Einen spannenden Titel und eine berechtigte Frage positionierten Gudrun Bachmann et al. mit ihrem Beitrag „E-Learning ade – tut Scheiden weh?“ (Beitrag im Tagungsband auf den Seiten 118 bis 128). Im Kern geht es um die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, den Begriff des E-Learning aus unserem Wortschatz zu verdammen. Mit einem narrativen Einstieg wurde im Vortrag plakativ deutlich gemacht, dass jeder unter „E-Learning“ etwas anderes versteht: Studierende, Lehrende und Unileitungen gleichermaßen. Das ist sicher richtig UND es ist auch ein Problem – ohne Frage. Meine These aber ist, dass man denselben Effekt hat, wenn man auf das „e“ verzichtet und die genannten Personengruppen über „Lernen“ sprechen lässt. Auch hier wird man auf eine ähnliche Vielfalt stoßen. Wer sich mit psychologischen Phänomenen und dazugehörigen Konzepten beschäftigt (und dazu gehört auch das Lernen), muss damit leben, dass es konkurrierende Auffassungen, verschiedene Definitionen und – ein Besonderheit sicher im Vergleich zu vielen Naturwissenschaften – Diskrepanzen zu alltagssprachlichen Verwendungen derselben Wörter gibt.
Der Beitrag liefert einen wichtigen Impuls und erinnert uns daran, auf die entsprechend vorprogrammierten Missverständnisse und Verständigungsschwierigkeiten vorbereitet zu sein und ihnen wirkungsvoll zu begegnen. Begriffe auszutauschen, ist dabei durchaus eine von mehreren Lösungen. Allerdings haben mich die sprachwissenschaftlichen Begründungsversuche nicht überzeugt. Auch Sätze wie „E-Learning ist ein falsches Paradigma“ (S. 125) verstehe ich nicht: Geht es jetzt um einen Begriff oder um ein ganzes Paradigma, was ja immerhin eine Menge mehr meint als einen Begriff? Stimmt es wirklich, dass E-Learning generell einen „schlechten Ruf“ hat? Bei wem genau und sollte man nicht fragen, warum das so ist? Dass E-Learning NICHT definiert wird, ist eine Aussage, die ich schon deshalb nicht so ganz nachvollziehen kann, weil eine Seite vorher eine informative Tabelle zu finden ist, die immerhin drei Standardwerke ausfindig macht, in denen der Begriff sehr wohl nicht nur eingeführt, sondern auch definiert wird. Und welcher Begriff in unserem Fach hat denn nun tatsächlich nur EINE Definition? Ich kenne keinen.
Diese Kritikpunkte aber ändern nichts daran, dass die in Bachmanns Beitrag aufgeworfenen Überlegungen und Vorschläge wichtig, weil symptomatisch für die aktuelle Situation in der E-Learning-Community und damit auch für Gesellschaften wie die GMW sind: Digitale Medien – das zeigte ja auch die Podiumsdiskussion – werden zur „Normalität“ in unserer Gesellschaft. Sie beeinflussen die Art, wie wir arbeiten, wie wir uns unterhalten und informieren, und vor allem, wie wir kommunizieren. Lernen und Lehren (obschon auch da natürlich Kommunikation und Information zentrale Bestandteile sind) erweisen sich demgegenüber als resistenter, sodass es nach wie vor gerechtfertigt erscheint, sich explizit für einen sinnvollen und unsere Möglichkeiten erweiternden Einsatz der digitalen Medien einzusetzen. Aber wie lange noch? Sind wie hier schon – wie Bachmann postuliert – an einem „Scheideweg“? Oder wäre es zu früh und würde es nur Wasser auf den Mühlen konservativer Kritiker sein (nach dem Motto: „Haben wir euch gleich gesagt, dass das nichts taugt!