Baustelle Lehr- und Publikationskultur

Gerd Kortemeyer hat einen lesenswerten Artikel über OER geschrieben (gefunden via Jochen Robes). Die Kernbotschaft des Textes ist, dass OER trotz ihrer medialen Präsenz seit nun schon mehr als zehn Jahren das „traditionelle Geschäft“ der Hochschulen sowie den Lehralltag bislang kaum nennenswert tangiert haben. Als Gründe vermutet Kortemeyer, dass OER nach wie vor zu versteckt im Netz verteilt sind, dass das Problem der Qualitätskontrolle noch nicht zufriedenstellend gelöst ist, dass man beim Prozess „Upload-Download“ stehen bleibt (und Feedback-Prozesse fehlen) und dass das Konzept der Offenheit unterschiedlich gedeutet werden kann und wohl auch muss (jetzt mal sehr frei übersetzt).

Hängen geblieben bin ich unter anderem an folgenden Sätzen: „Ask an OER provider how much impact they have — how many learners they actually reach with their content — and they usually don’t know. Cannot know, really. One download could mean thousands of learners, or zero if the faculty member subsequently decides to not use the content after all.” Warum bin ich gerade hier hängen geblieben? Wahrscheinlich, weil es mich an meine eigenen Erfahrungen mit Inhalten erinnert, die ich im Netz frei zugänglich mache (z.B. hier).

Auf Veranstaltungen höre ich oft, dass insbesondere der frei zugängliche Studientext zum Didaktischen Design durchaus rege genutzt wird – unter anderem in der Lehre. Ab und zu bekommt man (nur zufällig) mit, dass Studierende auch anderer Unis als der eigenen ihn verwenden, um sich einen Überblick zu verschaffen. Aber:

(1) Konkrete Rückmeldung gibt es selten. Rückmeldung gebe ich mir quasi nur selbst, indem ich mit dem Text in meiner Veranstaltung jedes Jahr arbeite, immer wieder Tippfehler finde (auch dieses Jahr wieder – eine neue Fassung kommt nächsten Monat), vor allem aber (wichtiger) ab und zu größere Veränderungen (neben Aktualisierungen) auf der Basis von Erfahrungen mit dem Einsatz des Textes vornehme etc. Aber es wäre natürlich sehr hilfreich, wenn die Feedback-Quellen breiter wären.

(2) Zitiert wird der Studientext so gut wie nie. Das wäre womöglich anders, wäre der Text als Buch bei Waxmann oder Oldenbourg erschienen, würde er nicht „Studientext“ heißen und jedes Jahr aktualisiert werden. Das ist jetzt auf der einen Seite freilich nicht schlimm. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch sehen, dass es für viele nicht gerade ein Anreiz ist, wenn man einerseits versucht, die viel gelobte OER-Bewegung mit einem kleinen Beitrag zu unterstützen, andererseits aber auf dem umkämpften Zitationsmarkt das Nachsehen hat.

Kortemeyer glaubt an eine nächste Generation von Kurs-Management Systemen, die es ermöglichen, die bisherigen Hürden für OER zu nehmen. Ich stimme ihm zu, dass man in der Hochschullehre technische Infrastrukturen braucht, die einem da entgegenkommen. Allerdings dürfte die größere Baustelle die „Lehr- und Publikationskultur“ sein, die wohl noch länger den Bauzaun um sich haben wird.

Nachtrag: Zu diesem Thema passt auch ein aktueller Blogbeitrag (hier) von Peter Baumgartner.

eigentlich war ich nicht krank

Studentische E-Mails sind ein immer wieder mal diskutiertes Thema. Dazu ein nettes Fundstück in der aktuellen Ausgabe von „Forschung & Lehre“:

„Betreff: arghh!

Guten Abend. Haben Sie von meiner Freundin die nachricht bekommen dass mein zug ausgefallen ist? Ich stand gerade im wald mit dem ollen ding. Ich hoffe Sie haben mich heute nicht zu sehr vermisst wenn sie brauchen kann ich ihnen einen attest besorgen.. aber eigentlich war ich nicht krank.Lg

E-Mail eines Studenten an einen Hochschullehrer; zitiert nach Bonner General-Anzeiger vom 29. Januar 2013

Ist das jetzt ein Einzelfall oder schon die Regel? Meiner Erfahrung nach würde ich sagen: weder noch. Das ist weder ein Einzelfall (solche und ähnliche Nachrichten bekomme ich schon auch ab und zu – nur hebe ich sie leider nicht auf ) noch ist es die Regel (ein Großteil der Studierenden kann durchaus E-Mails mit angemessenen und klaren Botschaften schreiben). Trotzdem ist das immer wieder ein Thema – so z.B. vor einigen Monaten in Spiegel online: Hier findet sich übrigens (nach dem eigentlichen Beitrag) ein klärender E-Mail-Austausch zwischen dem Sprachwissenschaftler Jan Seifert und dem Autor des Spiegel-Artikels Jonas Leppin.

