Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Vage Begriffe im Digitalisierungszeitalter

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Wenn Veranstaltungen als Blended Learning-Veranstaltungen angeboten werden, dann dürfte seit langem (ich sage mal: mindestens seit 2000) klar sein, was damit gemeint ist: ein Wechsel von Präsenz-Phasen und Online-Phasen. Ist das tatsächlich so klar? Ein genauer Blick ist durchaus lohnenswert.

Was man unter einer „Präsenz-Phase“ versteht, ist relativ eindeutig: Gemeint ist in der Regel, dass es eine Präsenz-Veranstaltung gibt, also eine Veranstaltung zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten physischen Ort, an dem sich Lernende und Lehrende treffen: Dann sind alle präsent – an einem zentralen Ort. In der Präsenz werden allerdings zunehmend auch digitale Medien genutzt, z.B. um etwas im Netz zu zeigen oder zu suchen, um Ergebnisse digital festzuhalten und online sofort verfügbar zu machen, um Artefakte aus „Online-Phasen“ zu besprechen etc. Präsenz kann also auch Online-Tätigkeiten integrieren.

In sogenannten Online-Phasen ist es zumindest an Hochschulen keineswegs so, dass damit tatsächlich nur die Zeiten und Tätigkeiten gemeint sind, die es erforderlich machen, dass Lernende im Netz sind, sich also online in irgendwelchen digitalen Räumen bewegen. Online werden z.B. Texte, Audios oder Videos angeboten, die man zwar via Netz lesen, anhören oder ansehen kann; speziell Texte aber werden oft heruntergeladen, immer noch ausgedruckt und irgendwo gelesen; auch Audios und Videos kann man sich meistens herunterladen und dann auf einem mobilen Gerät an einem Ort seiner Wahl auch offline rezipieren. Online dagegen erfolgt dann wieder meist die Ablage irgendwelcher Artefakte, die das Ergebnis von eigenständigen (individuellen oder kooperativen) Arbeiten sind, die in der „Online-Phase“ eingefordert werden. Auch hier kann es natürlich sein, dass man sich dazu im Netz bewegt, etwas recherchiert oder sich mit jemanden, der nicht vor Ort ist, digital austauscht. Aber das ist nicht zwingend. Viele selbstorganisierte Tätigkeiten in der Auseinandersetzung mit Inhalten und Aufgaben erfolgen an selbst gewählten Orten und laufen nicht online ab (außen vor lasse ich jetzt mal virtuelle Labore und andere 3D-Welten, doch selbst die verschmelzen zunehmend mit der physischen Welt). Vielleicht wäre die Bezeichnung „dezentrale Phase“ treffender als „Online-Phase“ – als Abgrenzung zum „Lernen vor Ort“ in der Präsenz?

Digitale Medien sind bereits in vielen Fällen allgegenwärtig. Blended Learning an Hochschulen bedeutet also zumeist einen Wechsel von Präsenz-Veranstaltungen und Phasen dezentralen Lernens, die mit den Zielen und Inhalten der Präsenz-Veranstaltungen in irgendeiner Form verknüpft und daher in der Regel über offene oder geschlossene Aufgaben angeleitet und darüber hinaus begleitet sind (etwa in dem Sinne, dass es in den dezentralen Phasen auch Feedback gibt). Digitale Medien haben ausgeprägte dezentrale Phasen des Lernens in einer neuen Qualität möglich gemacht (durch Online-Ressourcen, Online-Kommunikation und -Feedback, natürlich auch durch Virtual Reality), bereichern aber zugleich Präsenz-Veranstaltungen auf unterschiedliche Weise. Von daher ist der Begriff „Online-Phase“ vermutlich inzwischen irreführend, suggeriert unnötigerweise, dass man dabei ständig vor einem Bildschirm sitzt und lässt außer Acht, dass digitale Medien ohnehin stets da, griff- und einsatzbereit sind.

Unwichtig? Nur begriffliche Kleinkrämerei? Ich denke nicht, denn immer noch ruft die Ankündigung von „Online-Phasen“ Skepsis oder unangemessene Assoziationen hervor. Zudem ist begriffliche Präzision gerade im Kontext der Digitalisierung meiner Einschätzung nach wichtig. Zu viele vage Begriffe, deren Aufmerksamkeitswert wichtiger ist als der Sinngehalt, haben da ohnehin schon lange die Oberhand.

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