Rolf Schulmeister hat mit seinem fast schon Buchumfang erreichenden Beitrag zur Netzgeneration (inzwischen in der zweiten Version: online hier zugänglich) bereits Furore gemacht und bleibt dran am Thema – auch auf der diesjährigen GMW: „Studierende, Internet, E-Learning und Web 2.0“ lautet sein Beitrag (im Tagungsband auf den Seiten 129 bis 140). Für Weihnachten 2009 ist die Version 3 des oben genannten „Werkes“ angekündigt. Berichtet werden im Beitrag zentrale Ergebnisse, allem voran Übereinstimmungen und Diskrepanzen zwischen drei aktuellen Studien, die die medialen Nutzungsgewohnheiten von Studierenden untersuchen. Interessant sind die methodischen Hinweise zur Befragung in der von Schulmeister selbst unterstützten Studie, die ich sehr wichtig finde, um typische Artefakte bei Befragungen auf diesem Feld in den Ergebnissen zu vermeiden. Auch die Entscheidung für den Modus (der am häufigsten gewählte Wert) statt des Mittelwerts bei der Auswertung ist mehr als überfällig – es sollte uns ein Vorbild sein.
Zusammenfassend kommt Schulmeister zu dem Schluss, dass die inzwischen vorliegenden empirischen Ergebnisse sehr ernüchternd sind: Die befragten Studierenden erweisen sich weitgehend NICHT als Enthusiasten der konstruktiven Netz-Nutzung. Natürlich ist der Beitrag keine „Kampfansage an die Netzgeneration an sich“, denn laut Schulmeister gibt es die in der postulierten Form gar nicht. Es ist also eine Kampfansage an die Mystifizierung einer Generation, die mit dem Netz aufwächst, dieses aber letztlich nur als erweitertes Telefon oder Suchwerkzeug nutzt – mal überspitzt formuliert.
Im Vortrag wurden weitere Gedanken und Thesen formuliert, so z.B. die, dass die Web 2.0-Nutzung aus der Freizeit keinen Transfer auf Bildungskontexte erlebt, dass das „Web 2.0“ womöglich für das formale Lernen gar nicht geeignet sei und sich Lernen und Bewerten wohl eher ausschließen (wobei die Rolle des Web 2.0 bei Letzterem diffus bleibt).
Neben mir rutscht Tom Sporer bei solchen Worten unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Warum? Weil Schulmeisters Worte für manche Ohren resigniert und danach klingen, dass wir es besser bleiben lassen sollten, „partizipative Web-Anwendungen“ in Lehrveranstaltungen einzuführen? Das kränkt jeden „Erneuerer“ und die, die sich engagieren. Oder weil unklar bleibt, was aus solchen empirischen Befunde denn jetzt folgt, die man nun mal nicht wegdiskutieren kann? Im Text stellt Schulmeister einfach nur fest, dass die Ergebnisse der Studie „ein negativer Spiegel unserer Anstrengungen“ (S. 140) seien, E-Learning einzuführen. Der Leser kann und soll seine Folgerungen selbst ziehen. Entsprechend spannend wäre es gewesen, hier eine längere Diskussion anzuschließen.
PS: Auch in diesem Beitrag werden übrigens Aktivitäten wie Lesen, Zuhören und Anschauen als „passiv“ bezeichnet, was ich nicht teilen kann. Ich plädiere für die Bezeichnung „rezeptiv“ (versus produktiv), weil vor allem Lesen und Zuhören sehr wohl „aktiv“ in dem Sinne sind, dass sie sich nicht auf mentale Reaktionen beschränken.
Liebe Gabi,
ich finde Schulmeisters Bemühungen gut, auf empirischer Basis Licht in das Dickicht von Net, Gamer, X, Y oder sonstwie Generation zu bringen. In letzter Zeit musste ich so viele „Beweise“ auf mich einprasseln lassen, weshalb es viel besser ist von einer Generation der Gamer zu sprechern als von einer Netzgeneration oder auch umgekehrt, dass einem dabei ganz schwindlig werden kann.
Allerdings (und darauf hast du in der Diskussion auf der GMW meines Erachtens zurecht hingewiesen) habe ich die Zuteilungen, die Schulmeister in seinem GMW-Vortrag vorgenommen hat, nicht wirklich verstanden.
Was hat die Unterteilung formales vs. non-formales/informelles Lernen mit der Unterscheidung Web 1.0 vs. Web 2.0 zu tun? In meinen Augen ging es bie darum, die komplette Uni zu Ver-Web2.0-llen. Schon seit Jahren wurde ja z.B. in Augsburg versucht (aber halt auch anderswo), sinnvolle Lernarrangements zu schaffen, in denen die verschiedensten Medien zusammenspielen und situationsangemessene Zwecke erreichen. Seien das nun ein narrativer Ansatz in Vorlesungen zum Anregen des Wissenserwerbs oder aber bestimmte Web 2.0-Tools, mit denen die Studierenden in Projektseminaren eigene Medienprodukte erstellen können. Und genau hier sehe ich die Stärke von Web 2.0 (und gleichzeitig den Nachteil von Schulmeisters fast schon dogmatischem Ansatz): Es bietet uns einen bunten und vor allem sehr einfach zu bedienden Werkzeugkasten, aus dem man sich für viele interessante didaktische Designs Elemente herausnehmen kann.
