Brauchen wir ABBs (Allgemeine Bildungsbedingungen)?

Bei der Reflexion meiner eigenen Lehre und beim Austausch mit anderen Lehrenden ist das Thema „Feedback geben und was die Studierenden damit eigentlich machen“ immer wieder präsent. Bei mir selbst beobachte ich eine mit den Jahren steigende Intensität der Rückmeldung (im Hinblick auf Umfang und Tiefe), die mich natürlich zeitlich ziemlich in Anspruch nimmt. An sich könnte man ja meinen, dass man im Laufe der Jahre eher etwas „laxer“ (man könnte auch freundlicher sagen „gelassener“?) wird. Warum ich da zum Gegenteil tendiere, kann ich mir selbst nicht so recht erklären. Vielleicht weil es mich ärgert, wenn nach einer Lehrveranstaltung die Ergebnisse nicht so gut sind? Weil ich dann gewissermaßen die letzte Chance eines Feedbacks nochmal nutzen will (damit nicht alles umsonst war)? Ich weiß es nicht … Wenn denn die ausführlichen und aufwendigen Rückmeldungen dazu führen, dass Studierende etwas lernen und über die Zeit tatsächlich besser werden, „lohnt“ es sich, es macht dann auch Spaß – das ist gut investierte Zeit (und das trifft so schätzungsweise auf 10, im besten Fall mal 20 Prozent der Studierenden zu). Wenn aber einerseits von Studierenden zu wenig Rückmeldung beklagt wird und andererseits keine Anstrengungsbereitschaft da ist, diese auch zu nutzen, dann wird es schwierig bis frustrierend.

Vielleicht – und das ist jetzt ein durchaus ernst gemeinter Vorschlag – sollte man so etwas wie AGBs für den Bildungsbereich einführen: quasi ABBs (Allgemeine Bildungsbedingungen). Das heißt: Wenn ich als Lernender Rückmeldung nicht nur in Form einer Note, sondern mit umfangreichen Erläuterungen (Erklärungen von Bewertungen und Verbesserungshinweise) erhalte, dann bin ich auch verpflichtet, diese zu lesen, nachzuvollziehen und für Verbesserungen zu nutzen, oder auch nachzufragen, wenn ich die Rückmeldungen nicht verstanden habe. Mit Abgabe einer Leistung plus Feedback kreuze ich dann an, ob ich mit den ABBs einverstanden bin. Wenn nicht, gibt es auch kein Feedback bzw. nur eines in Form einer Note (wenn man denn unbedingt eine solche vergeben muss; den Wert von Noten jedenfalls sehe ich ohnehin zunehmend skeptischer – aber das ist ein anderes Thema … über das ich erfreulicherweise auch auf der nächsten GMW in Wien berichten darf).

 

Jenseits der „Toll-Danke-sehe-ich-genauso“-Kommentare

Es ist jetzt ziemlich genau zwei Jahre her, als ein Beitrag von Rolf Schulmeister zum Thema „Kommentarkultur in Weblogs“ ein wenig Aufregung unter einigen Bloggern verursacht hat – vor allem bei denjenigen, die in einer kleinen empirischen Studie zu den „Beforschten“ gehörten (z.B. hier, hier, hier und hier). In der Tat ist es in vielen Fällen nicht so weit her mit den Kommentaren auf Blog-Posts oder gar mit Diskursen, die dadurch angestoßen werden. Aber es gab und gibt Ausnahmen: Viel diskutiert (jenseits der einfachen „Toll-Danke-sehe-ich-genauso“-Kommentare) wird z.B. regelmäßig im Blog von Christian Spannagel oder auch im Lehrerblog von Herrn Rau. In meinem eigenem Blog geht diesbezüglich eher gemächlich zu – woran das genau liegt, kann ich nicht sagen. Jedenfalls habe ich an diese Diskussion über Blogs als Medium der Selbstdarstellung versus als Medium der gegenseitigen Kommentierung denken müssen, als ich die umfängliche Auseinandersetzung im noch jungen Blog des „Netzwerks Innovation durch Bildung“ zu Werner Sesinks Ausführungen über seine Vorlesungserfahrungen gelesen habe. Gut, man trifft da wieder auf die alt bekannten Namen und das wiederum stützt Rolfs These von der Kommentarmüdigkeit in der Blogosphäre, wenn es nicht um Themen geht, die man als persönliches Hobby verfolgt, sondern um solche rund um Lehren, Lernen und Bildung (das sind dann halt immer nur SEHR wenige, die da aktiv sind). Dennoch zeigt dieses Beispiel aus meiner Sicht schön, dass und wie ein Diskurs öffentlich geführt werden kann. Und wer das genau mit verfolgt, kann daraus viel lernen und zum eignen Mit- und Nachdenken angeregt werden, ohne selbst mit zu diskutieren. Auch für Studierende könnte das interessant sein. Aber freilich dürfte hier wieder gelten: Selbst WENN Professoren bloggen (nur sehr wenige tun es), ist wohl die studentische Lesergruppe eher klein. Oder doch nicht?

