PISA und eine offene Frage

Allmählich habe ich alle Artikel aus der ZEIT und dem Spiegel zum Thema PISA durch …. und wer sich ein möglichst neutrales Bild von den Ergebnissen und ein wenig Hintergrundwissen erwerben will, kann sich auch die (aus meiner Sicht gut gemachte) Broschüre zu PISA (hier) sowie eine Zusammenfassung der Ergebnisse (hier) anschauen.

Was ja überall gelobt wird, ist, dass die Schüler (15 Jahre) in den naturwissenschaftlichen Fragen besser geworden sind. Gelobt wird auch, dass die Aufgaben keine stupiden Fragen sind, die man mit auswendig gelerntem Wissen beantworten kann, sondern dass diese eine gewisse Alltagsnähe aufweisen. Man kann einige der Aufgaben z.B. in der Zeit (von letzter Woche) nachlesen (z.B. zum Thema Klimawandel) und hier gibts auch ein paar Beispiele. Wenn ich das mit dem vergleiche, was mein Sohn derzeit in der achten Klasse (G8) so lernen muss, dann steigt in mir eine – ja ich weiß gewagte – These auf: Vielleicht haben die Schüler dieses alltagsnahe Wissen gar nicht aus der Schule? Was nämlich in den letzten vier Jahren auch gewachsen ist, sind gut gemachte Wissenssendungen, Zeitschriften u.a. Medien, die in sehr unterhaltsamer und verständlicher Weise vor allem naturwissenschaftliches Wissen präsentieren. Was, wenn insbesondere das seine Wirkung zeigt? Wäre zumindest mal interessant, es zu untersuchen. Womit ich die Bemühungen zur Verbesserung von Schule und Unterricht auf keinen Fall in Misskredit bringen will! Aber Fragen stellen, darf man ja …

GMW 2007: Ein paar Eindrücke

Vor allem die Eröffnung der GMW-Tagung konnte mit gut genmachten Keynotes aufwarten:

  • Rolf Schulmeister setzte sich mit den Schwierigkeiten und Widersprüchen des Bologna-Prozesses auseinander, brachte den Bildungsbegriff ins Spiel und machte klar, an welchen Stellen wir gehörig aufpassen müssen, wollen wir den Ausverkauf einer Hochschulbildung (noch) verhindern, die den Namen verdient. Anders als Rolf stehe ich dem Bologna-Prozess an sich nicht so skeptisch gegenüber, eher schon den bisherigen aktionistischen Maßnahmen zu dessen Umsetzung (angefangen von der abstrusen Vorstellung, Akkreditierungsagenturen könnten die Qualität von Studiengängen mit den jetzigen Verfahren wirklich feststellen bis hin zu Hochschullehrern, die die Bologna-Reform mit einer abzuarbeitenden Verwaltungsanweisung verwechseln).
  • Gabriele Beger berichtete in ihrem Vortrag anregend über die Chancen, ja über die Notwendigkeit von Open Access – mit viel Geschick und Leidenschaft für die Sache. Was mir dabei erstmals richtig klar wurde und mich auch überzeugt hat: Während herkömmliche Bücher und Zeitschriften zwar von Einzelnutzern käuflich erworben werden müssen, wenn man sie „besitzen“ will, kann man doch – wenn man auf den Besitz verzichtet und es nicht ganz so eilig hat – über Bibliotheken prinzipiell eine Vielzahl von Büchern und Zeitschriftenartikeln fast kostenlos oder mit geringen Gebühren einsehen, sie leihen und lesen. Das ist mit elektronischem Material, auf das man ausschließlich über Gebühren (oft nicht unerhebliche Kosten) Zugang erhält, nicht mehr möglich. Daraus folgt natürlich nicht, dass die Digitalisierung schlecht ist; schlecht sind nur – im Wissenschafts- und Bildungsbetrieb – die dahinter stehenden Geschäftsmodelle. Ein wichtiges Thema – ein interessanter Vortrag – ganz ohne PowerPoint!
  • Unterhaltsam und ebenso PPP-enthaltsam zeigte sich auch Norbert Bolz: Er spielte damit, dass er nicht zur neuen Netzgeneration gehört; er verknüpfte soziologische Theorien mit medienwissenschaftlichen Erkenntnissen und brachte eine Reihe von Thesen in kurzweiliger Weise vor, obschon mir ein wenig der roten Faden und klare Kernbotschaften fehlten. Als witzig und plausibel, leider aber falsch, bleibt mir vor allem die Aussage in Erinnerung, dass das kleinstmöglich Netzwerk, nämlich ein Paar, wenn es sich denn um ein sich liebendes Paar handelt, bei seiner Kommunikation einen Informationsaustausch hat, der nahezu gegen Null geht („Gebrabbel“). Na ja, vielleicht hat Herr Bolz immer noch nicht die richtige Partnerin gefunden, vielleicht misstraut er auch allen Wissenschaftlerpaaren, vielleicht verwechselt er Liebe mit Verliebtsein, vielleicht war es aber auch nur ein rhetorischer Kniff. Wie auch immer. Ich verstehe jedenfalls nicht, wie man zu dieser Schlussfolgerung kommt, denn: Wenn zwei Menschen eine hohe Interaktionsdichte haben, sich dabei mit gleichen oder ähnlichen Themen beschäftigen, wird sich der „common ground“ enorm vergrößern und ich spare mir den Austausch von Informationen, den ich bei Personen aus meinem „losen Netzwerk“ stets brauche, um überhaupt eine gemeinsame Kommunikationsgrundlage herzustellen. Allein dieses kognitive Argument dürfte reichen, um zumindest Skepsis an der „Gebrabbel-Theorie“ anzumelden.

