Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Impact free

| 8 Kommentare

Von 1992 bis 2001 war ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der LMU München bei Prof. Heinz Mandl tätig. In dieser Zeit wurden am Lehrstuhl Mandl sehr viele Forschungsberichte, später auch Praxisberichte veröffentlicht – als „graue Literatur“ gedruckt und an unzählige Adressen versandt. Erst später konnte man die Berichte dann auch online abrufen.

Diese Berichte wurden viel gelesen, oft waren es Vorabdrucke oder auch die Kernelemente späterer Arbeiten, die dann „offiziell“ publiziert worden sind. An der Uni Augsburg habe ich auf viel kleinerer Flamme (mit mäßigem Erfolg) versucht, mit „Arbeitsberichten“ an die Münchener Erfahrungen anzuschließen. Aber in dieser Zeit zwischen 2001 und 2010 wurde es bereits schwieriger, online etwas öffentlich zu machen und es dann noch für Zeitschriften und Herausgeberbände zu nutzen. Außerdem spürten wir damals schon den steigenden Druck vor allem auf Nachwuchswissenschaftlern, sich auf Zeitschriftenartikel zu konzentrieren und folglich keine „Zeit zu verschwenden“ für irgendwelche graue Literatur – und wenn sich diese auch noch so gut und vor allem viel besser verbreitet als Artikel in spezialisierten Fachzeitschriften. Als Folge dieser neuen Situation haben wir dann an der Universität der Bundeswehr München von 2010 bis 2013 mit „Forschungsnotizen“ experimentiert: Eine Art „Extended Abstracts“, die keine unmittelbaren Vorwegnahmen „echter“ Artikel darstellen, sondern prägnante Zusammenfassungen von Kernideen, die man anderswo erst entfaltet. Die Zeit in München war aber zu kurz, um feststellen zu könne, ob das ein auch für Nachwuchswissenschaftler gangbarer Weg ist.

Was sich also über fast zwei Jahrzehnte hinweg allmählich andeutete, ist heute ungeschriebenes Gesetz: Wer noch nicht als Professor fest im Sattel sitzt (und nicht nochmal an eine andere Universität wechseln will), publiziert besser strategisch, also da, wo der Impact groß ist – tatsächlich oder vermeintlich. Will man den wissenschaftlichen Nachwuchs wirklich unterstützen, lassen sich kaum überzeugende Argumente für andere Wege in der Publikationspraxis finden. Allenfalls zusätzlich scheint es mir noch vertretbar, auch mal zu Blog-Beiträgen und Publikationsprojekten zu raten, die hier ausscheren (wobei es natürlich disziplin- und fachbezogene Unterschiede gibt).

Meine Überlegungen und ersten Ideen, ab 2015 am Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lerne (HUL) so etwas wie eine eigene Schriftenreihe anzuregen, habe ich daher rasch ad acta gelegt. Wo bin ich also gelandet? Bei einem persönlichen Experiment – jederzeit erweiterbar auf alle, die auch mal Lust haben, „frei zu schreiben“: bei Impact free. Nein, das ist kein Scherz, sondern ein ernst gemeinter Versuch, doch noch eine Nische zu finden – zwischen Blog-Posts und offiziellen Publikationsorganen. Die Idee von Impact Free findet sich nochmal ausformuliert hier. Den ersten Beitrag gibt es hier.

8 Kommentare

  1. Hallo Frau Reinmann,
    ich kann Ihre Beobachtung sehr gut nachvollziehen. Am Anfang meiner Dissertation haben Michael Koch und ich auch mehrere „Technische Berichte“ an der UniBw veröffentlicht und ich finde das bis heute ein gutes Vorgehen. Tatsächlich waren (für mich) dann aber doch auch die Peer-Reviews von Konferenzen und Journals wichtig für das Vorankommen und v.a. Lernen…
    Nur den Begriff „Impact free“ finde ich nicht so gut gewählt. Denn impact (etwas mit unserer Forschung bewegen) finde ich schon wichtig… aber ich bin denke, dass man keine (oder nicht nur) Top-Journals braucht um impact zu erzeugen… der erste (2007) veröffentlichte von den o.g. Technischen Berichten gehört bis heute mit über 100 Zitationen zu meinen meistzitierten Beiträgen… und das ist für mich (eine wichtige Komponente von) impact. Dasselbe gilt für Blogposts, die von viel mehr Personen gelesen werden als Papers… (und immerhin sieht man die Anzahl der Abrufe und Links)
    Es wäre schön wenn solche Veröffentlichungen (von denen ich in den letzten Jahren aus den von Ihnen genannten Gründen leider zu wenige geschrieben habe) genauso zur Klaviatur eines Akademikers gehören würden wie Papers in Top-Journals… leider sehen viele das nicht so.
    P.S.:
    Von einem erfahrenen Kollegen (mit vielen hochrangigen Veröffentlichungen) habe ich vor kurzem gelernt, dass er Youtube-Videos seiner Vorträge als effektivstes Mittel wählt um Aufmerksamkeit zu erzeugen und Themen voran zu treiben… Auch eine Möglichkeit…

