Es lohnt sich!

Nun ist es schon über ein Jahr her, dass ich in einem Blogbeitrag (hier) über das Format „Forschungskooperation“ der Zeitschrift „Erwägen – Wissen – Ethik“ (EWE) berichtet habe. In diesem Beitrag habe ich die Phasen der in dieser Zeitschrift neu erprobten „Forschungskooperation“ vorgestellt. Es sind insgesamt fünf und wir sind nun bei der letzten Phase angekommen. Abgeschlossen werden soll das Projekt im Februar 2013; erscheinen wird das Heft dann voraussichtlich im März 2013. Ich möchte an der Stelle nochmals diese fünf Phasen darstellen und kurz kommentieren, wie ich diese erlebt habe.

Forschungsprozess I: „Auftakt“. Dabei handelt es sich um den Ausgangsartikel, der deutlich länger ist als der übliche Zeitschriftenartikel und bis zu 90.000 Zeichen umfassen kann.

Über diesen Text, der die Möglichkeit einer interdisziplinären Vermittlungswissenschaft behandelt, habe ich vergleichsweise lange gesessen und dabei auch viel mit mir gerungen. Mir war bewusst, dass der Akzent der Vermittlung eine Art Querschläger ist und möglicherweise als Angriff auf Lerner- und Kompetenzorientierung empfunden werden kann. Ich habe eine gekürzte Fassung auch auf dem Kongress der DGFE in Osnabrück vorgetragen und hier über meine Erfahrungen berichtet.

Forschungsprozess II: „Weiterführung“. Dies sind im weitesten Sinne Stellungnahmen und Kritiken, die allerdings vor allem diskursiv gestaltet, also darauf ausgelegt sind, den im Hauptartikel begonnen Prozess fortzuführen.

An dieser Weiterführung haben sich 23 Autoren mit insgesamt 21 Texten beteiligt, die ganze 52 sehr dicht bedruckte Seiten ergeben haben. Ich muss sagen, das war eine völlig neue und höchst interessante, auch lehrreiche Erfahrung für mich. Die Beiträge stammen von Personen aus verschiedenen Disziplinen, waren sehr unterschiedlich gestaltet und umfassten auch eine große inhaltliche Breite. Ich habe aus den Texten gute Erweiterungsideen ebenso wie nachvollziehbare Kritikpunkte entnehmen können; manche Passagen konnte ich schwerer verstehen und bei einigen wurde mir mal wieder klar, wie oft wir doch Missverständnisse auch unter Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Gründen produzieren.

Forschungsprozess III: „Zwischenfazit“. Das Zwischenfazit übernimmt wieder der Autor des Hauptartikels (also eine Art Replik) und stellt eine weitere Station im Forschungsprozess dar.

Auch dieses Zwischenfazit ist bereits verfasst; es ging im Sommer an die 23 Autoren der Weiterführung. Das Zwischenfazit habe ich für eine Art Inhaltsanalyse der Texte genutzt wie auch dazu, einige meiner Vorstellungen und Ziele zum Thema Vermittlungswissenschaft zu revidieren.

Forschungsprozess IV: „Synopse“. Gemeint ist damit eine Art Wissenschaftsmediation des bisherigen Diskurses seitens der Herausgeber (bzw. einzelner Personen aus dem Herausgeberteam), in dem vergleichende Betrachtungen, Systematisierungsvorschläge und offene Fragen zusammengestellt werden.

Auch dieser Text – nämlich von Bettina Blanck – liegt nun allen Beteiligten an der Forschungskooperation seit ungefähr drei Wochen vor. Die „Erwägungssynopse“ sprengt in hohem Maße meine Erwartungen – vom Umfang her (sie ist fast sechs Seiten länger als der ohnehin schon recht umfangreiche Auftaktartikel) wie auch im Hinblick auf die Intensität der Auseinandersetzung mit dem Auftakt und der Weiterführung. Insbesondere zeigen mir dieser Text und dessen Perspektive noch einmal, wie begrenzt man oft in seiner eigenen Auffassung ist, die sich dann auch bei der Rezeption der Texte anderer Autoren breit macht.

Forschungsprozess V: „Bilanz“. In dieser Phase haben alle am Forschungsprozess Beteiligten die Möglichkeit, auf der Basis aller fertig gestellten Beiträge aus den Forschungsprozessen I bis IV noch einmal Stellung zum gesamten Prozess zu nehmen und eine Bilanz zu ziehen.

