Kurz vor Schluss

An das European Credit Transfer System (ECTS) hat sich inzwischen wohl (fast) jeder gewöhnt – zumindest sind Proteste erlahmt, ohne dass ich jetzt beurteilen könnte, ob Überzeugung oder Resignation oder noch etwas anderes die Gründe sind. Jedenfalls war es zwischen 2013 und 2015 unter anderem ein Thema an der Zeppelin Universität und in diesem Zusammenhang hatte ich dort im Rahmen meiner Tätigkeit vor rund zwei Jahren versucht, diese „Währung“ insbesondere in Bezug zum System der Semesterwochenstunden (im Prinzip auch eine Art Währung) verständlich darzustellen und mir zu überlegen, was man Lehrenden im Umgang mit diesen Systemen raten kann. Leider wurde das Thema damals nicht weiter bearbeitet und so dümpelten ein paar Kurztexte bei mir vor sich hin. Ich habe diese jetzt ein wenig überarbeitet und in einem Artikel zusammengestellt – aktuell ist das Thema ja immer noch. Kurz bevor der September zu Ende geht,  jetzt also noch schnell der Impact Free-Beitrag Nr. 4 (September) zu „Währungen der Lehre im Bologna-System“ (zu den bisherigen Beiträgen siehe hier).

Selbstzufrieden

Die europäischen Minister/innen haben sich Mitte Mai 2015 wieder zur Bologna-Konferenz (siehe hier) getroffen … und sind zufrieden mit sich, wie es scheint. Jedenfalls kann man das der Pressemitteilung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) (siehe hier) so entnehmen. Dort heißt es unter anderem:

„Zentrale Punkte des im Rahmen der zweitägigen Konferenz gemeinsam verabschiedeten Kommuniqués sind unter anderem der Ausbau der Studierendenzentrierung der Lehre, die Schaffung flexibler und transparenter Lernpfade und die Förderung einer Hochschulbildung, die die Beschäftigungsbefähigung der Absolventinnen und Absolventen in sich schnell verändernden Arbeitsmärkten stärkt.“ Das sei der richtige Weg, so Prof. Dr. Holger Burckhart, HRK-Vizepräsident für Lehre und Studium, Lehrerbildung und Lebenslanges Lernen. In dieser Allgemeinheit wird wohl keiner widersprechen: Wer wollte schon die Lehre von den Studierenden de-zentrieren, Lernpfade (was immer das genau heißen mag) unflexibel und intransparent gestalten und Studierende auf die Arbeitslosigkeit hin vorbereiten. Also stimmt man natürlich zu.

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Eine Kultur mangelnden Respekts

Nachdem mich Liessmanns „Praxis der Unbildung“ (siehe hier) ziemlich enttäuscht hatte, lag das scheinbar in eine ähnliche Richtung gehende Buch „Der Akademisierungswahn“ von Julian Nida-Rümelin (Nida-Rümelin, J. (2014). Der Akademisierungswahn. Zur Krise beruflicher Bildung und akademischer Bildung. Hamburg: edition Körber-Stiftung.) eine Weile ungelesen herum – zu Unrecht, wie sich herausstellte. Das Buch greift aus meiner Sicht ein hoch relevantes Thema auf und erörtert es differenziert – jenseits einer platten Polemik – und konstruktiv, also mit Vorschlägen für ein Abwenden riskanter Trends in der Bildungspolitik.

Ausgangspunkt von Nida-Rümelins Argumentation ist ein „verhängnisvoller bildungsökonomischer Irrtum“: Er sieht diesen in der hartnäckigen, aber falschen bildungsökonomischen These, es sei notwendig, den Akademikeranteil unbegrenzt auszuweiten. Er belegt diese seine Einschätzung mit Statistiken und anderen empirischen Studien (etwa die geringe Jugendarbeitslosigkeit in Ländern mit einer dualen Berufsausbildung) und begründet sie mit bildungsphilosophischen Argumenten. Auf dieser Basis erläutert er in zwei weiteren Kapiteln zum einen die Krise der beruflichen Bildung und zum anderen die Krise der akademischen Bildung. Der Lösungsansatz, den der Autor favorisiert, setzt darauf, den verschiedenen Bildungswegen – den beruflichen und den akademischen – gleichen Respekt zu zollen und die praktische Dimension der Bildung zu rehabilitieren. Eine gute inhaltliche Zusammenfassung des Buches liefert die Rezension von Jos Schnurer (hier) auf socialnet.

