Jeans oder Anzug?

Wer ist schuld an der Bologna-Misere? Oder ist alles nur ein mieses Gerücht? Wer verbreitet es mit welcher Absicht? Die Meinungen sind geteilt, wie eine ganze Reihe von Beiträgen in der ZEIT demonstrieren – und an sich ist das ja nun wirklich nicht verwunderlich: Verschiedene Antworten kommen zustande durch verschiedene Perspektiven und dadurch, dass Lehren und Studieren in hohem Maße von einzelnen Personen abhängig ist – und die waren schon immer verschieden.

„Heute haben die Professoren die Jeans an und ihre Hiwis den Anzug“ – so die Beobachtung eines Hausmeisters an der Uni Tübingen – eine Beobachtung mit Symbolwert? Ja, das kann gut sein, wenn der „Anzug“ für Karrieredenken und die Jeans für zweckfreies Lesen, Denken und Schreiben stehen sollen. Aber so einfach ist das natürlich nicht! Sich konform zu verhalten, muss nicht Ausdruck von Denkfaulheit sein, und natürlich muss man sich hüten, sich überheblich über die Zukunftsängste junger Menschen zu erheben, keinen Job zu bekommen. Und daran ist der Bachelor schuld? Auch das wäre zu einfcah. Heinz-Elmar Tenorth findet seine Bachelor-Studierenden „wissbegierig, bildungsinteressiert und fleißig“. Eine in einem anderen Beitrag zitierte Studentin dagegen ärgert sich über Kommilitonen, die Leistungspunkte wie Rabattmarken im Supermarkt sammeln. Wer hat Recht? Die Frage ist aus meiner Sicht falsch gestellt: Jeder berichtet da aus seiner Warte und ich kenne sowohl die bildungsinteressierten Studierenden als auch die Punktejäger – je nachdem, ob sie sich für das interessieren, was ich anbiete, oder eben nicht. Neben dem Studierverhalten gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Aspekte, die mal als kritisch, mal als unproblematisch in den neuen Studiengängen dargestellt werden: Auslandssemester und Betreuungsfragen kommen z.B. am häufigsten vor. Für jede Pro- und Contra-Sicht gibt es Beispiele und Argumente, die überall zustimmendes Nicken auslösen – auch wenn sie sich widersprechen.

Ein Studium ist allem voran von den beteiligten Personen abhängig: von den Studierenden und von den Lernenden. Die unterscheiden sich – das war schon immer so und das wird auch so bleiben. 100 Prozent Zufriedenheit auf beiden Seiten – das gibt es nicht. Wenn die Anrechnung von Leistungspunkten aus dem Ausland nicht klappt – sorry, aber da ist es eine Ausrede, wenn man die Politik dafür verantwortlich macht. Das macht der Prüfungsausschuss und der besteht aus Professoren. Das haben wir also als Hochschullehrer selbst in der Hand. Wenn man keine kreativen (und bedarfsorientierten) ad hoc-Lösungen in der Lehre mehr umsetzen kann, weil das nicht im akkreditierten Studiengang steht – ja, das ist schon schlechter: Da kann man als Hochschullehrer nicht so einfach den Weg gehen, den man inhaltlich an sich vertreten kann. Hier hat man uns bereits Handschellen angelegt. Setzen wir uns darüber hinweg und gefährden eine Akkreditierung, dann hat man Ärger am Hals – von den Kollegen und vielleicht auch von den Studierenden. Wenn die versprochene Betreuung im Bachelor nicht besser wird, dann reichen wir nochmal tiefer an tatsächlich bildungspolitische Grundsatzprobleme heran: „Schauen Sie sich den Stapel in meinem Büro an. Ich habe eine Siebentagewoche. Neun Stunden Lehrverpflichtung sind einfach nicht zu leisten, wenn man die neuen Lehr- und Lernformen ernst nimmt. Sie müssen die Mentoren und Tutoren für die Lehre betreuen, Reader mit der wichtigsten Literatur erstellen, auf studentische Kritik an den Lehrveranstaltungen eingehen. Und dann sollte man als Professor auch noch exzellent forschen, denn nach der Forschungsleistung bemessen sich der Erfolg und die finanzielle Zuweisung. Das ist irre! Man kann nicht verlangen, dass Studenten hierzulande so gut wie in Harvard betreut werden, aber kein Geld dafür investieren.“ Ternoth trifft einen wichtigen Punkt mit dieser Aussage – das kann ich nur unterstreichen!