“), wenn wir uns hier zurückziehen und zusammen mit dem Begriff „E-Learning“ den Medienfokus verlassen? Ich habe meine Zweifel: Eindeutig ist doch, dass aus der E-Learning-Community nach wie vor kreative und zukunftsweisende didaktische Neuerungen entstehen, bei denen die digitalen Medien (und damit meine ich deren Potenzial für Multimedia, Interaktion und Vernetzung) keineswegs nur Werkzeugcharakter haben, sondern uns oft genug auf andere Ideen bringen, neue Phänomene zum Vorschein bringen und sicher auch zusätzliche Herausforderungen (z.B. im Bereich der Rechte von digitalen Inhalten) mit sind bringen. Was die E-Learning-Community auszeichnet, ist Interdisziplinarität, die Nachwuchswissenschaftlern zwar mitunter das Leben schwer macht, aber den künftigen Anforderungen an die Bildungsforschung doch viel eher gerecht wird als einseitige theoretische und methodische Vorgehensweisen. Würden wir das womöglich nicht auch aufs Spiel setzen, wenn wir „E-Learning“ als Begriff verdammen? Eine Alternative zum „Scheiden“ wäre eine weiter beharrliche Überzeugungsarbeit, dass auch die Bildung in einer veränderten Gesellschaft nicht bleiben kann, wie sie war und ist, dass die mediale Durchdringung unserer Welt auch beim Lernen und Lehren zu bedenken ist und dass interdisziplinäre Gruppen (wie die E-Learning-Community), die neben Fächern auch Forschung und Praxis zusammenbringen, einen wissenschaftlichen UND gesellschaftlichen Mehrwert haben (dass das auf vielen Gebieten immer noch nötig ist, zeigt z.B. auch Franks Beitrag hier).
PS: Lieber würde ich Begriffe wie Qualität und Exzellenz aus unserem Wortschatz verdammen …
Von „verdammen“ kann keine Rede sein, von “verzichten auf den Begriff“ ist die Rede
Missverständnisse darüber, was Lernen ist, gibt es eigentlich nur, wenn man sich auf am Schreibtisch entstandene Begriffssysteme einlässt wie sie Pädagogen und Psychologen – von Comenius und Skinner, über Holzkamp bis Kersten Reich in reichlicher Zahl veröffentlich haben. Fragt man hingegen Studenten was sie eigentlich tun, wenn sie sich auf eine Klausur oder eine Prüfung vorbereiten, dann werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen: lernen!
Und das heißt, sich einen Text aneignen, ihn bearbeiten, ihn verinnerlichen, sich mit ihm auseinandersetzen. Und das kann man nur alleine. Allein über die Lernergebnisse, über Probleme mit den Texten kann, sollte, muss man sich mit anderen unterhalten – und das wird dann hochtrabend “social learning“ genannt. Ein dummes Wort für das was alle Studenten schon immer gemacht haben
Die Verwirrung ob es sich bei dem was die Baseler vorstellen um ein Plädoyer zum Verzicht auf einen Begriff oder ein Paradigma handelt, verstehe ich nun wieder nicht.
E-Learning ist das Etikett, ein Begriff, dem eine bestimmte didaktische Schule oder Lehrmeinung zugeordnet ist. Wenn man für einen Verzicht des Begriffs plädiert, dann stellt man auch eine Lehrmeinung in Frage (wie ich es auch tun würde, wenn auch radikaler). Die Erfahrung alleine, dass der Begriff keine große Attraktivität hat bei Lehrenden und Lerneden besitzt ist zwar richtig(was ich bestätigen kann) aber würde das Plädoyer wohl nicht genügend stützen, könnte aber ein wichtiger Aspekt sein.
Es ist richtig, dass digitale Medien zur Normalität in unserer Gesellschaft geworden sind. Aber diese Medien sind im Grunde nur eine Weiterentwicklung von Tafel, Overheadprojektor und Beamer – in der Lernwirkung diesen klassischen Medien häufig unterlegen.
Wichtiger als der Verweis auf die Medien scheint mir aber zu sein, dass wir uns in einer sehr problematischen Entwicklung zu einer visualisierten Welt befinden. Texte lesen ist out, Bildchen betrachten ist in!