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Streitschrift oder Schmähschrift?

Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift“ – so lautet der Titel des 2014 erschienen Buchs von Konrad Paul Liessmann (Wien: Zsolnay). Eine Streitschrift zeichnet sich laut Wikipedia (hier nachzulesen) dadurch aus, dass sie scharfe Kritik an herrschenden Positionen unter anderem in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft übt. Sie „provoziert, sie übertreibt, spitzt zu und kann sogar beleidigen. Es geht ihr nicht um sachliche Argumentation, sondern um engagierte Parteinahme für eine Sache, um Kritik und Ablehnung […].

Diese Kriterien erfüllt das Buch und damit die Erwartung, wenn man eine „Streitschrift“ liest: Liessmann rechnet ab – mit PISA und Bologna, mit Kompetenzen und PowerPoint, mit dem Internet und der Wirtschaft, um am Ende bei der „Schönheit des Nutzlosen“ zu landen. Wer nach Rezensionen von Liessmanns Streitschrift sucht, merkt rasch: Das Buch polarisiert, was aber natürlich zum Wesen einer Streitschrift gehört: Auf socialnet. (hier) rät der Rezensent vom Lesen eher ab, auf den nachdenkseiten (hier) hofft man darauf, dass die Lektüre Lust zum Widerstand weckt.

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Widerstand und Dialog

Wie sieht die Universität, wie sehen die Hochschulen in der Welt in zehn, zwanzig Jahren aus und was, so eine weitere Frage, wäre wünschenswert? Mit diesen Fragen beginnt Dieter Lenzen ein gerade erschienenes schmales Bändchen (von knapp 100 Seiten) mit dem Titel: Eine Hochschule der Welt. Plädoyer für ein Welthochschulsystem (2015 Wiesbaden: Springer VS).

Ausgangspunkt der Argumentation ist der Globalisierungsprozess, der zurzeit in hoher Geschwindigkeit erfolge, „ohne dass demokratisch legitimierte Organisationen ihn international steuern würden“ (S. 9). Vor dem Hintergrund dieses Globalisierungsprozesses arbeitet Lenzen drei große (Hochschul-)Bildungssysteme heraus, nämlich das kontinentaleuropäische, das atlantische und das ostasiatische.

Um die drei Systeme zu verstehen, führt Lenzen zum einen ausführlicher aus, wie sich in diesen das Verhältnis von Berufsbildung und Hochschulbildung darstellt und inwiefern hier speziell Deutschland eine besondere Situation (nämlich eine starke duale Berufsausbildung) vorweist. Zum anderen widmet er sich dem Verhältnis von Forschung und Lehre, denn auch hier zeichnet sich vor allem das deutsche System dadurch aus, dass Forschung integraler Bestandteil des Hochschulverständnisses, also nicht auf „research universities“ beschränkt ist. Zudem geht Lenzen genauer auf die Genese der drei Systeme ein, deren Analyse vor allem zeige, dass sie gleichzeitig durch Konvergenzen und Divergenzen charakterisiert sind (S. 41). Im Verlauf des Buches zieht Lenzen insgesamt sechs Kategorien heran, anhand derer er die drei Bildungs- inklusive Wissenschaftssysteme und deren dahinter liegenden universitären Grundkonzepte mit Blick auf diese Konvergenzen und Divergenzen vergleicht: die Theorie der Universität – der Bildungsbegriff – der Hochschulzugang – die Hochschulautonomie und akademische Freiheit – die Differenzierung im postsekundaren System – die Hochschulfinanzierung.