Wir haben mit Bologna eine überfällige Reform der Hochschulen angeschoben, aber irgendwie hat man da zwei Esel vor einen langen und schweren Güterzug gespannt … und ihnen moderne Flyer umgehängt. Bei mir verursacht die ganze Exzellenz- und Wettbewerbsrhetorik im Zusammenhang mit Bologna inzwischen gewltigen Ärger, obschon ich rein gar nichts gegen Modularisierung, gegen Leistungspunkte und studienbegleitende Prüfungen habe. Und wieso sollte man als Hochschullehrer etwas dagegen haben, Studierende „berufsfähig“ zu machen – ja was sonst? Aber wieso bitteschön, sollten Wissenschaft und Forschung, auch ein forschendes Lernen, das Eindenken in eine Wissenschaft NICHT dabei helfen, einen Beruf verantwortungsvoll auszuüben? Wer um Gottes Willen hat denn in die Welt gesetzt, dass man sich Berufsfähigkeit nur in Trainings für Präsentieren und interkulturelle Kommunikation holen kann? Warum sollte man Forschungsmethoden erst im Master lernen – was ist denn das für ein Blödsinn? Wer den verzapft, der kann nie verstanden haben, was Wissenschaft, was wissenschaftliches Denken und Handeln gerade auch für praktische Problemlösungen leisten kann. Natürlich muss man dann die Brücke zur Praxis in der Lehre auch schlagen, indem man wissenschaftliche Angebote ergänzt durch Praxiskontakte und Projektseminare mit der Wirtschaft, durch Praktika und Kooperationen außerhalb der Uni.

Nicht die Grundidee von Bologna nimmt uns die Luft zum Atmen, sondern die bürokratische Umsetzung, der Unsinn mit den Akkreditierungsagenturen und die wiederholten Versuche, Studierende und Hochschullehrer gegeneinander auszuspielen – was auch die Medien gerne tun, die ja von den Schlagzeilen-tauglichen dummen Studierenden ebenso leben wie von den faulen Professoren. Ich hätte gerne Professoren in Jeans UND Anzügen; mir ist es völlig egal, ob Studierenden grüne Haare haben (haben sie aber nie – warum eigentlich nicht?) oder im Business-Kostüm herumlaufen. Das muss doch jeder selber wissen. Ich habe eher Angst vor Uniformität und davor, dass wir allesamt verlernen, selbst zu denken, einen eigenen Standpunkt zu entwickeln und einen persönlichen Weg zu finden, dass wir uns nicht mehr trauen, blödsinnige Regeln schlichtweg NICHT zu befolgen.

Freiheit und Utopie

Freiheit und Utopie – das sind starke Worte, die da den taz-Kongress zum 30-jährigen Bestehen der Zeitung (letzte Woche) schmücken. Auch das Thema „Lernen 2.0“ (weil es mehr Freiheit verspricht oder eine Utopie bleibt?) wurde diskutiert – und zwar in einer Runde, in der Mandy vertreten war. Sie hat denn auch dankenswerter Weise in ihrem Blog eine Zusammenfassung (hier) gegeben. Im taz-Blog selbst findet sich außer der Ankündigung enttäuschender Weise nichts (oder habe ich es nur nicht gefunden?), obschon es doch nur konsistent wäre, hier etwas aktiver ein Vorbild zu sein. Auch die Artikel-Serie (ich habe hier davon berichtet – und damit endlich mal eine kleine Diskussion ausgelöst ;-)) scheint ja erst mal nicht weitergegangen zu sein: Wann also kommt das Lernen 2.0 (bei der taz) wieder in Gang?

Nachtrag: Im Kommentar nun doch ein Link auf die (verstpäteten) Blogbeiträge, die es zum Kongress zu lesen gibt. Danke für den Hinweis.

