Auslaufmodell Vorlesung oder Chance einer Renaissance?

iTunes U – das war ein Beitrag in diesem Blog, der vergleichsweise viele Kommentare provoziert hat, weshalb ich an der Stelle mal zusammenfassen will, welche Aussagen mir aufgefallen sind, und überlegen will, welche Folgerungen ich daraus ziehe.

Ausgangspunkt ist die Vorlesung, die in aller Regel in einem Monolog besteht, den man heute mit Folien begleitet, die allerdings nicht wenigen Studierende inzwischen auch schon zum Hals raushängen (was ich verstehen kann). Die erste Grundsatzfrage ist nun die, ob wir diese Veranstaltungsform überhaupt noch wollen oder ob wir sie mangels deutlich erkennbarer Wirkungen nicht ganz einstellen sollten. Wenn ich mir die Modulhandbücher von neuen BA- und MA-Studiengängen ansehe und an den Zustrom der Studierenden in den kommenden Jahren denke, bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob wir uns diese Grundsatzfrage überhaupt noch stellen können, oder ob nicht die Realität ohnehin schon den Weg in Richtung „mehr Monologe“ geebnet hat – schlicht aus Ressourcengründen. Man kann diese Grundsatzfrage aber auch nutzen, um zu überlegen, unter welchen Bedingungen Zuhören doch einen Lerneffekt haben kann. Warum sollte ich nicht etwas lernen können, wenn mir jemand was erzählt, der mehr Wissen und Erfahrung hat? An sich ist das ein alltäglicher Vorgang – ich lerne von anderen, und zwar durchaus auch, wenn andere mir etwas erklären. An der Stelle kann man sich fragen, ob das Zuhören denn einen Vorteil gegenüber dem Lesen hat: Warum nicht gleich ein gutes Lehrbuch statt einer Vorlesung? Nun ja, oft genug ist es ja so, also dass Studierende, falls es passend zur Vorlesung ein Lehrbuch gibt, dieses vorziehen. Von daher gilt für mich: Wenn es einen guten Studientext, ein Lehrbuch oder ähnliches gibt, dann ist es wohl wenig sinnvoll, das Ganze nochmal „vorzulesen“. Und wenn das nicht gibt? Ja, wenn es das nicht gibt, wenn man statt dessen z.B. eine Sammlung verschiedener Texte aus verschiedenen Quellen hat (also das, was man gemeinhin einen „Reader“ nennt), dann kann es natürlich wieder extrem nützlich sein, wenn ein Lehrender mit dem, was er erzählt, die Lernenden durch diese Inhalte führt, ihnen Orientierung gibt in der Fülle an verfügbaren Informationen, die ein Reader und natürlich überhaupt Bibliotheken und digitale Ressourcen zu einem Themengebiet hergeben. Dann kann ein Vortrag quasi navigieren und der Lernende nutzt dann die Texte, um das Gehörte zu elaborieren. Hier nun stellt sich die Frage, wie man das macht, damit auch zugehört wird. Die meisten Kommentatoren waren sich einig, dass ein 90-minütiges aufmerksames Lauschen mehr als unwahrscheinlich sein dürfte. Ob es nun unbedingt die 15 bis 20 Minuten Podcast-Länge sein muss, oder ob auch 30 oder 40 Minuten möglich sind, wenn es sich um ein LERNangebot handelt, sei mal dahingestellt. Ich denke, das müsste man ausprobieren. Wenn man das ausprobiert, ja, dann kostet das eine ganze Menge Zeit und dann kann man sich als Lehrender NICHT auch gleichzeitig noch in den Hörsaal stellen und dasselbe nochmal in 90 Minuten erzählen. Es würde wohl ohnehin kaum jemand kommen.