Aufgeklärtes Instructional Design

In seinem Text „Microlearning as a challenge for instructional design“ (abzurufen hier) stellt sich Michael Kerres die Frage, welche Rolle Instructional Design (ID)-Modelle eigentlich beim Microlearning (also in Lernphasen von eher kurzer Dauer, z. B. 5 bis 15 Minuten) spielen, spielen dürfen oder vielleicht spielen sollen.

Nur am Rande bemerkt: Ich habe ja im Laufe der letzten Jahre trotz meiner – würde ich sagen – konstruktivistischen Grundhaltung inzwischen eine etwas bessere Meinung vom Thema ID – und zwar auf der Grundlage meiner eigenen Lehrpraxis. Dabei muss man allerdings auch anmerken, dass man im englisch-sprachigen Raum keineswegs nur behavioristische und kognitivistische Auffassungen und Prinzipien mit ID verbindet. Eher ist es zunächst einmal „nur“ so, dass man die Verantwortung des Lehrenden ernst nimmt und versucht, ihm bei seinen Planungsprozessen zu helfen.

Und dass Planung immer nötig ist, räumt auch Michael Kerres ins einem Text ein. Er formuliert es allerdings so: „Instruction can not be planned, instruction can only be prepared“. Ich weiß nicht so recht, ob das nicht ein konstruierter Unterschied ist. Ist es nicht eher die Haltung, auf die es ankommt, wenn ich etwas plane oder von mir aus vorbereite? Ich würde sagen, als „echter Kognitivist“ (falls es so etwas gibt) hoffe ich letztlich auf Gesetzmäßigkeiten, während ich bei einer eher konstruktivistischen Grundauffassung immer damit rechne werde, dass es auch anders kommen kann als von mir geplant und/oder intendiert. Das wäre der eine Unterschied. Die andere wichtige Unterscheidung (zwischen einer kognitivistischen und einer konstruktivistischen Haltung) sehe ich darin, wie wichtig mir als Lehrender die Lernenden sind: Wie ernst nehme ich sie? Respektiere ich sie? Ich meine sehr wohl, dass Respekt vor den Lernenden auch mit instruktionalen Phasen, mit Vorgaben etc. vereinbar ist. Ich glaube nicht (mehr) an den alleinigen Segen der Selbstorganisation (und daran dass „The learners themselves are gaining competencies to construct their personal environments …“ via microlearning) – jedenfalls nicht wenn ich an das Gros der Studierenden an unseren Hochschulen heute denke. Ich meine, das muss zwar das Ziel sein (da stimme ich Michael Kerres zu), und deswegen sollten wir, soweit es geht, als Lehrenden darauf hin arbeiten. Aber das geht nur allmählich – jedenfalls so lange die Schule hier keine Vorarbeit leistet.

Natürlich gibt es immer wieder Ausnahmen – junge Menschen, die sehr wohl zur Selbstorganisation in der Lage sind und von sehr offenen Lernumgebungen profitieren, deren „user generated content“ brauchbar ist etc.; aber sind das wirklich mehr als vielleicht zwei bis fünf Projekt eines neuen Jahrgangs? Und was machen die anderen? Diejenigen, denen man vielleicht ein paar Semester lang auf die Sprünge helfen muss? Dass „a certain level of education can only be reached by the learner her-/himself“ ist natürlich wahr, aber bis dahin muss man ja erst mal kommen. Einverstanden bin ich mit der Folgerung zur Frage des Bezugs zwischen Web 2.0 und ID, nämlich: „It does not imply a completely new approach but should integrate the various views to instructional design developed in different theoretical traditions“. Die spannende Frage ist nur, wie diese Integration konkret aussehen kann. Aber das wird dann halt wohl die Aufgabe für die nächsten Jahre sein – sonst hätten wir ja alle nichts zu tun.