Was mich an (einigen) studentischen E-Mails besonders irritiert ist, wenn man mich mit „Frau Professor“ ohne Namen anspricht und sich am Ende mit „hochachtungsvoll“ verabschiedet. Das liest wie ein automatisiertes Schreiben vom Finanzamt und weckt entsprechend wenig angenehme Gefühle. Außerdem frage ich mich natürlich, woher das kommt: Ist man selbst die Ursache (kann ich mir irgendwie nicht vorstellen) oder die Kollegen (weiß man natürlich nie so genau) oder das Umfeld (kann sein)? Wie auch immer: Lieber Name statt Titel und freundliche Grüße tun es auch. 🙂

Werte statt Monumente

Da verblasst jede Plagiatsdiskussion um eine Bildungsministerin: Gaucks gestrige Rede (22.02.2013) zu Europa hat zumindest kurzzeitig aufhorchen lassen. Noch am selben Tag konnte man dazu viele Schlagzeilen lesen (und es ist wohl zu befürchten, dass es aufgrund der wenigen Zeit, die jeder nur noch hat, beim Lesen der Schlagzeilen bleibt). Wie nicht anders zu erwarten, sind diese Schlagzeilen unterschiedlich: Gauck sieht keine deutsche Vormachtstellung in Europa – so titelt Focus online. Bei der ZEIT online heißt es: Gauck zeigt Verständnis für Kritik an EU, bei der SZ dagegen: Gauck bekennt sich zu mehr Europa. Spiegel online folgert aus der Rede Gaucks: Der wohltemperierte Präsident. Andere Überschriften halten sich lieber an Zitate, z.B. „Nicht deutsches Europa, sondern europäisches Deutschland“ (FAZ.net) oder „Europa braucht Bannerträger, keine Bedenkenträger“ (Focus online). Die Tagesschau (online) dagegen titelt: Statt Lobeshymne Tipps für den Nobelpreisträger. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Gott sei Dank kann jeder die Rede selber lesen und sich die Passagen oder auch Zitate herausholen, die ihn am meisten überzeugen. Hier ist die Rede als pdf abrufbar.

Mir hat Gaucks Rede sehr gut gefallen (eine Rede übrigens, die, wie wohl alle guten Reden, ganz ohne Visualisierung auskommt). Zwar lassen sich Gaucks Argumentation und Botschaften sicher nicht an einzelnen Zitaten vollständig festmachen. Trotzdem möchte ich ein paar Sätze und Passagen als Reflexions- und Diskussionsanker herausgreifen

Gleich im ersten Teil seiner Rede stellt Gauck fest: „Die Krise hat mehr als nur eine ökonomische Dimension. Sie ist auch eine Krise des Vertrauens in das politische Projekt Europa. Wir ringen nicht nur um unsere Währung. Wir ringen auch mit uns selbst“ (S. 2). Er mahnt ein Innehalten und die Entwicklung eines Gesamtrahmens an, den man im Zuge der vielen pragmatischen Maßnahmen vernachlässigt habe: „Weil Entwicklungen ohne ausreichenden politischen Gesamtrahmen zugelassen wurden, sind die Gestalter der Politik bisweilen zu Getriebenen der Ereignisse geworden“ (S. 3). Gestalten statt getrieben werden, ist eine Botschaft, die sich durch die ganze Rede zieht.