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Brüchige Brücken

Fünf oder sechs Credit Points für eine Veranstaltung? Zwei oder drei Veranstaltungen in ein Modul? Pflicht oder Wahlpflicht? Wer kann das noch bestimmen? Bereits im Jahr 2011 erschien (online hier) ein interessantes Papier von Stefan Kühl mit dem sinnigen Titel „Der Sudoku-Effekt der Bologna-Reform“. Die Analogie erklärt sich wie folgt:

Die Komplexität wird […] durch den „Sudoku-Effekt“ der Bologna-Reform  geschaffen. Genau so wie es bei dem Logikrätsel Sudoku darauf ankomme, die Zahlen von 1  bis 9 in Spalten, Zeilen und Blöcken unterzubringen, wird mit den Bologna-Vorgaben  verlangt, dass alle Prüfungen, Seminare und Vorlesungen in sogenannten Leistungspunkten  ausgedrückt werden, die dann schlüssig auf Module zu verteilen sind. Genau so wie bei jedem  Sudoku exakt Zahlen im Gesamtergebnis von 405 – nämlich 9 x jeweils die Zahlen 1, 2, 3, 4,  5, 6, 7, 8, 9 – in Kästchen zu verteilen sind, müssen bei den Bologna-Studiengängen am Ende entweder genau 180 Leistungspunkte für den Bachelor oder genau 120 Leistungspunkte für  den Master herauskommen. Genau so wie es beim „Sudoku“ am Ende immer schwieriger  wird, die Zahlen anzuordnen, wird auch bei der Gestaltung von Studiengängen am Ende häufig nur noch darauf geachtet, dass am Ende alles zahlenmäßig irgendwie aufgeht.“ (S. 5) Eine von vielen Folgen ist: „Nicht selten sitzen dann Studiengangsplaner mit Taschenrechnern über einer Vielzahl von Tabellen und schauen, bei welcher Leistungspunktezurechnung für Übungen, Hausarbeiten oder Klausuren alles aufgeht. […] Hauptsache, man kommt am Ende irgendwie auf die verlangten 180 oder 120 Leistungspunkte für einen Studiengang.“ (S. 14)

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Absurde Perversion der Universitätsidee

Bildung statt Bologna!“, so lautet der programmatische Titel eines schmalen Taschenbuches von Dieter Lenzen, das verschiedene in Zeitungen und Zeitschriften bereits veröffentlichte Beiträge von Lenzen unter drei Kapitel zusammenführt: I. Bologna: Vom Scheitern einer Reform, II. Was ist Bildung?, III. Die Zukunft universitärer Bildung.

Wenn ich mal mit einem Resümee anfange, dann muss ich sagen: Ja, letztlich stimme ich Lenzen zu einem relativ hohen Prozentsatz in dem zu, was er da auf knapp 100 schnell zu lesenden Seiten zusammenstellt (auch wenn ich nicht jeden Satz unterschreiben würde): Das Kopieren des britischen Bachelor- und Master-Systems und der US-amerikanischen Abschlusstypen ohne tiefere Analyse, ob die Bedingungen passen und die Folgen gewollt sind, die Ignoranz gegenüber dem kontinentaleuropäischen Bildungsverständnis und der Idee „Bildung durch Wissenschaft“, das Elend mit der Akkreditierung sowie die Versäumnisse der Hochschullehrer selbst im Bologna-Prozess infolge von Unkenntnis, Fehleinschätzung und/oder Gleichgültigkeit – all das sind Punkte, die Lenzen aus meiner Sicht gut auf den Punkt bringt.