Eine weitere Frage ist die, ob man solche Audio-Angebote als Nutzer „bearbeiten“ können soll: also verschlagworten, Fragen stellen (und dann logischerweise auch Antworten bekommen), kommentieren, natürlich auch beliebig anhalten und zu bestimmten Stellen „springen“ usw. Das hört sich zunächst einmal sinnvoll an, denn ein aktiver Umgang mit den Inhalten ist selbstverständlich gegenüber der reinen Rezeption zu bevorzugen. Aber vielleicht ist es doch nicht so einfach? Meine Beobachtung ist, dass es offenbar gar nicht so selbstverständlich ist, zusammenhängende Argumente zu verstehen, richtiggehend „mitzudenken“ und für sich nachzuvollziehen, worum es geht und was wichtig ist etc. (das ist schlicht anstrengend!). Um das aber hinzubekommen, muss man mal an einem Stück zumindest eine Zeitlang zuhören. Springen kann ich ja nur zwischen „Informationshappen“, bei denen es egal ist, was jeweils vorher war und was nachher kam. Aber genau das ist bei komplexeren Gedankengängen ja durchaus nicht immer der Fall. Man müsste also schon sehr genau überlegen, wo man das will und wo es zielführend ist: Das Springen von einer Stelle zur nächsten. Ähnlich ist das mit dem Fragen und Kommentieren – mal unabhängig davon, dass man bei einem frei zugänglichen Angebot von keinem Lehrenden verlangen kann, dass er Fragen von einer nicht kalkulierbaren Menge an Zuhörern beantwortet. Da bleibe ich bei der Position, die ich bereits in einem der Kommentare versucht habe deutlich zu machen: Man muss da verschiedene Strategien, von mir aus auch „Kanäle“ haben: offene Kanäle, auf denen man nur distribuiert, und geschlossene Kanäle, auf denen man mit einer begrenzten Anzahl an Personen auch kommuniziert. Dieser begrenzte Anzahl an Personen kann ich als Lehrende dann auch geeignete Anlässe bieten, um zu kommentieren, zu verschlagworten oder zu Inhalte zu erweitern – denn dass das komplett selbstorganisiert von vielen ohnehin gemacht wird – na, mal ehrlich: Wir wissen, dass das NICHT der Fall ist.

Die letzte Gruppe an offenen Fragen und Argumenten betrifft dann letztlich den Anbieter, von dem wir hier ausgegangen sind: iTunes U ja oder nein? Nutzt man den „Ort“, wo sich junge Menschen ohnehin tummeln, oder verweigert man sich, ein Unternehmen bei seiner Marketingstrategie zu unterstützen? Ja, das ist natürlich auch eine Grundsatzfrage (ähnlich wie bei Google-Angeboten) und für beide Seien gibt es gute Argumente. Im Moment würde ICH das eher pragmatisch sehen und sagen: Ja, klar, lasst es uns nutzen. Aber ich sehe schon auch, dass man wachsam sein und genau verfolgen muss, wie sich das entwickelt und an welcher Stelle negative Effekte auftreten könnten.

Sorry, es ist ein bisschen lang geworden – aber es geht halt nicht alls in Info-Happen 😉

iTunes U und die Hoffnung aufs Zuhören

Viele haben heute in ihren Blogs bereits auf iTunes U hingewiesen (z.B. Helge) – aus gutem Grund, denn nun sind auch deutsche Universitäten mit Audio-Mitschnitten von Vorlesungen, Podcasts u.a. online. Ich finde es in jedem Fall sehr schlau, bestehende, gut funktionierende Systeme (wie iTunes) zu nutzen, und für die Bildung kann es grundsätzlich nur gut sein, wenn wir auf diesem Wege viele „Open Educational Resources“ (siehe z.B. die letzte GMW-Jahrestagung) erhalten.

Wer aber mal in die eine oder andere Vorlesung reinhört (z.B. aus dem LMU-Angeboten, die zu unserem Fach passen, etwa hier unter Psychologie und Pädagogik), kann schon mal ins Gähnen verfallen (bei meiner Vorlesung sehen die Studierenden in der Regel auch nicht sonderlich wach aus – von Ausnahmen einmal abgesehen – das wäre als Audio-Angebot sicher nicht besser). Es ist ja schon anstrengend genug, wenn man im Hörsaal ist – aber 90 Minuten ohne visuelle Unterstützung zuhören – ich weiß nicht so recht. Da müsste man die Vorlesungen schon aufbereiten zu maximal 30-minütigen ausgefeilten Reden, die man auch mit Gewinn anhören kann. Dazu braucht man dann aber ein ausgearbeitetes Manuskript, und wenn man das ohne visuelle Unterstützung gut machen will, dann dauert das (also dann muss die Argumentation wirklich passen) – das kann man nicht leisten mit dem Stoff einer ganzen Vorlesung. Da sind denn doch z.B. besprochene Folien noch besser, wie sie Michael Kerres anbietet (hier der dazugehörige Blogbeitrag).

