Ziel gut, auch wenn es natürlich durchaus bereits eine ganze Reihe von Büchern gibt, die man AUCH in der Lehre einsetzen kann. Unschlagbar ist die damit verbundene Entscheidung, dass es sich am Ende um einen Open Content handeln wird. Und WEIL das alles so ist, auch weil man der Idee eine Chance geben will, ohne natürlich von vornherein einschätzen zu können, wie gut das alles gelingt, macht man mit – auch ich. Gespannt bin ich, ob und wie sich das jetzt organisieren lässt und wie es sich innerhalb der bereits vororganisierten Teilbereiche „selbst organisiert“. Ich will nicht sagen, dass Selbstorganisation nicht funktioniert. Aber meine persönliche Erfahrung ist die, dass sie selbst unter Experten nur im Falle spezieller Bedingungen funktioniert (meist die, dass man dieselbe Arbeitshaltung hat). Deshalb finde ich das gesamte Vorhaben nicht nur inhaltlich, sondern auch aus einer Metaperspektive ausgesprochen interessant. Vielleicht sollte man nebenher eine begleitende Studie machen? Eine Studie also zum kollaborativen Schreiben?

Eine für mich noch nicht geklärte (und über das Lehrbuch-Projekt natürlich hinausgehende) Frage dabei ist, was ein Buch eigentlich zu einem „Lehrbuch“ macht: Sind es formale Kriterien, wie die direkte Ansprache des Lesers, die Tatsache, dass man nicht viel (aber sicher etwas?) voraussetzt, um das Geschriebene verstehen zu können, eingestreute Fragen, Aufgaben und Zusammenfassungen u. ä. All das aber kann ich auch in einem klassischen Handbuch finden, das eher als Nachschlagewerk dient und natürlich AUCH in der Lehre eingesetzt werden kann. Meine Erfahrung mit Novizen ist, dass sich diese schwer tun, mit Texten, die aus sehr verschiedenen Federn stammen, so zu lernen, dass sich erste belastbare mentale Modelle bilden. Aus dem Grund bin ich bei Inhalten, die mir sehr wichtig sind, zu eigenen Studientexten (als Einstieg) übergegangen. Aber das beantwortet noch nicht meine Frage, was ein Buch zu einem Lehrbuch macht, wobei fraglich ist, ob man überhaupt allein mit einem Buch lernen kann – bzw. wann man das kann. Gerade erst habe ich das kleine Büchlein von Kuckarts et al. von 2008 mit dem Titel „Qualitative Evaluation. Der Einstieg in die Praxis“ gelesen: Das darin geschilderten Beispiel aus einer Vorlesung deckt sich mit meinen Erfahrungen (siehe z.B. auch hier), dass Studierende überhaupt eher nicht so gern lesen, schon gar nicht viel Text, sondern lieber Zusammenfassungen auf Folien. Was bedeutet das für Lehrbücher? Wie gesagt: Ich habe keine abschließenden Antworten. Zumindest aber habe ich bei mir selbst festgestellt, dass Texte „aus einer Hand“ für den Einstieg mehr bewirken als z.B. Reader mit Texten verschiedener Autoren.