Universitäre Praxis als Ressourcenmanagement

Angeregt durch die Lektüre von Richard Münchs „Globale Eliten, lokale Autoritäten“ (auf Rezensionen dazu habe ich hier verwiesen) lese ich gerade einige Artikel aus dem Sammelband „Wissenschaft unter Beobachtung. Effekte und Defekte von Evaluationen„, herausgegeben 2008 von H. Matthies und D. Simon (VS Verlag für Sozialwissenschaften). Die dort versammelten Autoren (mit Ausnahme des letzten: der ist Restaurantkritiker und bringt eine treffende Analogie für die „Evaluitis“ aus dem Bereich der Sterne-Restaurants) stammen (fast) alle aus dem weiten Umkreis von (Wissenschafts-)Soziologie und Politikwissenschaft. Für Psychologen und Pädagogen ist das daher nicht ganz so einfach zu lesen, aber äußerst anregend. Das Buch ist ein sehr gutes Pendant zu Münch, der natürlich einen eigenen (für mich an vielen Stellen durchaus überzeugenden) Argumentationsstil hat und sicher nicht alle möglichen Argumente und Sichtweisen entfalten kann, wenn es darum geht, Phänomene wie New Public Management und die damit verbundene Ökonomisierung von Bildung und Wissenschaft zu beschreiben und einzuschätzen.

Ein Beitrag beschäftigt sich mit der unternehmerischen Orientierung von Wissenschaftsorganisationen, der mich immer wieder daran erinnert, dass es Zeit wird, das auch von mir bearbeitete Thema „Wissensmanagement“ in öffentlichen und nicht kommerziell ausgerichteten Organisationen vor diesem Hintergrund noch kritischer zu beleuchten. In der Überarbeitung meines Studientextes (bei dem aber das letzte Kapitel leider immer noch aussteht; siehe hier) habe ich das bereits berücksichtigt, aber nachdem ich in den letzten Wochen wegen zweier im Juni anstehender Vorträge vermehrt Texte zum hier angerissenen Themengebiet gelesen habe, muss ich darüber noch vertiefter nachdenken. Leider gibt es zum Band von Matthies und Simon nichts online.

Zitiert wird in einem Artikel aber ein kurzer und lesenswerter Artikel von David Gugerli, Professor für Technikgeschichte an der ETH Zürich (2005), der die unternehmerische Ausrichtung der eigenen Universität zum Ausgangspunkt einiger Ausführungen nimmt (hier): Die forschungsorientierte Hochschule des 21. Jahrhunderts folge – so schreibt er – den Regeln des New Public Management und werde mit unternehmerischen Controlling- Technologien überwacht, sodass aus ihrer akademischen Autonomie eine betriebswirtschaftliche Budgetautonomie geworden sei. Aus der Managementkultur – so Gugerli – folge ein Zwang zur Formalisierung, der Inhalte oft zu einer zweitrangigen Sache werden lasse oder sogar die Wirkung von negativen Anreizen habe, in jedem Fall die in der Wissenschaft so notwendige Kreativität untergrabe. Zitat: „Management ist als Topos … allgegenwärtig – der Zuwachs der Bedeutung universitärer Verwaltung ist unübersehbar. Er geht einher mit einer zunehmenden Marktförmigkeit der Produkte und der Sozialbeziehungen innerhalb der Hochschule, und er verwandelt universitäre Praxis in eine Sonderform von Ressourcenmanagement.“

Eines frage ich mich: Wenn sich doch offenbar eine ganze Reihe von Hochschulangehören aus verschiedenen Disziplinen einig sind, dass der jetzt eingeschlagene Weg zwar eine notwendig andere Richtung nimmt als früher (denn früher war ja wohl nicht alles besser), aber offenbar nicht der richtige, sondern ein für das Gefährt sogar riskanter Weg ist (deren Wegweiser verwirrend und auch nicht immer glaubwürdig sind), warum bleiben wir dann nicht stehen und suchen einen anderen? Warum traben wir weiter zwanghaft auf diesem Weg weiter?

Rückendeckung auf Verbandsebene

Im aktuellen Newsletter des Deutschen Hochschulverbands (DHV) heißt es: „Der Deutsche Hochschulverband (DHV) will seinen Forderungen nach einer grundlegenden Umgestaltung des Akkreditierungswesens in Deutschland notfalls dadurch Nachdruck verleihen, dass er seine 24.000 Mitglieder aufrufen wird, sich als Gutachter für Programmakkreditierungen zukünftig nicht mehr zur Verfügung zu stellen.“ (Pressemeldung) Wieso „notfalls“? Wieso überhaupt ein Aufruf? Wenn man selbst drüber nachdenkt (siehe hier), kommt an sich auch allein drauf, dass an diesem System etwas nicht stimmen kann. Aber klar: Es wäre schon gut so ein Aufruf vom DHV, denn sowohl der Newsletter als auch die Zeitschrift „Forschung und Lehre“ werden viel gelesen. Und mein Vorschlag in der Kleinst-Community der bloggenden Hochschullehrer hätte Rückendeckung auf Verbandsebene. Das wär doch was 🙂