Ein weiteres, Gauck offenbar wichtiges, Thema ist das der Identität: „Europäische Identität löscht weder regionale noch nationale Identität, sie existiert neben diesen“ (S. 4). Diese Aussage veranschaulicht er mit einem Beispiel – mit einem aus der Hochschule: „Gerade habe ich bei meinem Besuch im Freistaat Bayern an der Universität Regensburg im Projekt Europaeum einen jungen Studenten getroffen, der als Pole in Deutschland aufwuchs, polnisch erzogen, mit Polnisch als Muttersprache und bei Sportereignissen trug er begeistert die polnische Fahne umher. Aber erst, als er ein Semester in Polen studierte und seine Kommilitonen ihn komplett als Deutschen wahrnahmen, wurden ihm auch diese, seine deutschen Anteile der Identität bewusst. Er konnte sie auch schmerzfrei bejahen. Es ging ihm wie vielen: Oft nehmen wir unsere Identität durch die Unterscheidung gegenüber anderen wahr“ (S. 4). Daraus folgt aber auch: „Mehr Europa heißt: mehr gelebte und geeinte Vielfalt“ (S. 7). Genau das aber ist schwierig, denn, so Gauck: „In Europa fehlt die große identitätsstiftende Erzählung. Wir haben keine gemeinsame europäische Erzählung, die über 500 Millionen Menschen in der Europäischen Union auf eine gemeinsame Geschichte vereint, die ihre Herzen erreicht und ihre Hände zum Gestalten animiert“ (S. 6) – kein Gründungsmythos also, an dem man sich festhalten könnte. Trotzdem, so Gauck, habe Europa eine identitätsstiftende Quelle: „Wir versammeln uns im Namen Europas nicht um Monumente, die den Ruhm der einen aus der Niederlage der anderen ableiten. Wir versammeln uns für etwas – für Frieden und Freiheit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für Gleichheit, für Menschenrechte, für Solidarität. Alle diese europäischen Werte sind ein Versprechen, aber sie sind auch niedergelegt in Verträgen und garantiert in Gesetzen. … Die europäischen Werte öffnen den Raum für unsere europäische res publica“ (S. 6).

Aber wie bekommt man das in die Köpfe der Bürger? Wie macht man das verständlich und möglichst auch erlebbar? Wie, so Gauck, verhindert man, dass Populisten oder Nationalisten Unsicherheit und Angst für ihre Zwecke nutzen? „Dies nun geduldig und umsichtig zu vermitteln ist Aufgabe aller, die sich dem Projekt Europas verbunden fühlen“ (S. 8). Ich würde sagen: Es ist auch Aufgabe der Bildung (Schulbildung, Hochschulbildung, Berufsbildung, Weiterbildung), dies zu tun. Es kann nicht sein, dass wir uns hier immer mehr darauf beschränken, die Spitzen von Rankings zu erklimmen und die MINT-Fächer attraktiver zu machen. Am Ende seiner Rede führt Gauck eine Reihe historischer Argumente an, warum wir gerade in Deutschland mit Europa besonders verbunden sind, und warum wir uns „Europa geradezu versprochen“ haben (S. 14). Das zu vermitteln, darf nicht allein Aufgabe der Medien sein, so meine Meinung, sondern muss immer auch Aufgabe von Bildung und damit auch von Bildungsinstitutionen sein.

Zugegeben: Den Medien kommt natürlich ebenfalls eine große Bedeutung zu, wenn es darum geht, das europäische Versprechen zu „erneuern“. Es hapert laut Gauck nämlich auch an der Kommunikation innerhalb der Europäischen Gemeinschaft: „Und damit meine ich eigentlich weniger die Ebene der Diplomatie, als vielmehr den Alltag der Bevölkerung, richtiger der Bevölkerungen“ (S. 11). Die Medienlandschaft könne, so Gaucks Vorschlag, „eine Art europafördernde Innovation hervorbringen, vielleicht so etwas wie Arte für alle, ein Multikanal mit Internetanbindung, für mindestens 27 Staaten, 28 natürlich, für Junge und Erfahrene, Onliner, Offliner, für Pro-Europäer und Europa-Skeptiker“ (S. 12). Aber: Haben wir die Möglichkeit nicht längst, dezentral und offen zu kommunizieren? Ich denke nicht, dass wir dazu einen neuen Monsterkanal brauchen. Eher brauchen wir Internet-Nutzer, die in der Lage und willens sind, die Kommunikations- und Partizipationsmöglichkeiten des Netzes auch zu nutzen (dazu mehr in meinem Vortrag vom November 2012 hier). Aber wahrscheinlich ist es bis dahin noch ein sehr langer Weg. Und sicher ist Gauck zuzustimmen, wenn er das Ziel einer besseren Kommunikation formuliert, wobei wir offenbar noch nicht genau den „Ort“ gefunden oder konstruiert haben, an dem all das stattfindet, was er in seiner Rede fordert: eine europäische Identität gestalten, Vielfalt erkennen und erhalten, miteinander sprechen, Ziele und Rahmen aushandeln etc.  Ich hoffe jedenfalls, dass sich viele Politiker Gaucks Position anschließen, wenn er sagt „Kommunikation ist für mich kein Nebenthema des Politischen. Eine ausreichende Erläuterung der Themen und Probleme, sie ist vielmehr selbst Politik“ (S. 12).