Wer jemals an einer afrikanischen Universität unterrichtet hat weiß, dass dies eine spezifisch westliche Entwicklung ist.
Ist es wirklich richtig, dass aus der E-Learning-Community kreative und zukunftsweisende didaktische Neuerungen entstehen?
Da bin ich neugierig. Ich kenne keine.
Nebenbei: ich hab etliche E-Learning Veranstaltungen für große deutsche Unternehmen entworfen. Mitte der neunziger Jahre, als ich mich auch einmal dafür begeistert habe, um dann festzustellen, dass dies nicht die Zukunft der Lehre sein kann und darf, wenn es uns um Bildung geht
Eine der schlimmsten Fehlentwicklungen habe ich hier gefunden:
http://www.devblog.e-learning3d.de/2009/06/08/second-life-in-der-hochschullehre-gestaltung-tutorieller-begleitung-2/
Alles was ich jahrelang Lehrenden in hochschuldidaktischen Fortbildungsveranstaltungen vermittelt habe, wird hier über Bord geworfen: Authentizität, Empathie, Körpersprache, Teilnehmerorientierung, Rhetorik, Vortragsaufbau, früher mal Foliengestaltung, dann Powerpoint.
Haften bleibt bei diesem Beispiel nur die unerträgliche Komik einer aufgehübschten, hölzernen Dozentin und Zuhörern, die mit ihren Beinen nicht auf den Boden reichen. Sehenswert.
Nein, E-Learning insgesamt und Second-Life im Besonderen hat keinen Begriff vom “Lernen“ und keinen didaktischen Nutzen.
Und aus Gemeinplätzen wie diesem wird man auch keinen Nutzen von E-Learning ableiten können:
“dass auch die Bildung in einer veränderten Gesellschaft nicht bleiben kann, wie sie war und ist, dass die mediale Durchdringung unserer Welt auch beim Lernen und Lehren zu bedenken ist und dass interdisziplinäre Gruppen (wie die E-Learning-Community), die neben Fächern auch Forschung und Praxis zusammenbringen, einen wissenschaftlichen UND gesellschaftlichen Mehrwert haben“
Die E-Learning Blase wird sich noch geraume Zeit halten. Hängen doch zu viele Stellen wissenschaftlicher Mitarbeiter und selbst Lehrstühle davon ab.
Platzen wird sie dennoch, weil sie jeder vernünftigen, ernsthaften und verantwortungsbewussten Wissensvermittlung widerspricht.
Und die Generationen nach uns wird sich schmunzelnd an E-Learning erinnern, wie wir heute an die Skinnersche Lernbox.
Also: Glückwunsch dem Team aus Basel. Sie haben einen Anfang gemacht.
Nun, zwei Positionen, wie sie gegenseitiger nicht sein können. Der Leser möge sich ein eigenes Urteil bilden und dieses hoffentlich nicht nur auf diesen beiden Meinungen, sondern auf eigener Anschauung und Erfahrung mit dem Lernen und Lehren mit digitalen Medien (um den Begriff des E-Learning nicht zu gebrauchen ;-)) bauen. Ich bin ja schon der Meinung, dass unsere Wissenschaftslandschaft im Bereich der Bildung nicht nur Neurowissenschaftler und Soziologen, sondern eben auch Psychologen und Pädagogen braucht, die man daher vielleicht nicht ganz forsch abkanzeln sollte.
