Schon schade

Seit einiger Zeit stelle ich Vortragsmanuskripte, Preprints, aber auch erste Arbeitspapiere als Vorstufe etwa von Vorträgen oder Artikeln online – oft in der Hoffnung, dass vielleicht zu dem einen oder anderen Thema ein Austausch auf Augenhöhe (also auch unter Wissenschaftlern und Hochschullehrern) stattfindet: etwa beim Thema empirische Bildungsforschung (Vorüberlegungen hier, letztendlicher Text hier) oder – wie vor kurzem – bei Fragen der Didaktik (Vorüberlegungen zu einer pfadabhängigen Didaktik hier – daraus soll natürlich noch mehr entstehen). Das klappt aber (noch) nicht, obwohl es – theoretisch zumindest – eine gute Möglichkeit wäre, außerhalb des klassischen Peer-Reviews gegenseitige Kritik und Stellungnahmen auszutauschen.

Manchmal versuche ich das auch direkt – indem ich einen anderen Wissenschaftler bitte, einen Beitrag kritisch zu lesen und Rückmeldung zu geben. Das funktioniert ab und zu, aber auch nicht immer. Irgendwie ist da die Scheu offenbar groß, denn ich glaube nicht, dass es wirklich immer Zeitargründe sind, die das verhindern – jedenfalls nicht, wenn es sich um Texte handelt, deren Umfang z.B. unter 20 oder 15 Seiten liegt. Es widerspricht wahrscheinlich eher der Karrierelogik, nach der man vor allem das tut, was einen selbst voranbringt – und ein gutes und durchdachtes Feedback bringt auf den ersten Blick ja nur den anderen voran. Ich bin allerdings überzeugt davon, dass man als Feedbackgeber auch selbst eine Menge dazulernt und durchaus einen persönlichen Nutzen hat. Also: Ich weiß letztlich nicht, woran es liegt. Vielleicht ist es auch Gewohnheit, es gibt keine Kultur dafür. Ich habe stets versucht, das zumindest unter den Mitarbeitern anders handzuhaben, und ich habe den Eindruck, dass da ein reger Textaustausch mit Feedback stattfindet. Aber wenn man mal den Professorenstatus hat, scheint das anders zu werden.

Schon schade! Mit Blick auf die Qualität der Wissensgenerierung hätte ein solcher Austausch bei der Genese von Texten nämlich viele Vorteile. Und wenn man mal einen besonders engagierten Feedbackgeber hat, der dann plötzlich eigene Ideen beisteuert, könnten sich daraus ja Co-Autorenschaften entwickeln. Aber genau hier liegt vielleicht der Knackpunkt bzw. der potenzieller Streitpunkt: Ab wann ist das der Fall? Das ist übrigens ein ganz klassisches Problem beim Wissensmanagement: Das Geben fällt schwer, weil der Nutzen nicht genau kalkulierbar ist, und ein Risiko verbleibt, mehr zu geben als zu bekommen.

Subversion und Integration

Auf meinen Vortrag auf der IATEL-Konferenz habe ich ja schon verwiesen (hier). Nachschieben möchte ich nun ein paar Eindrücke, vor allem aber Ideen, die ich daraus mitgenommen habe (Frank war auch dabei und hat sich auch so seine Gedanken gemacht: kann man hier nachlesen). Für mich am spannendsten war es, Werner Sesink ein wenig näher kennengelernt zu haben. Ich war anlässlich meines Vortrags zu Qualität, Kompetenz und Assessment in einer Session eingebunden (von insgesamt vier Sessions), deren Ziel es war, „Dimensionen von Qualität und Kompetenz“ im E-Learning zu beleuchten. Rund 18 Teilnehmer/innen hatten sich hier eingefunden, u. a. Herr Sesink. Es war ein schwieriges Thema, bei dem ich schon nach meinem schriftlichen Beitrag einige Bauchschmerzen hatte, weil mir unklar war, wie gut oder schlecht sich meine Überlegungen zu diesem Thema in einem Vortrag vermitteln lassen. Aber darüber will ich gar nicht schreiben. Nein, worüber ich berichten will, sind ein paar Gedanken, die mir vor allem beim Zuhören einiger Beiträge von Herrn Sesink in den Diskussionen durch den Kopf gegangen sind. Wir kamen mehrfach an den Punkt, wo sich verschiedene Ansprüche und Möglichkeiten zu beißen scheinen, z.B. Standardisierung versus Individualisierung, individuelle Expertise versus Vorzüge vernetzter „Schwärme“, institutionalisiertes Lernen versus informelles Lernen, und dann natürlich auch Web 1.0 versus Web 2.0. An mehreren Stellen brachte Werner Sesink Ereignisse und Erlebnisse ein, die 40 Jahre zurückliegen und zumindest vergleichbare Spanungsverhältnisse verdeutlichten, ähnliche offene Fragen und Probleme berührten, wie wir sie heute (wieder) diskutieren, aber auch auf Aspekte verwiesen, die uns aktuell eher fremd erscheinen.

