Wissenschaftsrat die Zweite: Interaktion zwischen Wissenschaft und Wirtschaft

Und schon wieder gibt es ein neues, interessantes Papier vom Wissenschaftsrat – diesmal zur Interaktion von Wissenschaft und Wirtschaft (hier online verfügbar). Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass „zunehmend offenere und komplexere Formen der Kooperation zwischen Hochschulen/Forschungseinrichtungen und Unternehmen der wissenschaftsbasierten Wirtschaftssektoren essentiell für die Entstehung grundlegender Innovation sind“ (S. 7) Notwendig sei daher eine höhere Sensibilität der Wissenschaftler und der Entscheidungsträger in den Unternehmen für die Vorteile eines intensiven gegenseitigen Wissensaustauschs. Das erfordert aber auch seitens der Leitungen der Hochschulen – so heißt es weiter –, dass geeigneten Rahmenbedingungen für den Wissens- und Technologietransfer auf institutioneller und individueller Ebene geschaffen werden müssen.

Einige der zentralen Empfehlungen des Wissenschaftsrats sind: (a) Im Wissenschaftssystem insgesamt muss der Wissens- und Technologietransfer verteilt wahrgenommen und adäquat unterstützt werden. (b) Wissens- und Technologietransfer soll verstärkt als ein strategisches Ziel von Hochschulen und Forschungseinrichtungen begriffen und durch die Leitungsebenen unterstützt werden. (c) Das Engagement im Wissens- und Technologietransfer muss sich institutionell und individuell lohnen. (d) Die Weiterentwicklung von Forschungsergebnissen bis zu einem wirtschaftlich relevanten Stadium soll verstärkt gefördert werden.

Dass die Interaktion zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in der Form thematisiert wird, finde ich gut! Was nicht fehlt, ist aus meiner Sicht eine eingehendere Analyse typischer Hindernisse. So kann man als Wissenschaftler alles andere als unternehmerisch handeln – nicht mal mit Kleinstbeträgen ist dies möglich. Es gibt noch zahlreiche andere bürokratische Regelungen bis hin zu Maßnahmen gegen Korruption auf Gebieten, wo es doch eher lächerlich ist, die alles andere als kooperationsförderlich sind. Hier gibt es aus meiner Sicht noch eine Menge zu tun – vor allem muss man aufpassen, dass man Wissenschaftler nicht vor paradoxe Forderungen stellt („Kooperiere mit der Wirtschaft, aber handle wie ein traditioneller Beamter – sei innovativ, aber bleibe der reinen Erkenntnis treu – akquiriere Geld, aber denke nicht unternehmerisch!). Und schließlich: Die Geistes- und Sozialwissenschaften kommen bei dieser Diskussion leider immer zu kurz – dafür gibt es eine ganze Menge Gründe. Einige liegen in den Fach-Communities selbst, einige sicher in den Inhalten/Gegenständen, einige aber auch in der Forschungsförderung. Das Papier erwähnt auch die DFG, die sich angeblich einer größeren Anwendungs- und Praxisorientierung verschrieben hat – nur leider gilt das faktisch nicht für unsere Fächer (Pädagogik/Psychologie).

E-Learning 2.0 – und was sagen die Studierenden dazu?

„Die bislang durchgeführten Evaluationen und zahlreiche Eindrücke qualitativer Art zeigen, dass diese Art des Lernens (ein Lernen, bei dem ein hoher Grad an Aktivität seitens der Studierenden gefordert und notwendig ist) für die Studierenden sehr zeitaufwändig ist. Auch für die Lehrenden ergibt sich aufgrund der geforderten Präsenz in den Wikis und Weblogs ein zeitlich nicht zu unterschätzender Mehraufwand. Die Studierenden erwarten sich Feedback und dass ihre Beiträge gelesen werden. Andererseits konnte festgestellt werden, dass die Studierenden bereit sind, sich einzubringen und dass sie motivierter scheinen. Jedoch gilt es zu betonen, dass viele der gewonnen Ergebnisse und Eindrücke erst durch weitere emprische Studien überprüft werden müssen.“