Ich fürchte nur, Gudrun Bachmann wird sich nicht allzu sehr über die sehr weite Interpretation ihres Beitrags freuen, aber sie wird sich darüber freuen, genau diese Diskussion in Gang gesetzt zu haben. Mir persönlich ist es allerdings lieber, wenn man die Polemik in Zaum hält und z.B. nicht ganzen Fächern vorwirft, Unsinn zu betreiben. Gibt es in der Soziologie denn z.B. keinen Diskurs um Begriffe? Ich meine ja schon; man denke nur an den Systembegriff, über den ich mich jetzt besser nicht auslasse. Gerne verweise ich übrigens auch auf meinen Beitrag auf der GMW, der sich zumindest mit einem Teil dessen beschäftigt, was hier angemahnt wird: nämlich Authentizität, Rhetorik, Vortragsaufbau (http://gabi-reinmann.de/wp-content/uploads/2009/06/itunes-statt-hoersaal1.pdf).
Bei meinem Urteil einer hohen Kreativität der E-Learning-Community bleibe ich – und ich denke, auch Gudrun Bachmann wird hier zustimmen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihre langjährige Arbeit als lächerliche Blase betrachtet, nur weil sie den Bezeichnung als problematisch reflektiert hat. Dagegen frage ich mich, warum die Hochschuldidaktik so viele Jahrzehnte zunehmend in die Versenkung verschwunden ist. Gerne helfe wir ihr, wieder aufzutauchen, und die Zeichen dafür stehen nicht schlecht. Denn auch Vertretern des E-Learning geht es um Bildung, Lernen und Lehren. Die meisten wissen das auch …
Sehr schöner Beitrag von „Gralki“! Warum? Weil er expliziert, was in vielen Köpfen (immer noch) herumgeistert. Das grundlegende Missverständnis: „E-learning IST Powerpoint“, also Multimedia, bestenfalls. Wir sind heute weiter (auch wenn wir, wie Rolf Schulmeister sagt, Multimedia vergessen haben). Ich meine, wir haben uns vom verspielten „E“ zum webgestützten „Learning“ entwickelt, d.h. nicht zurück, sondern auf ein anderes Niveau, mit anderen Zeit-, Raum- und Interaktionsmustern. Wir brauchen die digitalen Medien nicht aus Technikverliebtheit, sondern weil die Anforderungen und Erwartungen der Teilnehmer in der Hochschule sowie Aus-und Weiterbildung sich verändert haben. Fazit 1: Die Sache selbst (webgestützte Lehre) lebt und wird wachsen.
Zum Begriff E-Learning: Jede Bewegung bringt Begriffe hervor um sich abzugrenzen, um zu sagen: Hallo hier kommt was Neues!“. In den 90ern war es das Merkmal „E“, heute ist es Web 2.0 oder Digitale Welten. Das ist eine Evolutionslogik. Das Neue (allein) ist aber nicht das, was in der Praxis nützlich und sinn-voll ist. Ein Wiki (allein) ist eine morsche Krücke für gute Lehre, da gehört noch vieles andere dazu. Die Lehr-Praxis ist also eine komplexe Mischung aus vielen Einzelkomponenten, blended, wie man Neudeutsch sagt. Genau da ist das Problem: die „große Mischung“ auf den Begriff zu bringen ist schwer, von daher kann man den „Strategiewechsel“ der Baseler verstehen, hin zur Bescheidenheit, zu Begriffen, die zum Mitmachen einladen und nicht ausgrenzen. Aber: letztlich muss man in jeder Organisation einzeln entscheiden unter welchem Begriffsdach man webgestützte Aktivitäten einführt und betreibt. Z.B. hat der Sportverband TTVN sich erst 2007 ernsthaft mit E-learning beschäftigt. Blended Learning oder Web 2.0 Anwendungen waren da schon „normal“. Diese Organisation verbindet also mit dem Begriff E-Learning etwas ganz anderes als der leidgeprüfte Kollege weiter oben.
Fazit 2: Begriffe sind realtiv :-), wichtig ist, was man daraus vor Ort macht (konstruiert).
In den USA wird das Weglassen des ‚e‘ schon seit zwei Jahren immer wieder mal diskutiert. Es ist also nicht ganz so neu. Ich fand den Titel des Beitrags etwas reisserisch und daher irreführend. Ich verstehe ihn mehr als Appell die Normalität von Lernsituationen, die mit Hilfe elektronischer Medien erfolgt, festzustellen. Somit würde E-Learning in die Volljährigkeit entlassen.