Neue Adresse für das e-Denkarium

Gesagt – getan. Ab sofort hat das e-Denkarium ein neues Zuhause und ist erreichbar unter: http://gabi-reinmann.de

Ich bitte also alle Blogleser und die, welche auf das e-Denkarium verweisen, die Adresse zu ändern. Ein Vorteil ist, dass das jetzt auch in Bezug auf den Server ein rein privates Blog ist – man weiß ja nie, was noch kommt (ich denke nur an die einen oder anderen in der Blogosphäre diskutierten Zensurversuche). Manchmal wandert man besser präventiv auf neutralen Boden aus. Ich hoffe, die Unterbrechungen, wie sie vor allem in der letzten Woche auftraten, werden jetzt seltener.

Kopfzerbrechen über Qualität, Kompetenz und Assessment

Was könnte man vor und während Ostern alles machen? Eier anmalen, Kuchen backen, Zeitung lesen, gemütliche Kafferunden …. man kann sich aber auch den Kopf über Qualität, Kompetenz und Assessment beim E-Learning zerbrechen – wenn man will. Ich habe im Eifer des Gefechts dieses Thema für die Tagung „Interdisziplinäre Zugänge zu technologiegestütztem Lernen“ bzw. da für die Session „Qualität und Kompetenz“ vorgeschlagen und wäre in den letzten Tagen fast verzweifelt daran, weil man vom Zehnten ins Tausendste kommt und sich zudem auch noch rasch im Kreis dreht. Nun habe ich einen Artikel dazu weitgehend fertig, aber es wäre zu früh, ihn online zu stellen. Zudem muss ich daraus erst noch einen Vortrag basteln, denn es ist leider ziemlich komplex geworden. Was ich aber gerne machen kann, ist schon mal die Einführung und damit auch eine Art Abstract sowie den Anhang in Form von zwei Tabellen verfügbar machen. Vielleicht regt es ja zur Diskussion an. Im Juni kommt dann ein vollständiger Preprint.

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PS: Unsere Uni-Server sind in den letzten Tagen hoffnungslos überlastet. Darunter leidet auch mein Blog. Ich bitte das zu entschuldigen. Ich denke, ich werde in Kürze umziehen, um das in Zukunft zu vermeiden.

Intellektueller Kapitalismus

Seit knapp zwei Wochen gibt es von Richard Münch ein neues Buch: „Globale Eliten, lokale Autoritäten, Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey und Co„. Nachdem in seinem letzten „Beststeller“ vor allem die Forschung im Vordergrund stand (mir hatte das Buch zur „Akademischen Elite“  recht gut gefallen; ich habe hier darüber berichtet – mein Gott, wie die Zeit vergeht), widmet sich Münch nun stärker der Bildung und stellt Dinge fest, die an sich seit Jahren in zahlreichen Artikeln z.B. der Zeitschrift „Forschung und Lehre“ immer wieder zu lesen sind: Die Problematik von Bologna mit der dazugehörigen Bürokratisierung, die Schwierigkeit der schleichenden Ökonomisierung über Marktprinzipien und den viel beschworenen Wettbewerb etc. An Münch sieht man, wie wichtig es ist, dass man mit diesen Aussagen nicht in der „eigenen Community“ (wie bei oben genannter Zeitschrift) verbleibt, innerhalb derer man zwar viel Konsens erzielt, der aber außen nicht gehört wird. Von diesem „Außen“ sind Wissenschaft und Lehre an der Hochschule nun eben abhängig. Auch wenn Münch also aus einer bestimmten Perspektive über die „Wissenschaftsstars“ schimpft, die man sich an die Hochschulen holt, während man dann an vielen anderen Ecken sparen muss, zeigt er doch, dass diese Stars aus einer anderen Perspektive wieder wichtig sind – z.B. als Sprachrohr wie er selbst. Und er zeigt, wie essenziell der richtige Zeitpunkt für Kritik ist: Erst der Zusammenbruch der globalen Wirtschaft infolge der Bankenkrise hat das Feld dafür geebnet, dass mehr Leser überhaupt geneigt sind, ihm (oder vielleicht auch den vielen anderen) zuzuhören. Das ist natürlich auch ärgerlich: Denn was bleibt von der Kritik, wenn sie schon fast wieder Mainstream ist?