Professor Meier von nebenan

Wir wissen ja: Immer dann, wenn Wochen-Zeitungen oder -Zeitschriften wie Focus, Spiegel und die ZEIT sich einem Bildungsthema annehmen, ist es auch wichtig – jedenfalls wichtig genug, um darüber nachzudenken, auch wenn man kein Bildungswissenschaftler ist. Digitale Medien geben hier gerne einen Anstoß – sei es über den Weg der digitalen Demenz oder den selbstbestimmt handelnder Edupunks. In der Spiegel-Ausgabe 3/2013 (dankenswerterweise hier ein Link zum Artikel) geht es aktuell um die Online-Vorlesung – inklusive Übungen, unter Umständen auch Prüfungen und Zertifikate. Nicht selbstverständlich ist, dass der Beitrag vergleichsweise ausgewogen auf die Chancen und Risiken der gegenwärtig viel diskutierten Massenlehrveranstaltungen im Internet verweist. Natürlich werden die bekannten Player genannt (Udacity, edX und Coursera), aber auch zwei deutsche Profs kommen zu Wort, die nicht nur über digitale Medien reden, sondern damit auch eigene Erfahrungen sammeln. Jürgen Handke etwa weist darauf hin, dass es vor allem für große und renommierte Unis interessant werden könnte, in die Online-Bildung via Massenveranstaltungen zu investieren. Immerhin hat man da am ehesten die Chance, die Stars unter den Wissenschaftlern quasi unter Online-Vertrag zu nehmen, die dann als Studentenmagneten wirken. Das klappt natürlich nicht mit „Professor Meier von nebenan“ (Handke). Neu sind die Pro- und Contra-Argumente, die da genannt werden, freilich alle nicht. Aber immerhin kommen sie öffentlich zur Sprache. Was mir allerdings hier und in den meisten anderen Artikeln dieser Art fehlt, ist der deutliche Hinweis, dass es auch bei diesen öffentlichkeitswirksamen Medienthemen um Hochschuldidaktik und darum geht, die Qualität der Hochschulbildung zu verbessern. Die Medien sind da selbstverständlicher Bestandteil.

Übrigens: Dass es immer wieder Personen und Hochschulen gibt, die sich hier trauen zu experimentieren, finde ich sehr wichtig, denn: Nur so können wir mittel- und langfristig erkennen, was für wen unter welchen Bedingungen einen Mehrwert hat. Und dafür brauchen wir dann auch Professor Meier von nebenan.

Hilfsbedürftige Wesen

„Die Ursachen der Unterrepräsentanz von Frauen liegen … nicht in erster Linie in den Arbeitsorganisationen (wo sie permanent gesucht werden), sondern im privaten Leben. Darauf hat die universitäre Frauenförderung aber kaum Einfluss“, so die These des Soziologen Stefan Hirschauer in der aktuellen Ausgabe von Forschung & Lehren (Dezember 2012), der sogar online (hier) zugänglich ist. In seinem Artikel legt Hirschauer dar, dass und warum Frauenförderung aus seiner Sicht nicht nur wenig bewirkt, sondern sogar Schaden anrichten kann – jedenfalls in der Form, wie sie seit längerem und aktuell praktiziert wird. Er geht davon aus, dass Frauen vor allem deswegen weniger gut in höhere Positionen auch an der Uni kommen, weil es nach wie vor schwierig ist, das private Leben und Familie (als Frau!) mit den Anforderungen („eingebauter workaholism“) am Arbeitsplatz „Professur“ in Einklang zu bringen (so übersetze ich jetzt mal das Soziologen-Deutsch). Zudem würden Frauen tendenziell „work-life-balance“ höher bewerten und sich dann bewusst gegen den Dauerwettbewerb an Unis entscheiden. Zu den schädlichen Folgen der bestehenden Frauenförderung, so Hirschauer, gehört, dass man Frauen als hilfsbedürftige Wesen abstempelt, außerdem Männer mitunter benachteiligt und letztlich gegen eigene Grundsätze verstößt (nämlich dass allein die Kompetenz zählen soll). Als Lösung schlägt Hirschauer vor, dass Unis mehr für die Kinderbetreuung tun sollen – auch für die Wissenschaftlerinnen (nicht nur für Studentinnen).