Wie eine Schulstunde – ohne Frühstück

Unter dem Titel „Eine ganz normale Seminarsitzung“ findet sich in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Forschung und Lehre“ der Bericht eines Geschichtsprofessors, der manchem Leser etwas zynisch, anderen Lesern dagegen bekannt vorkommen wird und auf wieder andere vielleicht sogar entlastend wirkt. Ich beschränke mich auf zwei längere Zitate, weil man den ganzen Text auch selbst online hier nachlesen kann:

„Um 9.15 sind alle heute zum Erscheinen Entschlossenen vollzählig. Gelegentliche Ermahnungen, mit dem Thema Pünktlichkeit doch erwachsen und so umzugehen, als sei die Universität ein Arbeitgeber, verfangen dauerhaft ebenso wenig wie die wiederholt vorgebrachten Hinweise, dass in akademischen Lehrveranstaltungen nicht gefrühstückt wird. […] In der Seminarsitzung heute fehlt einer der zwei Referenten. Die letzten Wochen war er da, er hat das Doppelreferat angeblich mit einem Kommilitonen vorbereitet, nun fehlt er unentschuldigt. Ich bin weniger überrascht als der vereinzelte Referent. Inzwischen muss ich davon ausgehen, jede Sitzung eines Seminars, in dem aufgrund eines seit einem Dreivierteljahr bekannten Themenplans Referate gehalten werden sollen, mit Unterrichtsmaterialien wie eine Schulstunde auffangen zu können, wenn die Referenten ohne oder nach kurzfristiger Absage ausfallen“.

Nach dieser resignierend wirkenden Darstellung eines Dauerzustands folgt eine konkrete Episode über den „vereinzelten Referenten“:

„ ´Hallo. Ich bin der Marco und erzähle Euch heute etwas über, äh, …´. Marco bekommt durch die Mithilfe einer Kommilitonin den Beamer nach nur fünf Minuten in Gang. … Marcos halbes Referatsthema ist die Rolle der Reichsregierung in der Julikrise 1914. Sein fehlender Mitreferent hätte über den Generalstab sprechen sollen. Aufteilung und die einzelnen Punkte der Agenda einschließlich gedruckter Quellen und einschlägiger Sekundärliteratur habe ich mit Marco, der im fünften Fachsemester eines sechssemestrigen B.A.-Studiengangs ist, detailliert durchgesprochen. Der Beamer wirft nun Marcos Namen, den fast fehlerfrei getippten Titel seines Referats, Datum und Matrikelnummer, das Logo unserer Anstalt sowie die drei Gliederungspunkte an die weiße Wand. Diese kommen mir bekannt vor, weil ich sie Marco vorgeschlagen habe. Neun Minuten lang wird Marco, der aufgefordert war, ein diskussionsorientiertes Referat mit Thesen zu halten und den Seminarteilnehmern die für ihn ausgesuchten Schlüsselquellen vorzustellen, eine Chronologie der Julikrise 1914 vortragen, die erkennbar aus der Datenliste stammt, die ich in den Semesterferien vor dem Seminar neben anderen Materialien zur Verfügung gestellt habe. […] Meiner Einladung, einmal ausführlich über sein Referat unter vier Augen zu sprechen, kommt Marco nicht nach, wird sich aber über die Note auf seinem Leistungsnachweis beim Studiendekan beschweren und mich als Prüfer in seinem B.A.-Abschluss meiden. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird er danach irgendwo ins Masterstudium gehen.“