Ich fände es sehr gut, wenn man mal mehrere dieser Stimmen an einen Tisch und mit den heutigen Verfechtern wie auch Skeptikern in Sachen Web 2.0 zusammenbringen könnte. Warum? Nicht weil ich meine, dass man die gesellschaftliche Situation Ende der 1960 Jahre mit der heutigen in einen Topf werfen kann; ich denke schon, dass wir heute an der Universität vor neuen Herausforderungen stehen. Ich schlage das auch nicht vor, weil ich meine, dass politische Ziele mit Zielen rund um den Einsatz digitaler Technologien auf der gleichen logischen Ebene liegen. Nein, ich fände das spannend, weil ich den Eindruck habe, dass es einige Parallelen in der Tiefe gibt, die Werner Sesink z.B. mit Begriffspaaren wie „Subversion und Integration“ (was damit gemeint ist, scheint auch in diesem kurzen Artikel hier auf – ist aber zugegebenermaßen nicht ganz leicht zu verstehen) oder „Freiheit und Bindung“ zu bündeln versuchte – Begriffspaare, die auch heute passend erscheinen (auch wenn ANpassungen sicher nötig sind). Ich würde gerne von denjenigen lernen, die vor 40 Jahren an Schriften wie der der Bundesassistentenkonferenz mitgearbeitet haben, die sich mit neuen Ideen gegen bestehende Routinen und Ziele wenden wollten, die um die Frage der Zukunft der Universität und ihrer Ziele gestritten haben, die damit Erfolg und Misserfolg hatten. Mich würde interessieren, ob und wenn ja in welcher Weise die damaligen Akteure die aktuelle Web 2.0-Philosophie und allem voran die daran geknüpften Überlegungen zur Hochschuldidaktik wie auch zu Hochschulentwicklung sehen. Und mich würde interessieren, welche Fragen die Vertreter eines wie auch immer gearteten „Lernens 2.0“ an diese Akteure haben (fatal wäre es, wenn sie keine Fragen haben).

2010 wäre doch ein gutes Jahr, so etwas einmal auf die Beine zu stellen! Ich meine, wir lernen zu wenig voneinander! Vielleicht „verbünden“ wir uns auch zu wenig – trotz der gigantischen Vernetzungsmöglichkeiten. Vielleicht sehen das andere ähnlich? Mal sehen, ob hier was an Kommentaren zusammenkommt.

Keine Vorzeige-Community

In meinem Vortrag in Hamburg vor eineinhalb Wochen habe ich aus der Schrift der Bundesassistentenkonferenz von 1970 zitiert und u.a. darauf hingewiesen, dass schon die damaligen Verfechter des forschenden Lernens begleitende Lernformen vorgeschlagen haben – und zwar nicht nur das genetische und das reflexive (bzw. kritische) Lernen, sondern durchaus auch das rezeptive Lernen. Letzteres sei vor allem dann sinnvoll, wenn es einen konsensfähigen Wissenskanon gäbe. Das sehe ich auch so, auch wenn es speziell in unseren Fächern keinen so klaren Konsens darüber gibt, was man wissen sollte (Kanon) und was exemplarisch bleiben kann und muss. Dennoch meine ich, dass man sich zumindest auf einen Kern an Inhalte einigen könnte, den man in bildungswissenschaftlichen und mediendidaktischen Studiengängen oder Modulen kennen sollte. Für solche Zwecke ist die gesamte Diskussion um „Reusable Learning Objects“ (um die es wieder ruhiger geworden ist) wichtig.