Konsequent wäre der Verzicht, um dann auch zugleich begrifflich schärfer zu werden. E-Learning ist keine didaktische Methode. Unter dem Begriff E-Learning verbergen sich synchrone und asynchrone, reine und geblendete, frontale und kooperative Methoden. Wenn wir diese genauer beim Namen nennen kommen wir auch zu einer Eignungsdiskussion unter pädagogisch-didaktisch-situativen Prämissen. Was ist wann, wo, wie und für wen geeignet?
Zunächst wurde beim Lernbegriff nicht differenziert. Es gab nur Präsenzsituationen. Dann gab es Lehrbücher, später Fernunterricht, dann das Telekolleg und das E-Learning als Interaktion mit der Maschine, einem Tutor in der lernenden Gruppe und auch noch partiell synchron. Immer gab es dabei kooperativ-reflexive Formen und Frontalunterrichtsformen, wie auch in der Schule und an der Hochschule.
Gralki: „Alles was ich jahrelang Lehrenden in hochschuldidaktischen Fortbildungsveranstaltungen vermittelt habe, wird hier über Bord geworfen: Authentizität, Empathie, Körpersprache, Teilnehmerorientierung, Rhetorik, Vortragsaufbau, früher mal Foliengestaltung, dann Powerpoint.“
Da stimme ich voll zu und wehre mich gegen Nicknames und Avator im Online-Setting. Ich will mit realen Personen in die Interaktion treten.
Ich sehe aber auch, dass davon in der akademischen Präsenzlehre nur wenig im Alltag angekommen ist.
Und Powerpoint ist nun ja mit seinen Bulletpoint-Langweilereien auch nicht gerade der Weisheit letzter Schluß gewesen.
Sind Seminare mit 80 Studenten und Vortrag-Fragerunde-Schlußwort-Abläufen nun besser als online hinterlegte Thesen und Forendiskussionen oder warum halten Hochschulen an Vorlesungsorgien mit hunderten von Studenten und Anwesenheitskontrolle fest? Das kann man wahrlich auch online machen.
Was bleibt? In den Mittelpunkt sollten wir die Frage stellen, was wie besser erreicht werden kann.
Ich freue mich, dass diese Diskussion angestoßen wurde.
Ich setze mich schon seit einigen Monate mit der Problematik auseinander, dass an deutschen Hochschulen derzeit alles, was irgendwie nach E-Learning „riecht“ und damit nach Prestige und modern orientierter Lehre, freudig und vor allem schnell aufgegriffen und irgendwie in die Lehre „integriert“ wird. Die vorgebliche Inegration sieht dann aber leider häufig eher wie ein Aufpfropfen auf; als Beispiel kann der Einsatz von Twitter in der Seminargestaltung betrachtet werden.
Verstehe mich niemand falsch: Ich bin selber ein „early adapter“ und oft genug fasziniert von neuen digitalen Technologien. Gerne und oft untersuche ich, ob neue Werkzeuge die Lehre sinnvoll ergänzen oder gar erweitern können. Aber wie dass auch bereits in obigen Posts angesprochen wurde, darf man m.E. nie davon ausgehen, dass man nur das „richtige“ Tool finden müsse um urplötzlich das optimale Seminar anbieten zu können. Denn zum einen ist dieses Optimum auf Grund der Heterogenität der Studierenden unmöglich, zum anderen wird der Schmied nicht durch den Hammer zum Schmied, sondern durch sein kreatives wie handwerkliches Vermögen. Und an diesem Punkt stimme ich darin zu, dass die Möglichkeiten digitaler Information und Kommunikation sowie die damit einhergehenden Herausforderungen das kreative Potenzial Lehrender wie Lernender fördern können.
Der Begriff E-Learning mag hierin hinderlich oder förderlich sein, das ist u.a. auch von der jeweiligen Situation an einer Hochschule, Schule oder in einem Verband oder Unternehmen abhängig.