In dieser Phase nun sind wir aktuell: Jeder Beteiligte hat jetzt noch bis Februar Zeit, eine kurze Bilanz zu ziehen. Ich möchte das auf jeden Fall noch in diesem Jahr tun.

Wenn die „Forschungskooperation“ abgeschlossen ist, möchte ich den gesamten Prozess noch einmal genauer reflektieren, den ich unabhängig vom Thema, das ich gewählt hatte, äußerst fruchtbar finde. Das Prozedere ist zugegebenermaßen lang und aufwändig und man muss schon Zeit dafür freischaufeln – aber es lohnt sich! Das neue Format „Forschungskooperation“ der Zeitschrift EWE sticht aus allen mir bisher bekannten Prozessen des Austausches und der gegenseitigen Kritik deutlich hervor und bietet aus meiner Sicht und nach meinen bisherigen Erfahrungen ein großes Potenzial für den einzelnen Wissenschaftler wie auch dafür, ein Thema voranzubringen. Schade nur, dass das alles nicht offen zugänglich ist.

Was kann man an Kompetenzen schlecht finden?

Gerade ist das neue Heft der Zeitschrift für Hochschulentwicklung (Online-Zeitschrift) erschienen. Es trägt den Titel „Kompetenzen, Kompetenzorientierung und Employability in der Hochschule“ und wird herausgegeben von Niclas Schaper (Paderborn), Tobias Schlömer (Oldenburg) und Manuela Paechter (Graz). Ich habe bisher nur das Editorial gelesen und mir einen Überblick über die Beiträge verschafft, die eine gute Mischung aus grundsätzlichen und beispielhaften Texten zum Titel-Thema bereitstellen. In der Einführung verweisen die Herausgeber zunächst auf die Ziele eines Hochschulstudiums. Dieses soll dazu beitragen, dass Absolventen am Ende wissenschaftlich denken und arbeiten sowie wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden anwenden können. Des Weiteren sollen als Vorbereitung auf ein berufliches Tätigkeitsfeld Problemlösekompetenzen aufgebaut und zudem die Persönlichkeitsbildung (also soziale und personale Schlüsselkompetenzen) gefördert werden. Studium und Lehre sollen vor diesem Hintergrund kompetenzorientiert gestaltet werden; das heißt: Im Zentrum steht die Befähigung zum Handeln, und das muss man dann natürlich auch in jedem Curriculum berücksichtigen.

Diesem Tenor schließen sich auch die anderen Beiträge an – jedenfalls kann man das den Abstracts entnehmen. Und natürlich: Warum sollte man sich dem nicht anschließen? Was kann man an Kompetenzen schlecht finden? Alle wollen wir doch Absolventen, die nicht nur etwas wissen, sondern auch etwas können und Einstellungen haben, die erkennen lassen, dass sie eine Wissenschaft studiert haben. Beim Lesen von Beiträgen zum Kompetenzthema beschleicht mich trotzdem immer so ein zwiespältiges Gefühl. Es stören mich mehrere Dinge, ohne dass ich wirklich genau explizieren könnte, was es ist, das mich stört:

  • Vielleicht stört mich der implizit in der „neuen“ Kompetenzorientierung steckende Vorwurf, vor der Kompetenzwelle hätte niemand Interesse am Handeln gehabt, was man so sicher nicht stehen lassen kann.
  • Vielleicht stört mich aber auch die mit der Kompetenz- und Output-Orientierung verbundene (scheinbare oder tatsächliche?) Abwertung der Inhalte bzw. der Sache, mit der man sich in einem Studium beschäftigt bzw. beschäftigen sollte.
  • Damit zusammenhängend stört mich vielleicht auch die sich bei mir einschleichende Befürchtung, dass man in einem „kompetenzorientierten Studium“ vor allem um sich selber kreist und sowohl Inhalte als auch andere Personen letztlich nur Mittel zum Zweck (welchen genau?) werden.
  • Vielleicht stört mich darüber hinaus ein impliziter Widerspruch, nämlich der zwischen der Behauptung, dass nun alles Interesse an den Kompetenzen hafte, die als Dispositionen allerdings nicht direkt erkennbar sind, und der Forderung, alles Augenmerk plötzlich auf das sichtbare Verhalten zu lenken, das ja allenfalls ein Indikator für eine Kompetenz sein kann.