Diese Aussagen gehören zu den Folgerungen eines Beitrags von Günther Wageneder und Tanja Jadin, in der auch eine kleine Studie vorgestellt wird. Nun: Ich kann diese Erfahrungen nur bestätigen: Auch bei uns stellt es sich immer wieder als äußerts schwierig heraus, Studierende aus der Konsumhaltung zu locken, noch dazu, wenn wir ihnen keine Gewissheit über den Erfolg und das Kosten-Nutzen-Verhältnis (was investiere ich und was bekomme ich?) geben können, weil wir u.U. selbst erst Erfahrungen mit einem neuen Lehr-/Lernkonzept sammeln müssen (auf der Dozentenseite). Zu lösen wäre das Problem an sich nur durch eine kleinere Relation Student-Dozent/Professor – dann würden sich viele Probleme nämlich gar nicht stellen (ob mit oder ohne Web 2.0), weil Studierende keine Chance hätten, in der Masse zu verschwinden. Engagement und Experimentierfreude machen eben auch nur Spaß, wenn es viel direktes Feedback, einen Dialog (im Netz und face-to-face) und so etwas wie „forschendes Lernen“ gibt. Wie aber soll man das machen – mit 300 bis 400 Studierenden gleichzeitig?

Computistan und Pädagogien

Noch bis Juni stellt die Pädagogische Hochschule Zentralschweiz nun auch die Vorträge der Tagung „Schule und Web 2.0“ als Video online zur Verfügung. Wer Beat Döbeli Honegger mal in Aktion erleben will, sollte sich daher seinen Vortrag noch bis Juni anschauen, abzurufen hier. Mir hat vor allem der narrative Einstieg (Computistan und Pädagogien) gefallen, weil er damit aus meiner Sicht vor allem die Lehrer im Publikum geschickt erreicht hat, weil er ihre pädagogische Arbeit damit gewürdigt, den bisweilen kursierenden Irr- und Unsinn mit der Technik implizit kritisiert und dann doch auch wieder die Chancen einer Verknüpfung von Pädagogik und Technik zur eigentlichen Botschaft gemacht hat. Mein Kompliment dafür hat Beat Döbeli auf jeden Fall.

Aktionsrat Bildung 2007 und ein paar Gedanken dazu

Der Aktionsrat Bildung hat das Jahresgutachten 2007 mit dem Titel „Bildungsgerechtigkeit“ herausgegeben. Es kann online hier abgerufen werden. Ich habe es noch nicht ganz gelesen, bin aber doch an einigen Seiten hängen geblieben.

Auf Seite 143 heißt es: „Die Aus- und Weiterbildung des Lehrpersonals an deutschen Schulen und Hochschulen ist seit Jahrzehnten in einem bedenklichen Zustand. Die Qualifizierung dieses Personals findet nicht berufsbezogen, sondern wissenschaftsbezogen statt. Damit folgt sie der empirisch nicht bestätigten Auffassung Humboldts, wonach Aus- und Weiterbildung allein durch Forschung gewährleistet wird. Die Folge ist die Ausblendung der Berufspraxis und ein individualistisches Selbstkonzept des Bildungspersonals.“