Und genau hierher gehören aus meiner Sicht Materialsammlungen, für die jetzt Michael Kerres mit seinem Team einen Beitrag auf YouTube leistet (hier): Das finde ich sehr gut und sicher werde ich das eine oder andere Video nutzen. Aber unabhängig von den konkreten Videos wäre es aus meiner Sicht wünschenswert, dass wir als Lehrende an der Hochschule beginnen, überhaupt solche Fundstücke und Materialien systematisch ! zu teilen, von denen man zumindest erwarten oder hoffen kann, dass sie zu einem Wissenskanon gehören. Wir Lehrende sind in dieser Hinsicht eigentlich eine schlechte Community, jedenfalls keine Vorzeige-Community. Es ist zwar richtig, dass es nicht so einfach ist (wie man es mal geglaubt hat), einzelne Materialien wie einen Legostein (so eine Metapher, die auch Peter Baumgartner mal gebraucht hat) auf die bereits bestehenden Legobauten draufzusetzen oder diese untereinander zu ersetzen, denn immerhin gibt es – im Idealfall – so etwas wie eine innere Logik einer Veranstaltung (oder eines Moduls). Trotzdem: Oft suche ich ewig nach einem guten und geeigneten Text zu einem Thema für die Studierenden, nach einem Audio oder Video und verbrauche dabei sehr viel Zeit. Hier könnten wir uns letztlich schon besser untereinander unter die Arme greifen. Wir müssten da eine entsprechende Community of Practice aufbauen, Inhalte nach einer bestimmten Logik sammeln und kommentieren und diese Inhalte auch pflegen und könnten auf diesem Wege womöglich – mittelfristig zumindest – viel Zeit sparen.

Banker oder Denker?

Diese Woche ist gekennzeichnet vom „Bildungsstreik“ – oder er soll es zumindest sein. Schüler/innen und Studierende sind gleichermaßen aufgerufen sich zu beteiligen. Ist das gut oder bringt es nichts? Überfällig oder überflüssig? Ein paar Stichpunkte, welche Gedanken zumindest mir durch den Kopf gehen – eine kleine „positiv-negativ-Stichwortliste“ (subjektiv und vorläufig):

Positiv: es werden endlich lauter Meinungen artikuliert und die ersten Unis reagieren nicht mit Verboten (anders als Schulen) – treffende Sprüche wie „Bachelor und Banker statt Dichter und Denker“ (Quelle hier) – neben Studienbedingungen werden auch Lehrbedingungen aufgegriffen, z.B. schlecht bezahlte Lehraufträge und prekäre Lebensverhältnisse vieler Nachwuchswissenschaftler (erwähnen könnte man auch mal die erhebliche Absenkung der Grundgehälter von Professoren mit der W-Besoldung, bei der ich mich frage, warum die gleiche Arbeit plötzlich weniger wert ist als früher) – klare Forderungen nach mehr Investitionen in Bildung und eine sinnvoll Verteilung derselben – sogar in Bayern soll es Proteste geben (laut GEW)

Negativ: einige Argumente klingen mir ein bisschen zu viel nach „Klassenkampf“ (das ist dann doch eher von vorgestern) – (noch) wenig Beteiligung – pauschale Forderungen etwa nach Wegfall von Zulassungsbeschränkungen an Hochschulen (das wird nirgendwo die Bedingungen verbessern: wie soll das gehen?) – Behauptungen dahingehend, dass früher alles besser war (das sehe ich nicht so!) – einige Passagen aus einem Interview von Martin Paul, Professor am Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie und Dekan der Fakultät für Medizin und Lebenswissenschaften an der Universität Maastricht, z.B. der Satz „In den Niederlanden … werden die Studenten als echte Kunden begriffen“, was wenig hilfreich dafür ist, die Bildungsbedingungen zu verbessern: Die Gleichsetzung von Lernen und Lehren mit wirtschaftlichen Transaktionen ist aus meiner Sicht falsch und einer der Gründe für die aktuelle Lage.