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HRK-Highlight des Jahres

Bologna und die HRK – eine nicht immer ganz harmonische Verbindung, aber in der aktuellen Empfehlung Europäische Studienreform ist man trotz kritischer Hinweise um ein klares Ja zu Bologna und um Lob für das bisher Erreichte bemüht. So steht gleich im ersten Abschnitt „Die HRK unterstreicht, dass die deutschen Hochschulen seit Beginn des Bologna-Prozesses enorme Reformleistungen erbracht haben“. Trotzdem, so die Kritik, würden die bestehenden Spielräume zu wenig genutzt und Bürokratie und Detailsteuerung unnötig einengen. Mantra-artig wird die zu geringe Mobilität beklagt, was ich einerseits nachvollziehen kann; andererseits vermisse ich es, dass man sich auch um den Zweck von Mobilität etwas mehr Gedanken macht und darum, wie man Erfahrungen aus seinen „mobilen Phasen“ eigentlich sinnvoll in die Bildungsbiografie integrieren kann (und wie man das unterstützen müsste). Beklagt wird, dass immer noch die konsekutive Anordnung von Bachelor- und Masterprogrammen dominiert. Wundern sollte einen das allerdings nicht, nachdem fast überall dreijährige Bachelorprogramme aufgesetzt wurden – meist durchorganisiert und vollgestopft mit zusätzlichen Auslands- und Praxisanforderungen. Was ist das für ein Studium – zumal an Universitäten? Ich finde das nachvollziehbar, dass Studierend da im Anschluss den Master machen, sich vielleicht mal in etwas vertiefen wollen etc. Lehrende präferieren für ihre Lehrtätigkeit häufig auch den Master, wenn man sie wählen lässt … in der Hoffnung, sich dann mehr auf Wissenschaft in IHREM Sinne konzentrieren zu können. Ich kann es bis zu einem gewissen Grad gut verstehen.

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Sich selbst ein Rätsel

In der aktuellen Ausgabe von Forschung und Lehre beschreibt und deutet der Soziologie-Professor Stefan Kühl die enorme Komplexitätssteigerung bei der Gestaltung von Bologna-Studiengängen. Dabei verwendet er eine einleuchtende Analogie: Das Sudoku-Rätsel. Dankenswerter Weise findet sich auf der Web-Seite von Stefan Kühl ein längeres Arbeitspapier zu diesem Thema, nämlich hier. Anbei die vorangestellte Zusammenfassung:

„Als „Sudoku-Effekt“ wird bezeichnet, wenn durch die Verknüpfung verschiedener vorgeschriebener Programmformen der Charakter einzelner Elemente festgelegt wird. In diesem Arbeitspapier wird argumentiert, dass bei der Konzeption von Studiengängen durch die vorgeschriebene Kombination von jeweils in Leistungspunkten ausgedrückten Profilen, Modulen, Veranstaltungen und Prüfungsformen die Anforderungen einer Zahlenarithmetik die inhaltlichen Überlegungen zu den Studiengängen überlagern. Die Dauer-Reform von Studiengängen im Rahmen des Bologna-Prozesses lässt sich damit erklären, dass die durch den Sudoku-Effekt produzierten Studiengänge den alltäglichen Anforderungen eines Studiums nicht mehr gerecht werden. Die permanenten informellen Abweichungen von den Studiengangstrukturen werden deswegen zum Anlass genommen, diese immer wieder zu reformieren. mit dem Lösen eines Sudoku-Rätsels verglichen.“

Ich kann der Analyse von Kühl nach meinen teilweise absurden Erfahrungen zur Studienganggestaltung an zwei Universitäten nur voll und ganz zustimmen: Man beginnt mit inhaltlichen Überlegungen und endet beim Zusammenrechnen von Punkten, verschiebt und tauscht Module und Veranstaltungen so lange aus, bis man bei der magischen Zahl 180 (Bachelor) bzw. 120 (Master) ist, und freut sich am Ende wie ein Buchhalter, wenn die Summe stimmt. Kühl ist darüber hinaus zuzustimmen, wenn er feststellt: „Kein Studiengangplaner eines Masters setzt sich hin und überlegt, wie er die Wahlmöglichkeiten für Studierende möglichst auf null reduzieren kann. Keine Arbeitsgruppe zur Studienreform entwickelt bewusst Strategien, um Studierenden im Rahmen ihres Studiums möglichst viele Kontakte zum Prüfungsamt zu ermöglichen. Kein Dekanat bringt bewusst eine Kurzbeschreibung eines Studienganges in die Fakultätskonferenz ein, die so kompliziert ist, dass die Details nur noch von den Spezialisten in der Studienberatung verstanden werden können.“ Die genannten und noch viele andere Effekte sind bittere Nebenwirkungen, die neue Probleme hervorrufen, für die man wieder neue Lösungen und Regeln braucht, die die Modulhandbücher dicker und dicker werden lassen.