Moment mal: Erstens bin ich mir nicht so sicher, ob man das aus Humboldts Vorstellungen wirklich ableiten kann. Des Weiteren ist es ja vielleicht schon ein bisschen seltsam, jemanden aus längst vergangenen Zeiten für heutige Zustände verantwortlich machen. Vor allem aber: Was ist das bitte für eine Wissenschaft und Forschung in Psychologie und Pädagogik, die denjenigen offenbar nichts nutzt, die eigentlich dabei helfen könnten, zum einen wissenschaftliche Erkenntnisse anzuwenden und zu anderen wissenschaftliche Fragestellungen (mit) anzuregen? Sind nicht auch einige der Autoren DFG-Gutachter? Kann es nicht auch sein, dass die DFG zu wenig anwendungsorientierte Forschung fördert, die unserer Bildungspraxis nutzt? Kann es eine sinnvolle Schlussfolgerung sein, Wissenschaft und Praxis am besten noch mehr voneinander fernzuhalten? Nicht falsch verstehen: Ich meine NICHT, dass ein auf Forschung ausgerichtetes Studium jemanden zum guten (Hochschul-)Lehrer macht. Und wenn mit dem Zitat vor allem die Wissenschaft der Domäne gemeint ist, die in der Schule vermittelt werden soll, mag das ja ansatzweise stimmen. Und wenn es da bald mal Reformen gäbe, was vor allem Lehrer sinnvollerweise in welcher Form lernen sollten, finde ich das ebenfalls sehr gut. Wenn aber auch gemeint ist, dass angehende Lehrer nichts von pädagogischer Forschung haben, dann sehe ich das Problem weniger bei der Hochschullehre und schon gar nicht bei den angehenden Lehrern, sondern bei der Forschung.

Trauriger Rekord in Bayern

Dass die Luft für Frauen oben dünner wird – nun ja, daran scheinen wir uns gewöhnt zu haben. Und so ist am Bericht des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln mit dem Titel „Schmale Karriereleiter“ an sich nichts unbedingt Spektakuläres: Auch im Wissenschaftsbetrieb sind Frauen unterrepräsentiert, vor allem wenn es um C4/W3-Stellen geht. In Bayern geht sogar nur jede zehnte dieser Professuren an eine Frau – womit sich unser Bundesland wieder mal an die Spitze, aber leider in eine wenig ehrenwerte Richtung, katapultiert. Also: Ich lebe gern in Bayern; ich bin hier geboren und aufgewachsen und ich finde es nirgendwo schöner – ist so. Aber muss das alles andere entschuldigen? Sind wir schlechter als die Männer? Oder wollen wir gar nicht? Ich habe auch „nur“ eine C3-Stelle (aber wenigstens war es noch C3 und noch nicht W2), auch wenn wir oft zum „Lehrstuhl“ gemacht werden, und ich habe aufgegeben, es richtig zu stellen. 😉 Aber mal ehrlich: Wo ist heute von den erwarteten Leistungen, den Aufgaben und den Belastungen her bitteschön noch der Unterschied zwischen diesen beiden Stufen? Nur im Status und im Gehalt? Wenn ja: Dann ist das obige Ergebnis letztlich noch peinlicher, oder?

Eine Fundgrube für wissenschaftliche Texte

Eine Fundgrube für pädagogisch-psychologische Klassiker wie auch aktuelle (aus meiner Sicht wichtige) Artikel findet sich auf einer Seite von David Wong: Bei aller Web 2.0-Hektik mit immer neuen Tool-Vorschlägen muss ich mich bisweilen bemühen, den Anschluss an die wissenschaftliche „Mutterdisziplin“ des E-Learning – nämlich die Pädagogische Psychologie – nicht zu verlieren. Solche Sammlungen sind auf jeden Fall eine Hilfe, mal eben bei der nächsten Zugfahrt den einen der anderen Handbuchartikel mit einzupacken.

Buch zur Microlearning-Konferenz 2006 und was mir dazu durch den Kopf geht

Das Buch zur Microlearning-Konferenz 2006 ist online. Hier man es abrufen. Ich hoffe, dass ich in einigen Wochen dazukomme, mal intensiver reinzuschauen. Im Moment arbeite ich nur eine Deadline nach der anderen ab. Einige Entwicklungen an unserer Uni halten mich in Trab.

Was mir bereits aufgefallen ist, ist ein Hinweis von Theo Hug in seiner Einführung (S. 12): Da weist er auf das Nebeneinander neuer Konzepte und Praktiken im Umkreis des Web 2.0 einerseits und traditionellen Lehr-Lernformen vor allem in unseren Schulen andererseits hin. Ich meine, das ist doch der Knackpunkt: Immer wieder merke ich in Gesprächen mit Hochschullehrern, Lehrern, Trainern etc., dass da zwei Welten auseinanderdriften: Die Welt der medialen Insider und die der traditionellen Bildungsinstitutionen.