Na ja, jetzt habe ich es doch noch expliziert, was mich stört; aber es fehlen mir noch die Worte, das richtig gut zu begründen. Damit will ich die zahlreichen Beiträge zur Kompetenzorientierung keinesfalls pauschal abwerten. Ich frage mich aber, ob wir nicht genauer hinschauen sollten, was uns diese Diskussion etwa für die didaktische Gestaltung des Studiums bringt und welche versteckten Botschaften damit ausgesendet werden, die mitunter nicht (mehr) ganz konsistent oder womöglich auch schädlich sind.

Auf dem Weg zu einer Plagiatsphobie?

Politiker, die beim Verfassen ihrer Dissertationen eindeutig abgeschrieben haben, verursachen wahrscheinlich vor allem Kopfschütteln – auch unter Doktoranden. Politiker jedoch, die beim Verfassen ihrer Doktorarbeit wahrscheinlich abgeschrieben haben, vielleicht aber auch (zusätzlich oder stattdessen?) „nur“ nicht ordentlich gearbeitet haben und (tatsächlich oder gespielt – wer kann das schon beurteilen) überzeugt vertreten, keine Täuschungsabsichten gehabt zu haben, machen eher Angst (ich glaube, es reicht hier einer der vielen Links zu den Online-Medien, z.B. hier). Sie machen Angst, weil die Frage naheliegt: Kann es passieren, dass man plagiiert, ohne es zu merken? Vor einem Jahr noch hätte ich gesagt: nein, weil ich vor allem das „klassische Plagiat“ – also wörtliches Abschreiben oder Übernahme mit leichten Veränderungen ohne Quellenangabe – im Kopf gehabt hätte. Und das ist nichts, was einem aus Versehen passiert. Inzwischen aber sind einige medienwirksame Plagiatsfälle und Dokumentationen in Wikis doch so, dass ich ins Zweifeln komme. Im letzten Doktorandenkolloquium in der vergangenen Woche haben wir uns daher (unter anderem) mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Ich formuliere die Ursache von Sorgen und Ängsten auch redlich arbeitender Doktoranden mal in Form einiger Fragen:

1. Was ist mit eigenen Arbeiten, die bereits vor und während der Promotion entstehen, die man z.B. schon auf Tagungen vorgestellt hat und in die Dissertation einfließen werden? Mache ich mich damit des Plagiats verdächtig?

2. Was ist mit Verweisen auf Bücher, auf die man den Leser hinweist, weil da ein Thema ausgeführt wird, auf das man selbst nicht näher eingehen will – muss man das komplett gelesen haben? Ist das Plagiat, wenn ich es angebe, ohne es bis ins letzte Detail zu kennen?

3. Was ist mit Konzepten und Begriffen, die in einer Fach-Community bereits zum Allgemeingut geworden sind. Darf ich die überhaupt noch verwenden, ohne jemanden zu zitieren, um nicht in den Verdacht des Plagiierens zu kommen?

4. Was ist mit Gedanken, die ich tatsächlich selbst habe, die man aber dann doch irgendwann in einem anderen Buch auch findet? Was, wenn ich es tatsächlich irgendwo gelesen, aber vergessen habe und nach Jahren der Lektüre nicht mehr erkenne, ob da etwas nicht komplett mein eigener Gedanke ist? Bin ich dann ein Plagiator?

Ich denke, bei solchen Fragen wird es eben nicht mehr so leicht, Urteile zu fällen, wie es in den Medien Usus geworden ist. In einem Zeit-Artikel vom Juni 2012 bezeichnet (hier) eine Gruppe von Wissenschaftlern die öffentliche Plagiatssuche als „unwürdiges Spektakel“. Der Beitrag enthält (bei aller Kritik an einigen der Ausführungen in diesem Text) den aus meiner Sicht folgenden richtigen Gedanken: „… welcher Umgang mit Texten, Gedanken und Argumenten in der Wissenschaft als ´Plagiat´ zu gelten hat, versteht sich nicht von selbst.“

Und wie ließen sich dann also die obigen Fragen beantworten?

1. Es gibt sogenannte „Selbstplagiate“; das ist fast schon ein eigenes Thema. Hier gibt es Widersprüche: Es kann nicht alles neu sein in einer Dissertation, wenn gleichzeitig auch gefordert wird, dass man als Doktorand Tagungen besucht und dort den Stand seiner Arbeit vorstellt und im Bedarfsfall auch publiziert. Lösung: Immer alles angeben, was man schon publiziert hat und auch darauf verweisen, wenn man das in der Dissertation wieder verwendet. Wichtig ist, dabei nicht zu verschleiern, dass man hier schon mal etwas veröffentlicht hat (zu diesem Thema siehe z.B. auch hier).

