Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Nicht zum Nulltarif

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Der Deutsche Hochschulverband (DHV) hat sich zur Online-Lehre zu Wort gemeldet (hier). Der Text wirkt einerseits relativ „geerdet“ und rückt – wie das jetzt ja auch wieder Mainstream ist – den MOOC-Hype zurecht; zudem werden auch einige einfache, aber deswegen nicht minder wichtige Aussagen zur Hochschuldidaktik gemacht. Andererseits offenbart das vierseitige Dokument auch einige Passagen, die deutlich machen, dass nach wie vor Unsicherheit und fehlende Kenntnisse zum Einsatz digitaler Medien (aber auch zur Didaktik an sich) bestehen. Ich greife im Folgenden einige Sätze heraus und kommentiere diese kurz, um meine Einschätzung zu erläutern.

Die wesentlichen Ziele einer universitären Bildung durch Wissenschaft, – Befähigung zum selbstständigen Urteil und Bildung der Persönlichkeit – hängen mit einer bestimmten Hochschuldidaktik zusammen. Dabei sind die Lehrformate stets als Mittel zur Erreichung dieser Ziele zu verstehen. Auch digitale Lehre muss einen der Wissenschaft und der Persönlichkeitsentwicklung dienenden Charakter haben.“ (S. 2)

Volle Zustimmung! Hochschuldidaktik ist nicht einfach nur eine Allgemeine Didaktik, die man mal eben aus der Schule mit ein paar marginale Anpassungen in die Hochschule transportiert, sondern eine Didaktik, die sich auf Wissenschaft bezieht, Wissenschaft zugänglich machen soll und der Wissenschaft verpflichtet ist.

Universitäre Bildung lebt von der Vielfalt. Eine wie immer geartete didaktische und inhaltliche Monopolbildung ist wissenschaftsfremd. Durch einen Verdrängungswettbewerb kann wertvolles Wissen verloren gehen. Dass großen Teilen der Studierenden der ganzen Welt nach derselben Methode und mittels desselben Kurses Wissen und Bildung vermittelt wird, ist daher eine wissenschaftsinadäquate Zukunftsvision.“ (S. 2)

Ja, Zustimmung, aber Unverständnis, wie man überhaupt auf den Gedanken kommen kann, es gäbe „die eine Methode“! „Schuld“ haben hier wohl die MOOCs, die suggeriert haben, es sei mal wieder der Stein des Weisen gefunden, wie man alle Studierende aller Fächer und Kulturen gleichermaßen beglücken kann. An sich also sollte das, was hier steht, eine Selbstverständlichkeit sein.

Zum Erhalt wissenschaftlicher Qualität bedarf es der persönlichen Beziehungen zwischen Dozenten und Studierenden. Nur so funktioniert Lernen, wie die Neurowissenschaften eindrucksvoll belegen können.“ (S. 2)

Fragezeichen! Natürlich sind persönliche Beziehungen beim Lehren und Lernen wichtig – und das wussten wir wohl schon vor den eindrucksvollen Belegen der Neurowissenschaften. In welcher Beziehung genau die persönliche Beziehung zur wissenschaftlichen Qualität der Lehre steht, ist aber dann doch eine ganz andere Frage. Hier greift der Text auf einen Allgemeinplatz zurück, der selbst fragwürdig ist, und adelt diesen mit den Neurowissenschaften – hätte man sich sparen können.

Digitale Lehre kann die menschliche Begegnung zwischen Lehrendem und Studierendem sowie der Studierenden untereinander nicht ersetzen. Erkenntnis gewinnt man vor allem im Dialog, im unmittelbaren Austausch und in der Begegnung von Lehrenden und Lernenden. Dabei bleibt die physische und geistige Präsenz für die Motivation nicht nur der Lernenden, sondern auch der Lehrenden unersetzlich. Dies bedeutet auch, dass Universitätsprofessoren in der universitären Lehre zukünftig nicht auf die Rolle eines Moderators oder eines beratenden Tutors reduziert werden können und dürfen.“ (S. 2)