Fazit: Ich plädiere für ein „aufgeklärtes Instructional Design“, für Heuristiken zur Planung, bei denen man sich als Anwender bewusst ist, dass sie nicht zwingend zu Erfolgen führen, das ihre Wirkung (keine neue Erkenntnis) vom Gegenstand und der Zielgruppe abhängt. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass wir uns keinen Gefallen tun, wenn wir (wieder mal) glauben, im Reich des Web 2.0 käme es nur darauf an, die Lernende in ihre Freiheit zu entlassen – damit macht man sich auch ein bisschen zu einfach.

Fahrrad für den Geist

Zu meinem offensichtlich provokativen Titel „Der Anfang vom Abschied vom „user-generated content“ haben Helge Städtler und Joachim Wedekind bewogen, die dahinter steckenden (eigentlich nur angedeuteten) Überlegungen zu kommentieren – in einer Form, die fast zu schade ist, um sie in Kommentaren zu verstecken, weshalb ich diese Inhalte hier noch einmal aufgreifen will hier nachzulesen).

Für Helge ist „der Rechner … mit die Erfindung, die den größten sozialen Impact in dem vergangen Jahrhundert und den letzten Jahren auf die Gesellschaft und vor allem die sozialen Aspekte hatte, den man sich überhaupt vorstellen konnte“ (Helge verweist auf Steve Jobs Bonmot „Fahrrad für den Geist“). Damit wendet sich Helge vor allem an Joachims Andeutung, es gäbe doch nur einen Unterschied in der Verfügbarkeit der Produktionsmittel und deren mehr oder weniger (un-) professionellen Anwendung.

Ja, das ist die Frage: Welcher Art ist der Einfluss der digitalen Entwicklung mit all seinen Facetten auf Lernen und Leben der Menschen heute? Also: Ich weiß es nicht. Die Fahrradmetapher jedenfalls ist mir durchaus sympathisch – das Fahrrad ermöglicht mir Mobilität – aber eine, die ich selbst kontrollieren kann, die mich nicht aus dem Sattel haut und bei der ich die Umgebung um mich herum noch mitbekomme.

Ich meine aus Helges und Joachims Austausch die Frage herauszuhören, was an „klassischen Bildungsidealen“ wert ist, weiter tradiert zu werden, und was sich aber verändern MUSS. Helges Worte: „Schule wird vermutlich als letzte Festung, die Veränderung mit allem was da ist bekämpfen um den nächsten pädagogischen Phyrrussieg vorzubereiten.“ Helges Unmut über die Schule kann ich verstehen. Wobei ich fast dazu neige, dass die notwendigen Veränderungen keineswegs so viel mit digitalen Medien zu haben. Wenn ich in Schulfragen involviert bin, merke ich schnell, dass ich in Argumentationsnot gerate. Denn natürlich: Auch ohne die digitalen Medien könnte man Schule in vielen Fällen so viel besser machen – mit einfachen Mitteln und – was ganz und gar nicht einfach ist – mit Lehrern, die diesen Beruf im wörtlichen Sinne aus einer Berufung heraus machen, die ihre Schüler mögen, stolz auf sie sein wollen und stolz auf sie sind, wenn sie etwas leisten, kreativ sind und die Welt neu erfinden, wie Helge es formuliert.

Aber: Das IST ein klassisches Bildungsideal, würde ich meinen. Und es geht eigentlich weniger darum, etwas jetzt Bestehendes zu bewahren, sondern einige der alten ideale (Erziehung zu einem selbstbestimmten Leben) endlich mal umzusetzen. Doch dazu brauchen wir alle – in jedem Lebensalter – auch Menschen, zu denen wir aufschauen können, die uns etwas beibringen, die mehr Wissen haben, die mehr Erfahrung haben, denen wir vertrauen, die uns Orientierung geben. DIESE Form von Autorität und Expertise brauchen wir aus meiner Sicht nach wie vor in unseren Schulen und Hochschulen und die kann auch kein „user generated content“ ersetzen.

Der Anfang vom Abschied vom "user-generated content"?