Das scheint ja wieder mal ein spannendes Thema zu sein, was die sehr guten Vorkommentatoren beweisen.
Mein erster Gedanke war, dass in der Tat der Begriff E-Learning überflüssig ist, denn ich kann nach 8 Jahren aktiver Arbeit im E-Learning den Begriff immer noch nicht einordnen. Grundlage sind zwei Beobachtungen:
1. Wo ist E-Learning in der Organisation einer Hochschule angeordnet?
Da gibts sehr viele unterschiedliche Ansätze, z.B. eine Stabstelle, Büro „Neue Medien“, Lehrentwicklung, Didaktik, im Rechenzentrum oder bei Drittmittelprojekten. Mit anderen Worten, man weiss es nicht.
2. Wer betreibt E-Learning?
Bei uns (immerhin 22 Leute) haben wir Admins, Flasher, Entwickler, Biologen, Physikalische Techniker, Maschinenbauer und andere Quereinsteiger und sogar eine gelernte Instructional Designerin aber keine „Geisteswissenschaftler“. Aber es gibt natürlich auch viele E-Learning Institute mit Pädagogen, Didakten, Psychologen, Lehrern und auf keinen fall will ich die Juristen, BWLer und Medienwissenschaftler sowie die Soziologen vergessen.
Ich denke der Begriff E-Learning ist genauso schwammig wie er in den Hochschulen angesiedelt ist. Entweder wird er seine korrekte Stelle finden oder er wird in anderen Teilbereichen aufgehen. was jedoch bleiben wird, ist die Digitalisierung der Lehre. Dozenten werden in 10 Jahren genauso selbstverständlich mit einem Lernraum und Podcasts umgehen, wie heute mit Powerpoint und einem Beamer.
Gruss aus dem Norden
Andreas
Erst mal ganz herzlichen Dank für diese rege Diskussion – mehr kann man sich auf einen Vortrag ja wirklich nicht wünschen :-).
Also, wenn ich mir die Argumente so ansehe, dann habe ich den Eindruck, dass es weniger um den Begriff des E-Learning innerhalb der Fach-Community geht als vielmehr um die Frage der Implementation mediengestützter Lehr-Lernszenarien in verschiedenen Institutionen. Was dann hieße, dass man den Begriff zu Forschungszwecken mit entsprechenden Differenzierungen als Sammelbegriff beibehalten könnte – quasi HINTER dem Vorhang. Geht es aber um Fragen der praktischen Umsetzung (Implementierungsaufgaben) gilt es, die Befindlichkeiten der jeweiligen Organisation im Blick zu haben und im Bedarfsfall andere Bezeichnungen zu verwenden – also VOR dem Vorhang eine andere, anschlussfähigere Sprache zu wählen. Das jedenfalls würde ich jetzt aus dieser Diskussion herauslesen. Oder liege ich da falsch? Wollen wir doch eher die Fach-Community auflösen? Ich hoffe doch nicht ;-).
Gabi
@ Gabi Reimann:
Nein, wir brauchen weder Neurowissenschaftler noch Soziologen, wir brauchen auch keine Psychologen zur Verbesserung der Lehre an unseren Hochschulen. Wir brauchen Fachleute die in der Lage sind, ihr Fachwissen und ihr Wissen von der Welt anderen kenntnisreich, mit Begeisterung und erfolgreich mitzuteilen.
Doch, manchmal muss man ganzen Fächern vorwerfen Unsinn zu betreiben – wäre dies nicht der Fall hätten wir heute noch Fachbereiche für Astrologie und Marxismus-Leninismus.
Ihren interessanten Beitrag von der GMW habe ich gelesen, bin aber davon enttäuscht, weil ich ihn für viel zu begriffslastig und viel zu wenig praktisch halte. Mir ist auch gar nicht klar geworden, welchen didaktischen Wert solche Lecturecasts haben sollten.
