76 Kommentare in zwei Tagen auf einen ZEIT-Artikel – das ist durchaus beachtlich. Geschafft hat das ein Beitrag über die Studie ZEITLast, deren Ergebnisse nun in einem Buch erscheinen (Rolf Schulmeister, Christiane Metzger (Hrsg.): Die Workload im Bachelor: Zeitbudget und Studierverhalten. Eine empirische Studie. Waxmann 2011). ZEITLast möchte Transparenz in den tatsächlichen Zeitaufwand Studierender bringen und den vielen Vermutungen vor allem zum Zeitstress der Studierenden in den neuen Studiengängen objektive Zahlen entgegenhalten. Anders als viele andere Studien schätzen die Studienteilnehmer/innen ihren Zeitaufwand hier nicht retrospektiv, sondern erfassen laufend, wofür sie wie viel Zeit aufwänden.
Der Beitrag ist – wie das journalistische Texte zu speziellen Themen oft sind – stellenweise etwas unglücklich formuliert, enthält auch Fehler (Rolf Schulmeister wird zum Informatiker gemacht) und ist durch die Art der Darstellung schon etwas darauf angelegt zu polarisieren. Der wohl intendierte Effekt wurde denn auch erreicht – teilweise zeugen die zahlreichen Kommentare von erzürnten Reaktionen. Es wäre sicher ganz interessant, die Beiträge inhaltsanalytisch auszuwerten: Manche rechnen da ihr eigenes Zeitkonto nach, viele verweisen auf die (in der Studie ebenfalls festgestellten) Unterschiede zwischen Disziplinen und Fächern, einige bemängeln die Studienmethode (über die der Beitrag allerdings gar nicht viel sagt), ein paar machen auf den Unterschied zwischen Zeiterleben und faktisch gebrauchter Zeit aufmerksam (ein Punkt, der auch aus meiner Sicht sehr interessant ist) und sehr viele fühlen sich offenbar persönlich angesprochen und in der Folge massiv auf die Füße getreten.
Unabhängig von diesem Beitrag im Speziellen frage ich mich bei Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln über wissenschaftliche Ergebnisse oder Ereignisse (siehe auch die Plagiatsaffäre hier, hier und hier in diesem Blog) oft, ob die Relation zwischen dem damit erzielten Nutzen (breite Aufmerksamkeit für ein Thema) und dem potenziell angerichteten Schaden (verkürzte und/oder verfälschte – weil nicht richtig verstandene – Aussagen) noch ausreichend ausgewogen ist. Ich bin ja der Meinung, dass Wissenschaftler selbst mehr für die Verbreitung gesellschaftlich relevanter Erkenntnisse tun könnten und dies nicht nur den Journalisten überlassen sollten – digitale Medien haben dies immerhin sehr erleichtert. Allerdings – das liegt natürlich auf der Hand – erreicht man damit nach wie vor niemals eine solche Breite wie ein Beitrag etwa in Spiegel oder Zeit online. Aber drüber nachdenken könnte man ja mal.
Wasser auf meine Mühlen: „Die Studie hat sich auch zu einer Methodenkritik an Befragungen entwickelt“ (Verlagszusammenfassung).
Was ich für begründungspflichtig halte, ist, wenn ein solches Projektergebnis ausschließlich für knapp 35 EUR einsehbar ist. Vielleicht gibt es ja zum Abschluss (31.03.2012) des öffentlich geförderten Projektes (zu einem öffentlich relevantem Thema) auch einen öffentlich verfügbaren Bericht.
Einige Zahlen aus dem Projekt „ZEITlast“ sind übrigens den Vortragsfolien von Rolf Schulmeister von der Tagung „Was ist gute Lehre? Qualität in der Lehre“ an der FH Kiel zu entnehmen: http://www.fh-kiel.de/index.php?id=8125
Nicole,
danke für den Link. Das gibt zumindest einen Einblick. Auf 37 und 38 hätten m.E. Referenzen auf Jan Schmidt und Granovetter nicht geschadet.
Gestolpert bin ich auch über das (korrekte) Zitat „Selbstorganisation sei jedem jederzeit möglich“, wobei ich es als Provokation in einer Einleitung verstehe. Differenziert betrachtet ist Nichts jedem jederzeit möglich! Folie 55 finde ich klasse!