2. Ich glaube, es ist ein wenig verlogen, wenn jemand sagt, er habe nicht nur alle Aufsätze, sondern auch alle Bücher bis in den letzten Winkel gelesen, die im Literaturverzeichnis einer Dissertation stehen. Insbesondere, wenn man sich auf einem Gebiet bereits auskennt, kann es gut sein, dass man nur ein Kapitel aus einem Buch gelesen hat, das eben subjektiv Neues geboten hat. Und wenn der Fall eintritt, dass man ein Thema erwähnt, das man genau NICHT eingehender behandeln will, und dazu ein Buch kennt und sich vergewissert hat, dass es etwas taugt, dann darf man den Leser aus meiner Sicht gerne darauf verweisen, dass er da noch mehr Infos findet – auch ohne es ganz gelesen zu haben.

3. Wann etwas in der Fachwelt schon so bekannt, belegt, begründet etc. ist, dass es Allgemeingut geworden ist, dürfte die wohl schwierigste Frage sein. Ich meine, um da eine wirklich gute Antwort geben zu können, müsste man das jetzt mal mit Beispielen durchspielen. Das wäre ein eigene Blogbeitrag oder noch besser: Darüber sollte man mal einen Artikel schreiben.

4. Ob jemand im Moment gerade den gleichen Gedanken hat, den ich habe? Sicher! Aber wahrscheinlich nicht in exakt gleicher Form sprachlich umgesetzt, wenn denn der Gedanke auch artikuliert wird. Aber ist es ausgeschlossen, dass es zumindest ähnlich ist? Nein, ist es nicht! Und es kommt ja auch vor, dass man nach dem Verfassen eines Textes noch geeignete Quellen findet, die Argumente beinhalten, die denen ähneln, die man selbst verwendet hat. Wenn da der Plagiatsverdacht zu einer Plagiatsphobie wird, die dazu führt, dass man sich nicht mehr traut, selbst zu denken (ohne hinter jedem Gedanken eine Quellenangabe zu machen), dann wird das langfristig auch der Wissenschaft schaden. Darüber sollten wir vielleicht mal reden …

Und um eine Kritik zu diesem Blogpost gleich vorzubeugen: Ich befürworte natürlich keine Plagiate! Aber ich merke auch, dass die auf jeden Fall fällige Diskussion zu einzelnen (sicher speziellen) Fragen führt, die nicht einfach zu beantworten sein werden und bei denen wir uns dann auch nicht mit allzu einfachen Antworten zufrieden geben sollten.

 

Keine leichte Aufgabe

Im Sommer habe ich das Buch von Stephen Frank mit dem Titel „eLearning und Kompetenzentwicklung. Ein unterrichtsorientiertes didaktisches Modell“  gelesen und dazu eine Rezension für die Online-Zeitschrift Medienpädagogik (hier) geschrieben. Ich habe das Buch mit Interesse gelesen und hoffentlich mit meinem schriftlich festgehaltenen Eindruck einige auch dem Autor wichtige Punkte getroffen.

Rezensionen kosten ja doch immer einiges an Zeit. An sich ist es schade, dass man das so wenig macht, denn natürlich liest man anders, wenn man weiß, dass man sich zu den Inhalten schriftlich äußern wird. Wie bei einigen anderen Dingen auch, fallen diese an sich genuin wissenschaftlichen Tätigkeiten (lesen, sich Gedanken machen, sich dazu äußern, das Gelesene später weiter verwenden etc.) jedenfalls bei mir immer öfter unter den Tisch, weil sich administrative Tätigkeiten und solche, die ich mal im weitesten Sinne als Projektmanagement bezeichne, immer breiter machen. Da eine rechte Balance zu finden, ist wahrscheinlich generell keine leichte Aufgabe.

So wird das nichts

Evaluationen in der Hochschullehre sind heute Standard. Das ist an sich ein relativ neues Phänomen. Als ich studiert habe (na ja, das ist natürlich auch sehr lange her – so in der zweiten 1980er Hälfte) gab es allenfalls eine kurze Feedback-Runde am Ende eines Seminars – vielleicht. Vorlesungen wurden gar nicht bewertet. Auch später, als ich meine eigenen ersten Veranstaltungen angeboten oder daran mitgearbeitet habe, war das Ob und Wie fast ausschließlich Sache des Dozenten. Nur an und zu gab es mal „stichprobenartig“ einen Fragebogen, der seitens des Studiendekanats verteilt wurde – alle paar Jahre.