Wieder einmal bin ich einem Linktipp von Jochen Robes nachgegangen und habe den Educause-Beitrag von Ashely Deal zum Podcasting gelesen: Die Schlussfolgerung, zu der die Autorin kommt, ist wahrlich nicht neu, nämlich dass pädagogische Ziele und nicht technische Neuerungen den Anfang machen sollten, wenn man an neue Konzepte und Methoden des Lehrens und Lernens geht. Ja, stimmt, allerdings bin ich inzwischen gar nicht mehr so sicher, wie trennscharf man diese Grenze ziehen kann: Kann ich in meinen Gedanken über neue Formen des Lernens und Lehrens die neuen Technologien überhaupt noch ausblenden? Wie groß ist inzwischen der implizite Technologieanteil?

Wie auch immer: Der Text unterteilt zum einen die derzeit typischen Podcasting-Anwendungen im Bildungsbereich in drei Felder, nämlich (a) die (einfache) Aufzeichnung von Unterrichtseinheiten, die dann regelmäßig den Lernenden zur Verfügung gestellt werden, (b) die Nutzung von Podcats, die (aufwändig) eigens zu Bildungszwecken erstellt wurden, und (c) die Produktion von Podcasts durch die Lernenden selbst; zum anderen gibt der Text einen Überblick über erste empirische Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Podcats in der Bildung. Diese Ausbeute an empirischen Befunden ist nicht allzu groß – und ich darf mich darüber nicht mal kritisch äußern, denn obschon auch wir auch bereits in verschiedenen Varianten mit Podcasts experimentieren, haben wir die empirische Basis mit Untersuchungen ebenfalls noch nicht erweitert.

Ich gehe davon aus, dass es uns da geht wie vielen anderen an der Hochschule: Die Zeit wird immer knapper. Das mag vielleicht auch ein Grund sein, warum ich die erst genante Podcast-Variante (wahllose Aufzeichnung von Veranstaltungen) nicht favorisieren würde: In Zeiten, in denen uns so ziemlich alles jederzeit (prinzipiell zumindest) zur Verfügung steht, ist Zurückhaltung in Sachen Information vielleicht bald eine hoch geschätzte Tugend. Das hieße dann: Lieber weniger, dafür aber qualitativ hochwertige Inhalte – egal ob als Text, Audio oder Video. Der Anfang vom Abschied vom „user generated content“ (mit dem ich mich noch nie sonderlich anfreunden konnte)? Mal sehen ….

Intel Symposium 2007

Zum dritten Mal nun waren einige meiner wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeiter und ich dabei beim Intel Symposium in Dillingen. Der Ablauf ist in diesen drei Jahren durchaus vergleichbar mit Neuigkeiten über die von Intel und der Lehrerakademie in Dillingen organisierte Fortbildung im Stil des Blended Learning, die wir auch jetzt im dritten Jahr wissenschaftliche begleiten. Diesmal aber wurden die Workshops mit Blogs begleitet, die ganz wesentlich durch unsere Mitarbeiter und Doktoranden (namentlich: Tamara Bianco, Christoph Kückner, Sebastian Schipfel, Rüdiger Keller, Alex Ganz und Eva Häuptle) getragen wurden.

Am Freitag haben Eva und Alex in einem Vortrag den neuesten Stand der Evaluation vorgetragen (Details zu den Evaluationen bzw. enstprechenden Berichten finden sich auf den Seiten von Eva und Alex), während ich nur heute Vormittag da sein konnte und mich an der Besprechung der Workshopergebnisse und einer Podiumsdiskussion beteiligt habe. Der Nachteil solcher Symposien ist, dass man natürlich vor allem, oder fast nur, auf Leute trifft, die Neuerungen in Schule und Unterricht natürlich aufgeschlossen gegenüberstehen und man dann fälschlicherweise den Eindruck haben kann, alles sei im Lot in unserem Bildungssystem.

In der gemeinsamen Diskussion wurde auf jeden Fall noch einmal klar, dass es auch den Medienverfechtern vorrangig um mehr Unterrichtsqualität geht, weshalb es an der Zeit ist – so meine ich -, die Begriiffe zu wechseln und in der internen wie öffentlichen Kommunikation weniger die Technologie, sondern unsere Ziele in den Vordergrund zu stellen: Und die sind nur in zweiter Linie auch technologiebezogen nämlich u.a. in dem Sinne, dass wir die Lebens- und Medienwelt der heutigen Kinder und Jugendlichen nicht einfach aus der Schule aussperren können und dürfen – vor allem dann nicht, wenn wir darauf auch (noch) Einfluss nehmen wollen. In erster Linie aber geht es darum, dass die Zeit, die Kinder und Jugendliche in der Schule verbringen, sinnvoll genutzt wird, dass Schule ein Lebens- und Lernraum ist, in dem man vorbereitet wird auf das, was künftig wichtig ist: Und das sind bei Leibe nicht nur technische Innovationen, mehr Wirtschaftskraft und all die Dinge, die wir ständig hören. Sondern das sind auch soziale Fähigkeiten, Verständnis für politische Fragen und Krisen auf unserer Erde, Sensibilität für ökologische Herausforderungen sowie Zivilcourage und Mut, die Zukunft selbst zu gestalten. Und wenn sich dabei die neuen Technologien (Stichwort Web 2.0) als nützlich erweisen – und es deutet viel darauf hin, dass sie es prinzipiell tun können – dann haben ganz selbstverständlich diese Technologien auch ihren Platz in der Schule!

Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Kommunikations- und Medienwissenschaften

Vor wenigen Tagen hat der Wissenschaftsrat „Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Kommunikations- und Medienwissenschaften in Deutschland angesprochen“. Das Papier ist online zugänglich, nämlich hier.

Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass die Kommunikations- und Medienwissenschaften wichtige Impulse für kulturelle, ökonomische und technische Entwicklungen unserer Gesellschaft gibt, wie es in dem über 160-Seiten-Papier heißt. Aber was verbirgt sich hinter der Bezeichnung „die Kommunikations- und Medienwissenschaften“. Leider macht sich das Papier nicht zur Aufgabe, das zu klären, sondern gibt bereits eine Definition vor bzw. schlägt eine dreifache Ausrichtung der „die Kommunikations- und Medienwissenschaften vor, nämlich in die kommunikationswissenschaftliche Richtung, eine kulturwissenschaftliche Richtung und eine technologische Richtung, wobei letzteres ausschließlich auf die Informatik bezogen wird.

Ich möchte im Folgenden zu diesem Papier Stellung nehmen, zum einen weil wir mit unserem Studiengang „Medien und Kommunikation“ direkt betroffen sind (worauf ich hier allerdings nicht weiter eingehen werde, weil das eher Interna sind) und zum anderen – an der Stelle wichtiger! – weil ich meine, dass alle bildungswissenschaftlichen Fachrichtungen, die in den letzten Jahren einen erheblichen Anteil an der Erforschung vor allem digitaler Medien haben, systematisch ausgeklammert werden, was ich aus mehreren Gründen für geradezu fahrlässig halte. Wenn jemand Interesse an meinen Überlegungen hat, kann sich diese durchlesen:

Wissenschaftsrat_Juni07_Medien_Kommunikation_Stellungnahme

Notebooks im Unterricht ade?

Viele Online-Magazine, u. a. Spiegel Online – machen derzeit auf einen Beitrag in der New York Times aufmerksam, in dem beschrieben wird, dass und warum viele Schulen Notebook-Programmen seit kurzem den Rücken weisen.

WDR 5 will dem Thema zwischen 16.00 und 17.00 Uhr heute etwas Sendezeit widmen und ich habe mich zu einem kurzen Interview bereit erklärt. Da aber gerade in Bayern wohl die wenigsten WDR hören, an der Stelle eine kurze Darstellung, was mir zu diesem Thema am Herzen liegt bzw. wie ich die aktuelle Diskussion einschätze.

1. Neue Erkenntnisse aus den USA?

Am 4. Mai berichtet die New York Times, dass immer mehr amerikanische Schulen aus Notebook-Programmen aussteigen. Die Gründe in aller Kürze: zu teuer, keine Leistungssteigerungen in Standardtests und Missbrauch durch Schüler. Ein genauerer Blick in die Argumente verweist allerdings auf Erfahrungen und empirische Befunde, die im Prinzip seit langem bekannt sind und in allen seriösen Studien, auch in deutschen, immer wieder – mit kleineren Abweichungen – bestätigt werden, nämlich:

  • Erstens: Notebook-Unterricht führt nicht primär zu besseren fachlichen Leistungen; dies ist nur unter speziellen Bedingungen der Fall. Notebook-Unterricht steigert aber sehr wohl überfachliche Kompetenzen, die jedoch mit standardisierten Leistungstests nicht erfasst werden.
  • Zweitens: Notebooks im Unterricht können ablenken und missbraucht werden. Das tritt aber nicht zwangsläufig, sondern vor allem dann ein, wenn Notebook-Unterricht unprofessionell und einseitig ist, wenn Lehrer unerfahren und ungeübt sind.
  • Drittens: Notebooks in der Schule bedürfen eines durchdachten Finanzierungs- und Betriebskonzepts. Liegt ein solches nicht vor, treten Überforderungen im technischen Bereich ebenso wie im Bereich der Kosten auf.