Ich denke, da haben wir noch ein weites Forschungs- und Entwicklungsfeld vor uns, wobei ich nicht nur die Frage der Effekte auf das Lernen, sondern auch die Herausforderung wichtig finde, wie man das als Lehrender einigermaßen effizient hinbekommt. Mit Aufkommen des Blended Learning (was ja nun schon eine Weile her ist), habe ich zwei Vorlesungen eingestampft, stattdessen Studientexte geschrieben, die ich den Studierenden online zugänglich mache und auf verschiedene Art und Weise bearbeiten lasse. Aber Zuhören ist natürlich überhaupt nicht generell schlecht – im Gegenteil. Nur ist es alles andere als leicht, Menschen zum Zuhören zu bringen. Immerhin: Die jetzt gestarteten ersten deutschen Angebote liefern dazu ja nun einen guten Anlass (zur Forschung und zu neuen Ideen).

Podcast zum informellen Lernen

Am E-Learning Center der Universität Zürich ist im Sommer 2008 eine Podcast-Folge zum Thema „Informelles E-Learning an Hochschulen“ erstellt und nun zum Abschluss gebracht worden. Eine Übersicht der Beiträge wird jetzt in einem Podcast-Kompass (inf-podcast_kompass) zu Verfügung gestellt. Der Podcast findet sich hier und kann hier abonniert werden. REinhören lohnt sich betsimmt. 🙂

Kinderuni-Podcast: Folge 7 von Suni und Partner

Es hat diesmal lange gedauert (und es gibt Gründe dafür): Aber jetzt ist sie da, die neue Folge von „Suni & Partner“ – dem Kinderuni-Podcast der Uni Augsburg, den studentische Mitarbeiter bei uns vor einiger Zeit auf die Beine gestellt haben. Die neue und inzwischen 7. Folge heißt “ Die Stimmen des Phantoms“ und kann wie immer kostenlos hier heruntergeladen werden. Es gab Änderungen in der Besetzung und der Anspruch des Teams steigt … hoffentlich nicht ins Unermesslich 😉

Lifetime Podcasting

Martin Ebner macht in seinem Blog (hier) auf den kleinen Band: Lifetime Podcasting, herausgegeben von M. Ebner, M. Raunig, W. Ritsch & S. Thallinger im Verlag der Technischen Universität Graz, aufmerksam. Das Werk wird auch online publiziert werden und wer Interesse hat, kann bei Martin anfragen – hab ich gemacht und es ist kein leeres Versprechen!

Die knapp 70 Seiten sind schnell gelesen. Was mir gefallen hat, ist vor alle die realistische Einschätzung der didaktischen Potenziale von Podcasts und Podcasting von Autor/innen, die diesbezüglich nicht aus dem hohlen Bauch heraus (also allein theoretisierend) das Thema behandeln. Was mich an sich wundert ist, dass beim Thema Podcasting/Podcasts bisher kaum ein Bezug zum Thema Narration (im Sinne von: Prozess des Erzählens und Geschichte als Produkt) hergestellt wird. Auch ein Mehr an Empirie wäre sicher wünschenswert – da haben wir also durchaus noch einiges zu tun in der E-Learning-Forschung.

Einer der Texte beklagt, dass Podcasts (als Produkt) im Vergleich zu anderen E-Learning-Angeboten eher ein Rückschritt darstellt, weil Linearität und vorproduzierte Inhalte genau nicht aktiv-konstruktives Lernen fördern würden. Ja, schon wahr, aber wer Lehre macht, weiß auch, dass die Kapazität der Lernendne für umfangreiche selbstgesteuerte Aktivität beim Wissenserwerb schnell erschöpft ist und ein Wechsel von aktiven und rezeptiven Phasen die einzig sinnvoll Möglichkeit darstellt, mit der verfügbaren Lernzeit effizient umzugehen.  Der bloße Mitschnitt von Vorlesungen wird allerdings von mehreren Autor/innen eher kritisch gesehen; ein bedenkenswertes Pro-Argument jedoch ist der Nutzen für ausländische Studierende, die auf diesem Wege die Chance haben, nicht Verstandenes noch einmal anzuhören. Mandy schließlich trifft in ihrem Text „Podcasting – Educating the Net Generation!?“ mit einem Zitat von Christoph Mayer den Nagel auf den Kopf, wenn es um die Effekte von Vorlesungs-Mitschnitten auf den Lehrenden geht: Die Situation für den Lehrenden im Hörsaal ändert sich nämlich schon gewaltig, wenn er weiß, dass alles aufgenommen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. So manche Äußerung zu einem tagesaktuellen oder (hochschul-)politischen Geschehen würde auch ich dann wohl eher herunterschlucken, um nicht Gefahr zu laufen, dass eine vielleicht ironisch gemeinte Bemerkung plötzlich aus dem Zusammenhang gerissen und einem irgendwo wieder präsentiert wird. Dann schon lieber ein eigens produziertes Podcast 😉