Bedenken! In dieser Passage steckt Vieles auf einmal, für sich genommen Nachvollziehbares, in der Kombination Fragwürdiges. Aber von vorne: Menschliche Begegnung zwischen Lehrendem und Studierendem ist prinzipiell sowohl im materiellen als auch im virtuellen möglich, aber selbstverständlich mit verschiedenen Qualitäten. Der Einstieg mit so einem Satz suggeriert am Ende dich wieder, dass virtuelle Räume die Präsenz-Begegnung gefährden. Brauchen wird das (noch)? Erkenntnis gewinnt man vor allem im Dialog – ja, der Dialog spielt bestimmt eine wichtige Rolle speziell in der Bildung durch Wissenschaft – der Dialog nicht nur mit anderen übrigens, sondern auch mit sich und mit der Sache! Aber das kann auch durchaus vermittelt über Medien stattfinden – hat es ja schon immer, wenn man sich z.B. berühmte Briefwechsel oder auch die gegenseitige Begutachtung in Peer Review Prozessen ansieht. Der Nachsatz „im unmittelbaren Austausch“ ist daher wieder einschränkend, ohne dass klar werden würde, warum eigentlich. Dass dabei geistige Präsenz unabhängig vom medialen Weg vonnöten ist, findet dagegen meine volle Zustimmung! Dass Universitätsprofessoren in der universitären Lehre zukünftig nicht auf die Rolle eines Moderators oder eines beratenden Tutors reduziert werden können und dürfen, ist eine Aussage, die zu den vorangegangen Sätzen irgendwie nicht so recht passen mag: Ich stimme dieser Aussage für sich vollkommen zu. Seit Jahren versuche ich zu erklären, was ich damit meine, dass (akademisches) Lehren am Ende immer auch damit zu hat, etwas zu vermitteln, was aber wirklich sehr gerne völlig missverstanden wird (Was? Zurück zum Frontalunterricht?). Aber was genau hat das mit „digitaler Lehre“ zu tun?

Online-Kurse sind insbesondere geeignet, Faktenwissen zu vermitteln.“ (S. 3)

Enttäuschung!!! Eine mehr oder wenige explizite Gleichsetzung von „Online-Kursen“ und „MOOCs“ zieht sich durch den Text, und man fragt sich: Warum macht sich der DHV hier nicht besser kundig? Ich erkläre jetzt nicht, dass und wie Online-Lehre didaktisch genauso facettenreich sein kann wie Präsenz-Lehre, denn man kann sich ja schon selber nicht mehr hören damit.

Es ist wünschenswert, dass die durch das Netz vermittelte Lehre mit der Präsenzlehre sinnvoll kombiniert und inhaltlich/didaktisch verschränkt wird (z.B. blended learning). Traditionelle und „digitale“ Lehre bilden keinen unvereinbaren Gegensatz. Sie können und sollen sich gegenseitig ergänzen und bereichern.“ (S. 3)

Erleichterung! Gut, dass hat man jetzt offenbar verstanden – und ich meine: Das ist doch was, oder?

Art und Umfang des Einsatzes digitaler Lehrformate sollten ausschließlich in der Entscheidung des einzelnen Hochschullehrers liegen. Dies gebietet die grundgesetzlich verbürgte Freiheit von Forschung und Lehre, die auch die Lehrmethode unter ihren Schutz stellt.“ (S. 3)

Ja, doch, Zustimmung! Es wird an unseren Universitäten bereits sehr viel geregelt. Ich bin dafür, dass es Empfehlungen gibt, gute Beispiele, Unterstützungsangebote, kollegialen Austausch, aber keine Vorgaben und Regeln dazu, wie Hochschullehre genau auszusehen hat …

Auch auf Seiten der Nutzer von digitalen Lehrformaten gilt es, schutzwürdige Interessen zu wahren. Die Sammlung von Daten, wie zum Beispiel die Antwortgeschwindigkeit, Arbeitslänge und -intensität, Wiederholungsfrequenzen usw., die Rückschlüsse auf das individuelle Studierverhalten zulassen, ist aus datenschutztechnischen Gründen zu untersagen.“ (S. 4)

Ebenfalls Zustimmung! Sogenannte Trends wie „learning analytics“ und neuerdings die Visionen vom „quantifizierten Selbst“ sind aus meiner Sicht Auswüchse einer als Innovation getarnten Kontrollmentalität, gegen die wir uns an Universitäten möglichst heftig zur Wehr setzen sollten. Etwas anders sehe ich dieses Thema, wenn Lehrende und Studierende untereinander Übereinkünfte finden und in geschlossenen Veranstaltungen auch mit den neuen Möglichkeiten, die uns etwa digitale Medien bieten, so experimentieren, dass dabei auch individuelle Lernprozesse sichtbar werden. Das schient mir da zu funktionieren, wo es nicht um Prüfungen mit Rechtsfolgen, sondern darum geht, die eigenen Kompetenzen weiterzuentwickeln und dabei unterstützt zu werden. Auch zu Forschungszwecken kann es sinnvoll sein, Ausnahmen zu machen, aber gerade da spielt dann ja auch Anonymität keine Rolle.

Vehement widerspricht der DHV der Vorstellung, mit Hilfe von digitaler Lehre zu Einsparungen in den Hochschulhaushalten zu gelangen. Das genaue Gegenteil ist richtig. Gute digitale Lehre setzt didaktische Aufbereitung und Interaktivität voraus. Das ist personal-, zeit und kostenintensiv. Zum Nulltarif wird es qualitativ hochwertige digitale Lehre nicht geben.“ (S. 4)

Applaus! Zum Nulltarif gibt es nämlich (fast) gar nichts – Mutterliebe vielleicht, aber sicher keine wirklich gute Lehre!

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