Zwischenbilanz

Eine Zwischenblanz versucht der 50. Band der GMW-Reihe mit dem Titel: „E-Learning: Eine Zwischenbilanz. Kritischer Rückblick als Basis eines Aufbruchs„. Das ist eine gute Idee, hilft es doch tatsächlich oft für weitere Entwicklungen, wenn man mal zurückblickt und sortiert, was alles gelungen, was misslungen und was offen geblieben ist und welche Gründe es dafür geben könnte. Aufschlussreich sind die Beiträge von Simone Haug und Joachim Wedekind (eine Bilanzierung zu Förderprojekten) einerseits und Peter Baumgartner und Reinhard Bauer (eine Bilanzierung zum Medidaprix) andererseits und in Ergänzung dazu das Expertenstatement von Michael Kindt, weil sie deutlich machen, wie stark die Bemühungen um das Lernen und Lehren mit digitalen Medien (an der Hochschule) von Faktoren außerhalb der Hochschule, allem voran vom bildungspolitischen Klima und dazugehörigen Entscheidungen (bei denen es schlicht ums Geld geht) beeinflusst werden. Speziell die Föderalismusreform hat in Deutschland diesbezüglich gravierende Folgen gehabt. Michael Kindt (S. 98) formuliert es eher vorsichtig, was nach der letzen 2006 ausgelaufenen Förderrunde aktuell der Fall ist: „Weder Bund noch Länder fühlen sich wirklich veranlasst, die mit enormen Aufwand initiierten Entwicklungsstränge auszuwerten, z. B. auf Einflussfaktoren zu untersuchen, die im Sinne der Zielsetzungen förderlich oder hinderlich waren oder evtl. weitere Perspektiven und einen entsprechenden Förderbedarf auszuloten.“ Man könnte es auch drastischer sagen: Niemand hat mehr einen Überblick, jedes Land hat seine eigene Strategie, aber es eint sie der Versuch, die Verantwortung an die einzelnen Hochschulen weiterzureichen, die aus finanzieller Not nur da investieren, wo ein rascher „Return on Investment“ zu erwarten ist. Um den zu finden (und man finden ihn in der Bildung meistens nicht, weil die Effekte zwar nachhaltig, aber äußerst träge sind) und zu nutzen, scheuen manche Hochschulleitungen auch vor Beratungs- und Marketingfirmen nicht mehr zurück.

Mir selbst fällt (negativ) auf (und es wird mit beim Lesen des neuen Bandes wieder klar), dass der Einfluss der E-Learning Community auf die Bildungsforschung insgesamt sehr klein ist (was ich damit meine, kann man genauer hier nachlesen). Das ist ausgesprochen bedauerlich und ob ich mit meinen Überlegungen, woran das liegen könnte, richtig liege, weiß ich letztlich nicht genau. Allerdings wären die Gründe schon wichtig zu kennen, denn dann fiele es leichter gegenzusteuern und den Einfluss zu erweitern. Ich denke nämlich schon, dass im Umkreis des E-Learning zahlreiche interessante Befunde und Erfahrungen ebenso wie theoretische Ideen entstanden sind und entstehen, die für Fragen des Lernens und Lehren an der Hochschule (und darüber hinaus!) von genereller Bedeutung sind (über die Medien hinausgehend).

Was ich bislang nicht so ganz verstehe ist, warum (auch im „Jubiläumsband“) die GMW, deren Kürzel immerhin für „Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft“ steht, auf „E-Learning“, also auf Fragen des Medieneinsatzes in der Hochschullehre eingeengt wird. Zwar hat es über Aspekte wie Hochschulentwicklung durch digitale Medien bereits ausgehend vom E-Learning einzelne Erweiterungen gegeben. Aber auch der Einsatz von Medien in der Forschung ebenso wie in der Wissens- und Wissenschaftskommunikation nach Innen und Außen sollten meiner Ansicht nach dazugehören. Wir haben das im Vorstand bereits andiskutiert und es ist mir ein Anliegen, da dran zu bleiben. Denn vielleicht wäre das ja auch ein Baustein für eine Strategie, den Einfluss der GMW nicht nur auf die Bildungsforschung, sondern z.B. auch auf die Hochschulforschung auszuweiten. Zudem könnte dies eine Erweiterung der Zielgruppen bedeuten, von der die GMW ja nur profitieren würde.