Die Herausforderung für die kommenden Jahre besteht darin, dass wir uns nicht nur innerhalb der E-Learning-, Blended Learning-, Microlearning-, E-Learning 2.0 etc.-Community gegenseitig auf die Schulter klopfen und uns tolle Geschichten erzählen und Visionen haben. Wir müssen endlich auch all die „ganz normalen“ Schulen, Hochschulen und Weiterbildungsinstitutionen erreichen, an denen der Großteil der Bevölkerung lernt. Dazu werden wir aber zum einen eine andere Sprache brauchen, die auch von „Nicht-Insidern“ verstandne wird, und wir werden zum anderen unsere Ziele anschlussfähiger an den Ist-Zustand machen müssen. DAS sind aus meiner Sicht die zentralen Aufgaben, wenn wir wollen, dass man uns auch außerhalb des geschützten Raums der Blogosphäre und der netten Tagungen ernst nimmt.

Du bist der Autor! – Vom Nutzer zum Wikiblogcaster

Zwei Studenten der Angewandten Medienwissenschaft (AMW) am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft (IfMK) der TU Ilmenau – Thomas Bernhardt und Marcel Kirchner – schreiben derzeit ihre Diplomarbeit zum Einsatz von Web 2.0-Technologien im E-Learning: „Du bist der Autor!“ – Vom Nutzer zum Wikiblogcaster“. Hierbei wollen sie die Herausforderungen des Lehrens und selbstgesteuerten Lernens in einer Personal Learning Environment (PLE) unter Benutzung von Social Software, wie z.B. Weblogs, Wikis oder Podcasts erforschen. Ihre Forstchritte und was sonst noch alles dazu gehört, dokumentieren die beiden in einem Bog: www.elearning2null.de Dort finden sich unter anderem zwei zwei Video-Podcasts sowie weiterführende Informationen zu ihrer Arbeit (hier der direkte Link).

Halbwegs zivile Blog-Einträge

Danke an Peter Meurer für den Hinweis auf ein SZ-Interview mit Jaron Lanier über Web 2.0: Aus meiner Sicht völlig richtig weist Lanier darauf hin, dass es wenig sinnvoll ist, eine Technologie (Internet bzw. Web 2.0) an sich zu preisen, da es auf den Umgang damit ankommt. Ja, klar: kein Widerspruch. Ebenfalls, so meine ich, zu Recht stellt er die „Schwarmintelligenz“ nach dem Motto, viel bringt viel, in Frage. Auch klar! Und richtig ist zudem, das Anonymität Hemmschwellen herabsetzt, was aber nun wahrlich nicht nur im Netz so ist. Insofern dürfen nicht-anonyme Blog-Einträge (wie diese hier) als zivil gelten, so Lanier. Okay , da stimme ich auch zu. Was mir aber fehlt, ist die Folgerung, und die lautet: Statt der Jagd nach PISA- und CHE-Rängen oder Exzellenz-Fähnchen sollten sich unsere Bildungsinstitutionen (also auch wir) wieder mehr um echte Bidungsziele und -inhalte kümmern, darum dass aus jungen Menschen verantwortungsvolle Freunde, Kollegen, Führungskräfte etc. werden, dass Werkzeuge als solche erkannt und genutzt und nicht zweckfrei verwendet werden, dass Wertschätzung wieder an Kraft gewinnt gegenüber der allgegenwärtigen Einschätzung der Wirtschaftskraft von Ländern, Regionen, Organisationen und einzelnen Personen. Gesellschaftliche Entgleisungen (körperliche und psychische Gewalt, Respektlosigkeit oder Vandalismus) den alten oder neuen Medien an sich anzulasten, das ist doch zu einfach, oder?