Dass es dabei immer noch eine BILDUNGSaufgabe ist, den Studierenden zumindest zu ermöglichen aktive und eigenverantwortliche Lernende zu sein, ist doch auch ganz erfreulich. Wäre doch furchtbar, wenn man lauter übermotivierten, supermedienkompetenten und sowieso viel leistungsfähigeren Netzgernerationalisten gegenüberstünde, oder?
Danke für die Zusammenfassung des Vortrages von Herrn Schulmeister. Interessant finde ich vor allem auch eine Diskussion um die methodische Herangehensweise von Nutzungsbefragungen. Die stellt sich für mich in meinen Befragungen auch immer wieder. Bezüglich der sogenannten „Web 2.0 Generation“ finde ich auch, dass man nicht in eine „Mystifizierungsfalle“ tappen sollte. Spannend finde ich weiterhin die bestimmt noch anhaltende Diskussion über „Lernen mit Web 2.0“ sei es formell oder informell. Aber vielleicht denken wir zu sehr in solchen Kategorien. Und ich stimme voll und ganz der Unterscheidung „rezeptiv“ und „partizipativ“ statt „aktiv“ und „passiv“ zu.
Die Frage „was ist?“ ist für jede Wissenschaft wichtig – ja sogar essenziell. Hier sehe ich auch die Stärke der sorgfältigen Zusammenstellung empirischer Daten, wie Rolf Schulmeister es (u.a.) dankenswerter Weise betreibt. Die Frage, was „sein soll“ und wie man das „Ist“ wozu in welche Richtung verändern will, ist eine ganze andere und aus meiner Sicht in den Bildungswissenschaften ebenso wichtige Frage. Beide Fragen haben natürlich etwas miteinander zu tun, denn wie soll man sich vor allem vernünftig um das Wie von Veränderungen Gedanken machen, wenn man die Gegenwart nicht richtig kennt. Schwierig sind unmittelbare Folgerungen aus dem Ist für das Soll und für die Wege dorthin. Und ich gaube, hier laufen wir Gefhar, Missverständnisse zu produzieren. Vielleicht würde es helfen, wenn wir das besser auseinander halten?
Gabi
Liebe Frau Reinmann,
ich stimme Ihnen hier vollkommen zu und danke Ihnen für die Ergänzung: Schulmeister beantwortet die Frage nach dem „was ist“ – und das kann man ihm nicht ankreiden. Jetzt geht es darum zu diskutieren „was sein soll“.
Denn was nicht ist kann ja noch werden.
Auch finde ich Schulmeisters Erkenntnisse gar nicht so negativ. Er fasst Anja Hartung und Bernd Schorbschreit zusammen und schreibt: „Die Benutzung des Computers sowohl für die Schulaufgaben als auch für das Studium in der Universität wird nüchtern als Mittel zum Zweck betrachtet.“ Genau das soll das Web2.0 meiner Meinung nach auch sein und bleiben: Ein Mittel zum Zweck und kein Selbstzweck.
Clara
das rare, auf jeden fall nicht flächendeckende vorkommen der ebenso geheimnisumwitterten wie hochgehypten spezies „digital natives“ können die teilnehmer der bildungsexpedition.de aus eigener anschauung vom tiefen süden bis hart an die grenze zu brandenbur bestätigen.
aber nicht unterschätzen: mutanten sind es trotzdem!
Deinen letzten Gedanken zu angeblich passivem Rezipieren beim Lesen und Zuhören von Vorträgen würde ich gerne noch zuspitzen: Der Verstehensprozess dabei ist selbst natürlich ein konstruktiver (also aktiver und nicht bloß reaktiver) Prozess – auch mental und niemals ein bloß „Aufnehmender“, wie man sich etwa früher – und leider auch häufig heute noch – vorstellte, dass durch die Wahrnehmung etwas in den Kopf getrichtert – also dort 1 zu 1 etwas abgebildet – würde. Weil es NICHT so ist, spricht man sinnvollerweise auch da von „Lerntätigkeit“, was schon im Begriff auf eine Aktivität hinweist.
>>> dass die Web 2.0-Nutzung aus der Freizeit keinen Transfer auf Bildungskontexte erlebt, <<> dass das „Web 2.0“ womöglich für das formale Lernen gar nicht geeignet sei
<<<
Liest sich für mich ein bisschen wie, "dass Bücher für das Lernen womöglich gar nicht geeignet seien"!? Aber vielleicht gibt es ja eine Begründung für die These in der Version 3.
„dass die Web 2.0-Nutzung aus der Freizeit keinen Transfer auf Bildungskontexte erlebt,“
Dem würde ich leicht empirisch gestützt (icamp-project) zustimmen. Da wäre es doch gerade eine Aufgabe, die erworbenen Fertigkeiten auch in Bildungskontexten zu nutzen.
„dass das „Web 2.0“ womöglich für das formale Lernen gar nicht geeignet sei“
Liest sich für mich ein bisschen wie, „dass Bücher für das Lernen womöglich gar nicht geeignet seien“!? Aber vielleicht gibt es ja eine Begründung für die These in der Version 3.
Danke für die Anregung am Ende des Beitrags zu „rezeptiv“ vs. „passiv“.
Ich sehe das auch so.
Passiv hat überdies in der Bildungsdiskussion einen pejorativen Klang.
Rezeptive Aktivitäten sind neurobiologisch und psychologisch gesehen alles andere als passives Verhalten, beinhalten sie doch sensorische und kognitive Anstrengungen und, wie Du darauf hinweist, die Verarbeitung der mentalen Reaktionen.