Ein wichtige Ursache für die Komplexitätsexplosion sieht Kühl darin, dass immer mehr Ebenen in die Bologna-Studiengänge eingezogen wurden: Gab es vor Bologna die Ebenen Profile, Veranstaltungen und Prüfungen, haben wir heute Profile, Module, Veranstaltungen, Prüfungen und Leistungspunkte. Alles soll flexibel gestaltet sein, aber am Ende bitteschön exakt zusammenpassen. An sich hätte man durch reines Nachdenken schon die später empirisch nachweisbaren chaotischen Folgen vorhersehen kennen. Ich bin seit einiger Zeit Studiendekanin und Verantwortliche einer Studiengangkoordination, aber ohne Blick in FPO und Modulhandbücher komme ich immer noch nicht aus. Selbst die Umsetzung eigener Gedanken in diesem Gestrüpp kann einem ein paar Monate später ein einziges Rätsel sein.

Am Ende erweist sich vor allem das System ECTS nicht nur als besonders komplexitätssteigernder Faktor, sondern auch als ein Faktor, der die inhaltliche Komplexität eines Studiengangs schlicht ignoriert. Kühl formuliert das in seinem Arbeitspapier so:

„Die Anzahl von Modulen, die Zuweisung von Prüfungen zu den Modulen, die Bewertung von Modulen, Veranstaltungen und Prüfungen mit Leistungspunkten wird immer wieder verändert, um am Ende irgendwie genau auf die 180 und 120 Leistungspunkte zu kommen. Wenn man nur ausreichend verschiebt, modifiziert und neuberechnet, dann geht es am Ende irgendwie auf. Bloß: Genauso wie beim Sudokurätsel die Anordnung der Zahlen zwischen eins und neun letztlich willkürlich ist und nur durch die notwendige Vernetzung mit anderen Zahlenreihen begründet ist, wird dann auch die Anordnung von Modulen, Veranstaltungen und Prüfungen in Studiengängen häufig am Ende nur noch durch die durch die Leistungspunktlogik definierten Konsistenzanforderungen getragen.“

Das Schlimmste aber ist: Man spielt das mit! Man muss es mitspielen, wenn man nicht sein Amt abgeben will. Denn: „Dass das mit den Leistungspunkten stimmt, damit wir akkreditiert werden“ (so ein Satz, den ich in den letzten Jahren und Monaten sehr oft gehört habe) ist oberstes Credo der aus dem Boden sprießenden Stellen für Qualitätsmanagement und Evaluation, die sich zusammen mit dem Controlling und der Verwaltung von Drittmitteln längst zur eigentlichen Hochschulleitung gemausert haben. Dies ist denn auch ein Element des bürokratischen Teufelskreises, den Kühl wie folgt beschreibt: „Die Schaffung von immer mehr Regeln und die Zentralisierung von Entscheidungen an der Spitze der Organisation führe nicht nur zu Frustration, Distanzierung und Teilnahmslosigkeit bei den betroffenen Personen, sondern auch zu vielen wildwüchsigen lokalen Anpassungen. Auf diese reagiere die Organisationsspitze dann mit dem einzigen Mittel, das ihnen zur Verfügung steht: Mit dem Erlass neuer Regeln.“ Stimmt! So beobachte auch ich das. Was tun? Kühl empfiehlt die „Abschaffung sowohl der verpflichtenden Abbildung aller Veranstaltungen und Prüfungen in Form von Modulen als auch der verpflichtenden Berechnung aller Veranstaltungen, Prüfungen, Selbststudiumsphasen und Praktika in Leistungspunkten.“ Ich meine, die Abschaffung von Leistungspunkten, die nachweislich (auch meiner Erfahrung nach) ohnehin keiner realen Zeitinvestition entsprechen, würde die schlimmsten Probleme beseitigen und immerhin schon mal den Weg vom Sudoku-Rätsel zum semantisch nachvollziehbaren Kreuzwort-Rätsel ermöglichen.