Ob das nun eine „ganz normale Seminarsitzung“ – was ja ein wenig nach Repräsentativität klingt – oder gar nur die Spitze eines Eisbergs oder ein Beispiel ist, das man zwar kennt, aber nicht die Mehrheit von Seminarsitzungen repräsentiert, sei dahingestellt. Ich bin ja schon der Meinung, dass die Leistungen und das Engagement von Studierenden AUCH eine Reaktion auf die didaktische Leistung und das Engagement eines Lehrenden sind. Bezeichnenderweise signalisiert der Bericht schon eine recht negative Haltung zu hochschuldidaktischen Bemühungen, und vielleicht könnte man ja mal auf die Idee kommen, dass das eine mit dem anderen durchaus zusammenhängt. Allerdings kommt es auch nicht von ungefähr, dass – so meine Vermutung – viele Hochschullehrer, die das lesen, wissend lächeln werden, denn natürlich gibt es diese Fälle überall. Was mich z.B.  immer sehr ärgert ist, wenn Studierende kein Feedback haben wollen, oder dieses einfordern, dann aber gar nicht richtig zur Kenntnis nehmen geschweige denn berücksichtigen. Da kommt man sich dann einfach nur veralbert vor und fragt sich schon, warum man sich das antut. Aber es gibt eben AUCH die anderen „Fälle“ und „Sitzungen“ – das heißt: Lehrsituationen, in denen es Entwicklungen, kleine und größere Verbesserungen von Leistungen, entstehendes Interesse und Veränderungen im Laufe der Zeit (manchmal auch länger verzögert) gibt, die man mit Testverfahren und Evaluationsmaßnahmen am Ende einer Veranstaltung nicht einfangen kann, sondern die man erst erkennt, wenn man Studierende etwas länger kennt, mit ihnen spricht und auch mal genauer hinhört.

Also, lieber Kollege (wie man so schön sagt): Ich kann das einerseits schon verstehen (und teilweise nachfühlen) – den Frust und die Unverständnis vor dem Neun-Minuten-Referat, der schlampigen Sprache und Gefummel am Beamer, aber: Ebenso wenig, wie wir das als neues Niveau verwenden und aus universitären Veranstaltungen reine Schulstunden machen dürfen, sollten wir dauerhaft zynisch werden (es reicht ja eine zeitlich begrenzte Ironie) und in die Haltung verfallen, dass da nichts mehr zu retten ist. Und wer auf dem Standpunkt steht, dass jede Form von didaktischer Gestaltung den wissenschaftlichen Himmel zerstört, der darf sich nicht wundern, wenn ihn neue Herausforderungen in der Lehre erst mal ratlos machen.

Sich gegenseitig in Ruhe lassen

Wenn man ein bestimmtes Bild von der Universität zeichnet, z.B. in die Richtung, dass Studierende besonders engagiert in ihrem Studium oder im Gegenteil besonders lethargisch und gleichgültig sind oder in die Richtung, dass Lehrende besonders einfallsreichreich in der Lehre oder im Gegenteil besonders ignorant sind, dann erntet man in jedem Fall Widerspruch, weil es immer Gegenbeispiele zu dem gibt, was man gerade darstellt. Und das ist auch nicht verwunderlich, denn Universitäten sind voll von engagierten und lethargischen Studierenden, von einfallsreichen und ignoranten Lehrenden; und sie sind voll von Studierenden und Lehrenden, auf die eine Vielzahl anderer und dabei auch gegensätzlicher Eigenschaften zutrifft – mitunter auch mehrere gegensätzliche bei einer Person je nach Situation. Wenn also variable Bilder von erfolgreichem und misslungenem Lehren und Studieren gezeichnet werden, dann treffen sie wahrscheinlich stets zu und zwar gleichzeitig und machen zusammen die Vielfalt aus, die wir im Universitätsalltag antreffen.