  2. Wir wissen: Es gibt mehr als EINEN Impact 😉

  3. Liebe Gabi,
    mir gefällt deine Initiative auch einiges besser als der Name 😉
    Du schreibst ja selbst, dass auch nicht vermessene Publikationen einen Impact haben (vielleicht in der Hochschuldidaktik gar den grösseren…). Durch deine Titelsetzung übernimmst du in meinen Augen die von dir kritisierte einseitige Wahrnehmung des Wissenschaftsbetriebs (auch wenn der Titel natürlich ironisch oder anklagend gelesen werden kann).

  4. Tja, da muss ich mich wohl als unwissend outen. 😉 Für mich ist impact nur ein englisches Wort, das ich mit Wirkung, Bedeutung, Einfluss gleichsetze. Und egal um welche ‚Wirkung‘ es mir geht, z.B. auf die Wissenschaft, auf die Praxis, auf meine Studenten, … es sollte eine Wirkung geben. Insofern finde ich impact-frei, ohne weitere Spezifikation, irreführend.
    Aber falls impact auch noch als psychologischer Fachbegriff verwendet wird, der anders zu verstehen ist, dann habe ich wohl einfach etwas missverstanden…
    In jedem Fall finde ich das ist ein spannendes Thema.

  5. Oh, ich bin für mehr Ironiefähigkeit in der Wissenschaft 🙂

  6. Ich fände IFf für „Impact Factor free“ als Begriff auch deutlicher, aber das ist halt nicht so schön kurz und griffig.
    Ein solche Einzelaktion – so sehr ich ihr Erfolg wünschte – scheint mir wenig ausrichten zu können. Hier müssen sich Kulturen ändern. Andere Forschungsgebiete zeigen, wie’s geht (z.B. Physik).

  7. Also erst mal freue ich mich über die Resonanz – oder sollte ich sagen: über die Wirkung, die paradoxerweise vor allem der Titel hervorruft? 😉 Aber ernsthaft: Impact free ist, wie ich es geschrieben habe, vor allem eines: ein persönliches Experiment – und also ja: eine individuelle Aktion.
    Und ich bin nicht gegen „Impact“ in der Wissenschaft in dem Sinne, dass Wissenschaft Aufmerksamkeit braucht (ergo auch Wirkung zeigen muss), eben weil sie öffentlich (und folglich zur Kenntnis genommen) werden MUSS, denn nur dann kommt es auch zum Dialog, zur Kritik, zur Auseinandersetzung unter verschiedenen Perspektiven. Ein numerischer Impact-Wert oder gar die bloße Quantität als Maß von Einfluss – mal ehrlich: Wer findet das an sich sinnvoll ? Trotzdem spielt man dieses Spiel aus diversen Gründen oftmals kommentarlos mit . Und von einer sehr engen und einseitigen Sicht von Impact – ja, davon bin ich tatsächlich gerne frei :-).
    Ich bin auch nicht gegen Peer Review – im Gegenteil: Ich plädiere für eine Vielfalt sowohl beim Publizieren als auch beim Peer Review (siehe hierzu die Zeitschrift EDeR: http://gabi-reinmann.de/?p=5270 bzw. gleich direkt hier: http://journals.sub.uni-hamburg.de/index.php/EDeR/index). Peer Review ist ja letztlich Teil des Öffentlich-Machens in der Wissenschaft.
    Zeitschriften mit verschiedenen Formen des Peer Review, Herausgeberbände, Monografien, Blog-Posts (im Idealfall mit Kommentare und Rekommentaren) und sog. graue Literatur, die man noch etwas ungeprüfter, aber deswegen sicher nicht weniger ernsthaft mal zur Diskussion stellen will. Das finde ich ein erstrebenswertes Ziel, eine solche Vielfalt zu erhalten. Und das war auch mein Ausgangspunkt – in memoriam der gelben Forschungsberichte am Lehrstuhl Mandl!

  8. Pingback: Warum bloggen? | thinkingoutloud

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