Angststeigernd, schreckenerregend und ernüchternd

Unter dem Titel „Der Bologna-Prozess aus Sicht der Hochschulforschung. Analysen und Impulse für die Praxis“, herausgegeben von Sigrun Nickel (erfreulicherweise online hier), gibt es eine aktuelle Zusammenstellung von insgesamt 21 Beiträgen, die aus einer Veranstaltung im Dezember 2010 hervorgegangen sind. Gruppiert sind die Text in fünf Kapitel: (1) Deutschland und Europa im Vergleich, (2) Studiengestaltung und Studierverhalten, (3) Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden, (4) Institutionelle Rahmenbedingungen und (5) Qualitätsentwicklung und -steuerung.

Ziel des Bandes ist es, vor allem empirische Erkenntnisse zu den genannten Bereichen im Zuge des Bologna-Prozesses zusammenzutragen, um die aufgeheizten Diskussionen, in denen auch zahlreiche Wertfragen (Zweck der Universität, Beziehung zum ökonomischen System etc.) zur Sprache zu kommen, zu versachlichen. Diesem Kernanliegen kann nur zugestimmt werden, allerdings trägt die polemische Kritik an den Kritikern von Bologna eher zur weiteren Frontenbildung bei. So heißt es etwa auf Seite 3: „Wer die bisherigen Veröffentlichungen zur Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland sichtet, stößt fast ständig auf apokalyptisch-reißerisch klingende Titel wie ´Humboldts Alptraum´ (Schultheis et al. 2008), ´Endstation Bologna?´ (Keller et al. 2010) oder ´Akademischer Kapitalismus´ (Münch 2011). In zahllosen Büchern und Artikeln wird der Untergang der Universität beschworen, ausgelöst durch die Einführung gestufter Studienstrukturen, durch Kreditpunktsysteme, der Modularisierung des Curriculums, durch Qualitätssicherungsinstrumente sowie die stärkere Ausrichtung der Lerninhalte auf die Vermittlung beruflich relevanter Kompetenzen. … Während die Hochschulen für angewandte Wissenschaften die Bologna-Reformen offenbar pragmatisch-unauffällig umsetzen, ist im Universitätsbereich ein laustarker Kulturkampf zwischen Bologna-Gegner(inne)n und Bologna-Befürworter(inne)n ausgebrochen“. Dazu ist zum einen zu sagen, dass in den von der Herausgeberin genannten Büchern (z.B. dem von Münch) durchaus auch empirische Erkenntnisse berücksichtigt werden. Zum anderen frage ich mich, warum es nicht möglich sein sollte, neben der Analyse des Ist-Zustands (die in der Tat zwingend erforderlich ist) auch einen Diskurs über den erwünschten Soll-Zustand (der sich auch aus der Kritik am Bestehenden ergibt) zu führen – selbst wenn da nicht alle einer Meinung sind. Letztendlich sind dann die Beiträge aber keineswegs so, wie man auf den ersten beiden Seiten der Einführung vermuten möchte: Sie liefern ein durchaus vielfältiges empirisches Bild über den Ist-Zustand. Dazu kommt, dass die in den Texten referierten bzw. meist kurz zusammengefassten Resultate unter Nutzung sehr verschiedener empirischer Methoden zustande gekommen sind. Die Lektüre lohnt sich auf jeden Fall.

Bei drei Beiträgen bin ich aus verschiedenen, aber jeweils durch persönliche Erfahrungen angestoßenen Gründen etwas länger hängen geblieben:

(1) Der Beitrag von Metz-Göckel, Kamphans, Ernst und Funger beschäftigt sich mit dem „Mythos guter Lehre“ und der Notwendigkeit individueller Unterstützung von Lehrenden. Der Text beginnt narrativ mit folgender Episode: „´Sie waren immer das Schreckgespenst für mich´, sagte Sigrid Metz-Göckel ein kürzlich emeritierter Kollege unverblümt ins Gesicht, als sie ihm anlässlich einer akademischen Feier vorgestellt wurde, und weiter: ´Ich habe immer gegen die Hochschuldidaktik gewettert´. Diese schroffe Direktheit war verblüffend, eröffnete aber ein sehr aufschlussreiches kollegiales Gespräch. Mit ihrem Namen verband der Kollege aus den Naturwissenschaften eine ungemein angststeigernde, ja schreckenerregende Kontrolle seiner Lehre. … Seit Sigrid Metz-Göckel aus dem aktiven Hochschuldienst ausgestiegen ist, haben ihr mehrere Kollegen in informellen Gesprächen ungefragt erzählt, wie ungern sie lehren und wie schwierig es für sie sei, insbesondere die großen Vorlesungen und Pflichtveranstaltungen zu halten.“ Das bedarf keinen weiteren Kommentars: Wer sich um Hochschuldidaktik bemüht, weiß, dass diese Episode keineswegs ein Einzelfall ist.