Sind Lehrende UND Studierende engagiert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass zwar beide Seiten einen großen Aufwand, aber ähnliche Erwartungen haben und ihre jeweilige Investition als lohnend empfinden. Umgekehrt gilt (leider) auch, dass im Falle wenig engagierter und interessierter Lehrender UND Studierender die Erwartungen ebenfalls weitgehend übereinstimmen, man den Aufwand auf beiden Seiten klein hält und sich schlicht gegenseitig in Ruhe lässt. Probleme und Herausforderungen ergeben sich allerdings in besonderem Maße überall dort, wo infolge der Verschiedenheit die Erwartungen seitens der Studierenden und die der Lehrenden auseinanderdriften: Studierende, die etwas lernen wollen, sich engagieren und auf Lehrende treffen, das das Minimum erfüllen, keine Rückmeldungen anbieten und kein sonderliches Interesse an der Lehre und den Studierenden haben, sind enttäuscht, bei günstigen personalen Bedingungen werden sie selbst aktiv und im ungünstigen Fall ziehen sie sich demotiviert zurück. Umgekehrt gilt aber auch: Lehrende, die in der Lehre mehr sehen als eine Pflicht, sich viel einfallen lassen und auf Studierende treffen, die das Minimum erfüllen, Rückmeldungen eher als lästig empfinden und letztlich das Studium aus anderen Gründen als aus Interesse an der Sache absolvieren, entwickeln ebenfalls unterschiedliche negative Reaktionen: Ärger, Resignation und Zeitinvestition in andere Dinge als Lehre.

Noch einmal komplexer wird die Situation, wenn man die Möglichkeit hinzuzieht, dass die verschiedenen Konstellationen sowohl bei den Studierenden als auch bei den Lehrenden zum einen unreflektiert „passieren“, zum anderen aber auch bewusst wahrgenommen und mit Kalkül praktiziert werden können. An dieser Stelle werden dann auch von beiden Seiten vielfältige Gründe angeführt, die das eigene Verhalten (scheinbar) legitimieren.

Wie ich da jetzt darauf komme? Nun, das Trimester (wir beginnen Anfang Oktober) ist noch im ersten Drittel, aber sowohl aktuelle Erlebnisse mit Studierenden als auch solche mit Kollegen/innen führen dazu, dass ich über solche Dinge im Moment gerade (mal wieder) nachdenke. Ich empfinde die Situation jedenfalls als vertrackt, denke mir oft, dass alle „am Spiel Beteiligten“ ihre Erwartungen und Aufwandsbereitschaft eigentlich transparenter machen müssten, wohl wissend, dass das infolge von sozialer Erwünschtheit und anderen Gründen eine utopische Vorstellung ist. Aber selbst WENN man den Versuch macht, die eigenen Erwartungen zu explizieren, steht in den Sternen, wie das der jeweils „andere“ interpretiert, ob er/sie die Erwartungen als legitim empfindet etc. Denkt man das weiter, landet man unweigerlich bei den Erwartungen an die Universität als eine gesellschaftliche Institution und stellt auch da eine hohe Diskrepanz fest, sodass es wiederum nicht verwunderlich ist, wenn wir auch zwischen Lehrenden und Studierenden auf diese teils ausgesprochenen, teils unausgesprochenen Erwartungsdiskrepanzen treffen.

Ich freue mich über Kommentare mit Ideen oder Erfahrungen, wie man damit konstruktiv(er) umgehen kann.

Hilfreich oder nicht?

Die Frage, welchen Einfluss das Fach bzw. die Domäne, man könnte auch sagen: der Gegenstand oder die Inhalte, auf didaktische Entscheidungen beim Medieneinsatz in der Hochschullehre haben, ist wichtig und keineswegs neu. Nun beschäftigen sich gleich mehrere Texte bei e-teaching.org mit der „Fachspezifik in E-Learning-Support & Praxis“. In einem Überblicksartikel gibt Simone Haug (hier) einen Überblick über vor allem empirische Befunde zu dieser Frage und kommt unter anderem zu dem Schluss, dass es so etwas wie eine Schnittmenge zwischen verschiedenen Fächern gibt, etwa wenn es um die Online-Verfügbarkeit von Lehr-Lernmaterialien und klassische Funktionalitäten von Lernplattformen geht. Daneben aber zeigen sich – mal mehr, mal weniger ausgeprägt – durchaus fachspezifische Besonderheiten, die allerdings wenig verwunderlich sind: mehr (interaktive) Multimediaproduktion bis hin zu aufwändigeren Dingen wie Simulationen in eher naturwissenschaftlich orientierten Disziplinen und mehr Nutzung von Kommunikations- und Kollaborationswerkzeuge in den textlastigen Geistes- und Sozialwissenschaften. Aber auch auf Unterschiede zwischen dem verfügbaren Budget mit entsprechenden Folgen für den Medieneinsatz weist der Beitrag von Haug hin. Eine eigene Studie von e-teaching.org (siehe hier) kommt auf ähnliche Ergebnisse, wobei allerdings die Beteiligung gering und fachbezogen unausgewogen war. Da aber ohnehin die Tendenzen aus anderen Studien belegt wurden, scheint das gar nicht sonderlich ins Gewicht zu fallen.