Ich hab versucht abzuschätzen, wie viele Studenten aus einer Vorlesung mit 100 Teilnehmern Lust und Muße haben, sich solch ein Podcast noch einmal anzuhören. Meine Schätzung geht auf fünf bis sechs am Anfang und 0 nach der sechsten Stunde.
Warum sollte ein Student sich das denn auch antun? Im Normalfall reichen doch seine Notizen, wenn die Vorlesung prüfungsrelevant ist.
Schließlich schimmert in Ihren Beitrag Ihre Abneigung gegen Vorlesungen zu stark durch.
Ich weiß nicht, ob Sie sich die Mühe machen können, sich meine Vorlesung einmal kurz anzusehen, doch dann würden Sie erahnen, warum eine Vorlesung dem Dozenten und den Studenten Spaß machen kann und einen erfolgreichen Lernprozess einleiten kann:
http://gralku.beepworld.de/index.htm
@ Frank Vohle: welch ein Missverständnis!!!
Mitnichten geht es um etwas, was in meinem und anderen Leuten Kopf “herumgeistert“. Vor allem geht es nicht um das Missverständnis, „E-Learning sei Powerpoint“.
Powerpoint ist das Gift moderner Lehre und wie bei jedem Gift: in Maßen und geringen Dosen ist es heilend. Im Übermaß tödlich.
Nein es geht um eine ganz simple Erkenntnis:
Akademisches Lernen ist in einem überaus hohem Maße Auseinandersetzung mit Texten und einer sich anschließenden Diskussion darüber.
Dazu liefert E-Learning so gut wie gar keinen Beitrag. E-Learning liefert Texte i.d.R. nur bei Lernenden ab und hofft darauf, dass die Lernenden sich den Text schon “irgendwie“ aneignen. Dazu aber würde ein ganz normaler E-Mail Verteiler reichen.
Die Propagierung von “Social Learning“ ist ein hilfloser Versuch, das durchaus empfundene Unbehagen, ob Texte wirklich gelernt werden, nicht übermächtig werden zu lassen. “Social Learning“ macht tatsächlich erst NACH der Erarbeitung eines Textes Sinn. Niemand kann sich z.B. über den Sinn von Mittelwerten mit anderen unterhalten, wenn er sich nicht vorher mit den Unterschieden zwischen Modalwert, Median, und arithmetischem Mittelwert ernsthaft durch Lektüre eines Lehrbuchs auseinander gesetzt hat. Wenn Laien sich darüber unterhalten, kommt es z.B. zu solch unsinnigen Meinungen, der Modalwert sie irgendwie “besser“ als das arithmetische Mittel.
E-Learning ist der falsche Kompass. E-Learning verfehlt das eigentlich Ziel: das Ziel der Wissensaneignung durch individuelles, mühsames und bei Erfolg sehr befriedigenden Lernens.
Um allerdings nicht allzu verwundbar zu sein, bin ich auch der Meinung, dass es bestimmte Bereiche gibt, in denen das alles einen Sinn macht. So beim Erlernen von Sprachen oder in einigen Bereichen der Medizin.
Ein Glück, dass Menschen verschieden sind – Studierende und Lehrende natürlich auch. Ich bin für Vielfalt und gratuliere jedem, der eine tolle Vorlesung halten kann, der ein anschauliches Multimedia-Angebot programmiert, der Studierende real und im Netz zu anspruchsvollen Diskursen anregt, der wichtige und verständliche Texte verfasst etc. Nicht jeder kann alles gleich gut, nicht jedem gefällt alles gleich gut. Würden unseren besonderen Kompetenzen und/oder unsere persönlichen Interessen und Vorlieben immer zum Königsweg erklären, dann wäre das wohl der Tod für jeden neuen kreativen Einfall und die Chance, dass er sich verbreiten kann. Universitäten sollten ein Ort bleiben, wo Vielfalt möglich ist – mit und ohne digitale Medien. Wir sollten dabei die Erfahrung der Älteren nutzen und sie nicht als veraltet abtun oder gar das Rad immer wieder neu erfinden. Gnauso wichtig aber ist es, dass man die Ideen der Jüngeren (auch der Studierenden!) respektiert und sich genauer anschaut, Experimente zulässt und nicht von vornherein immer schon alles besser weiß. E-Learning scheint mir ein Themengebiet zu sein, auf dem man gut beobachten kann, wie schwer diese Dinge offenbar sind.