Ich finde, der Beitrag gibt ganz gute Denkanstöße. Mich nervt die Dauer-Frauen-Rhetorik schon lange, die mir meistens recht formal vorkommt. Auch die von Hirschauer beschriebenen Nebeneffekte der Frauenförderung, die man so sicher nicht gewollt hat, habe ich vereinzelt auch schon selbst erlebt (z.B. in Berufungskommissionen). Allerdings sind die im Text vorgeschlagenen Lösungen ein bisschen einseitig: Mit Betreuungsplätzen allein ist es sicher nicht getan (obschon das auf jeden Fall ein wichtiger Vorschlag ist). Dringend erforderlich wäre wohl ein kultureller Wandel dahingehend, das sich Väter genauso für die Betreuung ihrer Kinder zuständig fühlen wie Mütter und dass man dies auch strukturell honoriert. Außerdem müsste dieses „Rattenrennen“ (das viele Profs zu Workaholics macht) mal langsam aufhören, an dem wir uns (fast) alle beteiligen, obwohl wir es beklagen (ich nehme mich da auch nicht aus): Dazu gehören die beständige Jagd nach Drittmitteln, Publikationen und damit gekoppelter Anerkennung, aber auch der ausufernde Bürokratismus in Forschung (Drittmittel!) und Lehre (Bologna). Und wenn das so weit geht, dass man sich nebenher keine Familienzeit mehr leisten kann, wird das auf Dauer nicht nur den Menschen, sondern auch der Wissenschaft schaden.

 

Was man hört, aber nicht sieht

Sprache: Wie wichtig ist sie im Vergleich zum Inhalt – in einer Hausarbeit, Bachelorarbeit, Dissertation? Nicht so wichtig? Weil es doch auf den Inhalt und nicht darauf ankommt, wie man ihn darstellt? Ich maße mir nicht an, das für Disziplinen und Fächer zu beurteilen, von denen ich keine Ahnung habe. Aber für Geistes- und Sozialwissenschaften im Allgemeinen und für Bildungswissenschaften im Besonderen halte ich die sprachliche Umsetzung der eigenen Gedanken ebenso wie die Widergabe der Gedanken anderer für sehr wichtig. Ich weiß, dass viele Studierende, vielleicht auch einige Doktoranden, das entweder nicht so sehen (und mich für kleinkariert halten) oder aber den Stellenwert der Sprache anders interpretieren. Eine solche andere Interpretation ist z.B. die, dass die Sprache nicht zwingend verständlich, sondern vor allem „wissenschaftlich“ klingen müsse. Und wissenschaftlich klinge es vor allem dann, wenn der Autor als Ich im Text nicht auftaucht (weil die Inhalte dann nicht mehr „subjektiv“ sind), wenn der Text möglichst viele Substantivierungen enthält (weil das die Argumente schwergewichtiger macht), wenn Sätze bevorzugt passiv statt aktiv konstruiert werden (weil das die notwendige Distanz erhöht) und wenn man möglichst viele Botschaften in einen Satz packt und dabei ein hohes Maß an Nebensätzen und Einschüben verwendet (weil sich das dann so ähnlich anhört wie viele der Texte von Wissenschaftlern, die man schon gelesen hat).

Verständlichkeit und Lesefreude – das scheinen für viele (auch für manche Wissenschaftler) die natürlichen Gegenspieler der Wissenschaftlichkeit zu sein. Ich sehe das anders: Wenn jemand einen Text nicht versteht, kann das zwar verschiedene Ursachen haben und natürlich auch am Leser liegen. Wenn aber fortgeschrittene Studierende, die sich anstrengen, oder Wissenschaftler selbst mit Fragezeichen vor einem Text aus ihrer eigenen Domäne sitzen, mühsam das Subjekt und Verb im Satz suchen und sich vergeblich fragen, was der Autor einem wohl sagen will, dann stimmt etwas mit dem Text nicht! Und wissenschaftlich ist es auch nicht, wenn die Verständlichkeit auf der Strecke bleibt: Von Wissenschaft erwarte ich mir Klarheit im Ausdruck und keine Nebelkerzen. Leider aber lernen viele Studierende im Studium genau das: vermeintlich wissenschaftliche, an großen (schwierig zu verstehenden) Vorbildern orientierte, aber leider schlechte Texte zu schreiben.