Heute hat man in Hochschulleitungen eigene Ämter geschaffen, die dafür da sind, die Qualität der Lehre zu „sichern und weiterzuentwickeln“ und damit halt auch – ja, ich nenne es mal so – zu überwachen. Dazu sammelt man Daten. Eine wichtige Datenquelle ist die Evaluation von Lehrveranstaltungen. Das hängt natürlich auch mit den Akkreditierungen zusammen. Was davon also eine aus den Hochschulen quasi von innen kommende Entwicklung und was Reaktion auf Notwendigkeiten von außen ist, lässt sich wohl schwer abschätzen. Aber um das geht es mir an dieser Stelle nicht.

Nein, mir geht es in diesem kurzen Beitrag eher darum, mal zu explizieren, warum ich bei den aktuellen Evaluationen so ein ungutes Gefühl habe. Dabei ziehe ich nicht den Sinn in Zweifel, DASS evaluiert wird. Das ist gut so. Es ist begrüßenswert, dass man über Lehre spricht, dass man versucht, sich ein Bild über die Qualität der Lehre zu machen, und wenn man dann auch noch Anstrengungen unternimmt, diese zu verbessern – wunderbar! Früher war es definitiv NICHT besser. Aber ich glaube einfach nicht (mehr), dass uns das mit den jetzt nahezu etablierten Mitteln, insbesondere nicht mit den klassischen Studierendenbefragungen, gelingt. Warum nicht?

Das erste Problem ist schon mal Folgendes: Kommuniziert wird, dass man Veranstaltungen evaluiert. Aber wenn man sich mal die üblichen Evaluationsbögen ansieht, dann werden der Lehrende, sein Lehrkonzept und dessen Umsetzung, seine Ziele und Zielerreichung und sein Verhalten, vielleicht auch ein paar Rahmenbedingungen erfasst und bewertet bzw. evaluiert. Also da fehlen mir die Lernenden! Ob eine Veranstaltung gelingt oder nicht, hängt nicht nur vom Lehrkonzept und dessen Umsetzung ab, also von dem, was sich der Lehrende überlegt hat und wie er dann handelt. Es hängt ja wohl auch von den Studierenden und davon ab, inwieweit sie sich an dem Angebot beteiligen und wie sie selbst handeln. Niemand bestreitet in der Regel, dass für gelungene Bildungsprozesse die Interaktion zwischen Lehrenden, Lernenden und der Sache, um die es geht, entscheidend ist. Der Lehrende kann daran einen großen Anteil haben, aber die Evaluation allein des Lehrenden bleibt auf halbem Wege stehen, wenn man sich ein Urteil über Lehrveranstaltungen bilden will.

Um sich von einer Veranstaltung und deren Qualität ein Bild machen zu können, das einigermaßen valide ist, müsste man an sich ganz selbstverständlich auch die Studierenden und deren Handeln in die Evaluation mit einbeziehen: Was bringen Studierende von sich aus in die Veranstaltung ein? Wie beteiligen sie sich, wie bereiten sie etwas vor und nach, wie unterstützen sie sich gegenseitig etc.?

Es ist völlig in Ordnung, dass Studierende ein Urteil über einen Lehrenden abgeben. Aber auch Studierende müssten (als Gruppe) in dem Sinne „bewertet“ werden, wie sie zum Erfolg einer Veranstaltung beitragen. Das könnte der Lehrende machen (analog zur Lehrenden-Bewertung seitens der Studierenden); besser wäre sicher ein externes Urteil, was aber freilich organisatorische Probleme aufwirft. Ebenfalls sinnvoll wäre es, dass Studierende von Zeit zu Zeit untereinander die Dynamik einer Veranstaltung und das gemeinsame Handeln einschätzen. Das heißt aber dann letztendlich: Man muss miteinander ins Gespräch kommen! Und das ist etwas ganz anderes, als Kreuzchen auf Fragebögen zu machen.