Gabi
Um mal eine Lanze für den E-Learning-Begriff zu brechen. Ich stelle die These auf, dass der Begriff „E-Learning“ entscheidend zur Ausbreitung neuer Lehr- und Lernformen beigetragen hat. Das enorme Kreativitäts- und Innovationspotenzial, innerhalb der E-Learning-Bewegung kommt zu großen Teilen durch die Interdisziplinarität bzw. den fachlichen Austausch unterschiedlichster Fachexperten zustande. Die E-Learning2009-Tagung ist das beste Beispiel dafür. Exakte Begriffe gab es bereits, bevor von E-Learning gesprochen wurde, innerhalb spezifischer Fachcommunities. Den Begriff E-Learning zu verdammen, halte ich daher für eine schlechte Alternative.
Ich möchte die Diskussion mal von der unteren Stufe aufrollen: Während sich hier die Akademiker auf höchster epistemologischer Ebene über die Berechtigung oder Obsoletheit des Begriffs „eLearning“ auslassen, muss man auf der untersten Stufe, z.B. der Schule, den Begriff überhaupt erst bekannt machen und darum kämpfen, dass in Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer primitivste Grundlagen erläutert werden. Dort werden dann Referenten von dem geballten Zorn der „Kreideapologeten“ getroffen, die die jahrhundertealte Präsenz und Authentizität des Lehrervortrags verteidigen. Bevor man also den Begriff des „eLearning“ in Frage stellt, sollte man erst einmal alles daran setzen, bestimmte Gruppen aus der Lernlandschaft in Deutschland in die Nähe dieses Begriffes zu bringen. Das gilt ja nicht nur für die Schule. Suchen Sie doch mal die Schnittmenge von „Philologie“ und „eLearning“ in Deutschland. Sie heißt „Kiel“ bzw. Prof. A. Meier. Okay, etwas übertrieben, aber nicht viel. Aus der Sicht der unteren Stufen des Systems, z.B. Schule, kann die Perspektive nur heißen: bietet uns möglichst viele Werkzeuge an, aber bitt schön als open access, dann können wir sehen, was wir daraus didaktisch etc. machen können. Versuchen Sie mal, einen Deutsch LK über web 2.0 auf das Zentralabitur vorzubereiten, dann merken Sie, dass im Bereich „eLearning“ noch vieles fehlt. Andererseits ist das, was vorhanden ist, eine unglaublich tolle Bereicherung.
Begriffe kommen und gehen. So wird es auch mit dem E-Learning-Begriff sein. Ich halte die Diskussion um den Begriff für einen Nebenkriegsschauplatz. Meiner Ansicht nach geht es um den ins Stocken geratenen Entwicklungsfluss medienpädagogischer Innovationen, wie er recht gut im fünfzigsten Band der GMW-Publikation „Medien in der Wissenschaft“ dokumentiert ist. Mediengestütztes Lernen braucht eine professionelle pädagogische Einbettung, die sicherstellt, dass die Perspektive der Lernenden im Zentrum aller planerischen Aktivitäten stehen. Das E-Learning in seiner interdisziplinären Breite gibt in dieser Hinsicht nicht genügend Orientierung. Ich habe diese Perspektive etwas ausführlicher dokumentiert in einem Auswertungsbericht zur GMW-Tagung: http://www.mediendidaktik.org/2009/09/27/eine-renaissance-der-hochschuldidaktik-gmw2009/
Beste Grüße
Wolfgang