Ich empfehle Studierenden und Doktoranden gerne, ihre Texte laut zu lesen, bin mir aber sicher, dass es kaum jemand macht (sonst würden sie anders klingen)! Das ist schade. Denn lautes Lesen der eigenen Sätze, die man aufs Papier gebracht hat, ist sehr heilsam: Man hört eher, wie schlecht ein Satz klingt, als dass man es ihm ansieht. Und man hört auch eher, wenn Sätze ihre Botschaft verloren oder eine angenommen haben, die man gar nicht im Sinn hatte. Endlich gibt es jemanden, der meinen (ernst gemeinten, aber offenbar nicht ernst genommenen) Ratschlag teil ;-): Valentin Groebner hat ein kleines Büchlein mit dem Titel „Wissenschaftssprache. Eine Gebrauchsanweisung“ geschrieben (2012). Der Buchtitel ist etwas irreführend und aus meiner Sicht nicht glücklich gewählt. Mit dem ersten Teil des Buches kann ich auch nicht so sehr viel anfangen. Der zweite aber beschreibt sehr schön die Irrungen und Wirrungen der Wissenschaftssprache und das Problem, das Doktoranden (an diese Zielgruppe wendet sich Groebner hauptsächlich) damit haben. Er plädiert für Lesbarkeit, für das „Ich“ im Text und – ja! – für lautes Lesen: „Beim Vorlesen merken Sie … rasch, wie lange es am Beginn eines neuen Absatzes dauert, bis Sie selber verstehen, wovon eigentlich die Rede sein wird. Sie merken auch, wie rasch das bedeutungstragende Substantiv am Anfang erscheint. („Von wem ist die Rede?“) Und Sie merken, wenn Sie das Verb mit lauter Einschüben und Relativsätzen so weit nach hinten geschoben haben, dass im Satz niemand irgendetwas zu tun scheint, oder einfach zu lange damit wartet („Was passiert hier eigentlich?“). Wenn Sie Ihren Text selbst vorlesen (oder noch besser: einem geduldigen Publikum), merken Sie schließlich auch, ob am Ende die Resultate Ihrer Überlegungen wirklich deutlich werden.“ (S. 101 f.) Also: Einfach mal ausprobieren!

Bin ich hier richtig?

„Für Dozenten … ist das Referat ein beliebtes Mittel, eigene Aufgaben abzuwälzen oder zumindest auf das Nötigste zu reduzieren. Während sich vorn ein Student durch seine Gliederung quält, lässt sich ja der Fachaufsatz des Forschungskollegen lesen oder eigenen genialen Gedanken nachhängen.“ – so steht es in einem aktuellen Spiegel Online-Artikel von Jonas Leppin und Oliver Trenkamp, der sich allerdings hauptsächlich einer „Typologie“ von studentischen Referenten widmet: dem Angeber (Das Referat bin ich), dem Aufgeregten (Mir ist ein bisschen schwummrig), dem Beseelten (Lasst uns das bitte ausdiskutieren), dem Überflieger (Da ist doch nichts dabei), dem Verpeilten (Bin ich hier richtig?), dem Abgeklärten (Das schaffen wir schon), dem Nerd (Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?) und der Gruppe (Höchststrafe für alle).

Also der Artikel ist wirklich nett zu lesen – und in der Tat: Ganz falsch sind aus meiner Sicht diese Beobachtungen nicht: weder die von der ziemlich „entlastenden“ Didaktik für den Dozenten noch die verschiedenen „Typen“.

Sind Referatsseminare also überholt oder gar falsch? Das würde ich jetzt so nicht sagen! Natürlich sollte man mindestens am Ende des Studiums in der Lage sein, ein Referat zu halten, also in einem begrenzten Zeitraum mündlich und bei Bedarf visuell unterstützt einen Einblick in ein wissenschaftliches Thema zu geben, selbst dazu begründet Position zu beziehen, und das in einer Form zu tun, dass andere es verstehen und gut zuhören können und am Ende informierter sind als vorher. Und wenn man das können soll, muss man es üben – also auch in Lehrveranstaltungen. Allerdings: Wenn 70 bis 80 Prozent der besuchten Seminare für einen Studierenden in solchen Referatsseminaren bestehen, ist das natürlich nichts. Und wenn man vor allem nur schlechte Referate hält und erlebt und man aus den eigenen Fehlern und denen der anderen nichts lernen kann, weil es kein vernünftiges Feedback gibt, dann ist es erst recht nichts.