Ja, ich weiß, was jetzt für ein Einwand kommt – die Anonymität ist wichtig. Das sehe ich auch – zumindest so lange wir noch Prüfungen mit Rechtsfolgen haben. Ein Hindernis für gegenseitiges transparentes Feedback dürfte außerdem sein, wenn Evaluationen vorrangig gemacht werden, damit Akkreditierungsagenturen Ruhe gebe, wenn sie also vor allem formal das Signal aussenden sollen, dass man ja etwas für die Qualität der Lehre tut. Unter so einem Vorzeichen ist es schwierig, eine Kultur aufzubauen, die dergestalt ist, dass alle ein echtes Interesse an guter Lehre haben und jeder (!) seinen Teil dazu beiträgt: Lehrende und Studierende.

Aber ich fürchte, die Tendenz geht in eine andere Richtung: immer mehr Evaluationen – parallel dazu immer weniger Rücklauf, weil Studierenden freilich schon langsam die Nase voll davon haben, Fragebögen auszufüllen; immer mehr Daten – parallel dazu immer weniger Ideen, was man damit eigentlich genau anfangen soll; immer mehr zentrale Vorgaben – parallel dazu immer weniger gegenseitiges Vertrauen und Lust, sich an diesen Routinen zu beteiligen.

Also ich weiß nicht – so wird das doch nichts, oder?

Hoffen kann man ja

Hauptbeschäftigung der letzten Tage war für mich mal wieder die Prüfungskorrektur bzw. genauer: die Korrektur von Fallbearbeitungen von über 80 Studierenden (in Zweierteams). Bereits an der Universität Augsburg hatte ich mit dieser Assessment-Form gearbeitet und damit gute Erfahrungen gemacht. Die Studierenden erhalten einen kurzen Fall (wobei mehrere Fälle konstruiert werden, damit immer nur eine bestimmte Anzahl von Zweierteams den gleichen Fall erhält) und dazugehörige Teilaufgaben, die fallbezogen mit einer eher eng begrenzten Textmenge zu bearbeiten sind. Zur Bearbeitung sollen die Inhalte zweier vorausgegangener Veranstaltungen und die dort verwendeten Ressourcen (vor allem der Studientext Didaktisches Design) verwendet werden. Die Studierenden erhalten morgens die Angabe und müssen die Lösung 24 Stunden später eingereicht haben. Es gibt hier natürlich keine eindeutigen Lösungen. Zwar habe ich selbst Elemente denkbarer Musterlösungen erstellt, die mir bei der Korrektur helfen, aber je nach Argumentationsfähigkeit und Einfallsreichtum sind bei einigen der Teilaufgaben auch Ausführungen möglich, an die ich vorab nicht gedacht habe. Die Korrekturen sind daher schon ein bisschen aufwändig. Inzwischen aber brauche ich nur ca. 15 Minuten für sehr gute Arbeiten und bis zu 25 Minuten für sehr schlechte (das zur Orientierung, falls jemand das auch mal ausprobieren möchte).

Dass gegenseitig abgeschrieben wird, habe ich noch nie erlebt – es würde auch wenig sinnvoll sein. Dass dabei nur sehr gute Ergebnisse resultieren, habe ich leider auch noch nicht erlebt. Vielmehr sind die Ergebnisse in ihrer Qualität höchst (!) unterschiedlich und reichen von sehr guten Lösungen bis zu solchen, die man nicht annehmen kann.

Man sieht an den Lösungen gut, wer Fachbegriffe und Konzepte verstanden hat und diese argumentativ anwenden kann. Man erkennt auch sofort diejenigen Studierenden, die enorme sprachliche Probleme haben oder Sprache bereits kompetent als Denk- und Darstellungswerkzeug nutzen. Das kommentiere ich dann immer ausführlich mit Hinweisen, was die Studierenden versuchen sollten zu verbessern, denn: Wenn diese Dinge im ersten Studienjahr deutlich werden, hat man immerhin noch Zeit, daran zu arbeiten. Von allen schriftlichen Formen der Prüfung jenseits der Hausarbeit liefern mir diese Arbeiten meiner Einschätzung nach stets ein sehr gutes Bild über die Potenziale, aber auch über die Motivation der Studierenden. Was mich immer wieder verwundert ist, dass es auch Studierende gibt, die solche Prüfungsleistungen offenbar abgeben, ohne diese korrekturgelesen zu haben. Da schließe ich dann schon auch auf fehlende Motivation.