Fazit: Was wir über die New York Times vor einigen Tagen erfahren haben, sind mitnichten neue, überraschende Erkenntnisse. Von daher sollte man die Aufregung aus dem Thema nehmen. Es gibt keinen Anlass, den Bericht als Aufhänger für unüberlegte Entscheidungen welcher Art auch immer heranzuziehen, weil die berichteten Erfahrungen auch bei uns bekannt und die Grundlage dafür sind, sinnvolle Notebook-Konzepte fortzuführen und weitere auf den Weg zu bringen.

2. Notebooks als Allheilmittel für den Unterricht?

Wer hofft, mit einer neuen Technologie revolutionäre Änderungen in Schulen bewirken zu können, hat weder menschliches Lernen noch das Funktionieren von Schule verstanden. Medien-Initiativen, auch Notebook-Initiativen, die von solchen Prämissen ausgehen, sind von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Mobile Technologien wie Notebooks bringen zwar deutliche Bildungspotenziale mit sich: Schneller und leichter Zugang zu Inhalten, flexibler Einsatz einfacher Lernsoftware bis hin zu komplexen Simulationen und Planspielen sowie neue Kommunikations- und Kooperationswege.

Das sind jedoch wohlgemerkt Potenziale und keine Merkmale neuer Technologien an sich: Wer einseitig am traditionellen Frontalunterricht, an den klassischen Lehrer- und Schülerrollen sowie an Paukzielen festhält, wer also nicht auch den Unterricht mit dem Einsatz von Notebooks ändern will und ändert, muss fast zwangsläufig enttäuscht werden. Das ist etwa so, als würden Sie darauf hoffen, die Vorzüge Ihres neuen BMW in der Tempo 30-Zone zu erleben.

Fazit: Die New York Times berichtet, dass Schüler Sicherheitsvorkehrungen der Schulnetze knacken und ihren Kameraden hierzu auch noch Schritt-für-Schritt-Instruktionen zum Nachmachen online stellen. Ich meine, das zeugt vor allem davon, dass die Schüler keine Herausforderungen im Unterricht bekommen, dass man sie mit Aufgaben für die Schublade abspeist, dass sich ihre Lebenswelt längst von der Welt der Schule abgekoppelt hat. Wir müssen Schülern einen anspruchsvollen Unterricht bieten, in denen Notebooks auch sinnvoll zum Einsatz kommen können. Wenn Notebooks eine pädagogische Funktion erfüllen sollen, muss sich natürlich auch der Unterricht ändern – und zwar erheblich!

3. Und die Rolle der Lehrer?

Dass Lehrer nach wie vor die Schlüsselrolle bei allen Aktionen spielen, die darauf abzielen, Schule und Unterricht zu verbessern, das scheint man immer wieder zu vergessen – obschon es doch auf der Hand liegt. An sich sollten wir gescheiterten Notebook-Initiativen dankbar sein, machen Sie doch wie ein Brennglas deutlich, wo es – auch bei uns – ganz erheblich hapert: Nämlich an einer fundierten pädagogisch-didaktischen Ausbildung unserer Lehrer. Nur Lehrer, die selbst medienkompetent sind, die wissen, wo die Chancen und Risiken digitaler und mobiler Technologien liegen, die diese Werkzeuge selbst nutzen und mit ihnen so umgehen können, dass sie nicht an technischen Hürden scheitern, werden auch einen brauchbaren Notebook-Unterricht machen können. Solche Inhalte aber werden Sie in den meisten Curricula für Lehramtstudierende vergebens suchen. Noch schlimmer: Auch die pädagogisch-didaktischen Anteile sind im Studium so gering, dass es schon an Leichtsinn grenzt, wie wir unsere Lehrer für den Schuldienst ausstatten. Fazit: Wenn mit der vorübergehenden Aufgabe von Notebook-Initiativen eine große Ausbildungsinitiative für unsere Lehrer verknüpft wäre, würde auch ich mich diesem Vorstoß anschließen, obschon ich von den Bildungspotenzialen digitaler Technologien überzeugt bin.

Fazit: Wir müssen zu allererst in Kompetenzen der Lehrer investieren, aber in die müssen wir investieren. Diskussionen wie die über angebliche und faktische Schwächen von Notebooks im Unterricht werden leider gerne missbraucht, um von eigentlichen Missständen in unserem Bildungssystem abzulenken und die redlichen Bemühungen einer ganze Reihe von Institutionen und Personen in Misskredit zu bringen.