Eine Checkliste für gute Referate ist ja schon mal was, aber allein hilft das auch nichts. Es kann sogar ins Gegenteil umschlagen – ins Abarbeiten von angeblich gesetzmäßigen Regeln etwa bei der Gestaltung von PowerPoint-Folien. Also: Warum nicht ab und zu ein Referatsseminar, aber dann bitte so, dass man etwas daraus lernt (dazu muss man dann aber auch zusätzliche Zeit einplanen) und in erträglicher Dosierung. Ob sich dann die „Typen“ ändern, die Jonas Leppin und Oliver Trenkamp skizziert haben, sei allerdings dahin gestellt. Das scheinen mir doch eher Skizzen von bestimmten Haltungen von Studierenden gegenüber dem Studium und der eigenen Rolle in diesem Studium zu sein. Wäre ja mal ganz interessant, empirisch zu überprüfen (und theoretisch zu untermauern), ob sich diese Typen auch zeigen, wenn man systematisch nach ihnen Ausschau hält, wie sie verteilt sind und ob es seitens der Studierenden selbst einen Veränderungsbedarf gibt.

Gemunkel in der oberen Etage

Es wird „geraunt und gemunkelt“ in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), „es gibt Gespräche am Rande von Konferenzen und in Restaurant-Nebenzimmern, Kontakte per Telefon und sogar über anonymisierte E-Mail-Adressen, die eigens eingerichtet und später wieder gelöscht werden“ – so Armin Himmelrath in einem Bericht über die HRK vom 19.10.2012 im Magazin duz. Der Hintergrund: Unzufriedene Stimmen mit dem neuen Präsidenten der HRK und offenbar verschiedene Meinungen, was dessen Führungsstil (respektive „Basta-Stil“) betrifft. Allerdings wolle sich da niemand öffentlich zitieren lassen; alle zögen erst mal den vertraulichen Austausch vor.

Man kennt solche Prozesse ja keineswegs nur auf der „oberen Etage“ (so die Bezeichnung für die HRK von Ulla Burchardt – Vorsitzende das Forschungsausschusses im Bundestag – im Interview mit Himmelrath). Auch „weiter unten“ gibt es oft eine merkwürdige Diskrepanz zwischen formulierungsmäßig ausgefeilten Protokollen und tatsächlichen Diskussionen, zwischen öffentlichen Verlautbarungen und Diskussionsbeiträgen hinter geschlossenen Türen. Es ist zwar durchaus sinnvoll, nicht jede Kontroverse nach außen zu tragen. Aber ein wenig mehr Transparenz würde man sich manchmal doch schon wünschen – auf allen Etagen. Und Kontroversen gibt es natürlich überall – in der HRK derzeit aber offenbar besonders. Interessant ist in diesem Zusammenhang das schon genannte Interview, in dem Burchardt festhält: „Die HRK hat ein grundsätzliches Strukturproblem: Es gibt dort starke Zentrifugalkräfte die auseinanderstreben. Große Hochschulen haben andere Interessen als kleine, Universitäten andere als Fachhochschulen, Hochschulen im Westen andere als die im Osten“. Zu den heterogenen Interessen käme, dass die Hochschulen ja nun nicht die Summe ihrer Rektoren seien; doch die HRK würde sich darum wenig kümmern und sich auch in einigen anderen Dingen einer merkwürdigen Sprachlosigkeit hingeben.

Immerhin aber sagt offenbar einer namentlich ganz offen seine Meinung – nämlich der Präsident der HRK – und heizt die Kontroversen damit heftig an. Aber, so das Resümee von Himmelrath: „Die HRK hat sich für Hippler entschieden, sie hat Hippler bekommen …“ und der Mann habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass es ihm nicht um Konsens gehe. Den Konsens fände ich dagegen durchaus wichtig. Schade nur, wenn er vor allem am Rande von Konferenzen, in Restaurant-Nebenzimmern und Online-Kontakten mit anonymisierten Adressen entsteht.

(Armin Himmelrath moderiert übrigens auch die Abschlussdiskussion auf der Fachtagung des Deutschen Hochschulverbands zum „Digitalen Denken“ kommenden Mittwoch, von der ich nächste Woche berichten werde).

Was kann man an Kompetenzen schlecht finden?

Gerade ist das neue Heft der Zeitschrift für Hochschulentwicklung (Online-Zeitschrift) erschienen. Es trägt den Titel „Kompetenzen, Kompetenzorientierung und Employability in der Hochschule“ und wird herausgegeben von Niclas Schaper (Paderborn), Tobias Schlömer (Oldenburg) und Manuela Paechter (Graz). Ich habe bisher nur das Editorial gelesen und mir einen Überblick über die Beiträge verschafft, die eine gute Mischung aus grundsätzlichen und beispielhaften Texten zum Titel-Thema bereitstellen. In der Einführung verweisen die Herausgeber zunächst auf die Ziele eines Hochschulstudiums. Dieses soll dazu beitragen, dass Absolventen am Ende wissenschaftlich denken und arbeiten sowie wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden anwenden können. Des Weiteren sollen als Vorbereitung auf ein berufliches Tätigkeitsfeld Problemlösekompetenzen aufgebaut und zudem die Persönlichkeitsbildung (also soziale und personale Schlüsselkompetenzen) gefördert werden. Studium und Lehre sollen vor diesem Hintergrund kompetenzorientiert gestaltet werden; das heißt: Im Zentrum steht die Befähigung zum Handeln, und das muss man dann natürlich auch in jedem Curriculum berücksichtigen.