Ein guter Beitrag zu Münchs neuem Buch findet sich im Deutschlandfunk (hier). Weniger gelungen finden ich den Beitrag in der SZ (hier): Der Autor wirft hier ein bisschen viel durcheinander – allerdings natürlich auch angeregt durch Münchs Aussagen, der an manchen Stellen übers Ziel hinausschießt. So habe ich z.B. den Eindruck, dass die Bedeutung des Wissens für unsere Gesellschaft (Wissensgesellschaft) und damit auch für Ökonomie und Arbeit (Wissensökonomie und Wissensarbeit) verkürzt dargestellt wird. Diese Entwicklungen sind ja keinesfalls so zu verstehen, dass damit auch jeglicher Umgang mit Wissen wirtschaftlichen Prinzipien zu unterwerfen ist. Im Gegenteil: Die wachsende Bedeutung des Wissens für Ökonomie und Arbeit macht die Rolle von Bildung und Lernen ja besonders deutlich! Die Antwort darauf kann also genau nicht ein „intellektueller Kapitalismus“ sein, sondern – wie in diesem Blog (hier) ja bereits ausführlich diskutiert – eine „Aufklärung 2.0“. Aber da ist Münch noch nicht. Ich hätte es sehr spannend gefunden, wenn sich ein erfahrener Wissenschaftler wie Münch bei einem solchen Buch mit jüngeren Co-Autoren zusammengetan hätte, die in unserer kapitalistischen Welt Nischen gefunden haben, in denen Ansätze einer solchen „Aufklärung“ aufscheinen.

Trotz dieser (kleinen) Kritik: Toll wäre es, wenn man Münch an diesem „Improve-Kongress“ (ich habe einigermaßen erschüttert vor nicht allzu langer Zeit hier davon berichtet) die Eröffnungsrede halten ließe – dann würde ich auch hingehen.  🙂

Informationskompetenz, Medienkompetenz, digitale Kompetenz oder noch was anderes?

Alexander Botte vom DIPF (die Abkürzung für Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung bzw. auf der neuen Web-Seite heißt es: Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation) hatte auf dem Internationalem Symposium für Informationswissenschaft (ISI) gestern zu einer Diskussion eingeladen mit dem Titel „Informationskompetenz früh und nachhaltig fördern“. Diskutiert haben Helga Hofmann von der Stadtbibliothek Frankfurt, die sich viel im Kontext Schulbibliotheken und Kooperationen mit Schülern kümmert (siehe z.B. hier), Benno Hohmann von der Universitätsbibliothek Heidelberg, der u.a. zahlreiche Online-Schulungen anbietet (siehe z.B. hier), Dr. Andreas Vogel vom BMBF, Prof. Christian Wolff von der Uni Regensburg und ich. Eingelassen habe ich mich auf die Diskussion (diese Diskussionen sind ja meist nicht so erhellend und ich meide sie daher eher), weil das DIPF immerhin ein neues Modul von Tech Pi und Mali Bu – nämlich zur Informationskompetenz – finanziert hat und es ja nun auch um dieses Thema gehen soll (wobei Tech Pi nur indirekt zur Sprache kam – schade eigentlich, denn ich finde, es ist gelungen: Man überzeuge sich selbst, nämlich hier). Der Diskussion zugrunde lag die Denkschrift der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis zur Förderung der Informationskompetenz im Bildungssektor. Welche Diskussionsergebnisse kann man festhalten?