Forschungsworkshop beim BIBB

Am 19. April fand im Bundesinstitut für Berufsbildung (kur: BIBB) ein interner Workshop zum Thema „Forschungsverständnisse in den Sozialwissenschaften“ statt. Der Forschungsdirektor des BIBB, Prof. Reinhold Weiß, Prof. Jürgen Howaldt, Mitglied der Leitung des Landesinstituts Sozialforschungsstelle Dortmund (sfs), Prof. Dieter Euler, Direktor des Swiss Centres for Innovations in Learning (SCIL), und ich hielten Vorträge; im Anschluss daran gab es kleinere Diskussionsrunden. Hintergrund waren Kritikpunkte seitens des Wissenschaftsrats am BIBB in Bezug auf Wissenschaftlichkeit der dortigen Projekte und Aktivitäten. Es ging also um ein Thema, mit dem ich mich schon immer wieder mal beschäftige, weil es mich bzw. uns an der Medienpädagogik auch selbst betrifft: Was ist „gute“ bzw. „echte“ Forschung?

Nun, meine Haltung brauche ich hier gar nicht zu wiederholen. Wer es nachlesen will, kann das in einem Artikel zu Design-Based Research oder in einem Arbeitsbericht vom September letzten Jahres tun. Die Vorträge kamen eigentlich alle zu dem Schluss, das einseitige Kriterien, die sich an einem bestimmten Typus von Forschung, vor allem der Experimentalforschung und anderer als quantitativ bezeichneter Formen von Forschung orientieren, zu kurz greifen – jedenfalls wenn es um die Ziele eine Instituts geht, das den Auftrag hat, die Berufsbildung nicht nur zu erforschen, sondern auch mitzugestalten. Natürlich kam es dann auch zur Frage, warum man dann trotzdem so vehement und zunehmend radikal an den damit verbundenen Gütekriterien gemessen werde. Ausdiskutiert wurde es nicht; befriedigende und vor allem lösungsorientierte Antworten konnten auch wir – die geladenen Gäste – nicht liefern. In einem Herausgeberband zu diesem Thema, den ich zusammen mit Joachim Kahlert mache, kommen vielleicht ein paar brauchbare Antworten heraus.

Die Panik geht um: Benoten wir zu gut?

Zum Thema „Gute Noten“ an der Universität, das derzeit (wieder mal) durch die Medien (z. B. Spiegel, aber auch: Forschung und Lehre etc.) geistert, muss ich mich jetzt auch mal äußern. Im Moment ist es ja en vogue, in diese generelle Kritik einzustimmen und (pauschal) zu fordern, dass die gesamte Notenskala an der Uni ausgeschöpft wird. Fakt ist ja denn auch in der Tat, dass vor allem in bestimmten Disziplinen und Fächern (Geisteswissenschaften und eine Reihe von Sozialwissenschaften) die Noten sehr gut, auf jeden Fall sehr viel besser als beispielsweise in den Naturwissenschaften, in der Medizin oder – zumindest in einigen Kursen – der BWL. Dass also da was nicht stimmt, und dass man mal genauer betrachten sollte, woran das liegt, ist richtig! Aber man schaut eben nicht genau hin. Ich meine nämlich, es gibt verschiedene Gründe für gute Noten und diese sind unterschiedlich zu bewerten.

Zunächst zu den Gründen von „zu guten Noten“, die ich auch gerne verbannen möchte: Grund Nummer 1, der verwerflich ist: Ein Dozent gibt pauschal gute Noten, um sich das Leben einfacher zu machen. Da kommt es dann schon mal vor, dass Studierende bemerken, dass der Dozent die Hausarbeit gar nicht gelesen haben KANN, weil nämlich im Copy-Shop ein Malheur passiert ist und etliche Seiten zusammenkleben (obschon man auch da sagen muss: Es gibt unter Hochschullehren inzwischen auch solche, die unter extremer Überlastung leiden und solche Reaktionen dann schlichtweg hilflose Versuche sind, einem Herzinfarkt zu entgehen). Grund Nummer 2, der verwerflich ist: Ein Dozent hat Angst vor schlechten Evaluationsergebnissen, die ihm seine Studierenden verpassen könnten, wenn er sie mit hohen Anforderungen und der damit verbundenen Gefahr konfrontiert, schlechtere Leistungen zu liefern. Das gehört sicher zu den Schattenseiten der Qualitätsmanagement- und Evaluationsoffensive, mit der sich die Universitäten bislang viel zu wenig auseinandergesetzt haben. Dafür finde ich leider gar keine Entschuldigung.