Nun stellt sich für mich die Frage, was man mit diesen „evidenzbasierten Einsichten“ (sprich: man hat jetzt auch Zahlen zu dem, was ohnehin schon jeder ahnte, der sich mit E-Learning beschäftigt) anfängt. Folgerungen wie „Austausch ist wichtig“ sind sicherlich richtig, aber mich würde an sich mehr interessieren, ob und wenn ja welche konkreten didaktischen Gestaltungsziele und -aufgaben daraus resultieren könnten. Eher wenig hilfreich finde ich hierfür die auch bei diesem Thema dominierende Zweiteilung von Ansätzen und Überzeugungen seitens der Lehrenden, die man aus den Ergebnissen zum Medieneinsatz in der Hochschullehre scheinbar herauslesen kann. In beiden zitierten Texten wird die Einteilung in einen „inhaltsorientierten bzw. lehrendenzentrierten Lehransatz“, der sich auf die Materialversorgung der Studierenden konzentriere, und einen „lernorientierten bzw. studierendenorientierte Lernansatz“, der durch aktivierende Aufgaben die eigene Erfahrung der Lernenden fördere, favorisiert und mit den erzielten Ergebnissen in Verbindung gebracht. Genau damit aber werden die vorher ins Zentrum gestellten Fachunterschiede wieder ausgeblendet – also Unterschiede, die sich aus der Sache heraus (möglicherweise unabhängig vom Lehrenden und seinen impliziten oder expliziten Überzeugungen) ergeben könnten. Im Gegensatz zu früher erscheint mir diese Zweiteilung heute als zu einfach. Warum, das habe ich an anderer Stelle bereits genauer ausgeführt: Siehe hier sowie passend dazu an der Stelle auch gleich der dazugehörig Preprint:

Artikel_Instruktion versus Konstruktion_preprint

Früher war alles genauso!?

Im Moment bin ich gerade an der Universität St. Gallen. Dort jährt sich 2011 zum 40. Mal die Gründung des Instituts für Wirtschaftspädagogik. Zu diesem Anlass gibt es eine Fachtagung unter dem Leitthema „Kompetenzentwicklung in unterschiedlichen Lernkulturen“. Im Track „Kompetenzentwicklung in Hochschulen: Früher war alles anders!? – Ansätze für die Gestaltung studentischer Lernkulturen“ habe ich einen Vortrag gehalten, dessen Titel zeigt, dass ich einen etwas anderen Akzent gesetzt habe: „Früher war alles genauso!? Aufgaben und Grenzen der Hochschullehre“. Meinen Vortrag mache ich als Textversion an dieser Stelle zugänglich:

Vortrag_StGallen_Sept11

Die Studierenden-Seite kam aber im Track dennoch nicht zu kurz, weil Franziska Zellweger Moser und Tobias Jenert mit ihren Beiträgen die selbständlich notwendige komplementäre Sicht beisteuerten. Gespannt bin ich auf den morgigen Track zur „Gestaltungsorientierten Forschung„. Ich werde dann am Wochenende über meine Tagungseindrücke kurz berichten.

Wo sind die kreativen Intellektuellen?