Diesem Tenor schließen sich auch die anderen Beiträge an – jedenfalls kann man das den Abstracts entnehmen. Und natürlich: Warum sollte man sich dem nicht anschließen? Was kann man an Kompetenzen schlecht finden? Alle wollen wir doch Absolventen, die nicht nur etwas wissen, sondern auch etwas können und Einstellungen haben, die erkennen lassen, dass sie eine Wissenschaft studiert haben. Beim Lesen von Beiträgen zum Kompetenzthema beschleicht mich trotzdem immer so ein zwiespältiges Gefühl. Es stören mich mehrere Dinge, ohne dass ich wirklich genau explizieren könnte, was es ist, das mich stört:

  • Vielleicht stört mich der implizit in der „neuen“ Kompetenzorientierung steckende Vorwurf, vor der Kompetenzwelle hätte niemand Interesse am Handeln gehabt, was man so sicher nicht stehen lassen kann.
  • Vielleicht stört mich aber auch die mit der Kompetenz- und Output-Orientierung verbundene (scheinbare oder tatsächliche?) Abwertung der Inhalte bzw. der Sache, mit der man sich in einem Studium beschäftigt bzw. beschäftigen sollte.
  • Damit zusammenhängend stört mich vielleicht auch die sich bei mir einschleichende Befürchtung, dass man in einem „kompetenzorientierten Studium“ vor allem um sich selber kreist und sowohl Inhalte als auch andere Personen letztlich nur Mittel zum Zweck (welchen genau?) werden.
  • Vielleicht stört mich darüber hinaus ein impliziter Widerspruch, nämlich der zwischen der Behauptung, dass nun alles Interesse an den Kompetenzen hafte, die als Dispositionen allerdings nicht direkt erkennbar sind, und der Forderung, alles Augenmerk plötzlich auf das sichtbare Verhalten zu lenken, das ja allenfalls ein Indikator für eine Kompetenz sein kann.

Na ja, jetzt habe ich es doch noch expliziert, was mich stört; aber es fehlen mir noch die Worte, das richtig gut zu begründen. Damit will ich die zahlreichen Beiträge zur Kompetenzorientierung keinesfalls pauschal abwerten. Ich frage mich aber, ob wir nicht genauer hinschauen sollten, was uns diese Diskussion etwa für die didaktische Gestaltung des Studiums bringt und welche versteckten Botschaften damit ausgesendet werden, die mitunter nicht (mehr) ganz konsistent oder womöglich auch schädlich sind.

Turbo-Bachelor oder doch lieber länger?

Laut eines kurzen Zeit-Online-Artikels gibt es sie: die Langzeitstudenten auch im Bachelor (hier ist der Artikel). Der Beitrag erzählt die Geschichte eines Studierenden der Medienwissenschaft und macht klar: Lange studieren geht offenbar auch im Bachelor (jedenfalls an manchen Unis) und muss keinesfalls Ausdruck von Faulheit sein. Voraussetzung freilich ist, dass Studierende nicht eine bestimmte CP-Zahl bis zu einem vorgegebenen Zeitpunkt vorweisen müssen oder nach Ablauf der Regelstudienzeit aus der Uni fliegen. Immerhin zeigt die Einzelfallgeschichte: Etwas mehr individuelle Flexibilität stünde wohl jedem Studiengang gut, denn es gibt viele Gründe, warum Lern- und Bildungsprozesse mal länger dauern oder Umwege brauchen ODER eben mal in vergleichsweise kurzer Zeit oder auf direktem Wege möglich sind. Vom Weg immer gleich auf die Qualität des Ergebnisses zu schließen, ist unangemessen. Das gilt aus meiner Sicht aber auch für den „Turbo-Bachelor“, also auch für die, die ihr Studium schnell beenden. Auch da muss man schon genau hinschauen und die einzelne Person im Blick haben, denn: Zügig ist sicher nicht gleich oberflächlich.