Wir waren uns alle in einem Punkt recht einig: Wenn es um die Schule geht, dann setzt die Förderung von Informationskompetenz (im Sinne der oben genannten Denkschrift) vor allem entsprechende Kompetenzen bei den Lehrern voraus, und dafür sorgt man (in der Lehrerausbildung) bis dato zu wenig. Frau Hoffmann meinte, der Lehrer könne sich ja nicht um alles kümmern, daher wären ja auch die Partnerschaften mit Bibliotheken so wichtig. In diesem Punkt aber gab es heftigen Widerspruch, denn: Neben der Recherche von Fachinformation mit digitalen Werkzeugen gehören zur Informationskompetenz sehr grundlegende Dinge: unter anderem ein Informationsbedürfnis zu haben, zu erkennen und genau zu beschreiben (was voraussetzt, dass man Fragen hat) und dann die Informationsqualität auch zu beurteilen – und das sind genuine Bildungsaufgaben, die man nicht auslagern kann. Dennoch seien natürlich solche Kooperationen wünschenswert, nur eben nicht als Ersatz für Lehrerkompetenz und deren Engagement.

Herr Vogel plädierte konsequenterweise für eine Verbindung des Begriffs Informationskompetenz und Medienkompetenz. Da könnte man auch gleich die „digitale Kompetenz“ mit dazu nehmen, meine ich, um die es in der Diskussion auf dem D21-Kongress im November 2008 ging (ich habe hier davon berichtet). Es bringt einfach nicht viel, zig Kompetenzen zu postulieren, um auf diesem Wege jeden Fachverband zufriedenzustellen. Vielleicht sollten wir da sogar noch radikaler sein und einfach alle 10 Jahre besser klären, was wir von der Bildung erwarten, welche „Handlungskompetenz“ wir im Auge haben, zu der dann natürlich auch alle IuK-Technologien gehören.

Ein interessanter Punkt in der Diskussion war aus meiner Sicht die Verbindung mit der Didaktik: Obschon speziell von Herrn Botte postuliert wurde, dass es ein Basismodell zur Informationskompetenz geben müsse, das über alle Fächer und Disziplinen hinweg gilt, sollte diese doch disziplin- und fachbezogen vermittelt werden. Wenn man sich darin einig ist, dann heißt das, dass man die Förderung von Informationskompetenz auch mit didaktischen Aufgaben verknüpfen muss. Insbesondere die erste „Stufe“ der Informationskompetenz, nämlich überhaupt Fragen zu haben und einen Informationsbedarf zu erkennen, kann ja wohl nur erreicht werden, wenn die Lernumgebungen Lernende genau dazu auch einladen bzw. veranlassen (Frank hat mir da für die Diskussion mit seinem Zuhörerbeitrag einen guten Anker geliefert). Ob und inwieweit die aktuelle Output-Orientierung in Schule und Hochschule für „eigene Fragen fördernde Lernumgebungen“ günstig oder hinderlich ist, darüber herrschte keine so rechte Einigkeit: Ich habe die Auffassung vertreten, dass die Output-Orientierung an sich eine tolle Sache ist, aber das Problem besteht darin, dass man diesen Output nun auch ständig erfassen muss. Dann sind wir wieder mal beim Assessment-Thema und bei dem Problem, dass Kompetenz auf einmal vor allem das ist, was man erfassen kann. Und genau das kann es ja wohl nicht sein.

Wie gut ist ein Forscher in den Geistes- und Sozialwissenschaften?

Wie gut ist ein Forscher? So gut wie seine Publikationsliste. Aber natürlich nicht jede Liste! Das Gericht in einem Fünf-Sterne-Lokal erfordert ja auch erlesene Zutaten (aber wer weiß eigentlich schon, ob sich da nicht auch Discounter-Ware einschleicht?) und die kommen eben nicht irgendwo her. So ist das mit den Publikationen auch. Allerdings besteht wenig Konsens darin, was die „erlesenen Quellen“ sind und was man meiden muss – jedenfalls in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Der Unmut darüber, dass sich schon seit längerem in den Geistes- und Sozialwissenschaften Beurteilungspraktiken breit gemacht haben, die aus den Naturwissenschaften kommen, war und ist groß. Umso erfreulicher sind Vorstöße, hier differenzierter zu werden und die Besonderheiten der Disziplinen sowohl in der Forschung als auch in der Art der Veröffentlichung Rechnung zu tragen. Hierzu gibt es aktuell bei der DFG einen interessanten Hinweis (hier):