Seit einigen Tagen liegt die Veröffentlichung der Studie „Der Wandel des Hochschullehrerberufs im internationalen Vergleich” auf meinem Schreibtisch, die ich endlich gelesen habe. Mandy hat (hier) bereits ausführlicher einige – speziell für Fragen der Lehre interessante – Resultate zitiert (sie war schneller als ich ;-)), was ich von daher an der Stelle nicht zu wiederholen brauche. Seltsam ist, dass zwischen der Veröffentlichung und der Befragung selbst vier Jahre liegen. Ich vermute, dass sich in diesen vier Jahren wieder einiges verändert hat. In der Summe kommt die Studie beim Thema Lehre zu dem Schluss, dass deutsche Hochschullehrer im internationalen Vergleich verschiedene Defizite aufweisen und allem voran von den digitalen Medien zur Verbesserung der Lehre eher wenig wissen wollen – also: sehr wenig! Auch die Entwicklung von Lehrmaterialien scheint nur eine Minderheit der Lehrenden an deutschen Hochschulen zu interessieren. Innovationsfreude in Sachen Studiengangentwicklung – so die Interpretation der Autoren der Studie – sei wenig vorhanden. Außerdem ein Ergebnis: Allenfalls ein Drittel der Hochschullehrer sehen einen Einfluss von Lehrevaluationen auf ihre Lehre in dem Sinne, dass diese zu Verbesserungen führen. Okay – „nur“ ein Drittel, aber ich war fast überrascht, dass es immerhin ein Drittel ist: So wie viele Lehrevaluationen erfolgen – mit oft unpassenden standardisierten Items und in Form einer Zwangsmaßnahme – finde ich dieses Ergebnis fast schon positiv.

Überhaupt sollte man den Zusammenhang zwischen Lehrqualität und der Art der Evaluation genauer betrachten. Meiner Ansicht nach wirken sich Evaluationen, wenn sie als zentralistisches Kontrollinstrument verstanden und durchgeführt werden, eher kontraproduktiv auf die Lust der Lehrenden aus, „innovationsfreudiger“ zu werden – was ja die Studie als Mangel feststellt. In manchen Unis wähnt man sich schon im Besitz eines „Konzepts zur Lehrqualität“, wenn man sich für ein technisches Erhebungsinstrument entschieden hat. Auf den Trend, hier mehr mit Vorgaben statt mit Vertrauen auf die Expertise der Hochschullehrer zu arbeiten, weisen auch die Autoren der Studie hin, wenn sie auf folgende Veränderung der Rahmenbedingungen für Hochschullehrer aufmerksam machen: „Mehr Dispositionsspielräume für die einzelnen Hochschulen gegenüber staatlichen Vorgaben, mehr Evaluation, ein machtvolleres Hochschulmanagement, mehr Anreiz- und Sanktionsmechanismen, sowie stärkere Erwartungen, die Qualität, Relevanz und Effektivität der wissenschaftlichen Arbeit zu demonstrieren.“ Wer hier ein gewisses Unbehagen spürt, dem kann ich die Abschiedsvorlesung von Heiner Keupp aus dem Jahr 2008 (also einem Jahr nach der Befragung) empfehlen, der es gut versteht, dieses Unbehagen auf den Punkt zu bringen – allem voran mit dem Hinweis, dass die Universität als Teil eines „marktradikalen Gesellschäftsmodells“ immer mehr „die Figur des kreativen Intellektuellen“ ersetzt, „der seine gedankliche Unabhängigkeit gerade dadurch erweist, dass er nicht von fremdgesteuerten Geldströmen abhängig ist“ (Keupp, 2008, S. 8). Vielleicht hätte man in die Studie zum Hochschullehrerberuf auch eine Frage in diese Richtung einbauen können – nämlich, ob und inwieweit sich Hochschullehrer noch als unabhängig empfinden und an einem Ort wähnen, der „gesellschaftliche Verantwortung übernimmt“ und an dem „die wichtigsten Zukunftsthemen unserer globalen Welt“ (Keupp, 2008, S. 13 f.) öffentlich und kritisch diskutiert werden.