(2) Bargel reflektiert (allerdings relativ kurz und entsprechend oberflächlich) verschiedene Fragen von Studienqualität vor und nach Bologna. Dabei macht er auf das „Problem Citizenship (öffentliche Verantwortung)“ aufmerksam. Er schreibt: „Es vollzieht sich eine nachweisbare Verarmung an sozialer, politischer und kultureller Betätigung und Verantwortlichkeit. Aber diese Entwicklung hat mehr mit dem Aussterben des Magisters und dem Verblassen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachkulturen zu tun, weshalb Eigenwilligkeit und Engagement immer mehr verschwinden, seit der Jahrtausendwende sogar verstärkt. Durch das Bachelorstudium wird dieser allgemeine Trend dann verstärkt, wenn einseitig auf die Berufsbefähigung gesetzt wird und die Fachkultur der Wirtschaftswissenschaften das dominierende Modell abgibt. Es war daher überfällig, dass von der Konferenz der zuständigen Minister aus den 47 beteiligten Nationen nunmehr auch die ´Citizenship´ als allgemeines Bildungsziel von gleichem Rang wie ´Employability´“. Ob die Ursachenzuschreibung nun so stimmt oder nicht, kann ich nicht beurteilen, aber unabhängig davon, finde ich das Thema im Rahmen eines Hochschulstudiums wichtig – als Aufgabe sowohl der curricularen als auch der methodischen Gestaltung von Studiengängen. Schade, dass es nur in diesem Text und nur so knapp behandelt wird.

(3) Und schließlich habe ich im Text von Becker, Wild, Tadsen und Stegmüller noch gelernt, was „Inplacement“ bei Neuberufenen an einer Hochschule ist. Die Autoren stellen nämlich fest, dass die meisten Hochschulen kein Inplacement-Konzept haben – will heißen, dass Neuberufene keine besondere Unterstützung erhalten, es sei denn, es erbarmt sich einer der Kollegen/innen und nimmt sich dem Neuen an. „Ob Neuberufene eine solche ´unverhoffte Unterstützung´ erfahren oder in den ersten Arbeitstagen mit chaotischen Zuständen und anderen, ernüchternden Eindrücken konfrontiert werden, hängt von zufälligen (personellen) Konstellationen und historisch gewachsenen Gepflogenheiten ab.“ Meine „Inplacement-Erfahrungen“ gehören eindeutig in die zweite Kategorie – und das fing jeweils bereits bei der räumlichen Unterbringung an: Die erste Uni, deren Ruf ich 2001 angenommen hatte, stellte mir einen Raum gefüllt mit Plunder aus dem 1970er Jahren zur Verfügung und sah sich nicht imstande, diesen zu entsorgen. Dafür habe ich dann am Ende meine Ikea-Möbel großzügig ebenfalls an Ort und Stelle gelassen. Die zweite Uni, deren Ruf ich angenommen hatte, toppte dies damit, dass ich zwei Monate gar keine Räume hatte und nur mit großer Mühe welche ergattern konnte. Im Moment liegen diese (EG-)Räume inzwischen auf einer umzäumten Baustelle, sodass die Bauarbeiter immer was zu sehen haben, denn: Auf Vorhänge oder Jalousien warten wir nun schon über ein Jahr vergeblich. Aber okay – das liegt wohl einfach am fehlenden Inplacement-Konzept! Ein Glück, dass ich auf repräsentative Räume eh keinen großen Wert lege. 😉