Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Gründe für diffuse Reaktanz

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Wissenschaftler in ihrer Rolle als Hochschullehrer haben nicht selten ihre Probleme mit der „Kompetenzorientierung“ – vor allem im Rahmen der Gestaltung ganzer Module und Studiengänge. Die wachsende Dominanz von Lehrzieltaxonomien, deren behavioristische Provenienz und Färbung inzwischen auch in bildungswissenschaftlichen Beiträgen (siehe dazu hier) kritisch beleuchtet werden, ebenso wie die für verschiedene Wissenskulturen unsensible Pauschalforderung nach unmittelbar praktisch nutzbaren und messbaren Lernergebnissen werden aus ganz verschiedenen Gründen skeptisch kommentiert oder auch abgelehnt.

Praktisch tätige Hochschuldidaktiker sowie Vertreter von Hochschulmanagement und Hochschulpolitik beklagen zudem, dass es neben kritischen Argumenten häufig emotionale Abwehrhaltungen und diffusive Reaktanz gegenüber der Kompetenzorientierung unter den lehrenden Wissenschaftlern gäbe – gerne gepaart mit dem Hinwies, dass sich das dann eben auch einer sachlichen Auseinandersetzung entziehe. Allerdings, so meine Überzeugung, sollte man Abwehr und Reaktanz gegenüber der Kompetenzorientierung gerade wegen emotionaler und diffuser Beschaffenheit nicht vernachlässigen, sondern ernst nehmen, denn: Auch das wird einen Grund haben. Einen möglichen Grund möchte ich kurz beleuchten, weil mit diesem die Idee für eine Alternative verbunden ist.

Orientiert man sich am humanistischen Ideal einer Bildung durch Wissenschaft, wie sie mindestens seit Humboldt in verschiedenen Variationen formuliert worden ist, dann sind Lehrende nicht für die Studierenden, sondern Lehrende und Studierende für die Wissenschaft da. Die dominante Ausrichtung auf die Frage, welche Kompetenzen – vor allem mit Blick auf den Arbeitsmarkt – die akademische Lehre fördert soll, sowie die damit verbundene Aufforderung, diese in möglichst prüfbare Lernergebnisse zu transformieren, führen dagegen zu einer Zentrierung der Lehre und der Lehrende auf die Studierenden (und deren Kompetenzentwicklung). Indem die Wissenschaft damit aus dem Kalkül fällt, bewegt man sich von der Idee bzw. vom Wesen der Universität weg. Dass sich das „wesensfremd“ anfühlt (und man emotional, wenn auch diffus) genau darauf reagiert, ist im Prinzip nachvollziehbar. Die Frage dürfte folglich nicht lauten: Wie kann Lehre bestimmte (von der Gesellschaft geforderte) Kompetenzen der Studierenden sicherstellen? Vielmehr müssten wir Fragen stellen wie: Was kann Lehre leisten, damit Studierende Zugang zur Wissenschaft finden? Was können Studierende – im besten Fall zusammen mit Lehrenden – zur Wissenschaft beitragen?

Natürlich ist heute lehrenden Wissenschaftlern in der Regel klar, dass nur ein kleiner Bruchteil der Studierenden in der Wissenschaft verbleiben wird. Und ebenso selbstredend machen sich viele Wissenschaftler Gedanken darüber, welchen Beitrag die Wissenschaft für die Gesellschaft leistet. Damit ist auf keinen Fall nur der unmittelbare Nutzen gemeint, der sofort praktisch wirksam wird; denkbar ist hier vieles – auch der indirekte Nutzen über das Wissen und Können, das Studierende als Absolventen in die Welt (Wirtschaft, Politik, Kultur, Bildung) außerhalb der Wissenschaft tragen – eine Welt, die zunehmend von der Wissenschaft beeinflusst wird bzw. von der Wissenschaft erwartet, dass sie die Gesellschaft darin unterstützt, in ihrer humanen Entwicklung voranzuschreiten.

Meine These ist nun: Über den scheinbaren „Umweg“ der Wissenschaft als gemeinsames Ziel von Lehrenden und Studierenden ließe sich die Frage nach dem Beitrag für die Gesellschaft – auch in Form von Wissen, Können und Haltungen seitens der Absolventen (=Kompetenzorientierung) – an der Universität „wesensnäher“ behandeln als über den aktuellen, psychologisch und politisch begründeten, Imperativ der Kompetenzorientierung. Gleichzeitig würden eine solche Perspektive und Vorgehensweisen den Gedanken der Wissenschaftsdidaktik aufgreifen (können), dass nicht nur Forschung auf die Lehre wirkt, sondern auch Lehre Auswirkungen auf die Forschung haben kann und soll, denn: Über die Reflexion, was Lehrende und Studierende für die Gesellschaft über die Wissenschaft leisten, sind auch kritische Rückbezüge auf Forschungsfragen und -methoden prinzipiell denkbar.

Ein Kommentar

  1. Ich lese gerade Andreas Gelhard „Kritik der Kompetenz“ (2018, diaphanes, 3. Aufl.), der den alten Begriff der Psychotechnik nutzt, um das das Verhalten steuernde Anliegen der Kompetenzorientierung zu unterstreichen. „Wo Psychologie nicht unmittelbar zur Optimierung von industriellen Produktionsprozessen eingesetzt wird, modelliert sie ihr Anwendungsfeld nach dem Vorbild solcher Prozesse und erklärt Persönlichkeitsausprägungen zum Produkt von Bildung“ (S 116). Ich sehe da interessante Parallelen zur Kritik der sozialen Medien, die Jaron Lanier jüngst in „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“ (2018, Hoffmann und Campe) vorgebracht hat, auch ihm geht es um das Problem der Verhaltenssteuerung. In beiden Fällen scheint der einzige Ausweg eine Rückbesinnung auf einen Grund des sozialen Miteinanders zu sein, der zweckfrei ist bzw. der sich stets neu zu befreien mag von manipulativen Absichten. In der (Hochschul)Bildung kann dies vermutlich am besten die Idee von „Bildung durch Wissenschaft“ leisten. Das passt zu Ihrer These.

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