Ich habe noch nicht alle Beiträge des Bandes gelesen, aber nach der Lektüre einiger ausgewählter Texte und einem Überblick über die andere Beiträge, muss ich Joachim zustimmen, dass es sich lohnt, sich ein wenig mehr Zeit für den Band zu nehmen (auch wenn nicht alle Artikel auf demselben Niveau sind). Abschließend möchte ich noch Rolf Schulmeister (S. 321) zustimmen, der auf ein aus meiner Sicht wichtiges Spanungsfeld beim Einsatz aktueller digitaler Medien speziell in Bildungsinstitutionen hinweist: „Es ist zu erwarten, dass sich auf diese Weise ein Widerspruch zwischen der naturwüchsigen Innovation und der ungeordneten Vielfalt an Methoden im Internet einerseits und den Bemühungen um Standardisierung der Schnittstellen, die für die Kooperation notwendig sind, einstellen wird, der die Fähigkeit zur Kooperation einschränken kann.“

Große Verunsicherung

In vielen Blogs hat es sich eingebürgert, sich untereinander in Kommentaren mit „du“ anzureden. Ich habe überhaupt kein Problem damit – im Gegenteil: Ich finde das gut, warum auch nicht. Nun passiert es mir immer häufiger, dass ich Leuten in Workshops oder auf Tagungen begegne, die mein Blog kennen, ja, die manchmal auch kommentieren (auch wenn das letztlich nur wenige sind). Dann ist die Verunsicherung plötzlich groß: Wie ist das? Darf man jemanden einfach mit „du“ in der physischen Realität ansprechen, wenn man das z.B. in Kommentaren in der Blogosphäre bereits gemacht hat? Vielleicht sind ist diese ungeklärte Frage der Grund dafür, dass manche Kommentatoren die Entscheidung einfach umgehen und weder ein „Sie“ noch ein „du“ verwenden, sondern das schlicht offen lassen. Das hat dann im realen Raum den Vorteil, dass die genannte Verunsicherung nicht eintritt. Ich passe mich meistens an, habe ich gemerkt: Spricht mich jemand mit „du“ an, ist das gut und ich mache es genauso – aufatmend, dass der/die andere die Entscheidung getroffen hat. Spricht man mich mit „Sie“ an, bleibe ich auf dieser Ebene. Also, es ist, wenn man länger darüber nachdenkt, nicht so ganz unkompliziert – das stimmt schon. Deswegen versuche ich es mal in meinem Fall weniger kompliziert zu MACHEN und stelle klar: Es ist völlig in Ordnung und nur konsistent, wenn ein Du in der Blogosphäre auch im realen Raum fortgesetzt wird – egal, in welcher „formalen“ Beziehung jemand zu mir steht. Es wäre aus meiner Sicht unpassend, nach dem Motto zu verfahren: dem „Kollegen“ ist das erlaubt, einem Mitarbeiter vielleicht und dem Studierenden nicht. Also: keine Sorge – ich spiele keine zwei verschiedenen Rollen in der realen und in der virtuellen Welt!

Wissenschaft 2.0?

Unter dem Titel „Forschen und Lehren in der Öffentlichkeit“ hat Christian Spannagel vor knapp zwei Wochen in Hamburg einen Vortrag in der Ringvorlesung „Medien und Bildung“ gehalten. Dabei hat er ein aus meiner Sicht sehr spannendes Thema aufgegriffen, das an anderer Stelle (nämlich hier) auch als „Öffentliche Wissenschaft“ bezeichnet wird. Ich habe mir Christians Vortrag angehört, dann auch dank Googles verwerflicher (?) Digitalisierungswut in Peter Faustichs Herausgeberband „Öffentliche Wissenschaft“ herumgeblättert und mir ein paar Gedanken dazu gemacht. Ich komme momentan auf mindestens fünf verschiedener Lesarten bzw. Intentionen von „öffentlicher Wissenschaft“:

  • Erstens kann der klassische Wissenstransfer als Ziel im Fokus stehen, also der Versuch, wissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis nutzbar zu machen, wofür es natürlich zahlreiche Wege gibt: von der wissenschaftlichen Weiterbildung bis zur Wissenssendung.
  • Zweitens kann man primär den öffentlichen Zugang im Sinne von Open Access im Blick habe, wenn man für eine öffentliche Wissenschaft plädiert – mit allen Streitpunkten, die wir dazu aktuell haben.
  • Drittens kann man (wenn auch verknüpft mit dem ersten Punkt) vor allem die persönliche Bildung durch Wissenschaft anstreben – und das eben nicht nur bezogen auf Studierende, sondern auch bezogen auf alle anderen interessierten Bürger, die über die Beschäftigung mit Wissenschaft ihren Horizont erweitern.
  • Viertens – und jetzt kommen wir zu dem, was Christian allem voran vorschwebt – kann man eher eine „partizipative Wissenschaft“ , also vielleicht eine Wissenschaft 2.0, als Ziel einer öffentlichen Wissenschaft definieren: Interessanter Weise wird hier von Christian der „mode 2“ ins Feld geführt, was Erinnerungen in mir wach ruft, nämlich z.B. die Rede von Franz Weinert zu Heinz Mandls 60. Geburtstag. In dieser Rede (die es leider nirgends schriftlich gibt) drückte Weinert sowohl seine Skepsis gegenüber dieser partizipativen Form der „Wissensproduktion“ aus als auch seine Hochachtung vor Mandl, der es immer verstanden habe, solche neuen Trends mit der klassischen Grundlagenforschung zu verknüpfen.
  • Fünftens gibt es immer mehr Leute, die meinen, „öffentliche Wissenschaft“ heiße vor allem öffentlichkeitswirksames Wissenschaftsmarketing. Nun sind die Grenzen zwischen informativen und motivierend gemachten Darstellungen von Wissenschaft und Forschung auf der einen Seite und anbiedernder Exzellenz- und Qualitätsrhetorik im Hochglanzformat auf der anderen Seite sicher fließend und von mir aus kann eine „MS Wissenschaft“ auch mal eine Zeitlang durch die Flüsse schippern. Aufpassen aber muss man da schon, dass man wissenschaftliches Denken und Handeln nicht nur als Unterhaltensangebot und Anreiz für mögliche Sponsoren nutzt, sondern als ernst zu nehmende Chance zur technischen, wirtschaftlichen UND kulturellen und humanen Weiterentwicklung von Gesellschaften … und als Wert an sich.

Nächsten Dienstag (am 9. Juni) bin ich übrigens auch in Hamburg – mein Thema dreht sich aber um eine andere Frage, nämlich um die Herausforderung des forschenden Lernens.

Begründet widersprechen

In unseren Studiengang „Medien und Kommunikation“ kommen vor allem Studierende, die Kommunikationswissenschaft studieren wollen. Dass der Studiengang gleichberechtigt mit „Mediendidaktik und -pädagogik“ auch einen bildungswissenschaftlichen Anteil hat, wird eher als lästig empfunden – wie die letzte (interne) Erhebung zeigt, in der fast 70% der Erstsemester kein Interesse an unseren Inhalten hat. Das macht die Lehre in diesem Fach alles andere als einfach, wie man sich denken kann. Das ist EIN Problem. Ein anderes Problem, das ich beobachte, ist, dass alles, was nicht unmittelbar „berufsrelevant“ erscheint, ebenfalls eher wenig Interesse auf sich zieht. Zusammen mit meinen Mitarbeitern bemühen wir uns seit Jahren, genau diese „Berufsrelevanz“ zu erhöhen, auch wenn das in unserem Fach schwierig ist, denn wir haben natürlich keine Ahnung, wo unsere Studierende am Arbeitsmarkt landen. Die Vielfalt der möglichen Felder ist groß, ein Versprechen auf „Berufsfähigkeit“ daher eine glatte Lüge.

