Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Kein System, keine Evidenz

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Future Skills sind gerade in: Förderprogramme laden dazu ein, sich dem Thema zu widmen, politische Aussagen schmücken sich mit der Vokabel und immer häufiger höre ich im Zuge von Lehrexperimenten engagierter Lehrpersonen, dass auch sie sich in die Future Skill-Bewegung einreihen möchten. Letzteres dürfte der fast schon aggressiven Ausbreitung der Botschaft geschuldet sein, dass sich Hochschulen auf die Vermittlung von „Future Skills“ konzentrieren müssten. Ist das sinnvoll? Marco Kalz kommt im letzten Abschnitt seines Textes mit dem Titel „Zurück in die Zukunft? Eine literaturbasierte Kritik der Zukunftskompetenzen“ – online abrufbar hier – zu dem Fazit: „Zwar ist es angesichts einer aktuellen Weltlage, die durch die Corona-Pandemie, die Klimakrise und die aktuelle Kriegssituation in der Ukraine geprägt ist, ein nachvollziehbarer Reflex, sich lieber mit der Zukunft als mit den heutigen Herausforderungen zu beschäftigen. Trotzdem ist diese Form der Dissonanzreduktion nicht unbedingt erfolgsversprechend und kann dem Bildungsauftrag der Hochschulen sogar schaden“. Wieso schaden? Kalz führt argumentativ schlüssig zu diesem Fazit hin, weswegen die Lektüre des Textes auf jeden Fall zu empfehlen ist.

Kalz liefert mit seinem Beitrag zum einen eine informative Übersicht über diverse Rahmenwerke, die sich (international) in den letzten Jahrzehnten um Schlüsselkompetenzen (in ihren diversen Formulierungen) ranken, und zeigt damit unter anderem auf, wie ahistorisch und zusammenhanglos der aktuell zu beobachtende Future Skill-Aktionismus ist. Zum anderen diskutiert der Text sowohl mangelnde theoretische Modellierungen als auch quasi fehlende empirische Untersuchungen zu diversen Zukunftskompetenzen. Kalz bedeint sich dazu bereits bestehender Übersichtsarbeiten der letzten Jahre. Will man die abschließenden Folgerungen von Kalz auf eine Formel bringen, könnte man sagen: Kein System, keine Evidenz.

Ich selbst würde noch ergänzen: Es findet auch keine, dem Hochschulsektor aber anstehende, normative Diskussion statt. Immerhin geht es bei Forderungen wie denen, die Kalz in seinem Text analysiert und erörtert, um Ziele von Hochschulbildung. Selbst wenn man empirisch nachweisen könnte, dass etwa die Aufnahme dieser oder jener Schlüsselkompetenz in ein Curriculum und deren Förderung in der Lehre zum Beispiel zu Erfolg in einer bestimmten Branche führen, ist damit immer noch nicht geklärt, wie wichtig einem dieses Ziel angesichts der zahlreichen anderen möglichen Ziele von Hochschulbildung eigentlich ist.

Unter den Problemfeldern von Zukunftskompetenzen, die Kalz in seinem Text thematisiert, haben mich als Hochschuldidaktikerin (mit meinem Interesse an Wissenschaftsdidaktik) relativ vorhersehbar 😉 zwei Aspekte ganz besonders angesprochen:

Erstens halte ich den Hinweis auf die „(implizite) Abwertung von Wissen und unklare Integration in die Förderung von Fachwissen“ für wichtig. Das ist etwas, was mir schon seit längerem äußerst negativ auffällt. Kalz weist zurecht darauf hin, dass (so seine Formulierung) gerade wissenschaftliches Fachwissen und seine Vermittlung an Hochschulen per se auf die Zukunft gerichtet sind. Man könnte also (so meine ich) auch guten Gewissens auf das bildungstheoretische Konstrukt von „Bildung durch Wissenschaft“ ebenso wie auf didaktisch bewährte Konzepte wie forschendes Lernen zurückgreifen, um Menschen – in einer bestimmten Domäne – „zukunftsfähig“ zu machen. Auch Wolfgang Klafki hat sich mit genau solchen Fragen schon vor Jahrzehnten (wenn auch mit Blick auf die Schule) beschäftigt. Die Hochschulwelt von heute bräuchte endlich einen eigenen Klafki.

Zweitens finde ich die didaktischen Implikationen im Text von Kalz bedeutsam, an denen, über welche die Zukunftskompetenz-Bewegung leichtfüßig hinweggeht: Ziele, Inhalte, Methoden – zentrale Kategorien didaktischen Denkens – werden weder terminologisch noch argumentativ sauber unterschieden und bearbeitet. Stattdessen bleibt man, so meine Beobachtung, auf der Buzzword-Ebene stehen, was aber interessanterweise der Verbreitung der Future-Skill-Botschaften keinen Abbruch zu tun scheint.

Zuzustimmen ist Kalz schließlich auch, wenn er am Schluss seines kritischen Beitrags feststellt, dass die aktuelle Future Skill-Bewegung ihren „Fokus auf Ökonomisierung und Verwertbarkeit“ weitaus weniger versteckt als ähnliche Bemühungen zuvor (etwa in der Bologna-getriebenen Kompetenzwende). Die massive Ausbreitung digitaler Technologien, vor allem KI-Technologien, dürften einen nicht unerheblichen Anteil daran haben, dass hochschulexterne Akteure, oft zusammen mit politischer Unterstützung, zunehmend unverblümt Forderungen an die Hochschulen richten, die dann auch noch als alternativlos dargestellt werden.

 

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