Studierende als Untergattung des Schwamms

„Mach was du willst …. und da habe ich eigentlich erst gelernt zu studieren“ – so beginnt ein Film zum Thema Hochschullehre mit dem Titel LehreN (das Projekt LehreN ist ein Gemeinschaftsprojekt der Alfred Töpfer Stiftung, der Universität Hamburg und der Nordmetall Stiftung). Der Film soll die Ergebnisse aus mehreren Workshops (mit Beteiligten aus einem Netzwerk aus Hochschullehre, -leitung, -management, und -didaktik) kompakt zusammenfassen und vor allem die Entwicklungspotentiale für die Lehre an den Hochschulen deutlich machen. Das Eingangszitat stammt von Ulrich Wickert, der von seinen Studienerfahrungen berichtet, und ob das so glücklich gewählt ist, wenn man auf die Notwendigkeit hochschuldidaktischer Bemühungen hinweisen will, sei dahingestellt (angesichts der vielen „Bologna-Zwänge“ freut man sich erst einmal über solche Aussagen – auch ich – und nickt zustimmend, aber wenn man es zu Ende denkt …). Auch Schüler kommen im Film kurz zu Wort: „In der Schule ist alles kurzlebig. Man bearbeitet ein Thema zwei Wochen lang und dann kommt das nächste. Wenn man einfach nur auswendig lernt, reproduziert und danach wieder vergisst, kommt man damit sehr weit in der Schule.“ Der Schüler, der diesen traurigen Umstand treffend feststellt, hofft auf die Hochschule – dass es dort anders sein möge. Anders aber könne es langfristig nur werden, so Dieter Lenzen im Film, wenn bei Lehrenden und Lernenden die Bereitschaft da ist, Experimente zu machen. Recht hat er (aus meiner Sicht): Nur haben das Akkreditierungsagenturen und Ministerien noch nicht verstanden, denn: Kontrollwahn lässt sich mit Experimenten in der Lehre genau nicht vereinbaren. Nicht vereinbar wäre dies auch mit der Haltung, dass Studierende eine „Untergattung des Schwamms“ sind, die „Wissen in großen Mengen aufsaugen, um es bei Bedarf wieder abzusondern“ – so die Comic-Darstellung im Film. Wollen wir hoffen, dass alle die Ironie in dieser Darstellung auch klar erkennen.

Rettungsanker zur Evaluation

Eher spontan aus einem praktischen Anlass heraus ist ein neuer (allerdings relativ kurzer) Studientext zum Thema Evaluation entstanden. Im Herbst 2010 hatte ich ein Evaluationsseminar (für Studierende im zweiten Studienjahr) angeboten, das mit drei „Input-Sitzungen“ (und einem Lektüre-Reader im Hintergrund) begann, bevor die Studierenden selbst ein eigenes (kleines) Evaluationsprojekt durchführen sollten. Mein Eindruck (der sich dann in der Seminarevaluation bestätigt hat) war, dass meine mündlichen Ausführungen inklusive Folien (und Reader) nicht zu dem gewünschten mentalen „Grundgerüst“ geführt hatten, das mir aber für die eigenen Evaluationsversuche der Studierenden notwendig erschien. Zur gleichen Zeit saß ich für ein Projekt an der Sichtung aktueller Evaluationsliteratur, sodass ich beides gut zu einem eigenem Text verbinden konnte (eine Vorversion haben die Studierenden dann VOR Ihren Projekten erhalten). Den nun in einer offiziellen Version fertigen Studientext stelle ich – wie die Studientexte zum Wissensmanagement und zum Didaktischen Design – wieder online und damit zur Nutzung in der Lehre gerne zur Verfügung: nämlich hier.

Der Studientext zur Evaluation erwies sich im Rahmen des genannten Seminars als hilfreich. Die Kürze mag auf der einen Seite etwas gefährlich sein (viele Dinge werden logischerweise nur angerissen und/oder nicht in der Differenziertheit dargelegt, in der man sie in der wissenschaftlichen Literatur findet). Auf der anderen Seite zeigte der Text seine Stärke als „Rettungsanker“ im besagten Seminar, sodass ich hoffe, dass er anderen auch noch dienlich sein kann.

Nicht besser werden wollen?