Dieses Problem ist nicht spezifisch für unseren Studiengang – es ist grundsätzlich – so grundsätzlich wie die Frage, welchen Zweck die Universität überhaupt hat: Bildung oder Ausbildung? Ausbildung! Das hören wir alle und ich habe – das muss ich eingestehen – am Anfang meiner beruflichen Laufbahn nicht so sehr viel darüber nachgedacht. Die Gedanken aber kommen jetzt – häufiger und intensiver. Manchmal lähmen sie mich, weil ich mir nicht mehr sicher bin, wofür ich eigentlich noch die Verantwortung übernehmen kann: Soll ich die Studierende weiter anlügen und ihnen sagen, wir machen sie berufsfähig? Oder soll ich gegensteuern und darauf pochen, das es darum gar nicht gehe, sondern dass es das Ziel sein müsse, kritisch denken, methodisch handeln und verantwortungsvoll urteilen zu lernen? Letzteres führt dann mit Sicherheit dazu, dass der bildungswissenschaftliche Kernfachbereich noch unbeliebter wird.

Es gibt eine ganze Menge schlauer Leute, die sich in den letzten Jahren viele Gedanken genau dazu gemacht haben. Ich möchte nur einen an der Stelle herausgreifen und ein paar Zitate hervorheben. Unter dem Titel „Ein Studium ist keine Ausbildung“ hat Michael Walter bereits 2005 (online hier abrufbar) ein paar interessante Thesen und Argumente gebracht. Ich zitiere:

  • „Die Konzeption Humboldts, aber auch der mittelalterlichen Universitäten, kannte keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Studenten und Professoren, sondern nur einen Unterschied in der Erkenntniskompetenz. Sie beruhte ihrerseits ebenso auf akkumuliertem, wenn auch unsicherem Wissen wie auf Erfahrung. Aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Wissens, das sie weitergeben, verkürzen Professoren jenen Zeitraum, um diese Erfahrungen bzw. das temporär geltende Wissen selbst zu sammeln“ (Walter, 2005, S. 8).
  • Daraus folgert er auf der nächsten Seite: „Gute Studierende sind jene Studierende, die eines Tages in der Lage sind, ihren Professoren und Professorinnen begründet zu widersprechen und eigene Systeme und Modelle vorzuschlagen. Gute Professoren und Professorinnen sind jene, die ihre Studierenden in die Lage versetzen wollen zu widersprechen“ (Walter, 2005, S. 9). Das trifft es eigentlich ziemlich genau, was ich mir implizit immer so vorstelle, wie ich zumindest in dafür geeigneten Situationen (mit denen, die hierfür eine Bereitschaft signalisieren) versuche, dabei aber vor allem bei großen Gruppen natürlich massiv an Grenzen und auch auf Unverständnis stoße. Wichtig erscheint mir denn aber auch Walters Aufforderung an die Studierenden selbst:
  • „Studierende sollten … von der Universität … keine Berufsausbildung erwarten. Die Kompetenzen, die ein Studium vermittelt (oder vermitteln sollte), sind grundlegender und darum auch nachhaltiger Natur: das Erkennen und Durchdenken von Problemen, die anschliessende Suche nach Lösungen und, damit verknüpft, die Suche nach jenem Wissen, das für die Lösung von Bedeutung ist“ (Walter, 2005, S. 9).

Es gibt eine Reihe weiterer Autoren, die genau darin einen durchaus beachtlichen gesellschaftlichen, mithin auch ökonomischen Nutzen sehen. Oder von der anderen Seite her wie folgt von Peter Winterhoff-Spurk in der Ausgabe von Forschung und Lehre vom Februar dieses Jahres (ebenfalls noch online zugänglich hier) formuliert: „Was jetzt im Bildungsbereich – und besonders an den Universitäten – geschieht, ist die Begrenzung des Menschen auf Fertigkeiten und Begabungen, die seiner beruflichen Qualifikation und darüber hinaus den Interessen der Wirtschaft und des Staates dienen. Den Preis dafür werden die nächsten Studierendengenerationen – und später wir alle – zahlen müssen.“

Ich könnte noch einige andere Diagnosen ähnlicher Art hinzufügen, denen ich laut zustimmen kann. Nur Lösungen, die finde ich nicht. Wir können, wir wollen schließlich nicht zurück in vorherige Jahrhunderte. Universitäten sind einem Wandel unterzogen, ja es ist ja auch eine der Leitideen von Humboldt, dass sich die Universität selbst erneuern muss. Allerdings soll sie das „selbst“ und nicht unter dem Zwang von Ökonomie und Politik. Die Lösung kann also wohl nur bei uns selbst, bei denjenigen liegen, die Teil der Universität sind – bei den Professoren/innen und Studierenden. Aber das „Wie“, das ist freilich auch in meinem Kopf ein einziges großes Fragezeichen …

Woher kommt die Netz-Phobie?