Nun zu den Gründen, die manchmal zutreffen und natürlich auch schnell als Ausrede benutzt werden könnten, die es – in seltenen Fällen – aber durchaus gibt. Dazu zählt etwa Grund Nummer 3: Die Studierenden belegen ein Fach mit hohem NC und bringen viel Leistungsfähigkeit und -bereitschaft mit und sind tatsächlich gut bis sehr gut, weil bereits eine strenge Selektion stattgefunden hat. Grund Nummer 4, den sich wohl jeder wünscht, der aber zugegebenermaßen einen Idealzustand kennzeichnet: Die Studierenden sind so begeistert von ihrem Fach und strengen sich an mit der Folge, dass sie gute Noten erzielen.

Und schließlich der letzte Grund (Grund Nummer 5), der mir besonders am Herzen liegt und damit zu tun hat, welchen Stellenwert das Assessment an der Universität für einen Hochschullehrer hat: Wir denken ja fast nur noch in der Kategorie „assessment of learning“ (vor allem seit Bologna) und setzen damit die Tradition der Schule fort, die in den meisten Fällen nicht daran interessiert ist, was Schüler können, sondern was sie nicht können, und wo sie Fehler machen. Das lässt sich auch sehr schön daran erkennen, dass es meist egal ist, um welche Fehler es geht, dass man in der Regel keine Chance hat, seine Fehler zu verbessern, und dass nicht Lernfähigkeit, sondern aktuelle Leistungen zu einem vom Lehrer festgelegten Zeitpunkt X bewertet werden. In Disziplinen und Fächern an der Universität, die das „Problem der guten Noten“ nicht haben, wird genau diese Denke nämlich fortgesetzt. Aber es gibt auch ein „assessment for learning“, ein Lernen aus Fehlern und ein gemeinsames Ziel von Lernenden und Lehrenden, das da heißt: ein bestimmtes Leistungsniveau erreichen und daraufhin lernen, und zwar so lange, bis ein möglichst gutes Ergebnis erzielt ist. Wenn man es so betrachtet, ist es eher ein Armutszeugnis für den Lehrenden, wenn er es nicht geschafft hat, „seine Lernenden“ zu einem guten Ergebnis zu führen (diese Argumente haben wir auch mit Wolf Hilzensauer diskutiert, als er uns in Augsburg besucht und einen Vortrag über E-Portfolios gehalten hat. Alex hat in seinem Weblog davon berichtet). Ich behaupte einmal, dass zumindest bei einem Teil der Disziplinen und Fächer, die man jetzt an den Pranger stellt wegen ihrer angeblich zu guten Noten, unter Umständen dieser Grund vorliegt, nämlich dass Hochschullehrer nicht gewillt sind, die Schullogik der Leistungserfassung weiter fortzusetzen, dass sie lieber ein „assessment for learning“ praktizieren.

Selbstverständlich sind auch bei mir die Noten schlechter, wenn ich klassische Klausuren schreiben lasse, die dann fast ausschließlich in einer Wissensabfrage bestehen. Und selbstverständlich kann ich eine Klausur so stellen, dass ich mir sicher sein kann, dass der Schnitt nicht unter 3,0 oder 3,3 liegen wird. Jeder, der Lehre macht, weiß, das es ein Leichtes ist, anderen zu demonstrieren, was sie nicht wissen und können. Aber geht es an einer Universität wirklich darum? Ist es nicht eher unsere Aufgabe, Studierenden das wissenschaftliche Denken und Handeln nahe zu bringen, ihnen Orientierung in komplexen Fachgebieten zu geben, ihnen die Chance zu geben, sich mündlich und schriftlich, individuell und im Team mit Wissen auseinanderzusetzen? Natürlich wird das immer schwieriger: Laut Papier dürfte unser Studiengang eigentlich nur knapp 30 Studierenden pro Jahr aufnehmen (was leider nicht der Realität entspricht) – ich könnte unter solchen Umständen natürlich ein sehr gutes Assessment durchführen, das sowohl den Augen kritischer Beobachter als auch meinen Ansprüchen gerecht werden könnte. Ich bin aber stets für mehrere hundert Studierenden zuständig und letztlich kann ich immer nur eine handvoll Studierender, die ich näher kennen gelernt habe, wirklich so einschätzen, dass ich sagen kann: Ja, ich traue mir eine Leistungsbewertung zu, die weitgehend wasserdicht ist.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich plädiere dafür, nicht immer gleich in jedes Geschrei einzustimmen, sondern erst mal vorher zu überlegen, warum manche Dinge so sind, wie sie sind, und wie sie sich entwickelt haben.