Da ich nächstes Jahr andere Fälle konstruieren werde (ich arbeite maximal zweimal hintereinander mit denselben oder ähnlichen), möchte ich diese hier online zur Anschauung zur Verfügung stellen. Wie ich die Lösungen korrigiere, kann ebenfalls im zweiten Dokument nachgelesen werden. Dabei bin ich übrigens dazu übergegangen, die Fehler direkt im Dokument zu kommentieren. Ob die Studierenden das auch lesen und versuchen, daraus zu lernen, weiß ich nicht. Ich hoffe halt einfach immer, dass ein paar dabei sind, die das tun, dabei erkennen, wo ihre Schwächen sind und dies zum Anlass nehmen, dagegen etwas zu unternehmen. Hoffen kann man ja …

Beispiel_Fallaufgaben_Sommer2012

Fallaufgabe_Korrekturhinweise

Die Diskussion abgewürgt?

Bereits letztes Jahr (2011) hat Wolfgang Einsiedler einen Sammelband mit dem Titel „Unterrichtsentwicklung und Didaktische Entwicklungsforschung“ herausgegeben. Endlich habe ich die schon seit einiger Zeit geplante Rezension zu dem Buch geschrieben, das mich natürlich allein schon wegen der „Entwicklungsforschung“ im Titel sehr interessiert hat (auch wenn der Fokus allein auf der Schule liegt und eine Ausweitung auf Hochschule, Weiterbildung etc. für das Thema Entwicklungsforschung natürlich noch einmal interessanter gewesen wäre).

Die Lektüre war auf jeden Fall ein Gewinn, auch wenn ich speziell in punkto Entwicklungsforschung eher zu einem kritischen abschließenden Urteil komme:

Rezension_Einsiedler(Hrsg)Mai 2012

Böse Werkzeuge

Sowohl auf Spiegel online (hier) als auch im duz-magazin (hier) ist seit kurzem ein Beitrag von Armin Himmelrath zur „Streitkultur in der Wissenschaft“ zu lesen. Die dort zitierten Wissenschaftler sind sich uneins, ob fruchtbare Kontroversen um die Sache nach wie vor in der Wissenschaft stattfinden oder sich langsam auflösen – unter anderem aufgrund von Angst vor Nachteilen für die eigene Wissenschaftlerkarriere. Am Ende des Beitrags kommen auch Blogs zur Sprache – mit der typischen eher ablehnenden Haltung (von einzelnen Ausnahmen einmal abgesehen). Da kommen dann Hinweise wie „erst nachdenken, dann schreiben“, als würde man beim Bloggen das Hirn ausschalten. Oder: Für den „intellektuellen Funkenflug“ brauche mal reale Räume – na ja, also so viele intellektuelle Funkenflüge habe ich jetzt auf Tagungen oder anderen Anlässen der realen Zusammenkunft auch noch nicht erlebt. Interessant ist auch die Aussage „Blogs und Mails wirken als Beschleuniger“, bei der das Verfassen von Mails und das Bloggen gleich mal zu EINER Gruppe böser Werkzeuge deklariert werden – wohl weil man zu beidem einen Computer braucht. Und wenn ich lese, „der Wettstreit zwischen Argumenten sei online nicht zu ersetzen“, dann wundere ich mich schon ein bisschen über die weltfremde Haltung gegenüber dem technologischen Wandel, der längst alle Lebensbereiche erreicht hat – nur eben manche Professoren-Büros nicht. Aber vielleicht ist das Plädoyer für „menschliche Nähe“ (versus unmenschliche Cyber-Profs) auch einfach nur eine (nach wie vor wirksame) Taktik, um sich die Anforderung nach mehr Transparenz und öffentlicher Kommunikation vom Hals zu halten.

Zum Thema „Öffentlichkeit und Wissenschaft“ möchte ich bei der Gelegenheit auf einen Beitrag von Julia Russau verweisen, die sich mit dem Thema im Zusammenhang mit „sozialer Arbeit“ widmet (hier).

Brauchen wir ABBs (Allgemeine Bildungsbedingungen)?