Feedback geben – es gibt viele gute Argumente wie auch Studien, die zeigen, dass die Rückmeldung an studentische Leistungen im Rahmen der Hochschule wichtig ist. Studierende beklagen überdies häufig einen Mangel an Feedback und geben entsprechend an, sich mehr davon zu wünschen. Ich meine, viel Feedback in meiner Lehre zu geben. In einer Veranstaltung, die ich mit dem Konzept „Lernen durch Lehren“ mache, bekommt jedes Lehrteam mindestens zwei Seiten schriftliche Rückmeldung dazu, was gut war, was man verbessern kann und wie man es verbessern kann. Die anderen Lehrteams, auch die, die Ihre Lehreinheit noch vor sich haben, können diese Feedbacks ebenfalls lesen. Auf die abschließenden Hausarbeiten, die 10 bis 12 Seiten umfassen, kommen in der Regel ebenfalls bis zu zwei Seiten Rückmeldung von mir. Das ist extrem aufwändig. Ich habe mal den Zeitaufwand für zwei Kurse über drei Monate lang (insgesamt 30 bis 40 Studierende) zusammengestellt und komme auf ca. 45 bis 50 Stunden allein (!) für die Formulierung schriftlicher Rückmeldungen (und mir geht das wahrscheinlich inzwischen recht schnell von der Hand – ein Novize kann da locker mal das Doppelte brauchen). Gut, das muss ich nicht machen, ich bin also selber schuld. Ich muss also folglich Gründe haben, warum ich es mache. Habe ich: Ich erhoffe und erwarte mir, dass die Studierenden das Feedback aufnehmen, verstehen, für sich nutzen und besser werden – so einfach. Ich möchte, dass die Studierenden besser werden.

Meine eigenen Lehrevaluationen sowie meine Beobachtung (oft gestützt durch Silvias Beobachtungen, die mich in den letzten Kursen immer begleitet hat, sodass ich weiß, dass es kein Verfolgungswahn ist) zeigen allerdings ziemlich deutlich: Die Rückmeldungen haben wenig bis keine unmittelbaren Wirkungen. Verbesserungsvorschläge werden kaum aufgegriffen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht einmal, wie viele der Studierenden das überhaupt lesen. Wenn sie es lesen, weiß ich nicht, ob sie es verstehen – mein Angebot nachzufragen, wird nämlich selten aufgegriffen. Falls sie es gelesen und verstanden haben, müssten sie es auch umsetzen – und davon sehe ich wenig. Die Rückmeldungen sind weitgehend so gestaltet, wie man „das so machen soll“: Informativ mit Hinweisen auf Stärken und Schwächen sowie konkreten Verbesserungsvorschlägen – oft auch mit Begründungen. Ein „handwerklicher Fehler“ beim Feedback sollte also eher nicht die Ursache sein. Nun ist das kein neues Problem und vielleicht kommt hier die Frage auf, warum ich das gerade jetzt schreibe (nachdem auch in Christians Blog hier kürzlich ein ähnlicher Beitrag für Diskussionsstoff gesorgt hat). Der aktuelle Grund: Zwei Studierende, die meine Kritik an zahlreichen unverständlich formulierten Botschaften in ihrer Arbeit darauf zurückführten, dass ich die Arbeit nicht richtig gelesen hätte …. Auf die Idee, dass es wohl eher umgekehrt sein könnte, dass also besonders gute Noten oft zustande kommen, weil manche Kollegen/innen diese Arbeiten genau nicht intensiv lesen, sind die beiden nicht gekommen. Sie beharrten darauf, „wissenschaftlich geschrieben“ zu haben, so wie es anderswo akzeptiert und nur von mir als unverständlich gewertet werden würde. Immerhin wurde dieses Feedback ja gelesen, wenn auch nicht verstanden, oder aber zwar verstanden, aber nicht akzeptiert.

So rechten Rat weiß ich mir keinen, wie man mit diesem Problem umgeht: Feedback geben ist anstrengend, Feedback annehmen und vor allem auch nutzen, allerdings auch (wir wollten dazu mal ein Forschungsprojekt machen, aber dafür haben wir leider keine Finanzierung bekommen – siehe hier). Fehlt es (manchen, vielen?) Studierenden an Anstrengungsbereitschaft? Die Vermutung habe ich mitunter schon, OHNE da alle unter Generalverdacht zu stellen. Wollen manche Studierende gar nicht besser werden? Auch das kann ein Grund sein, vor allem, wenn das Interesse an einem Thema oder gar am ganzen Fach fehlt. Haben einige Studierende (z.B. die besagten beiden) schlicht kein Vertrauen in die Lehrenden? Möglich ist das auch, jedenfalls in Einzelfällen wie dem geschilderten. So lange man keine Antworten auf diese Fragen hat, wird es wohl schwierig bleiben, das Problem zu lösen …. und die eigene Motivation aufrecht zu erhalten.