Die DFG spricht sich gegen den European Reference Index for the Humanities (ERIH) aus – einen Ansatz zur Bewertung von Zeitschriften als Publikationsorten für geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse. Kritisiert wird zum einen, dass auch dieser Ansatz erneut allein Zeitschriften im Blick hat (und z.B. nicht Monografien und Sammelbände), und zum anderen, dass ad hoc zusammengesetzte Expertenpanels die Klassifizierung dieser Zeitschriften vorgenommen hätten. Das Ergebnis sei unterkomplexen und lade zu Missbrauch ein. Zusammen mit drei anderen Förderorganisationen aus Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden hat die DFG daher bereits Ende 2008 ein „Project Board unter Leitung von Professor Ben Martin, Universität Sussex“ initiiert – woher da jetzt die Experten kommen und wieso die nicht ad hoc zusammengesetzt sind, steht leider nirgendwo. Positiv aber ist folgendes Versprechen für die Arbeit dieser Gruppe (ich zitiere):

„Dabei sollen sowohl die Diversität europäischer Wissenschaftssprachen als auch die spezifischen Kommunikations- und Publikationsformen der einzelnen Disziplinen als besondere Herausforderungen mit bedacht werden. Beispielhaft sind hier die in vielen Fächern zentralen Publikationsformen der Monografie und des Sammelbandes zu nennen …“.

Schade, dass z.B. Lehrbücher und andere Lehrmaterialien wiederum NICHT berücksichtigt werden, obschon dies für den Transfer von Wissen und Wissenschaft und für die viel beschworene Einheit von Forschung und Lehre ja wohl auch SEHR wichtig wäre. Ein gutes Lehrbuch schreiben zu können, wäre das nicht auch eine wichtige Qualität eines Forschers? Wäre das nicht eine viel sinnvollere Initiative im Zuge einer höheren Wertschätzung der Lehre als ständig diese „Exzellenz-Wettbewerbe“? Ich frag ja nur …

Andere Zeitschriften, andere Sitten

Ende des Jahres 2008 hatte ich mich (siehe hier) davon überzeugen lassen, dass es sinnvoll ist, ein Themenheft zum Assessment für die Zeitschrift für Hochschulentwicklung (ZFHE) herauszugeben. Es war schon ein bisschen eine Feuerwehraktion und ich bin sehr froh, dass es doch ausreichend Einreichungen (wenn auch nicht übermäßig viele) gegeben hat. Danke an alle, die sich da beteiligt haben! (Bei der Gelegenheit: Der Call für Abstracts zum E-Assessment bei der Zeitschrift für E-Learning läuft bis Ende Juni: siehe hier). Aber zurück zur ZFHE:

Hier stand ich ein bisschen auf der Leitung und habe eine Weile gebraucht, bis ich verstanden habe, dass das Prozedere etwas anders abläuft. Die Redaktion der ZFHE hat mich da jetzt auf Nachfragen etwas genauer aufklärt: Die ZFHE versucht, so die Erklärung an mich, zwei tendenziell widersprüchliche Anforderungen unter einen Hut zu bringen: nämlich das Konzept der „Ausgabe“ oder „Nummer“ einer Zeitschrift als abgeschlossenes Werk (wie bei reinen Papier-Formen) und die schnellst mögliche Publikation eines fertigen Beitrags (als Vorteil der Online-Publikation). Daher werde jeder Beitrag sofort online gestellt, sobald er den Review- und Produktionsprozess positiv durchlaufen hat. Eine konkrete Nummer werde dagegen erst dann fertiggestellt, wenn alle Einzelbeiträge online sind oder zumindest bekannt ist, welche (nach positivem Review und ggf. Überarbeitung) in diese aufgenommen werden. Jetzt habe ich es verstanden! Die Begründung ist nachvollziehbar. Wie es die Leser sehen, weiß ich nicht. An sich sage ich jetzt mal spontan, dass es da nichts dagegen einzuwenden gibt. Nun gut, also mit so etwas wie einem Editorial muss ich natürlich warten, bis alles da ist. Ich habe zwar alle eingereichten Beiträge gelesen, um mir ein Bild zu machen, die dann aber an je zwei Gutachter gegangen sind.

Es gilt also, noch ein bisschen zu warten. Ich freue mich aber ganz besonders, dass Silvia (mit der ich gerade an einem DFG-Antrag sitze) mit ihrem Beitrag bei den Reviewern ohne nennenswerte Beanstandungen erfolgreich UND schnell war und nun sogar den Beginn zur „Themenreihe (?) Assessment“ macht: Ihr Beitrag ist bereits online (hier).