Bei der Reflexion meiner eigenen Lehre und beim Austausch mit anderen Lehrenden ist das Thema „Feedback geben und was die Studierenden damit eigentlich machen“ immer wieder präsent. Bei mir selbst beobachte ich eine mit den Jahren steigende Intensität der Rückmeldung (im Hinblick auf Umfang und Tiefe), die mich natürlich zeitlich ziemlich in Anspruch nimmt. An sich könnte man ja meinen, dass man im Laufe der Jahre eher etwas „laxer“ (man könnte auch freundlicher sagen „gelassener“?) wird. Warum ich da zum Gegenteil tendiere, kann ich mir selbst nicht so recht erklären. Vielleicht weil es mich ärgert, wenn nach einer Lehrveranstaltung die Ergebnisse nicht so gut sind? Weil ich dann gewissermaßen die letzte Chance eines Feedbacks nochmal nutzen will (damit nicht alles umsonst war)? Ich weiß es nicht … Wenn denn die ausführlichen und aufwendigen Rückmeldungen dazu führen, dass Studierende etwas lernen und über die Zeit tatsächlich besser werden, „lohnt“ es sich, es macht dann auch Spaß – das ist gut investierte Zeit (und das trifft so schätzungsweise auf 10, im besten Fall mal 20 Prozent der Studierenden zu). Wenn aber einerseits von Studierenden zu wenig Rückmeldung beklagt wird und andererseits keine Anstrengungsbereitschaft da ist, diese auch zu nutzen, dann wird es schwierig bis frustrierend.

Vielleicht – und das ist jetzt ein durchaus ernst gemeinter Vorschlag – sollte man so etwas wie AGBs für den Bildungsbereich einführen: quasi ABBs (Allgemeine Bildungsbedingungen). Das heißt: Wenn ich als Lernender Rückmeldung nicht nur in Form einer Note, sondern mit umfangreichen Erläuterungen (Erklärungen von Bewertungen und Verbesserungshinweise) erhalte, dann bin ich auch verpflichtet, diese zu lesen, nachzuvollziehen und für Verbesserungen zu nutzen, oder auch nachzufragen, wenn ich die Rückmeldungen nicht verstanden habe. Mit Abgabe einer Leistung plus Feedback kreuze ich dann an, ob ich mit den ABBs einverstanden bin. Wenn nicht, gibt es auch kein Feedback bzw. nur eines in Form einer Note (wenn man denn unbedingt eine solche vergeben muss; den Wert von Noten jedenfalls sehe ich ohnehin zunehmend skeptischer – aber das ist ein anderes Thema … über das ich erfreulicherweise auch auf der nächsten GMW in Wien berichten darf).

 

Scheinbarer Abschied vom Konstruktivismus

Noch läuft der Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) in Osnabrück, zudem ich gestern schon (hier) einen Beitrag verfasst habe. Ich war eingeladen, einen der vier Parallelvorträge am Dienstag zu halten. Nach langem Überlegen hatte ich mich im Vorfeld dazu entschieden, das Thema „Vermittlung bzw. Vermittlungswissenschaft“, an dem ich seit 2011 etwas intensiver arbeite, zum Fokus des Vortags zu machen. Anbei das Vortragsmanuskript.

Vortrag_Osnabrück_Maerz_2012

Ich war natürlich schon gespannt, wie die Zuhörerschaft, die ich schlecht einschätzen konnte, darauf reagieren würde. Die Statements und Fragen nach dem Vortrag zeigten, dass einerseits schon die Gefahr besteht, falsch verstanden zu werden (z.B. in dem Sinne, dass ich die Allgemeine Didaktik durch eine interdiszliplinäre Vermittlungswissenschaft ablösen wolle, was NICHT der Fall ist), andererseits aber offenbar auch gesehen wird, dass es Vermittlungsphänomene gibt, denen sich die Allgemeinen Didaktik bisher (leider) nicht zuwendet. Wie zu erwarten, gab es auch eine Nachfrage zum „konstruktivistischen Standpunkt“, den ich mit dem Fokus „Vermittlung“ scheinbar aufgebe. Ich schreibe „scheinbar“, denn nach wie vor würde ich behaupten, dass ich eine „konstruktivistische Haltung“ habe, was Lehren und Lernen betrifft. Ich sehe nur den ASPEKT der Vermittlung vernachlässigt, was der Sache – dem Lehren und Lernen – in Wissenschaft UND Praxis aus meiner Sicht nicht gut tut. Dass eine interdisziplinäre Vermittlungswissenschaft spezielle Probleme in der Lehrerbildung NICHT löst, wie Meinert Meyer anmerkte, kann ich nur unterstreichen. Dieses Ziel habe ich mir aber mit dieser Aktion gar nicht auf die Fahre geschrieben.

Ich hoffe, dass es noch ein paar Kommentare gibt und freue mich über alle – selbstverständlich auch – kritische Anmerkungen. Leider kann ich den dazugehörigen, längeren und natürlich präziser argumentativ abgesicherten Artikel hier (noch) nicht veröffentlichen. Da muss ich noch um etwas Geduld bitten.