Nicht wenige Journalisten der sogenannten Qualitätspresse scheinen sich sehr bedroht zu fühlen vom gemeinen Web-User, von den Bloggern und sonstigen „Ideologen des Internets“, die sich – so das Feindbild – in einem gigantischen rechtsfreien Raum tummeln und kriminelle Machenschaften in anarchistischer Grundstimmung billigend im Kauf nehmen. Mir ist die letzte ZEIT-Ausgabe fast aus der Hand gefallen, als ich den Artikel „Wider die Ideologen des Internets!“ von Heinrich Welfing gelesen hatte: Gehöre ich als intensiver Nutzer des Internets zu einer wachsenden Gruppe von Personen, die nach dem Motto lebt „Im Namen der Freiheit wird der Austritt aus dem Recht propagiert“? Nur der nebenstehende kürzere Beitrag über die „Geistesaristokratie“ von Gero von Randow, der sich zu einer differenzierteren Argumentation aufgerafft hat, hat dazu geführt, dass die ersten Seiten der ZEIT nicht sofort im Mülleimer der Bahn gelandet sind. Die hier deutlich werdende „unerträgliche Seichtigkeit der deutschen Internet-Debatte“ hat Marcel Weiss in einem längeren Kommentar zu diesem absolut verunglückten Artikel sehr gut auf dem Punkt gebracht. Ich empfehle die Lektüre dieses Beitrags sehr, dem erst mal nicht viel hinzuzufügen ist.

Anders als Weiss interessiert mich allerdings schon, wie es dazu kommt, dass man bei der Lektüre von Zeitungen wie der ZEIT bei diesen Themen zunehmend das Gefühl hat, dass das Internet zu einem Feind und Gegner (jetzt: Gegner des Rechts) hochstilisiert wird: Wovor genau hat man Angst? Was steckt hinter der Polemik, die inzwischen beleidigende Züge annimmt? Wie kommt es, dass sich hier ansonsten gut recherchierende Journalisten mit Politikern verbünden, denen nicht mehr als Stammtisch-Vorschläge zur Lösung gesellschaftlicher (nicht technischer!) Probleme einfallen? Überhaupt kann ich nicht verstehen, warum man hier in der Politik nicht offensiver ist und ein paar alte an Netz-Phobie leidenden Herren (und Damen) mit Vertretern aus internetaffinen und -erfahrenen Bereichen der Ökonomie, Kultur und Wissenschaft ersetzt, die echte Lösungen für neue Gefahren und Risiken erarbeiten, die eine wohl noch lange nicht abgeschlossene digitale Entwicklung für unsere Gesellschaft ohne Zweifel mit sich bringt. Pseudo-Lösungen wie Internet-Sperren und Kriegserklärungen gegen aktive Netz-User sind wirklich fehl am Platz. Und die mediale Unterstützung solcher Tendenzen ist schon ziemlich enttäuschend.

Erste Versuche einer pfadabhängigen Didaktik

An anderer Stelle (nämlich hier) habe ich bereits auf die (hier) online zugängliche Schrift von Schulmeister et al. zu „Didaktik und IT-Service-Management für Hochschulen“ verwiesen. Mich interessiert natürlich vor allem der Didaktik-Teil, zu dem ich mir nun etwas mehr Gedanken gemacht habe (wofür sich lange Zugfahrten immer besonders gut eignen – das sind ja fast schon Rückzugsorte geworden).  Das Ergebnis meiner Überlegungen (auf viereinhalb Seiten) ist vorläufiger Art, sodass ich mich über Meinungen oder weiterführende Hinweise  dazu freue. Wichtig ist, dass ich dabei eine etwas andere Perspektive einnehme (als die Autoren/innen der oben genannten Schrift) und weniger das Beschreiben des Gegebenen im Blick habe (wie kann man bestehende Szenarien ordnen?), sondern mehr das Entwickeln von Szenarien (wie komme ich auf mögliche Szenarien?). Dabei komme ich auf eine Art „pfadabhängige Didaktik“.

Arbeitspapier Pfadabhaengige Didaktik